Mit der Diktatur der Partei zum Sieg des Sozialismus?
Die
Commune erscheint heute weitgehend vergessen - daran tragen die späteren
'Gralshüter' des autoritären Kommmunismus einen Großteil
der Verantwortung. Von Karl Marx über Friedrich Engels bis zu
Lenin und Mao nutzten sie das Geschehen für ihren Kampf um politische
Macht - die historische Wahrheit war nicht so wichtig. Während August Bebel am 25. Mai 1871 für die Sozialdemokraten im Berliner Reichtag deklamierte: "Seien sie überzeugt, das ganze
europäische Proletariat und alles, was noch ein Gefühl von Freiheit und
Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris." (4), war für den Anarchisten Michael Bakunin die Commune Ausdruck der "spontanen und andauernden Aktion der Massen, der Gruppen und Volksvereine" (5). Friedrich Engels schrieb 20 Jahre nach der Commune in seinem berühmten Vorwort zur Neuauflage von Marx "Der Bügerkrieg in Frankreich": „Der sozialdemokratische
Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten beim Wort:
Diktatur des Proletariats. Nun gut ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese
Diktatur aussieht? Seht Euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des
Proletariats.“ Dabei ging es Engels mehr um die tagesaktuellen Auseinandersetzungen in der deutschen Sozialdemokratie und weniger um die Wirklichkeit der Commune.
Auch Lenin bemächtigte sich der Commune und schrieb nach der Oktoberrevolution im Januar 1918: „Die Pariser Proletarier hatten keinen Apparat, und das Land verstand
sie nicht. Wir dagegen fanden sofort eine Stütze in der Sowjetmacht…“ Hermann Duncker, Mitgründer
des Spartakusbundes und der KPD betonte 1931 „Es ist kein Zufall (…) das Lenin
nach Marx und Engels der einzige war, der aus der Kommune die entscheidenden
Politischen Erkenntnisse gezogen hat. So haben denn auch die Bolschewiki der
Kommune das herrlichste Denkmal 1917 in
der Errichtung der Sowjetrepublik – des Staates vom Typus der Pariser Kommune
(Lenin) – gesetzt.“ Ein alter Bolschewik erinnerte sich: "In jenen Augenblicken sagten wir: 'Arbeiter, seht auf das Beispiel der Pariser Kommunarden und wißt, wenn wir besiegt werden, dann wird uns unsere Bourgeoisie hundertmal schlimmer behandeln." (6) Für Trotzki beging die Commune den entscheidenden Fehler: "dem weißen Terror der Bourgeoisie nicht mit dem rotem Terror des Proletariats" begegnet zu sein. (7)
Die blutigen Lehren der Uneinigkeit innerhalb der Commune nutzte Lenin, nach der Oktoberrevolution jede Opposition - auch in der Partei - mit der Notwendigkeit des 'Kriegskommunismus' gegen die Konterrevolution zu unterdrücken. Das damit verbundene Fraktionsverbot blieb auch nach dem Ende des Bürgerkrieges in der Partei Gesetz und verhalf so Stalin an die Macht. In der Folge war der 'demokratischen Zentralismus' in der Partei bestimmend, die Minderheit musste die Linie der Mehrheit öffentlich vertreten. Faktisch bedeutete dies das Ende jeder offfenen Debatte in der Partei. Auf die wirtschaftlichen Misserfolge nach dem Sieg im Bürgerkrieg reagierte man ebenfalls mit autoritären Methoden. Vermeintliche Verräter und Renegaten waren Schuld am Scheitern, dieses System sollte sich unter Stalin mit den Schauprozessen 1937 perfektionieren. Mitte der 1960er Jahre forderte Mao Tse Tung während der sogenannten 'Kulturrevolution' Basisdemokratie im Sinne der Commune. In Wirklichkeit ging es ihm darum, seine Herrschaft über Partei und Staat zu sichern. Als Im August 1968 das ZK der KPCh den Beschluss fasste: „Es ist notwendig, ein allgemeines
Wahlsystem ähnlich dem in der Pariser Kommune einzuführen…“ Die „Massen“ seien
demnach berechtigt „jederzeit zu kritisieren“ (8) und unfähige Kader abzuberufen, war dies nur Ausdruck des internen Machtkampfes.
Commune - Das Proletariat an der Macht?
Die Wirklichkeit der Commune von Paris unterschied sich von den Darstellungen der Theoretiker und Ideologen des Kommunismus. Sie instrumentalisierten die Taten und Fehler der Kommunarden für die in ihrer Zeit aktuellen politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Linken.
