Freitag, 17. November 2017

ARTE - Arbeitet der Kulturkanal mit 'Alternative Facts'?!



Der deutsch-französische Kulturkanal ARTE gilt als das kulturambitionierte und seriöse Fernsehprogramm an sich. Gerade die hier regelmäßig ausgestrahlten historischen Dokumentation sind eines der 'Aushängeschilder'. Umso befremdlicher muss es wirken, wenn im Programm Fehler unkorrigiert verbreitet werden. 

Beispiel gefällig?

Anfang November 2017 wurde eine französische Produktion über die Schlacht bei Verdun bei ARTE wiederholt, die erstmals 2016 ausgestrahlt worden war. In dem Film wird in der deutschen Fassung auf die Anti-Kriegskundegebung in Berlin hingewiesen, zu der Karl Liebknecht am 1. Mai 1916 aufgerufen hatte. Die Filmaufnahmen von Liebknechts Auftritt, der mit seiner Verhaftung endete, werden so kommentiert: "Der Abgeordnete der Kommunistischen Partei, Karl Liebknecht, hält eine Ansprache an das Volk". Nun konnte Liebknecht gar nicht für die Kommunistische Partei sprechen, geschweige denn im Reichstag, da die KPD erst am 30.Dezember 1918 gegründet wurde - fast zwei Monate nach Kriegsende! Liebknecht gehörte zur Gruppe Internationale um Rosa Luxemburg und anderen SPD-Dissidenten, die sich nach Kriegsbeginn 1914 in der SPD gegründet hatte. Sie wurde als Spartakus-Gruppe bekannt und Anfang 1916 aus der SPD ausgeschlossen. Eine Kommunistische Partei gab es zu diesem Zeitpunkt weder im Deutschen Reich, noch in einem anderen Land der Erde. Erst nach der Oktoberrevolution im Winter 1918 wurde unter Lenin die russische sozialdemokratische Partei zur ersten Kommunistischen Partei umbenannt. 

Den Verantwortlichen für die Gesichtsproduktionen bei ARTE ist dieser Fehler nicht aufgefallen - oder es war ihnen egal. Jedenfalls lief der Film unverändert zwei Jahre später erneut und ist auch noch in der Mediathek abrufbar. Ebenso fragwürdig ist die Fixierung des Autors, Serge de Sampigny, auf Kaiser Wilhelm II und seinen Sohn, den Kronprinzen. Sie sind in der Dokumentation die maßgeblichen Verantwortlichen für die Schlacht von Verdun - der Urheber des Gemetzels, der Chef des Kaiserlichen Generalstabes, Erich von Falkenhayn, taucht in der Dokumentation nur als Nebenfigur auf. https://medienfresser.blogspot.de/2016/02/100-jahre-verdun-schlacht-der-mythen.html


Könnte man dies noch als Flüchtigkeitsfehler behandeln, wird in der am 8.November 2017 ausgestrahlten deutschsprachigen Dokumentation von Patrick Cabouat: "Der Untergang der Romanows" der Geschichtsverlauf im Sommer 1914 komplett auf den Kopf gestellt. In Minute 27 des Films, in der es um den Kriegsausbruch geht, heißt es "24. Juli. Als Reaktion auf das Ultimatum, das Serbien Österreich gestellt hat, versucht Nikolaus II. Kaiser Wilhelm II. davon zu überzeugen, Österreich zum Einmarsch in Serbien zu überreden." Richtig ist vielmehr: Österreich-Ungarn stellte am 23. Juli 1914 auf Drängen des deutschen Kaiserreichs den Serben ein Ultimatum - das zum Krieg führte. Einen Beleg dafür, dass der russische Zar seinen deutschen 'Vetter Willi' aufgefordert hat, Wien zum Einmarsch gegen das mit St.Petersburg verbündete Serbien zu ermuntern - Fehlanzeige!

