Es ist der 13. Januar 1945 - Faschingsdienstag. Um 21.45 Uhr wird in Dresden Luftalarm ausgelöst.* Die Nacht ist wolkenlos und kalt. Eine Viertelstunde später, um 22.03 Uhr, leuchten über dem Zentrum der Stadt die ersten "Christbäume". So nannte man die von alliierten Fliegern abgeworfenen Leuchtzeichen, die als Zielmarken für die nachfolgenden Bomber dienten. Innerhalb von nicht einmal einer Viertelstunde verwandeln die den 'Pfadfindern' folgenden 244 Lancaster Bomber der ersten Staffel der Royal Airforce das Stadtzentrum in ein Inferno aus Flammen, Rauch und Trümmern.
Fotoaufnahme nach dem Angriff |
Dresden war vor dem Krieg mit knapp 630 000 Einwohnern (1939) die siebtgrößte Stadt des deutschen Reiches. Bis zum Sommer 1944 hatte die Stadt nur wenige Fliegerangriffe erlebt. Dresden lag bis zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Reichweite alliierter Bombergeschwader. Die deutschen Militärbehörden entschieden sich deshalb Ende 1944, die leichten und schweren Flakbatterien aus der Stadt ins Ruhrgebiet zu verlegen. Damit lieferten sie Dresden faktisch schutzlos den Bombern aus. Auf dem nahegelegenen Wehrmachtsflughafen Klotzsche standen nur wenige Jäger und ihnen fehlte es an Treibstoff. Die NS-Verantwortlichen wollten andererseits die Elbe zur letzten Front gegen die Rote Armee machen und die dort liegenden Städte zu "Festungen" ausbauen, die der Volkssturm verteidigen sollte. Anfang Dezember 1944 erließ Generaloberst Heinz Guderian den Befehl, rund um Dresden Verteidigungsstellungen zu errichten. In der Stadt befanden sich Anfang 1945 eine Infanteriedivision, Einheiten von Waffen-SS, Luftwaffe und Marine.
"DRESDEN 1945 - Tragik und Hoffnung einer europäischen Stadt"
Den Besucher beeindruckt die zylindrisch gebaute Rotunde des 1880 erbauten Gasometers im Stadtteil Reick, nur wenige Kilometer von Dresdens Innenstadt entfernt. Hinter dem Eingangsbereich beginnt eine Ausstellung, die an Hand von Einzelschicksalen über die Nazizeit in Dresden informiert. Vorbei an Wänden, auf die Filmaufnahmen fallender Bomben projiziert werden, erreicht man die große Halle im Inneren des einstigen Gasometers. An den Wänden der Rotunde sind auf 3000 Quadratmetern über 107 Meter die Planen mit dem Panorama des untergehenden Dresdens befestigt. Das Dach in etwa 40 Metern Höhe sieht man nur undeutlich, da es hier ziemlich dunkel ist.
In der Mitte der Raumes steht ein etwa 15 Meter hoher Stahlturm, auf dessen Plattformen der Besucher das Panorama der brennenden Stadt betrachten kann. Neben der Dunkelheit in der Rotunde löst auch die Geräuschkollage der Lautsprecher Beklemmungen aus. Zu dem Dröhnen der Flugzeuge und den Explosionsgeräuschen hat Eric Babak eine unheimlich-sphärische Musik komponiert.