„Die Männer und Frauen
der Pariser Kommune sind die Martyrer und Heiligen des Kommunismus geworden
(…)“ sie wirkten wie die Christen „weniger durch ihre Taten, als vielmehr durch
ihr Leiden und durch ihren Tod (...). Die Kommune selbst war
durch Meinungsverschiedenheiten gespalten; die bürgerlich-gemäßigten Mitglieder
traten sehr bald zurück, aber auch unter den verbliebenen Liberalen und
Sozialisten herrschten Spannungen, die am 15. Mai durch die ‚Erklärung der
Minderheit’ besonders deutlich wurden. (...) Die Herrschaft der Kommune
war niemals das, was sie sein wollte: was als kommunalpolitisches
Reformprogramm oder als Verwirklichung einer sozialistischen Utopie, als
Machtergreifung der Arbeiterklasse oder nationale Renaissance gedacht war,
wurde durch den Zwang der Umstände zu einer Kette von – zuweilen
widersprüchlichen - Notverordnungen und Improvisationen; welche Taten den
Worten gefolgt wären, lässt sich nicht abschätzen.“ (9)
Karl Marx kritisierte die Fehler der Commune in der wenige Monate nach der Niederschlagung veröffentlichten Schrift: "Der Bürgerkrieg in Frankreich". Er beurteilte in seiner Schrift die Commune als neue "Gesellschaft in ihren Geburtswehen (...) eine Revolution gegen den Staat selbst (...) um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen." Abschließend schreibt Marx: "Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft, Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse." Zehn Jahre später beurteilte er die Commune in einem persönlichen Brief an einen niederländischen Genossen nüchterner. Die Commune sei "in keiner Weise sozialistisch und konnte es auch nicht
sein. Mit ein wenig gesundem Menschenverstand hätten sie jedoch mit Versailles
einen Kompromiss erzielen können, der für die gesamte Masse der Menschen
nützlich ist - das einzige, was zu dieser Zeit erreicht werden konnte. Die
Aneignung der Bank von Frankreich allein hätte ausgereicht, um alle Ansprüche
der Versailler auf Terror usw. usw. aufzulösen." Öffentlich machte er das nie.
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Rathaus und Zentrale der Commune
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Was bleibt?
Das revolutionäre Paris war nach dem blutigen Ende der Commune zerschlagen, die Royalisten von Thiers bis MacMahon, konnten sich aber nicht lange an der Macht halten. Zehn Jahre später waren sie Geschichte und die Schreckenstage der Commune und der Blutwoche sollten vergessen werden. Man brauchte die Loyalität der Arbeiter für den französischen Kolonialismus und den Kampf für Revanche gegen Deutschlands Machtstreben. In Deutschland setzten die Sozialdemokraten auf den Wahlzettel und nicht die Revolution. In Frankreich und Deutschland gewannen der Nationalismus und der Chauvinismus immer mehr Einfluss auch auf die Arbeiter. Dafür sollten sie im Krieg 1914-1918 bitter bezahlen - Internationalismus war Vergangenheit. Revolutionsversuche in den besiegten Staaten endeten nach 1918 - wie die Commune - mit blutigen Niederlagen.
Nur die Oktoberrevolution in Russland siegte, zeigte bald aber ihre autoritäres und brutales Gesicht. Der Terror ging eben nicht mit dem Sieg Lenins und der Bolschewiki über die Konterrevolution zu Ende. Leo Trotzki war 1921 für die blutige Niederschlagung des Aufstands der Matrosen der Festung Kronstadt bei St.Petersburg gegen die bolschewistische Diktatur verantwortlich. Die Revolution fraß ihre Kinder... Bis 1989 intonierte man in der DDR das Kampflied der SED: "Die Partei die Partei, die hat immer Recht". Keiner der Staaten, die sich an Lenins Modell orientierten, brachte Freiheit nach den Vorstellungen von Marx und Engels. Sie bestimmen aber das Bild, das wir heute von Sozialismus und Kommunismus haben.
Nach 150 Jahren Commune konstatieren Linke heute, Marx habe "in der historischen Kommune mehr ein Modell erblickt, als das er die Geschichte der Kommune hat schreiben lassen." Auch Lenin habe "sich nicht auf die tatsächliche Kommune, sondern auf die Interpretation von Marx und Engels bezogen". (10) Leider kommt diese Erkenntnis zu spät - die Pariser Frauen und Männer, die für Freiheit, Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit kämpften - wurden dem Vergessen preisgegeben.
