Sonntag, 22. Mai 2022

Pontische Griechen - Gedenken an den Genozid - Stuttgart 22.5. 2022

 

 
 
Der von den Verantwortlichen des Osmanischen Reiches angeordnete Völkermord an den ArmenierInnen während des Ersten Weltkrieges wird heute nur noch von der türkischen Regierung und den Nationalisten geleugnet. (*) Vergessen hat Europa aber Mord und Vertreibung der pontischen Griechen vom Schwarzen Meer. Zwischen 1915 und 1922 fielen dem Genozid über 350 000 GriechInnenim Osmanischen Reich zum Opfer. Hunderttausende flohen oder wurden Vertrieben, viele kamen als verarmte Flüchtlinge 1923 nach Ostgriechenland und in die Großstadt Thessaloniki. Sie waren materiell, wie kulturell Entwurzelte und Heimatlose, ihr Griechisch war für die Einheimischen oft unverständlich. All das  erschwerte zusätzlich die Integration in ein Griechenland, das politisch gespalten und wirtschaftlich kaum in der Lage war, sie zu versorgen.
 
MdBs: Mitte links, Bernd Riexinger (Linke), daneben Takis Mehmet Ali (SPD)

 
 
Baden-Württemberg hat mit fast 80 000 GriechInnen eine der größten hellenischen Gemeinden Deutschlands. Alleine in Stuttgart leben fast 18 000 Menschen mit griechischen Wurzeln. Sie wurden größtenteils in den 1960er Jahren in Nordost-Griechenland für Daimler, Porsche, Bosch und andere Unternehmen in Baden-Württemberg angeworben. Viele der seit Jahrzehnten hier Lebenden haben pontische Wurzeln und so erklärt sich, warum am 21. Mai 2022 in der Landeshauptstadt ein Gedenkmarsch der Nachfahren pontischer Griechen stattfand. 
 

Etwa 250 Menschen kamen zum Wilhelmplatz in der Innenstadt und zogen dann in einem Gedenkmarsch bis zum Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus am alten Schloss. Bemerkenswert: Es beteiligten sich daran auch türkisch-kurdische Gruppen, während ich kaum Deutsche sah..... 
 
 
 
Konsul Linardakis (links)

Auf der Kundgebung am Denkmal für die Verfolgten des Naziregimes betonten Abgeordnete des Land- und Bundestages, sowie der griechische Konsul Symeon Linardakis und VertreterInnen verschiedener Organisationen der MigrantInnen, der Genozid an den Pontos-Griechen in Deutschland müsse - wie der an den ArmenierInnen - endlich offiziell anerkannt werden.
 
Nachdenklich stimmte mich, dass in den Ansprachen eine der Ursachen der Massaker und der Verfolgung ethnisch-religiöser Gruppen im Europa des 20.Jahrhunderts nicht angesprochen wurde: Die Entwicklung des wachsenden Nationalbewusstseins zum aggressiven Nationalismus. Die damit wachsende Bereitschaft, Volksguppen auszugrenzen, zu berauben und letztlich zu töten, zieht sich seit Ende des 19.Jahrhunderts durch die Geschichte Europas und mündete in den Holocaust. 
 
Nicht nur die Nationalisten in der Türkei leugnen bis heute den Völkermord an den Armeniern, Griechen, Aramäern und anderen ethnisch-kulturellen Gruppen im Osmanischen Reich. Auch in Griechenland spricht man nicht von der Verantwortung für Massaker und Vertreibung ethnisch-religiöser Gruppen während des Versuchs Kleinasien 1922 zu erobern und ethnisch zu 'säubern'. Damals gingen griechische- wie türkische Truppen mit äußerster Brutalität gegen die jeweilige Zivilbevölkerung vor. (**)
 
Aus diesem Grund war es positiv, dass bei der Kundgebung der SPD-Bundestagsabgeordnete Takis Mehmet Ali an die Bereitschaft zur Versöhnung apellierte. Er erzählte seine eigene Familiengeschichte: Pontos-Griechen, die vor dem Genozid nach Istanbul fliehen konnten und dort bis in die 1980er Jahre lebten. Das erkläre seinen griechischen Vor- und türkischen Familiennamen. Seine Familie kam in den 1980er Jahren nach Deutschland und er ist der erste Bundestagsabgeordnete mit pontischen Wurzeln. Die Eltern und Großeltern unterhielten sich in Pontos-Griechisch oder Türkisch, während er sich in Deutsch einmischte. 
 
Vergessen ist gefährlich, wer seine Geschichte nicht kennt, ist in Gefahr, dass sie sich wiederholt. Die Entwicklung aktueller Konflikte: Myanmar, Syrien, Jemen bis zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zeigen, wie wichtig das Erinnern ist - ohne Beschönigungen und falsche Idealisierung. 
 