„© asisi“ |
„© asisi“ |
Asisi hat bisher neun Panoramen konzipiert, die in fünf Städten realisiert worden sind. Für den Ausstellungsort im alten Gasspeicher von Dresden prägte er den Namen "Panometer" - ein Mix aus Gasometer und Panorama. Dort hatte er zuvor mit dem Projekt "Dresden 1756" großen Erfolg. Dieses Panorama erweckte die einstige Pracht der Residenzstadt August des Starken optisch erneut zum Leben. Dazu wurden als Vorlagen Bilder des Malers Canaletto (Bernardo Bellotto) verwendet. Um das Panorma mit Leben zu fülle, zogen Komparsen Kleidung der Epoche an, wurden dann fotografiert und danach in die Straßenszenen des Panoramas per Computer eingefügt. Deshalb wirkt das Barock-Panorama nicht wie gemalt, sondern wie eine 360° Fotografie der Stadt an der Elbe. Asisi erweckt sie für einen Tag zum Leben, diesen Effekt erzielte er durch wechselnde Beleuchtung und Geräuschkollagen. Das Morgenlicht begrüßt ein Hahnenschrei, den Mittag läuten Kirchenglocken ein und am Abend wird es einfach ruhig in der Stadt. Wer dieses Panorama gesehen hat, den erschüttert das neue Projekt über den Untergang Dresdens im Februar 1945. http://www.asisi.de/de/homepage.html
In der großen Halle des Gasometers wirkt das Panorama an den Wänden der Rotunde erst einmal auf den Betrachter irritierend.Gedruckt auf Polyester-Planen, sehen die Bilder vom Boden betrachtet verzerrt aus. Den richtigen Blick erhält man erst von einer der Aussichtsplattformen. Das Panorama zeigt den Blick auf die Innenstadt, vom Standort des Turm des Dresdner Rathauses am Rand der Altstadt. Zeitpunkt: Nachmittag, 15. Februar 1945. Die letzten britischen Bomber hatten ihren Angriff beendet und waren abgeflogen. Die Innenstadt brannte an allen Ecken und Enden. Asisi geht es dabei aber nicht um eine dokumentarische Momentaufnahme der Stadt. Das Panorama erhebe nicht den Anspruch auf hunderprozentige faktische Adäquatheit, betont der Pressesprecher. Die Macher verließen sich bei der Recherche nicht alleine auf zugängliches Archivmaterial. Über einen öffentlichen Aufruf wurden Zeitzeugen gebeten, ihre Bilder und Dokumente zur Verfügung zu stellen - 70 Dresdner folgten der Bitte. Darüber hinaus arbeitete man eng mit historischen Beratern zusammen, betont der Pressesprecher.
Den Besucher ziehen die in blau-grauen Farbtönen gehaltenen Bilder sofort in ihren Bann.
Das Hallbdunkel und die Tonkollagen wie auch die Musik verstärken das bedrückende und unheimliche Gefühl, das sich schnell einstellt. Fast automatisch spricht man nur noch im Flüsterton miteinander oder schweigt. Dem Betrachter erscheint es, als würden die Rauchschwaden im Feuersturm vorbeiziehen und Brände wild auflodern. Dieser Effekt wird durch die wechselnde Beleuchtung und Lichtblitze erzielt, die die Bombeneinschläge simulieren. Gebannt vom Blick auf das Geschehen verliere im Halbdunkel fast meine Begleiterin aus den Augen.
Viele Besucher treffen ihre Freunde oder Angehörigen oft erst am Fuß des Aussichtsturmes wieder und wirken zumeist sichtlich erschüttert. Kein Wunder, die Bilder der brennenden Innenstadt Dresdens erinnern an die mittelalterlichen Höllen- und Alptraumvisionen des Malers Hieronymus Bosch. Aber die Ausstellung belässt es nicht alleine bei der emotionalen Wirkung."Asisí stellt mit Dresden 1945 nicht die Opfersituation Dresdens in den Vordergrund, sondern lenkt den Blick auf einen weiteren Kontext: Schon mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatten die innere Zerstörung Dresdens, die Vernichtung von zig Menschenleben und ab 1939 zahlreicher Städe in Europa begonnen", erläutert der Pressetext. Dazu dienen auch die Stelen mit Informationen über Einzelschicksale. Anhand alter Fotos wird die Geschichte Dresdner Juden und einiger Nazi-Gegner erzählt, von Kindern, die ihre Eltern im Feuersturm verloren. Ein Dokument zeigt das nach dem Angriff von der NS-Verwaltung benutztes Formular zur Erfassung der Opfer. Akribisch sollten Namen, Adressen und die Todesursachen erfasst werden. Auch im Untergang blieb die deutsche Bürokratie gründlich...
Vor vielen Jahren las ich den Roman: "Schlachthof 5" des US-Schriftstellers, Kurt Vonnegut. Im Buch verarbeitet er auf teilweise ziemlich bizarre Art die Wirkungen, die der Angriff auf Dresden bei ihm einst auslöste. Vonnegut war als Kriegsgefangener in der Stadt, als sie Bombardiert wurde. Der Roman ist eine teilweise groteske Kollage aus Kriegsdrama, Satire auf die spießige US-Mittelschicht der 60ies plus schräge Science-Fiction-Story. Im Hintergrund steht der Mensch, der das Erlebte nichtlos wird, sein Leben lang unter dem Trauma leidet.
