Montag, 16. Februar 2015

1945: Dresden - Panorama des Untergangs einer Stadt


Es ist der 13. Januar 1945 - Faschingsdienstag. Um 21.45 Uhr wird in Dresden Luftalarm ausgelöst.* Die Nacht ist wolkenlos und kalt. Eine Viertelstunde später, um 22.03 Uhr, leuchten über dem Zentrum der Stadt die ersten "Christbäume". So nannte man die von alliierten Fliegern abgeworfenen Leuchtzeichen, die als Zielmarken für die nachfolgenden Bomber dienten. Innerhalb von nicht einmal einer Viertelstunde verwandeln die den 'Pfadfindern' folgenden 244 Lancaster Bomber der ersten Staffel der Royal Airforce das Stadtzentrum in ein Inferno aus Flammen, Rauch und Trümmern. 
Fotoaufnahme nach dem Angriff
Um 1.23 Uhr erreichte dann die zweite Welle der RAF das Stadtgebiet. Bis zum 15. Januar wurde Dresden insgesamt viermal von Bombern angegriffen. 


Dresden war vor dem Krieg mit knapp 630 000 Einwohnern (1939) die siebtgrößte Stadt des deutschen Reiches. Bis zum Sommer 1944 hatte die Stadt nur wenige Fliegerangriffe erlebt. Dresden lag bis zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Reichweite alliierter Bombergeschwader. Die deutschen Militärbehörden entschieden sich deshalb Ende 1944, die leichten und  schweren Flakbatterien aus der Stadt ins Ruhrgebiet zu verlegen. Damit lieferten sie Dresden faktisch schutzlos den Bombern aus. Auf dem nahegelegenen Wehrmachtsflughafen Klotzsche standen nur wenige Jäger und ihnen fehlte es an Treibstoff. Die NS-Verantwortlichen wollten andererseits die Elbe zur letzten Front gegen die Rote Armee machen und die dort liegenden Städte zu "Festungen" ausbauen, die der Volkssturm verteidigen sollte. Anfang Dezember 1944 erließ Generaloberst Heinz Guderian den Befehl, rund um Dresden Verteidigungsstellungen zu errichten. In der Stadt befanden sich Anfang 1945 eine Infanteriedivision, Einheiten von Waffen-SS, Luftwaffe und Marine. 


 

 

"DRESDEN 1945 - Tragik und Hoffnung einer europäischen Stadt"


Den Besucher beeindruckt die zylindrisch gebaute Rotunde des 1880 erbauten Gasometers im Stadtteil Reick, nur wenige Kilometer von Dresdens Innenstadt entfernt. Hinter dem Eingangsbereich beginnt eine Ausstellung, die an Hand von Einzelschicksalen über die Nazizeit in Dresden informiert. Vorbei an Wänden, auf die Filmaufnahmen fallender Bomben projiziert werden, erreicht man die große Halle im Inneren des einstigen Gasometers. An den Wänden der Rotunde sind auf 3000 Quadratmetern über 107 Meter die Planen mit dem Panorama des untergehenden Dresdens befestigt. Das Dach in etwa 40 Metern Höhe sieht man nur undeutlich, da es hier ziemlich dunkel ist.
In der Mitte der Raumes steht ein etwa 15 Meter hoher Stahlturm, auf dessen Plattformen der Besucher das Panorama der brennenden Stadt betrachten kann. Neben der Dunkelheit in der Rotunde löst auch die Geräuschkollage der Lautsprecher Beklemmungen aus. Zu dem Dröhnen der Flugzeuge und den Explosionsgeräuschen hat Eric Babak eine unheimlich-sphärische Musik komponiert.  

