Dienstag, 20. Mai 2025

Stammheim und die RAF - 50 Jahre 'Deutscher Herbst'

Prsäentation des Doku-Dramas im Stuttgarter Metropol-Kino

 

Ein halbes Jahrhundert ist es her, als in Stammheim der Prozess gegen die RAF-Mitglieder: Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin begann. Er endete 1977 mit der Verurteilung der drei Angeklagten wegen mehrfachen Mordes - Ulrike Meinhof hatte sich bereits 1976 selber getötet.

Der Südwestrundfunk (SWR) hat dazu, gemeinsam mit Spiegel-TV zum 50.Jahrestag des Prozessbeginns das Doku-Drama: "Stammheim - Zeit des Terrors" produziert. In einem Mix aus dokumentarischem Material und Spielszenen werden die internen Auseinandersetzungen zwischen den vier RAF-Mitgliedern in einem klaustrophobischen Kammerspiel dargestellt. Für den Film konnten erstmals nicht nur die schriftlichen Abhör-Protokolle der Gespräche der Gefangenen, sondern auch die Tonbandmitschnitte ausgewertet werden. Während der Gerichtssaal in Stammheim schon vor langen Jahren abgerissen wurde, steht der Zellentrakt immer noch so da wie im September 1977. Er wird heute zu Übungszwecken der Justiz-Beamten genutzt. An den Türen hängen immer noch Schilder mit den Namen der RAF-Insassen. An den Original-Schauplätzen zu drehen, sei für alle bedrückend gewesen, sagte nach der Vorführung die Berliner Schauspielerin Tatiana Nekrasov, Darstellerin von Ulrike Meinhof.

Das Doku-Drama konzentriert sich auf den Prozess der Selbstzerstörung einer isolierten Gruppe - politische Zusammenhänge und Ursachen wurden nur kurz im Vorspann des Filmes angedeutet: Studenten-Revolte, Demonstrationen, Schah-Besuch und die Erschiessung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten, das Attentat eines Rechtstradikalen auf Rudi Dutschke. 

Für die, die diese Zeit erlebt haben, ich war 1976 gerade 22 Jahre alt und politisch links engagiert, trotzdem ein interessanter Film. Der Stuttgarter Ortsteil Stammheim - ich lebe nur wenige Kilometer entfernt - löst bei mir immer noch Beklemmungen aus. Ein Symbol für die "Bleierne Zeit' und den 'Deutschen Herbst", nach der Entführung Hans Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine Landshut - dem Tod der vier RAF-Gründer in Stammheim. 

Hatte man lange Haare oder politische Aufkleber am Auto, wurde man mit Sicherheit bei Polizeikontrollen angehalten. Der Staat wollte damit auch die Linke insgesamt und die wachsende Bewegung gegen Atomkraftwerke einschüchtern. Bei Kontrollen - vor allem in der Dunkelheit - musste man sich bei Strassensperren vor nervösen Polizisten mit Maschinenpistole im Anschlag vorsehen - keine hastigen Bewegungen machen. So etwas habe ich selber in Tübingen erlebt. Dabei war die RAF in der zersplitterten linken Szene weitgehend isoliert. Die Sympathiesanten der 'Stadt-Guerilla' von RAF bis 'Bewegnung 2. Juni' und 'Revolutionären Zellen' bekamen wegen der, auch international kritisierten Haftbedingungen, zwar Solidarität - ihre Politik wurde aber mehrheitlich abgelehnt. Ich erinnere mich noch gut an Veranstaltungen in Hamburg und Bonn, auf denen SympathisantInnen des 'bewaffneten Kampfes' Solidarität mit den Gefangenen, aber auch ihren Zielen einforderten. Dies scheiterte regelmässig, die Stimmung stellte sich schnell gegen sie.