Der letzte Triumph des Joseph Goebbels
In der Ausstellung wird auch auf die Entwicklung nach dem Krieg behandelt. In der DDR wollte man einen modernen und funktionalistischen Wideraufbau der Innenstadt. Damit sollte man auch ein Zeichen für den Triumph des Sozialismus über den maroden Kapitalismus in Beton gegossen werden.
Die Innenstadt nach Beseitigung der Trümmer in den 1950ern |
Einerseits pflegt man in Dresden einen ausgeprägten Opfermythos im Zusammenhang mit dem Bombenangriff, andererseits verdrängt man, wer der Urheber der Legende ist. Das Thema wird auch nicht in der Ausstellung im 'Panometer' behandelt. Nach der Zerstörung Dresdens witterte NS-Propagandaminister Joseph Goebbels umgehend die Chance für einen letzten Propaganda-Coup. Er ließ seinen Propagandaapparat anlaufen, der die Presse vor allem im neutralen Schweden mit Horrorzahlen von mehreren hunderttausend Opfern des Angriffs versorgte. Die Zahl der Toten lag deutlich niedriger, das war Goebbels zumindest bekannt. Am 6. März 1945 bezifferte er die Verluste auf einer Konferenz in Görlitz auf geschätzte 40 000 Tote. In seiner Propagandawerkstatt wurde auch der Mythos des angeblich militärisch sinnlosen Bombenterrors auf die Kulturstadt durch Briten und Amerikaner geschaffen.
Goebbels überlebte zwar das Kriegsende nicht, die von ihm in die Welt gesetzten Mythen über Dresden dagegen schon. Vielen Deutschen kam es, angesichts des Holocausts gerade recht, den Alliierten mit Dresden ihre eigenes Kriegsverbrechen vorhalten zu können. So musste man sich dem von Deutschen organisierten industriellen Massenmord nicht stellen: 'Die waren ja auch nicht besser'. Dieser Mechanismus funktionierte nicht nur in der BRD, auch in der DDR benutzte man die Folie der Goebbels-Propaganda als Vorlage. Hatte man in der DDR kurz nach Kriegsende noch die Mitschuld Deutschlands am Luftkrieg thematisiert, wurde dies im 'Kalten Krieg' ab 1950 ausgeblendet. Jetzt diente das Beispiel Dresden als Beleg für den barbarischen Kapitalismus amerikanischer Prägung. DDR-Politiker benutzten Nazi-Phrasen über die "anglo-amerikanischen Luftgangster". Die eigene Verantwortung Deutschlands für die Barbarisierung des Luftkrieges - kein Thema im Zusammenhang mit Dresden. Dabei waren die deutschen Bombardements von Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry die Beispielgeber für den Bombenterror.
Im Opfer-Mythos Dresden waren sich 'Wessis' und 'Ossis' erschreckend ähnlich.
„© asisi“ |
Nach 1989 dauerte es in Dresden fast 15 Jahre, bis 2004 eine Historikerkommission beauftragt wurde, die wirkliche Zahl der Opfer festzustellen. Mittlerweile hatte sich Dresden nämlich zum 'Wallfahrtsort' der Neonazis gemausert. Weitere sechs Jahre später veröffentlichten die Fachleute ihre Ergebnisse: Demnach fielen den Bombardement zwischen 18 000 und 25 000 Menschen zum Opfer. Zur Erinnerung: Bereits am 22. März 1945 hatte der Befehlshaber der Berliner Ordnungspolizei (ORPO) in Dresden insgesamt 18 357 "Gefallene" genannt. ** Im Bundesarchiv in Koblenz fand man den "Tagesbefehl 47", der von höchstens 25 000 Opfern des Bombenangriffs auf Dresden ausgeht.
Wie der Mythos der bis 500 000 Toten in Dresden, so war es ebenso eine Lüge, die Stadt sei ein barockes Baudenkmal ohne militärischen Wert gewesen. Alleine ein Blick auf das umfangreiche Kasernengelände im Norden der Stadt - hier befindet sich das neue Militärmuseum - bezeugt das Gegenteil.