Gut gelaunt

 * Taner Akcam: Armenien und der Völkermord
   Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord  
** Panos Karnezis Roman "Der Irrgarten" 
    Robert Gerwarth: Die Besiegten - Das blutige Erbe des        Ersten Weltkrieges

Donnerstag, 12. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil X

 

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

Das Massaker von Kowno


Es geschah Anfang der 1980er Jahre - Heinz besuchte mich und meine Freundin in Norderstedt. Wir saßen am Abend im Wohnzimmer zusammen, da sagte er, er müsse uns etwas erzählen. Kürzlich habe ihn ein Beamter der Frankfurter Kriminalpolizei an seinem Wohnort in Großsachsen zu seiner Kriegszeit vernommen. Heinz hatte oft 'launige Geschichten' darüber erzählt und war stolz, nur ein einziges mal geschossen zu haben - und das auch noch versehentlich auf die eigenen Leute - ohne zu treffen. An diesem Abend erzählte er uns erstmals von seinen Erlebnissen beim Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941. 

 
Heinz Ilmensee Sommer 1941
Seine Division gehörte zur
16. Armee, die als Teil der Heeresgruppe am 22.Juni 1941 über das Baltikum bis nach Leningrad vorstoßen sollte. Heinz kam mit der Propaganda-kompanie PK 501 drei Tage nach ihrer Eroberung in die Litauische Hauptstadt Kowno – von den Deutschen Kauen genannt - dem heutigen Kaunas.
 
 

Sonntag, 8. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familie Teil IX

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

'Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen'

 
1939
Heinz war kein Heldentyp und schon gar nicht zum Soldaten geboren. Er war sensibel, schwach, gefülig und liebte die Frauen und den Alkohol. Ein Kämpfer war er ebensowenig, wie eine 'arische Lichtgestalt' - obwohl er blond, groß, mit seinen grauen Augen ideal für die Propaganda hätte posieren können. Er hatte nach 1933 gelernt, sich anzupassen und zu arrangieren, Konflikten ging er lieber aus dem Weg, betäubte Stress und Ängste mit Alkohol.
 
1940 Kaserne Hamburg Bahrenfeld
Anfang 1939 wurde der 26-Jährige zu einer 13 Wochen dauernden Wehrübung der Wehrmacht eingezogen. Da es in der Weimarer Republik keine Wehrpflicht gegeben hatte, war er nicht militärisch ausgebildet. Hitler hatte den Wehrdienst im Reich erst 1935 wieder eingeführt. Heinz bekam seine militärische Kurzausbildung in Jüterbog beim Nachrichtenbataillon des Infanterieregiments 271. Seine Einheit war erst im September 1939 aufgestellt worden und war Teil der 93.Infanteriedivision. Der Journalist wurde als Funker ausgebildet, konnte danach aber wieder an seinen Schreibtisch in der Redaktion des Hamburger Anzeigers zurückkehren.

 

 

weiter unter: https://1913familienalbum.blogspot.com/2022/05/meine-deutsch-franzosische.html

Sonntag, 1. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familie Teil VIII


Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

 

„Machtergreifung“ - Anpassung 

 

Heinz und Käthe 1930er Jahre
Bisher hatte es Heinz geschafft, dass die Familie in Gronau wenig von seinen Aktivitäten in Hamburg mitbekam - nur seine Schwester Käthe als seine Vertraute wusste mehr. Dies änderte sich, als er 1932 in Hamburg in eine Saalschlacht zwischen Kommunisten, Nazis und der Polizei geriet. An der Universität sollte es ein Streitgespräch über Wirtschaftspolitik zwischen Vertretern der KPD und der NSDAP geben. Vor Beginn war der Saal gefüllt mit Anhängern beider Parteien - die Stimmung war Explosiv. "Es kam gar nicht zur Debatte, jemand brüllte in den Saal 'Kommune' und schon gingen die Kontrahenten mit Stuhlbeinen und anderen Schlagwerkzeugen aufeinander los", beschrieb Heinz die Situation. Dabei hätten sich die Kommunisten an der Fensterfront des Saales im Erdgeschoss schlecht postiert. Auf das Signal einer Trillerpfeife stürmten Beamte den Saal, auch durch die Fenster, Nazis und Polizei griffen die Kommunisten von zwei Seiten an. Heinz gelang es trotzdem, unbeschadet zu entkommen - wie Vater Heinrich davon Gronau erfuhr, ist unklar. Er stellte jedenfalls Heinz ein Ultimatum: Entweder Hamburg verlassen, oder kein Geld mehr bekommen.