RAF und Stammheim 2025

Ist dasThema RAF und Stammheim nach einem halben Jahrhundert 'auserzählt? Stefan Aust, der mit seinem Buch "Der Baader-Meinhof-Komplex" ein Standardwerk geschrieben hat meinte in Stuttgart auf Nachfrage: "Nein, solange nicht geklärt ist, ob die Abhöranlagen der Gespräche in der Nacht des Selbstmordes von Raspe, Baader und Ensslin an oder abgeschaltet waren." Der Staat war durch Abhören des interne Informations-System der Gefangenen - von Raspe gebaut - gut informiert. Er dürfte damit auch über den gemeinsam geplanten Selbstmord gewusst haben. Die am 18.Oktober 1977 in Stammheim schwer verletzte Irmgard Möller, einzige Überlebende der Nacht, ist - heute in Freiheit - von einem staatlich angeordneten Mord überzeugt.

Interessant sind die Szenen des Films, in denen die Gefangenen die Besetzung der Deutschen Botschaft 1975 in Stockholm ablehnten. Das galt auch für die  Entführung der Lufthansa-Maschine 1977 durch ein Palästinenser-Kommando. Baader, Raspe und Ensslin wussten nicht, was da zur 'Big Raushole'  geplant war - isoliert und fragten sich, wer die Akteure seien. Sie boten staatlichen Vertretern, die sie in Stammheim besuchten und damit der Regierung in Bonn an, sich in einen Staat ausfliegen zu lassen und niemals wiederzukehren. Helmut Schmidt und seine Regierung wollten sich aber nicht, wie 1975 nach der Freipressung von sechs Terroristen durch die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz, erneut 'vorführen' lassen. Die blutige Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Hans Martin Schleyer am 5.September 1977 mit vier Todesopfern, setzte allen Verhandlungen ein Ende. Ihrerseits haben die RAF-Gefangen in Stammheim nie öffentlich die Aktionen zu ihrer Freipressung kritisiert. 

Die Bundesrepublik 1977 im 'Deutschen Herbst' erlebte ich als äußerst repressiv. Gleichzweitig eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht und wachsender Umweltbewegung - Wyhl, Brokdorf, Grohnde, Wackersdorf, Gorleben.

Brokdorf 
Der Staat versuchte, unterstützt von der Springer-Presse, die Anti-AKW-Bewegung in die Terroristen-Ecke zu drängen. 'Le Feldwebel' Schmidt demonstrierte, wer das Sagen im 'Modell Deutschland' hatte. Das "Mehr Demokratie wagen" Willy Brantds war mit seinem Sturz vorbei. Ich erinnere mich an eine Machtdemonstration anlässlich einer großen Friedensdemos in  Bonn gegen die Nato-Nachrüstung. Unser Zug lief an einer Behörde entlang, dort stand der Chef der GSG 9, Ullrich Wegener, auf einem Balkon und liess es nicht nehmen, uns jovial höhnisch zuzuwinken. Er hatte 1977 den Einsatz der 1972 gegründeten Anti-Terror-Polizeitruppe zur Befreiung der Lufthansa-Maschine in Mogadischu geleitet.       

Ein besonderes historisches Kapitel ist die 'Übersiedelung' (1980-1982) von insgesamt acht RAF und 'Bewegung 2.Juni' Mitglieder in die DDR. Sie lebten und arbeiteten dort bis zum Untergang der DDR 1989 unerkannt, überwacht von der Staatssicherheit. Vermutungen, die Bundesregierung sei Teil des Deals mit der Aufnahme durch die DDR  gewesen, teilt Stefan Aust nicht. Darauf in Stuttgart angesprochen verneinte er und sagte, er sei heute mit einem der damalien Stasi-Verantwortlichen gut bekannt. 

Fazit: Insgesamt ein sehenswerter Film, mit beeindruckenden DarstellerInnen. 

Kritik: Die Tendenz zu Doku-Dramas nimmt zu - früher wurden Dokumente und Fiction deutlich getrennt. Es ist fraglich, ob dadurch Fakten nicht entwertet werden - der Zuschauer nicht mehr unterscheiden kann zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Bei französischen Arte-Produktionen wird zunehmend mit animierten Szenen gearbeitet. Bald dürfte KI am Computer erstellte Szenen liefern, die man von Original-Aufnahmen nicht unterscheiden kann.

Buchtipp: Willi Winkler, Die Geschichte der RAF. Rowohlt Taschenbuch Auflage 2008