Es geht dabei nicht um historische Debatten oder individuelle Fehler. Jeder Fernsehfilm durchläuft senderinterne Prüfverfahren und Abnahmen durch die entsprechenden Redaktionen. Was für Redakteure sitzen dort, wenn sie solche Produktionen durchgehen lassen? Auf der Kommentar-Seite von ARTE findet sich eine entsprechende Krititk eines Zuschauers - Reaktion der Verantwortlichen in Straßburg? Auf meine offizielle Anfrage bei der ARTE-Pressesprecherin Claude-Anne Savin, erhielt ich keine Antwort - bei ARTE Deutschland in Baden-Baden (SWR) verwies man mich an Straßburg, da es sich um eine französische Produktion handele. Eine Mitarbeiterin einer deutschen Rundfunkanstalt, die den Betrieb in Straßburg kennt, meinte nur trocken, die Verantwortlichen bei ARTE seien einfach "zu Eitel" um einen Fehler einzugestehen - es sei denn, er würde hohe Wellen schlagen.

  Geschichtsklitterung scheint jedenfalls nicht dazu zu gehören.....
  
Nachtrag: Bis heute - dem 13. Januar 2018 hat die ARTE-Pressestelle auf meine Anfrage nicht geantwortet.  

Dienstag, 31. Oktober 2017

Chios Herbst 2017




Ein französischer Besucher der Insel Chios schwärmte im 18. Jahrhundert: "Sogar ihr Name klingt aromatisch" *. Heutzutage empfängt den Reisenden am Flughafen "Omiros" - benannt nach dem Dichter der Ilias Homer - ein Mix aus Kerosin und Mittelmeer. Gerade im Herbst rieche ich sofort 'mein' Griechenland, eine Mischung aus von der Sonne verbrannter Erde und Kräutern. Sofort wächst der Wunsch nach griechischem Essen, nach  Kleftiko, Stifado und gekochtem Ziegenfleisch...

Gestartet auf dem kürzlich modernisierten Flughafen 'Venizelos' in Athen, landet man nach einer halben Stunde auf dem 'Omiros' in Chios. Der kleine Inselflughafen wirkt, als hätte man eine Zeitreise in die 1960iger Jahre gemacht. Vom gelandeten Propellerflugzeug laufen die Passagiere die wenigen Meter bis zur Empfangshalle. Am Eingang warten Freunde und Verwandte auf die Ankommenden. Für einige Minuten herrscht Trubel in der kleinen Halle, bis das Gepäckband laut rumpelnd beginnt zu laufen. Daneben stehen die Mitarbeiter der Leihwagenfirmen, bei uns ist es - wie immer - ein Mitarbeiter von 'Chandris rent a car'.

Jetzt beginnt die einstündige Fahrt über das Epos-Gebirge in den Nordwesten der Insel, zu dem Ort, der für uns zur zweiten Heimat geworden ist: Volissos. Auf dem Weg fährt man am Hafenbecken der Inselhauptstadt entlang. Hier ankern neben Luxusjachten auch Schnellboote der Küstenwachen verschiedener EU-Staaten. Sie sollen im Rahmen der EU-Polizeimission Frontex die Meeresgrenze zur Türkei sichern, nur acht Kilometer entfernt liegt die Küstenstadt Cesme. Neben einem Boot der rumänischen Küstenwacht ist eine riesige Luxusyacht an der Kaimauer vertäut, die größte, die ich bisher in Chios gesehen habe. "Das Schiff gehört einem reichen Araber", erklärt unser Freund Costas, der selber aus einer bekannten Reederfamilie der Insel stammt. 


Hier ankert die Yacht des reichen Arabers und nur wenige hundert Meter entfernt hausen Flüchtlinge in Zelten unter ärmlichsten Bedingungen. Alleine während unseres dreiwöchigen Aufenthaltes landeten etwa 1000 neue Flüchtlinge auf Chios - darüber fanden sich keine Berichte in bundesdeutschen Medien. 

Sommer 2016
In den Gesprächen mit unseren griechischen Freunden erfahren wir viel über die Alltagsprobleme auf Chios - auch über Gerüchte und Vorurteile. Bei einem Spaziergang in der Hauptstadt sieht man weniger Flüchtlinge, als noch im Frühjahr. Es begegnen uns Mütter mit Kopftuch, die  Kinderwagen schieben. Viele der jungen Männer benutzen ein Smartphone - ihre einzige Verbindung in die alte Heimat. Vor einem Jahr kampierten Füchtlinge noch im Stadtpark, jetzt verbieten dies Schilder auf Arabisch und Englisch. Immer noch kümmern sich viele Menschen auf Chios - wie auch Mitglieder ausländischer Hilfsorganisationen - um die derzeit über 2000 Flüchtlinge. Der Großteil wurde im Frühling vom Zeltlager neben der alten Zitadelle in ein Camp außerhalb der Hauptstadt verlegt. Die rassistischen Demonstrationen und Aufmärsche des Frühlings sind glücklicherweise abgeebbt: "Das liegt auch daran, dass ein Scharfmacher der Chrysi Avghi (Griechische Nazipartei) hier verhaftet wurde", meint ein Freund, der als
Flüchtlingslager Inselhauptstadt

