Montag, 30. Dezember 2013
Werbeschnüffler contra Pokerfaces
Das Geheimdienste und andere Schnüfflerbehörden mit Computerprogrammen zur automatischen Gesichtserkennung arbeiten, ist seit längerem bekannt. Aber auch Werber, Medien und die Konsumgüterindustrie zeigen daran verstärktes Interesse. So will in Großbritannien die weltweit drittgrößte Supermarktkette Tesco künftig die Gesichter aller Kunden vor den Kassen scannen, dies meldete die Stuttgarter Zeitung am 6. November 2013. Dabei sollen Alter und Geschlecht registriert werden, um innerhalb von Millisekunden auf den Flachbildschirmen speziell für die Zielgruppe produzierte Werbespots abzuspielen. Dabei wird auch registriert, wie lange jemand zuschaut, denn so will Tesco herausbekommen, wie gut der einzelne Spots bei der Zielgruppe wirkt.
In Deutschland versucht aktuell die öffentlich-rechtliche Werbetochter der ARD, Sales & Services GmbH (AS&S) mit ähnlichen Methoden Erkenntnisse über die Wirkung von Radio- und TV-Werbespots zu erhalten.* Für Online-Interviews der Marktforscher wird eine "EmotiCam" benutzt. Der Befragte wird so während des Interviews auf seinem Computer per Web-Cam beobachtet. Während das bei der Wirkungsforschung von TV-Spots bereits seit längerem gang und gäbe ist, wird so jetzt auch die Reaktion auf Radiowerbung erforscht. Dazu wird auf das Computerbild des Gesichts ein Netz aus 143 Punkten gelegt, um so die Mimik der Probanden speichern und auswerten zu können. So sollen die sogenannten "Basis-Emotionen" erfasst werden: Freude, Überraschung, Trauer, Angst, Ekel, Wut. Dabei bediene sich die AS&S des "Facial Action Coding System (FACS)", das in den USA von zwei Psychologen entwickelt wurde. In einer Pilotstudie wurden von der ARD-Werbetochter dazu im Sommer 2013 die Reaktionen von über 480 Versuchspersonen gescannt, denen sechs Radiospots an ihren PCs vorgespielt wurden. Das Ziel der ARD-Werber ist dabei klar: "Der Gesichtsausdruck gibt Reaktionen preis, die rationalisierte Antworten im klassischen Interview nicht liefern können."
Seit längerem steigt die Kritik bei Werbetreibenden an der schwer messbaren Wirkung ihrer Werbespots beim Publikum. Diese setzen die Medienunternehmen deshalb unter Druck, die im Gegenzug versuchen mittels Ausspäh-Techniken den Unternehmen brauchbare Ergebnisse anzubieten. Groß ist nämlich bei Radio- und TV-Managern die Furcht davor, dass zunehmend Werbeausgaben verstärkt in das Internet abwandern. Dort lässt sich lückenlos speichern, wer, wann, welches Werbebanner oder welchen Werbefilm, wie lange online anklickt oder anschaut. http://medienfresser.blogspot.de/2013/05/onlinewerbung-knackt-milliardengrenze.html
Tja und wer künftig beim Besuch des Supermarktes seine Träume und Gefühle für sich behalten möchte? Am besten einen Kurs für Pokerfaces besuchen - oder vielleicht doch eine Burka?
Siehe AS&S-Beilage der Fachzeitschrift Werben und Verkaufen, November 2013
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