Militärmuseum auf dem Bundeswehrgelände |
Die Machthaber der DDR ließen die Ruine der zerstörten Frauenkirche als Mahnmal stehen, während die Semperoper zwischen 1977 und 1948 aufwändig restauriert wurde.
Ruine der Frauenkirche 1945 |
An dem Gehweg der heutigen Ostra-Alle - stand in Sichtweite des 'Dresdner Zwingers' ein kleiner Gedenkstein für den spanischen Antifaschisten Julián Grimau. Die Straße trug damals noch seinen Namen. Der Kommunist Grimau war nach Francos Sieg im Jahr 1939 aus Spanien geflüchtet, kehrte aber 1959 illegal zurück. Er wurde 1963 verhaftet und trotz internationaler Proteste am 20. April 1963 mit dem Würgeeisen (Garotte) hingerichtet. *** Flugs wurde dieses Denkmal nach der 'Deutschen Einheit' beseitigt und der Name aus dem Stadtplan getilgt.
Victor Klemperer legt Zeugnis ab
Für das Leiden der Opfer des NS-Regimes in Dresden, sind die Tagebücher Victor Klemperers ein eindrucksvolles Zeugnis. **** Im 'Panometer' suchte ich seinen Namen vergebens, keine Gedenkstele erinnert an diesen mutigen Chronisten. Dabei hatte er den Untergang der Stadt 1945 direkt im Stadtzentrum miterlebt.
Victor Klemperer nach dem Krieg |
In seinem Eintrag vom 22. Februar 1945 schildert der, mittlerweile mit seiner Frau nach Piskowitz bei Bautzen entkommene Klemperer, das Bombardement. Am Tag des Angriffs dachte er noch angstvoll daran, dass die NS-Behörden am kommenden Freitag alle noch in der Stadt lebenden Juden deportieren wollten. Das hätte mit Sicherheit den Tod des 64-Jährigen bedeutet und er wusste das. Auf den folgenden Seiten beschreibt er das Erlebnisse des Angriffs: "Die Straße war taghell und fast leer, es brannte, der Sturm blies (...)." Klemperer wird verletzt "etwas schlug glutheiß an meine rechte Gesichtsseite. Ich griff hin, die Hand war voller Blut, ich tastete das Auge ab, es war noch da." Er und seine Frau versuchten dem Feuer zu entkommen, sie liefen hinunter zu Brühlschen Terrassen oberhalb des Elbufers: "Ich stand dann oben, im Sturmwind und Funkenregen. Rechts und links flammten Gebäude, das Belvedere und (...) die Kunstakademie." Er hatte seine Frau aus den Augen verloren und irrte alleine weiter durch das brennende Dresden.
„© asisi“ |
Von den Terrassen aus beobachtete er Menschen, die versuchten sich am Elbufer in Sicherheit zu bringen. Für ihn aber drohte noch eine ganz andere Gefahr: "ich getraute mich (...) nicht hinunter", denn Juden war der Aufenthalt hier verboten. Glücklicherweise fand er seine Frau wieder und erreichte mit ihr am 15. Februar den Wehrmachtsflughafen Klotzsche. Dorthin hatten sich viele Ausgebombte geflüchte. "Die Gefahr der Bomben und der Russen teile ich mit allen anderen; die der Stella ist meine eigene und die weitaus größere." Mit der 'Stella' war sein Judenstern gemeint, den er eigentlich offen tragen musste. Er hatte ihn aber mittlerweile vom Mantel entfernt. Ein Leidensgenosse hatte ihm dazu geraten, sonst "würde ich sofort ausgesondert und getötet" werden.
Die Bombardierung Dresdens rettete das Leben mancher Verfolgter, denn auch die Gestapo-Zentrale wurde getroffen. Die geplante Deportation der letzten 198 Dresdener Juden in die Vernichtungslager konnte deshalb nicht mehr durchgeführt werden.
* https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Dresden
** Die ORPO umfasste alle uniformierten Polizeikräfte des Reiches, bis zur Kapitulation kommandierte sie SS-Obergruppenführer Alfred Wünnenberg. Er unterstand dem Reichsführer SS und Polizei, Heinrich Himmler.
*** https://de.wikipedia.org/wiki/Juli%C3%A1n_Grimau
**** Victor Klemperer, Tagebücher 1945, Aufbau Taschenbuch-Verlag 1999, S.31 - 47