griechischer Anwalt Flüchtlinge betreut. Eine Freundin, die gemeinsam mit ihrem Mann Öko-Touren für Touristen anbietet sagt: "Viele Leute haben gemerkt, dass die wirtschaftlichen Probleme der Insel nicht an den Flüchtlingen liegen." Trotzdem brodelt weiter die Gerüchteküche: "Jeder Flüchtling bekommt hier 2500€ im Monat" schimpft ein Freund. Dass der Großteil dieser Summe beim griechischen Staat bleibt, die Flüchtlinge nur ein karges Taschengeld erhalten, sagt er nicht.


Der Tourismus bestimmt Wirtschaft und Leben auf Chios nicht so stark, wie auf den Nachbarinseln Lesbos, Rhodos oder Kos. Nachdem die Charterflüge aus Nordeuropa eingestellt wurden, lebt der Fremdenverkehr auf Chios derzeit vor allem von türkischen Besuchern. Sie kommen mit den mehrmals täglich verkehrenden Fähren aus Cesme in die Inselhauptstadt. Chios wird von den Türken "Sakiz Adasi" genannt und die Mastix-Insel ** lockt Besucher bis aus dem fernen Istanbul. Viele der wohlhabenden Besucher vom Festland verbringen auf Chios nur ein Wochenende, lassen dabei aber eine Menge Geld auf der Insel. Kein Wunder also, dass immer mehr Schilder und Prospekte in türkischer Sprache um sie werben. Viele  Besucher aus Cesme nutzen die Fährverbindungen für einen Tages-Trip, um billig einzukaufen. Von den Besuchern des Festlandes wissen die meisten
Türkisches Schiff im Hafen von Chios 2016
nichts vom Massaker des Jahres 1822. Eine Osmanische Soldateska hatte die damals zum Reich des Sultans gehörende Insel verwüstet. Die griechische Bevölkerung wurde ermordet oder in die Sklaverei verschleppt - nur wenige entkamen. Das haben die Chioten bis heute nicht vergessen und oft hört man in Gesprächen ein Misstrauen gegenüber dem großen Nachbarn. Vor Erdoghan haben viele Chioten Angst, manche bewundern aber auch den 'starken Mann vom Bosposrus'. Eigentlich könnte man auf Chios für türkische Touristen mit dem Spruch werben: "Kommen Sie nach Chios - Hier können Sie frei reden!' Verschiedene Griechen auf Chios erzählten uns davon, das einige der Besucher vom Festland  auf dem Rückweg in Gemüseschachteln verstecktes Schweinefleisch mitnähmen. Gerücht oder Wahrheit? Jedenfalls haben die türkischen Besucher den Hotels, Tavernen und Shops die Umsätze gesichert. In diesem Jahr sollen auch wieder mehr Auslandsgriechen und Besucher vom griechischen Festland hier ihren Urlaub verbracht haben. "Viele waren aber sehr sparsam. Sie kochten selber und gingen kaum in die Tavernen.", klagte ein Vermieter. 


Seit einiger Zeit setzen Verantwortliche auf der Insel auf das allgemein boomende Geschäft mit dem Kreuzfahrt-Tourimus. Regelmäßig legen auch auf Chios Schiffe an, dann strömen für ein paar Stunden einige Tausend Besucher an Land. Genau betrachtet, lassen sie aber nur wenig Geld auf der Insel. "Die essen auf dem Schiff und kaufen nur ein paar Souveniers", sagt eine im Tourismus arbeitende Freundin. Besonders grimmig urteilt unser Freund Georg - einst in München als Lehrer tätig: "Manchmal werden die Leute am Anleger von in Inseltracht kostümierten Chioten empfangen, die tanzen dann auch noch: Sind wir hier die Eingeborenen einer Kolonie, die für Glasperlen rumhopsen?" Er engagiert sich seit Jahren für die Instandsetzung alter Handelswege auf der Insel, die er für Wanderer freiräumt. Sie sind für ihn eine lukrativere Zielgruppe als Kurzbesucher von Toruistendampfern.
Kreuzfahrt-Touristen legen an