Dabei ist der Traum von Freiheit heute aktueller den je: Klimakatastrophe, Soziale Ungleichheit, Krieg, Rassismus. Aber die alten und autoritären Lösungsmodelle sind gescheitert und das zu Recht. Eugène Pottier, Transportarbeiter, Kommunarde und Dichter der 'Internationale' trifft es mit seinem Vers: "Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!" Die Commune bedarf keiner Ehrungen, Parteitage, Fanfaren, Aufmärsche und Fahnenwälder - sondern eigenständigem Handeln, Debatten, Diskussionen und Mut zu kritischem Denken.
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Paris Anfang 1990
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(1) Alistair Horne, Paris ist tot - Es lebe Paris, Scherz-Verlag 1967, S 384 ff
(2) Wolfgang Schivelbusch "Die Kultur der Niederlage", Fischer Taschenbuch 2003, S. 135 ff
(2a) Schivelbusch a.a.O
(3) Horne a.a.O
(4) Hartig-Hartig, "Die Pariser Kommune" Klett Verlag 1975 S. 68
(5) Hartig s. 82
(6) Horne a.a.O. S. 398 ff
(7) Horne a.a.O.
(8) Hartig a.a.O
(9) Helmut Swoboda: "Die Pariser Kommune 1871 in Dokumenten" (dtv 1971) S 13ff
(10) Florian Grams "Die Pariser Commune".Papyrossa Verlag 2021
Literatur:
Florian Grams "Die Pariser Kommune", Papyrossa Verlag 2021
Detlef Hartmann, Christopher Wimmer, "Die Kommunen vor der Kommune 1870/71", Assoziation A, 2021
Thankmar von Münchhausen: "72 Tage" Deutsche Verlags Anstalt 2015
Alistair Horne "Paris ist tot - Es lebe Paris", Scherz-Verlag 1967
Helmut Swoboda Hrsg "Die Pariser Kommune 1971" in Dokumenten, Deutscher Taschenbuch-Verlag 1971
Hartig-Hartig: "Dei Pariser Kommune 1871" Klett Verlag 1975
Karl Marx: "Der Bürgerkrieg in Frankreich" Peking 1972
Lenin: "Über die Pariser Kommune" Dietz-Verlag DDR 1971
Pjotr Lawrow, "Die Pariser Kommune - Geschehnisse, Einfluss, Lehren" Unrast-Verlag 2003
Alltag der Pariser Kommune - Auf den Barrikaden von Paris. Fotos, Karrikaturen PLakate, Elefanten Press Berlin/Hamburg 1978
Youtube:
TV-Dokumentarspiel: Journal 1870/71, Süddeutscher Rundfunk SDR1971 - Pariser Commune Aufstand: https://www.youtube.com/watch?v=-kAkE2mI1KY siehe auch https:https://medienfresser.blogspot.com/2020/09/187071-arte-zeigt-deutsche-dokus-tv.html//www.blogger.com/blog/post/edit/3982236135803086246/6496380571744240841
Arte: Im Jahr 2000 drehte der britische Regisseur Peter Watkins mit Laiendarstellern ein zweiteiliges Drama-Reanactment der Tage der Commune. Er wurde international bekannt, als er 1964 einen Film über die Schlacht bei Culodden in Schottland im 18.Jahrhundert mit Laien drehte. An ihm orientierten sich auch die Macher des deuschen "Journal 1870/71 Leider ist Watkins Film über die Commune auf youtube nur auf Französisch abrufbar. https://www.youtube.com/watch?v=0DI4EQxSFvY
Arte 2021 https://www.youtube.com/watch?v=R_U8wcQ0E1Y
Film: 1929 wurde in der Sowjetunion der Stummfilm "Das neue Babylon" über die Commune gedreht. Im Jahr 2006 strahlte in der Kulturkanal ARTE aus. Wikipedia-Eintrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_neue_Babylon
Film: Der Dänische Spielfilm "Babettes Fest" ist indirekt mit der Commune verbunden - die Hauptfigur ist eine aus Paris geflohene Köchin,die nach der Niederschlagung der Commune nach Dänemark geflohen ist. Ein anrührender Film mit Stéphane Audran in der Hauptrolle: https://de.wikipedia.org/wiki/Babettes_Fest
Schmetterlinge https://www.youtube.com/watch?v=TnzKjA2LMeY&t=2726s
Oktober: https://www.youtube.com/watch?v=A94_VzEMAfs&list=RDA94_VzEMAfs&start_radio=1
Musikprojekt 2021 https://www.youtube.com/playlist?list=PLljGboDJFkgRRIdV6jk_7gaM5pz2MUf5f