„© asisi“
„© asisi“
Schöpfer dieses Panoramas über den Untergang der barocken Innenstadt von Dresden ist Yadegar Asisi. Der Architekt und Künstler lebt heute in Berlin.  Er kam 1955 in Wien als Kind iranischer Eltern zur Welt und wuchs zu DDR-Zeiten in Leipzig auf. Heute lehrt er an der Hochschule für Technik in Berlin. Er hat das moderne Konzept für die Ausstellung großer Panoramen entwickelt und will damit diese alte Tradition neu beleben: "Das Panorama war das erste visuelle Massenmedium". Am Ende des 19. Jahrhunderts seien sie überall in europäischen Metropolen eine Publikumsattraktion gewesen, betont Asisi. Damals habe man hauptsächlich bedeutende Schlachten oder ferne Länder dem Publikum präsentiert. "Ihre Popularität endete mit der Erfindung der bewegten Bilder, des Kinos." Asisi kritisiert, der Mensch werde heute über die Medien mit Reizen überflutet und komme kaum noch dazu, etwas bewusst zu betrachten: "Die Panoramen  sind deshalb für mich eine Art Gegenbewegung. (...) Da gibt es nur ein Bild, in das man eintauchen kann. Der Betrachter selbst bestimmt, wie lange er diese oder jene Stelle betrachtet."  


Asisi hat bisher neun Panoramen konzipiert, die in fünf Städten realisiert worden sind. Für den Ausstellungsort im alten Gasspeicher von Dresden prägte er den Namen "Panometer" - ein Mix aus Gasometer und Panorama. Dort hatte er zuvor mit dem Projekt "Dresden 1756" großen Erfolg. Dieses Panorama erweckte die einstige Pracht der Residenzstadt August des Starken optisch erneut zum Leben. Dazu wurden als Vorlagen Bilder des Malers Canaletto (Bernardo Bellotto) verwendet. Um das Panorma mit Leben zu fülle, zogen Komparsen Kleidung der Epoche an, wurden dann fotografiert und danach in die Straßenszenen des Panoramas per Computer eingefügt. Deshalb wirkt das Barock-Panorama nicht wie gemalt, sondern wie eine 360° Fotografie der Stadt an der Elbe. Asisi erweckt sie für einen Tag zum Leben, diesen Effekt erzielte er durch wechselnde Beleuchtung und Geräuschkollagen. Das Morgenlicht begrüßt ein Hahnenschrei, den Mittag läuten Kirchenglocken ein und am Abend wird es einfach ruhig in der Stadt. Wer dieses Panorama gesehen hat, den erschüttert das neue Projekt über den Untergang Dresdens im Februar 1945.   http://www.asisi.de/de/homepage.html


In der großen Halle des Gasometers wirkt das Panorama an den Wänden der Rotunde erst einmal auf den Betrachter irritierend.Gedruckt auf Polyester-Planen, sehen die Bilder vom Boden betrachtet verzerrt aus. Den richtigen Blick erhält man erst von einer der Aussichtsplattformen. Das Panorama zeigt den Blick auf die Innenstadt, vom Standort des Turm des Dresdner Rathauses am Rand der Altstadt. Zeitpunkt: Nachmittag, 15. Februar 1945. Die letzten britischen Bomber hatten ihren Angriff beendet und waren abgeflogen. Die Innenstadt brannte an allen Ecken und Enden. Asisi geht es dabei aber nicht um eine dokumentarische Momentaufnahme der Stadt. Das Panorama erhebe nicht den Anspruch auf hunderprozentige faktische Adäquatheit, betont der Pressesprecher. Die Macher verließen sich bei der Recherche nicht alleine auf zugängliches Archivmaterial. Über einen öffentlichen Aufruf wurden Zeitzeugen gebeten, ihre Bilder und Dokumente zur Verfügung zu stellen - 70 Dresdner folgten der Bitte. Darüber hinaus arbeitete man eng mit historischen Beratern zusammen, betont der Pressesprecher.



Den Besucher ziehen die in blau-grauen Farbtönen gehaltenen Bilder sofort in ihren Bann.
Das Hallbdunkel und die Tonkollagen wie auch die Musik verstärken das bedrückende und unheimliche Gefühl, das sich schnell einstellt. Fast automatisch spricht man nur noch im  Flüsterton miteinander oder schweigt. Dem Betrachter erscheint es, als würden die Rauchschwaden im Feuersturm vorbeiziehen und Brände wild auflodern. Dieser Effekt wird durch die wechselnde Beleuchtung und Lichtblitze erzielt, die die Bombeneinschläge simulieren. Gebannt vom Blick auf das Geschehen verliere im Halbdunkel fast meine Begleiterin aus den Augen.