Wir sind jedenfalls froh, dass Chios nur rund 6000 Touristenbetten hat - im benachbarte Kos sind es 60 000. Dabei ist diese Insel nur ein Drittel so groß wie Chios. Hotels und Vermieter von Zimmern  profitieren davon, dass Mitarbeiter des UNHCR (UN-Flüchtlingsorganisation), von Frontex und anderen EU-Organisationen auf Chios arbeiten. An sie kann man Zimmer auch außerhalb der Saison vermieten - und das für Preise der Hochsaison. So werden auch die aus Athen geschickten Polizeieinheiten untergebracht. Demgegenüber fallen die wenigen Vermietungen an Flüchtlinge kaum ins Gewicht. Vorhaltungen wie: "Wenn die dort beten, Verschrecken sie die Touristen" blenden die realen Probleme fehlender Tourismuskonzepte aus. (siehe auch Blogeintrag Frühjahr 2017: https://medienfresser.blogspot.de/2017/06/fluchtlinge-auf-chios-2017-europa-lasst.html


Verlässt man die Hauptstadt der Insel in Richtung Nordwesten, kommt man in nur wenig besiedelte Regionen. Bei der Fahrt über das karstige Hochplateau des Epos-Gebirges - hier fanden 1912 Kämpfe zwischen osmanischen Truppen und griechischen Soldaten statt - kommt man in den bewaldeten Nordwesten. Er blieb glücklicherweise von den Waldbränden der vergangenen Jahre verschont, die vor allem den Süden der Insel trafen. Auf der Straße nach Volissos muss man sich weniger vor dem Verkehr fürchten, als vor plötzlich auftauchenden Ziegen- und Schafherden. Die selbstbewußten Vierbeiner halten sich nämlich an keine Verkehrsregeln und queren die Straße, wie es ihnen gefällt - vor allem in der Dunkelheit ist das nicht ungefährlich.. 




Im Nordwesten von Chios, der Region Amani leben heute etwa 700 Menschen, Zentrum ist das Städtchen Volissos, benannt nach einem Feldherrn aus byzantinischer Zeit. Über dem Ort thront seine mächtige Burgruine. Von dort kann man die ganze Westküste der Insel übersehen. Noch im letzten Jahrhundert lebten in Volissos  bis zu 5000 Menschen, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine große Auswanderungswelle. Auf alten Fotos aus den 50er Jahren kann man sehen, wie viele Kinder damals die kleinen Dorfschulen besuchten - heute gibt es nur noch eine große Schule in Volissos. "Ohne die Albaner, die ihre Kinder hier auf die Schule schicken, wäre sie längst geschlossen", sagt uns eine Lehrerin. Im Ort  wohnen jetzt noch etwa 250 Menschen - die meisten davon sind alte Leute. "Keine Ahnung, wie viele Einwohner Volissos in zehn Jahren noch haben wird - der Ort stirbt aus", fürchten unsere Freunde Georgios und Marianna. Das Paar hatte vor sechs Jahren in Athen ihrem anstrengenden Adieu gesagt und war nach Volissos gezogen. Als ich sie frage, ob sie den Entschluss jemals bereut haben, antwortet er sofort: "Ja, dass wir das nicht 20 Jahre früher gemacht haben!" - das sieht Marianna genauso. Beide fühlen sich in der Ruhe wohl, Langeweile kennen sie nicht - kein Wunder, denn sie kümmern sich neben ihrem Alltag um mehr als 20 Katzen.


