Mittwoch, 28. Oktober 2015

Digitaler Fernsehempfang wächst - aber nicht bei Alten und Armen


Die Digitalisierung aller Medien und Kommunikationswege galt bisher bei vielen als eine Entwicklung, die alle von uns gleichmäßig betrifft. Kritik gab es bisher nur wegen unzureichender technischer Online-Versorgung ländlicher Regionen. Der kürzlich veröffentlichte Digitalisierungsbericht 2015 der Medienanstalten zeigt aber auch, dass sozial Schwächere durch die Kosten für neue Empfangsgeräte von der digitalen Entwicklung ausgeschlossen werden. 


Satellit? Kabel? - Die Programme sind gleich mies...
Basis des Berichts ist eine Befragung von TV-Nutzern, die TNS-Infratest im Auftrag der Landesmedienanstalten telefonisch durchgeführt hat. Die rund 6000 bundesweiten Interviews repräsentieren 70,5 Millionen Einwohner Deutschlands über 14 Jahre (Deutsche, EU und andere Ausländer). Insgesamt gibt es bundesweit 40,072 Haushalte, von denen 38,89 Millionen (97%) ein Fernsehgerät besitzen.

Nimm man diese knapp 39 Millionen TV-Haushalte in der Republik als Basis, empfangen ihre Fernsehprogramme rund 33 Millionen (84,7%) digital, 4,5 Millionen (11,5%) analog und 1,5 Millionen Haushalte (3,8%) sowohl digital wie analog. Innerhalb von drei Jahren ist damit die Zahl der digitalen TV-Haushalte von 73,4 auf 84,7% gewachsen, während analoge Haushalte von 19,2% auf 11.5% zurückgingen. Analog wie digital mit TV-Programmen versorgte Haushalte reduzierten sich von 7,4% auf aktuell 3,8%.

Die meisten Haushalte (18,1 Mio) werden per Satellit mit Fernsehprogrammen versorgt (46,5%) während das Kabel (17,9 Mio) an zweiter Stelle liegt (46,1%). Real liegt die Satellitenversorgung noch höher, denn die Statistik zählt auch die Haushalte mit zur Kabelversorgung, die ihre Programme (ohne eigenen Receiver) über das Kabelnetz ihrer Wohnanlagen erhalten, die diese ihrerseits von einem Satelliten eingespeisen. 

Da seit 2012 TV-Programme per Satellit nur noch digital verbreitet werden, gibt es im Kabel noch 6 Millionen analog empfangende Haushalte. Diese müsse man für den Digitalempfang gewinnen, fordern die Medienanstalten, wolle man die analoge Abschaltung  - den "Switch Off" - bis 2018 erreichen. Derzeit nutzen aber nur rund 66% der Kabelhaushalte das digitale empfangbare Fernsehen. "Was es nun braucht, ist ein Schulterschluss von Kabelnetzbetreibern, Wohnungsgesellschaften und Fernsehsendern..." lautet die Forderung der Medienanstalten, um die Abschaltung 2018 realisieren zu können.

Armen und Alten fehlt das Geld für Digital-Empfänger 

 

Dabei ist man sich bei den Medienanstalten bewusst, das der sich verzögernde "Switch Off" auch eine soziale Komponente hat. Die Hälfte der Analog-Haushalte verfügen über keinen Fernseher, der digitale Programme empfangen kann. Darüber hinaus sind die meisten analogen Kabelnutzer über 50, ein Drittel sogar älter als 70 Jahre. Den Autoren ist schon klar, dass viele der analogen Haushalte das Geld für die Anschaffung eines digitalen TV-Gerätes nicht haben. Etwa 62% der Analog-TV-Haushalte verfügen netto über weniger als 2000 €, fast ein Viertel von ihnen haben nicht einmal 1000 € monatlich zur Verfügung. Kein Wunder also, wenn 70% der Analognutzer sagen, nicht zum digitalen Fernsehempfang wechseln zu wollen. Deshalb beschleicht die Medienanstalten ein ungutes Gefühl für 2018. Der anvisierte Ausstieg aus der analogen Verbreitung sei: "...kein Selbstläufer (...). Dabei dürften die Kosten des Umstiegs für viele Haushalte eine zentrale Rolle spielen." Mit Hartz IV, einer Durchschnittsrente unterhalb der 'Grundsischerung' von etwa 760 € monatlich macht für solche Haushalte der Wechsel zum digitalen Empfang kaum einen Sinn. 