Viele Besucher treffen ihre Freunde oder Angehörigen oft erst am Fuß des Aussichtsturmes wieder und wirken zumeist sichtlich erschüttert. Kein Wunder, die Bilder der brennenden Innenstadt Dresdens erinnern an die mittelalterlichen Höllen- und Alptraumvisionen des Malers Hieronymus Bosch. Aber die Ausstellung belässt es nicht alleine bei der emotionalen Wirkung."Asisí stellt mit Dresden 1945 nicht die Opfersituation Dresdens in den Vordergrund, sondern lenkt den Blick auf einen weiteren Kontext: Schon mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatten die innere Zerstörung Dresdens, die Vernichtung von zig Menschenleben und ab 1939 zahlreicher Städe in Europa begonnen", erläutert der Pressetext. Dazu dienen auch die Stelen mit Informationen über Einzelschicksale. Anhand alter Fotos wird die Geschichte Dresdner Juden und einiger Nazi-Gegner erzählt, von Kindern, die ihre Eltern im Feuersturm verloren. Ein Dokument zeigt das nach dem Angriff von der NS-Verwaltung benutztes Formular zur Erfassung der Opfer. Akribisch sollten Namen, Adressen und die Todesursachen erfasst werden. Auch im Untergang blieb die deutsche Bürokratie gründlich... 



Besonders ein Bild prägte sich mir ein, weil es irritiert: Vor einem zerstörten Haus, oberhalb einer ausgebrannten Straßenbahn, fliegen zwei bunte Papageien über die brennenden Stadt. Phantasie oder Realität? Auf Nachfrage teilt mir das Projektbüro dazu mit: "Sie symbolisieren die Freiheit, die nur durch die Zerstörung möglich wurde (wie z.B. bei inhaftierten Juden und Sozialdemokraten oder Kommunisten)." Darüber hinaus lägen dem Bild entsprechende Erlebnisberichte von Zeitzeugen zugrunde. Tiere aus dem zerstörten Zoo wären umhergeirrt, zumeist dann im Inferno umgekommen. 
Vor vielen Jahren las ich den Roman: "Schlachthof 5" des US-Schriftstellers, Kurt Vonnegut. Im Buch verarbeitet er auf teilweise ziemlich bizarre Art die Wirkungen, die der Angriff auf Dresden bei ihm einst auslöste. Vonnegut war als Kriegsgefangener in der Stadt, als sie Bombardiert wurde. Der Roman ist eine teilweise groteske Kollage aus Kriegsdrama, Satire auf die spießige US-Mittelschicht der 60ies plus schräge Science-Fiction-Story. Im Hintergrund steht der Mensch, der das Erlebte nichtlos wird, sein Leben lang unter dem Trauma leidet. 


Der letzte Triumph des Joseph Goebbels


In der Ausstellung wird auch auf die Entwicklung nach dem Krieg behandelt. In der DDR wollte man einen modernen und funktionalistischen Wideraufbau der Innenstadt. Damit sollte man auch ein Zeichen für den Triumph des Sozialismus über den maroden Kapitalismus in Beton gegossen werden.
Die Innenstadt nach Beseitigung der Trümmer in den 1950ern 
Deshalb prägen heute noch große Plattenbauten, breite Ausfallstraßen und die einstige 'Stalin-Allee' die Innenstadt. Mittlerweile haben aber Kaufhäuser und Shopping-Center ihren 'Siegeszug' auch hier vollendet. An vielen Stellen wirkt das Zentrum unpersönlich - wie die meisten deutschen Innenstädte. Rund um die wieder aufgebaute Frauenkirche hat man dagegen Gebäude im alten Stil neu hochgezogen. Keine einzige Ruine blieb im Zentrum als Mahnmal stehen - als wollte man die ungeliebte Geschichte tilgen. Umgehend machten sich nach der 'Wiedervereinigung'  Politiker, Stadtplaner und Architekten aus West- und Ost daran, das alte Dresden wiederauferstehen zu lassen.Viele Dresdner begrüßten es, man wollte endlich die hässlichen Wunden des Krieges - und damit die Mahnung vergessen machen. Während etwa in meiner Heimatstadt Hamburg heute zumindest noch die Ruine der durch den Bombenangriff 1943 zerstörten Nicolai-Kirche als Mahnmal steht, zieht man in Dresden eine Art 'Disney-Barock' vor. Der Zuspruch durch Touristen scheint ihnen leider auch noch Recht zu geben.