Volissos ist eine Mischung aus restaurierten Häusern, modernen Neubauten und Ruinen, deshalb wirkt der Ort wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Ein Spaziergang durch die einstige Hauptstraße mit seinen, seit Jahrzehnten geschlossenen Geschäfte zeigt, wieviel Leben es einst hier gab. Im Sommer 2017 organisierte eine kleine Gruppe engagierter Bewohner mit Künstlern aus Griechenland und der Türkei einen Workshop. Dabei wurden Geschäfte in der einstigen 'Einkaufsstraße' mit Bildern wieder zum Leben erweckt. Viele der Alteingesessenen betrachten alles Neue mit Mißtrauen. Das scheint ein Grundzug der Einwohner von Volissos zu sein, so hört man immer wieder auf der Insel. Im Ort pflegt man alte Rivalitäten. Dabei sind dieAlbaner, die teilweise schon Jahrzehnte mit ihren Familien hier leben, längst Bestandteil des Ortes. Resentiments pflegt man vielmehr zwischen den verschiedenen Vierteln des Ortes. "Also rechts von der großen Kirche im Zentrum wohnen die Ärmeren, links die Wohlhabenden und die sind sich seit ewigen Zeiten nicht grün. Beiden gemeinsam ist, dass sie die Leute, die unterhalb der Burg wohnen, nicht für voll nehmen", meint lachend ein 'Zugezogerner'. Wir lieben dort die Ruhe und Einsamkeit, allabendlich machen wir einen Spaziergang auf die Burg, bei dem uns unsere Katzen begleiten.

Manchmal besorge ich vormittags beim Dorfbäcker ein Brot, das der einsilbige Bäcker täglich backt. Vor seiner Backstube, deren Ofen mit Holz befeuert wird, warte ich auf ihn und nutze meine paar griechischen Brocken. Erstmals fragte er mich: "Where are you from?" Als ich Antworte "Γερμανία" (Germania-Deutschland), lobte er mein Griechisch. Ich stammelte überrascht nur "mikro, mikro" (wenig, wenig) und machte mich stolz wie Bolle mit dem Brot auf den Heimweg. Als ich das später unseren Freunden erzählte, schauen sie mich groß an: "Den halten hier alle im Dorf für einen muffeligen Zeitgenossen." Vor Jahrzehnten sei er als Soldat auf die Insel gekommen, um seinen Wehrdienst abzuleisten. Dann habe er eine Frau aus Volissos kennengelernt und geheiratet. So richtig glücklich sei er aber  nicht: "der sitzt den Tag griesgämig vor der Backstube. Na ja, er muss immer früh aufstehen, um zu backen". Seltsam ist, dass sein Brot inselweit bekannt und beliebt ist - nur nicht unbedingt in Volissos. "Kein Wunder, die harte Rinde seiner Brote ist halt nichts für alte Leute, denen die Zähne fehlen", lacht Georgios. 

Die Landschaft um Volissos lädt zu Wanderungen ein, verspricht Ruhe und Entschleunigung. Bei einem Spaziergang in der menschenleeren Landschaft rauscht der Wind vom Pelineo-Gebirge und man hört man höchstens den Ruf eines Vogels oder die Glocken einer Ziegenherde. Im Tal der alten Mühlen stehen über ein dutzend Ruinen. Sie wurden einst durch das Wasser eines Baches betrieben, der vom Pelineo herunterfließt. Im Sommer und Herbst ist der kkleine Fluss ausgerocknet, was sich nach Regenfällen aber schnell ändert. Seit Jahren steht hier eine große Kapelle, in diesem Jahr wurde sie restauriert und wieder geöffnet. Gotteshäuser stehen hier überall verstreut in der Region. 


Das einzige was man während dieser Wanderung hört, sind die Ziegen,
die in einem nahegelegenen Stall wohnen. Auf dem Weg entdecken wir an einem Busch einen angenagelten Schädel einer Ziege mit Hörnern. "Das soll gegen den 'Bösen Blick' hlefen", erklärt Georgios: "Damit schützt man einen Stall, ein Haus, oder ein Feld vor dem Bösen." Obwohl alle hier gläubige griechisch-orthodoxe Christen sind, so haben sich doch vorchristliche Mythen überall gehalten. Dazu gehört der 'Böse Blick', an manchen Häusern finden sich Symbole, die davor schützen sollen. Eine Freundin im Süden hat zwei Symbole an ihrer Taverna angebracht - ein orthodoxes Heiligenbild und 'Fatimas Auge' aus dem Islam: "Das haben mir türkische Gäste geschenkt".