Einerseits pflegt man in Dresden einen ausgeprägten Opfermythos im Zusammenhang mit dem Bombenangriff, andererseits verdrängt man, wer der Urheber der Legende ist. Das Thema wird auch nicht in der Ausstellung im 'Panometer' behandelt. Nach der Zerstörung Dresdens witterte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels umgehend die Chance für einen letzten Propaganda-Coup. Er ließ seinen Propagandaapparat anlaufen, der die Presse vor allem im neutralen Schweden mit Horrorzahlen von mehreren hunderttausend Opfern des Angriffs versorgte. Die Zahl der Toten lag deutlich niedriger, das war Goebbels zumindest bekannt. Am 6. März 1945 bezifferte er die Verluste auf einer Konferenz in Görlitz auf geschätzte 40 000 Tote. In seiner Propagandawerkstatt wurde auch der Mythos des angeblich militärisch sinnlosen Bombenterrors auf die Kulturstadt durch Briten und Amerikaner geschaffen.

Goebbels überlebte zwar das Kriegsende nicht, die von ihm in die Welt gesetzten Mythen über Dresden dagegen schon. Vielen Deutschen kam es, angesichts des Holocausts gerade recht, den Alliierten mit Dresden ihre eigenes Kriegsverbrechen vorhalten zu können. So musste man sich dem von Deutschen organisierten industriellen Massenmord nicht stellen: 'Die waren ja auch nicht besser'. Dieser Mechanismus funktionierte nicht nur in der BRD, auch in der DDR benutzte man die Folie der Goebbels-Propaganda als Vorlage. Hatte man in der DDR kurz nach Kriegsende noch die Mitschuld Deutschlands am Luftkrieg thematisiert, wurde dies im 'Kalten Krieg' ab 1950 ausgeblendet. Jetzt diente das Beispiel Dresden als Beleg für den barbarischen Kapitalismus amerikanischer Prägung. DDR-Politiker benutzten Nazi-Phrasen über die "anglo-amerikanischen Luftgangster". Die eigene Verantwortung Deutschlands für die Barbarisierung des Luftkrieges - kein Thema im Zusammenhang mit Dresden. Dabei waren die deutschen Bombardements von Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry die Beispielgeber für den Bombenterror.
Im Opfer-Mythos Dresden waren sich 'Wessis' und 'Ossis' erschreckend ähnlich.

„© asisi“

Nach 1989 dauerte es in Dresden fast 15 Jahre, bis 2004 eine Historikerkommission beauftragt wurde, die wirkliche Zahl der Opfer festzustellen. Mittlerweile hatte sich Dresden nämlich zum 'Wallfahrtsort' der Neonazis gemausert. Weitere sechs Jahre später veröffentlichten die Fachleute ihre Ergebnisse: Demnach fielen den Bombardement zwischen 18 000 und 25 000 Menschen zum Opfer. Zur Erinnerung: Bereits am 22. März 1945 hatte der Befehlshaber der Berliner Ordnungspolizei (ORPO) in Dresden insgesamt 18 357 "Gefallene" genannt. ** Im Bundesarchiv in Koblenz fand man den "Tagesbefehl 47", der von höchstens 25 000 Opfern des Bombenangriffs auf Dresden ausgeht.  

Wie der Mythos der bis 500 000 Toten in Dresden, so war es ebenso eine Lüge, die Stadt sei ein barockes Baudenkmal ohne militärischen Wert gewesen. Alleine ein Blick auf das umfangreiche Kasernengelände im Norden der Stadt - hier befindet sich das neue Militärmuseum - bezeugt das Gegenteil.
Militärmuseum auf dem Bundeswehrgelände
Dresden war 1945 ein bedeutender Industriestandort des Reiches, in rund 100 Fabriken arbeiteten etwa 50 000 Menschen für die Rüstung,wie etwa bei Zeiss Ikon. Dabei wurden auch Zwangsarbeiter eingesetzt und es gab hier Außenstellen der Konzentrationslager Flossenbürg und Auschwitz. Darüber hinaus war die Stadt ein großer Verkehrsknotenpunkt der Reichsbahn, über den nicht nur Militärzüge, sondern auch Transporte in die Vernichtungslager liefen.



Die Machthaber der DDR ließen die Ruine der zerstörten Frauenkirche als Mahnmal stehen, während die Semperoper zwischen 1977 und 1948 aufwändig restauriert wurde.
Ruine der Frauenkirche 1945
Nach der 'Wiedervereinigung' ging man im neuen Deutschland daran, alle Spuren an die DDR-Zeit zu tilgen. Während meines ersten Besuchs der Stadt, wenige Wochen nach Grenzöffnung, waren überall im Zentrum  noch Ruinen. 

An dem Gehweg der heutigen Ostra-Alle - stand in Sichtweite des 'Dresdner Zwingers' ein kleiner Gedenkstein für den spanischen Antifaschisten Julián Grimau. Die Straße trug damals noch seinen Namen. Der Kommunist Grimau war nach Francos Sieg im Jahr 1939 aus Spanien geflüchtet, kehrte aber 1959 illegal zurück. Er wurde 1963 verhaftet und trotz internationaler Proteste am 20. April 1963 mit dem Würgeeisen (Garotte) hingerichtet. *** Flugs wurde dieses Denkmal nach der 'Deutschen Einheit' beseitigt und der Name aus dem Stadtplan getilgt. 

Victor Klemperer legt Zeugnis ab

 

Für das Leiden der Opfer des NS-Regimes in Dresden, sind die Tagebücher Victor Klemperers ein eindrucksvolles Zeugnis. **** Im 'Panometer' suchte ich seinen Namen vergebens, keine Gedenkstele erinnert an diesen mutigen Chronisten. Dabei hatte er den Untergang der Stadt 1945 direkt im Stadtzentrum miterlebt.
Victor Klemperer nach dem Krieg
Klemperer hatte zwischen 1920 und 1935 als Professor an der Technischen Hochschule gelehrt. Die Nazis 'entfernten' ihn dann aus dem Staatsdienst, da er aus einer jüdischen Familie stammte. In seinen Tagebüchern schildert er die schrittweise Entrechtung der Juden Dresdens seit 1933 bis zum Ende des Krieges. Hatte die Jüdische Gemeinde 1933 etwa 5000 Mitglieder, so lebten bei Kriegsende noch 41 von ihnen in Dresden. 
In seinem Eintrag vom 22. Februar 1945 schildert der, mittlerweile mit seiner Frau nach Piskowitz bei Bautzen entkommene Klemperer, das Bombardement. Am Tag des Angriffs dachte er noch angstvoll daran, dass die NS-Behörden am kommenden Freitag alle noch in der Stadt lebenden Juden deportieren wollten. Das hätte mit Sicherheit den Tod des 64-Jährigen bedeutet und er wusste das. Auf den folgenden Seiten beschreibt er das Erlebnisse des Angriffs: "Die Straße war taghell und fast leer, es brannte, der Sturm blies (...)." Klemperer wird verletzt "etwas schlug glutheiß an meine rechte Gesichtsseite. Ich griff hin, die Hand war voller Blut, ich tastete das Auge ab, es war noch da." Er und seine Frau versuchten dem Feuer zu entkommen, sie liefen hinunter zu Brühlschen Terrassen oberhalb des Elbufers: "Ich stand dann oben, im Sturmwind und Funkenregen. Rechts und links flammten Gebäude, das Belvedere und (...) die Kunstakademie." Er hatte seine Frau aus den Augen verloren und irrte alleine weiter durch das brennende Dresden.   


„© asisi“

Von den Terrassen aus beobachtete er Menschen, die versuchten sich am Elbufer in Sicherheit zu bringen. Für ihn aber drohte noch eine ganz andere Gefahr: "ich getraute mich (...) nicht hinunter", denn Juden war der Aufenthalt hier verboten. Glücklicherweise fand er seine Frau wieder und erreichte mit ihr am 15. Februar den Wehrmachtsflughafen Klotzsche. Dorthin hatten sich viele Ausgebombte geflüchte. "Die Gefahr der Bomben und der Russen teile ich mit allen anderen; die der Stella ist meine eigene und die weitaus größere." Mit der 'Stella' war sein Judenstern gemeint, den er eigentlich offen tragen musste. Er hatte ihn aber mittlerweile vom Mantel entfernt. Ein Leidensgenosse hatte ihm dazu geraten, sonst "würde ich sofort ausgesondert und getötet" werden.