Kirche Halandra
Kurz vor unserer Abreise werden wir von Georgios und Marianna zu einem Dorffest eingeladen. Es findet im Bergdorf Halandra statt, nur wenige Kilometer von Volissos entfernt. Vom kleinen Dorfplatz hat meinen einen weiten Blick über das Meer, bis zur Nachbarinsel Lesbos. In dem Dorf leben heute ganzjährig nur noch acht Menschen. Zum Festessen sind heute aber fast Hundert aus den umliegenden Dörfern gekommen. Viele der früheren Bewohner Halandras leben heute im Ausland, vor allem den USA. Dort wurde Geld für das neue Gemeindehaus gesammelt, in dessen Saal das Essen stattfindet. Er liegt nur wenige Schritte von der prächtig ausgestatten Dorfkrche entfernt. "Heute wird hier gegessen, morgen geht die Feier dann mit Musik und Tanz im nächsten Dorf weiter", erklären uns Georghios und Marianna. 

Das Essen aus Ziegenfleisch und Reis wird in einer Küche in großen Töpfen zubereitet. Wir dürfen einen Blick hinein werfen und eine der Frauen, die dort arbeiten fragt, woher wir kommen. Als wir "Germania" antworten, meint sie trocken: "Danke an Frau Merkel für unsere gekürzten Renten!" Wir nehmen ihr das nicht übel, wir kennen die Probleme - die nicht nur auf Chios das Leben der Griechen immer schwerer machen. Unsere Freunde wissen, dass wir mit 'unserer' Regierungspolitik gegenüber Griechenland nicht einverstanden sind. Deshalb verteidigen sie uns gegen Kritik und wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass auch bei uns die Trennung zwischen Arm und Reich immer weiter zunimmt. Und dann schimpfen sie auf ihre Regierung in Athen und wir auf unsere in Berlin und wir lachen gemeinsam. 

Die Zeit verfliegt und es nähert sich die Abreise. Am Vortag sitze ich auf der Terrasse, plötzlich wird die Luft von einem Donnerschlag erschüttert, der über das Meer rollt. Es ist mal wieder Zeit für die herbstlichen Militärmanöver der Region. Letztes Jahr konnten wir ein Landungsunternemen in der großen Bucht von Managros von unserer Terrasse aus
Ölplattform zwischen Chios und Lesbos
beobachten. Wie in einem Kinofilm landeten dort Soldaten mit Panzern - Hubschrauber flogen knatternd herum und überall knallte es. "Diesmal ist das Manöver größer als sonst, denn die Marine übt den Seekrieg um Chios", sagte Georgios und grinst. Der 'Natopartner' Türkei beobachtet die Übung mit Argusaugen. Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen der Trürkei und Griechenland über die Hoheit über das  Meer der Nordostägäis. Dabei geht es vor allem um Öl, das in der Tiefe zwischen den Inseln und der Küste vermutet wird. Jeden Sommer liefern sich Piloten der beiden Nato-Staaten hier "Dog-Fights" - gefährliche simulierte Luftkämpfe. Sie jagen oft im Tiefflug hintereinander über die Insel: "Seit dem so viele türkische Piloten nach dem Putsch verhaftet wurden, ist das gefährlicher geworden, denn die Ersatzleute sind unerfahren", schimpft Georgios.


Es gilt Abschied von Chios zu nehmen, die letzte Nacht schlafen wir in der Hauptstadt, der Flug nach Athen startet elend früh am Morgen. So können wir aber noch in einer Taverne in der alten Zitadelle noch mit Roula, Vassillis und ihren beiden Kindern treffen. Sie haben vor Jahren ihre Jobs in der Werbe- und IT-Branche in Athen aufgegeben, um auf Chios den  Öko-Tourismus zu fördern. Wir sitzen mit ihnen vor der Ouzerie und da erscheint auch noch unser Freund Georgios, der im Dorf Avgonyma alte Bauernhäuser restauriert und an Touristen vermietet. Er hat gehört, dass sich die beiden mit uns treffen wollen und will es sich nicht nehmen lassen, uns Adieu sagen. Wir reden über Gott und die Welt, essen und trinken und schmieden bereits Pläne für unseren nächsten Besuch auf Chios....






*Pierre Augustin Guys 
** Mastix: Besonderes Pinienharz, dass die Insel seit der Zeit der Osmanen berühmt machte. Als Medizin und für Kosmetik von vielen Menschen im Orient geschätzt. 

https://medienfresser.blogspot.de/2018/01/chios-2017-weihnachts-impressionen.html