Die Bombardierung Dresdens rettete das Leben mancher Verfolgter, denn auch die Gestapo-Zentrale wurde getroffen. Die geplante Deportation der letzten 198 Dresdener Juden in die Vernichtungslager konnte deshalb nicht mehr durchgeführt werden.      


https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Dresden
**  Die ORPO umfasste alle uniformierten Polizeikräfte des Reiches, bis zur Kapitulation kommandierte sie SS-Obergruppenführer Alfred Wünnenberg. Er unterstand dem Reichsführer SS und Polizei, Heinrich Himmler.

*** https://de.wikipedia.org/wiki/Juli%C3%A1n_Grimau  

**** Victor Klemperer, Tagebücher 1945, Aufbau Taschenbuch-Verlag 1999, S.31 - 47

Dienstag, 10. Februar 2015

Charlie Hebdo - Mediale Leichenfledderer


Man mag es kaum glauben, zwei Tage nach dem Attentat auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris, gingen am 9. Januar 2015 beim Deutschen Marken- und Patentamt in München zwei Anmeldungen ein. Mit ihnen sollte der Slogan: "Je suis Charlie" für Bleistifte und T-Shirts als Marke rechtlich geschützt werden. Dies berichtete am 23.Januar 2015 die Fachzeitschrift "Werben und Verkaufen"

Mediale Leichenfledderer, die in der Tragödie ein Geschäft wittern, gab es aber demnach nicht nur in Deutschland. So soll in Belgien jemand umgehend versucht haben, sich den Slogan für Weihnachtsbaumschmuck urheberrechtlich zu sichern. Wie üblich hinken wir da dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten hinterher, denn in den USA wurde noch am Tag des Attentats auf das World-Trade-Center der Begriff "September 11" als Marke angemeldet.

Am 27. Januar 2015 wurde an den 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz erinnert. Was für ein Glück, dass dies so lange her ist. Heute würde sofort jemand versuchen, sich die "Endlösung" und weitere Begriffe aus dem Wörterbuch des Unmenschen als 'Marke' zu sichern. Mir fällt dazu nur der Ausspruch des Malers Max Liebermann ein, den er am 30. Januar 1933 angesichts eines SA-Fackelzuges getan haben soll: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." 
 


* Aus der Homepage des Marken und Patentamtes: http://www.dpma.de/marke/index.html

"Was ist eine Marke?

Eine Marke dient der Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens. Schutzfähig sind Zeichen, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Das können z.B. Wörter, Buchstaben, Zahlen, Abbildungen aber auch Farben und Hörzeichen sein.

Markenschutz entsteht durch die Eintragung in das Register des Deutschen Patent- und Markenamtes. Vor der Eintragung muss die Anmeldung erfolgen. Markenschutz kann auch durch Verkehrsgeltung infolge intensiver Benutzung eines Zeichens im Geschäftsverkehr oder durch notorische Bekanntheit entstehen.

Mit der Eintragung der Marke erwirbt der Inhaber das alleinige Recht, die Marke für die geschützten Waren und/oder Dienstleistungen zu benutzen. Marken können vom Markeninhaber jederzeit verkauft und veräußert werden. Der Inhaber einer Marke kann überdies ein Nutzungsrecht an seiner Marke einräumen (Markenlizenz)
Das DPMA überprüft nicht, ob Ihre Marke in identischer oder ähnlicher Form bereits existiert. Sie sollten deshalb bereits im Vorfeld einer Markenanmeldung recherchieren, ob die gewünschte Marke Rechte Dritter verletzt. Sonst kann es sein, dass gegen Ihre Marke Widerspruch vor dem DPMA erhoben wird und sie eventuell zu löschen ist. Auch kann gegen Ihre Marke mit Abmahnung oder mit Klagen vor Zivilgerichten vorgegangen werden.
Eine Marke ist unbegrenzt verlängerbar. Sie kann sozusagen ewig leben. Wird die Verlängerungsgebühr nach jeweils 10 Jahren nicht mehr gezahlt, wird die Marke gelöscht."