Auch beim von allen so propagierten mobilen TV-Empfang räumen die Medienanstalten
Mehr direkte Kommunikation - die Alternative
erstmals sozial problematische Entwicklungen ein. Zwar nutzen über 12 Millionen Menschen mit mobilen Empfangsgeräten auch TV-Livestreams, sie machen es aber zu 80%

nur zu Hause. "Ein Grund dafür, dass TV Streams an mobilen Endgeräten von vielen zwar in der Küche oder im Bett genutzt werden, von nur wenigen jedoch auch in der Bahn oder dem Café, könnte in den hohen Datenmengen liegen. Gerade bei einer Nutzung über das Mobilfunknetz fallen dadurch schnell hohe Kosten an bzw. ist das gebuchte Datenvolumen schnell aufgebraucht."

Die Mobilfunkunternehmen forcieren seit Jahren das erhoffte große Geschäft mit Bewegtbildern per Smartphone und Tablet. Zunehmend merken viele Nutzer - vor allem wohl die über hohe Telefonrechnungen ihrer Sprösslinge geschockten Eltern - wie teuer das vermeintlich kostenlose TV- und Videoangebot sie wirklich kommt.   

Links: 
http://www.caritas.de/hilfeundberatung/ratgeber/schulden/jugendliche-haben-oft-handyschulden
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/handy-internet-smartphone-ist-oft-grund-fuer-schulden-junger-menschen-a-978251.html
http://www.medienfresser.blogspot.de/2009/10/digitalisierung-des-tv-empfangs-2009.html 


Siehe auch: http://medienfresser.blogspot.de/2014/01/tv-satellit-uberholt-kabel.html


Montag, 12. Oktober 2015

Unterbrecherwerbung nervt fast alle Fernsehzuschauer


Jeder Fernsehzuschauer kennt das, gerade spitzt sich die Situation in einem Film zu, da knallt einem ein nervender Werbeblock dazwischen. Das makaberste Beispiel für mich war "Schindlers Liste", da brachte es der Kommerzsender bei der Wiederholung fertig, den Film für grellbunte Werbespots zu unterbrechen. Dabei wissen die TV-Macher wie die Werbetreibenden genau, dass das mittlerweile erreichte Ausmaß der Unterbrecherwerbung die Zuschuer nur noch nervt. 

Beleg gefällig? In der aktuellen Langzeitstudie von ARD und ZDF zur Massenkommunikation, wurde erstmals auch die Frage gestellt, ob Fernsesendungen durch zu viel Werbung unterbrochen würden. Antwort: Bei den Privaten bemängelten dies 86% der Befragten und 9% bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die Werte für ARD und ZDF kann man alleine schon deshalb zur Seite legen, weil sie nur werktäglich im jeweiligen Vorabendprogramm Werbespots ausstrahlen. Da macht es nicht viel aus, wenn filmkünstlerische Werke wie der "Bergdoktor" oder "Großstadtrevier" durch Waschmittelwerbung unterbrochen werden. 


Es geht doch nichts über einen Blick, der nicht durch Werbung verstellt wird...

Interessant an den Ergebnissen der ARD/ZDF-Studie, die seit mittlerweile 50 Jahren regelmäßig erhoben wird, ist die Ablehnung der Werbeunterbrechungen quer durch alle Altersgruppen. Bei den 14-29-Jährigen kritisieren 85% zu viel Unterbrecherwerbung, bei den 30-49-Jährigen sind es 88% und bei den Älteren 85%. Auch der Bildungsgrad ändert an der Kritik kaum etwas. So bemängeln 81% der Zuschauer mit Hauptschulabschluss die Unterbrecherwerbung, bei Absolventen weiterführender Schulen und Abiturienten sind es 89%. 

Laut Rundfunkstaatsvertrag dürfen ARD und ZDF an Wochentagen insgesamt 20 Minuten Werbung ausstrahlen - aber nicht nach 20 Uhr. (Rundfunkstaatsvertrag Abschnitt III, § 16) Für die kommerziellen Programme gilt eine stündliche Höchstgrenze von 12 Minuten - und das täglich (Abschnitt III, § 45). Die Landesmedienanstalten haben festgelegt, dass ein Werbeblock "in der Regel" mindestens 2 Spots umfassen muss. (Werberichtlinie der Medienanstalten Ziffer 6). 

Den Werbetreibenden ist durchaus bewusst, dass die Zuschauer die Unterbrecherwerbung nervt und sie wegzappen oder etwas anderes tun, wenn einer läuft. Sie versuchen die Zuschauer auszutricksen. Sei es durch Split-Screen-Werbung etwa bei Sportübertragungen - der Bildschirm wird zwischen Ereignis und Werbespot geiteilt. Eine weiteres Mittel ist die Plazierung von Produkten direkt in Serien und Filmen - das sogenannte Product Placement. 

Dazu erreichte mich aus den USA folgender Lesertipp: http://www.newyorker.com/magazine/2015/10/12/the-price-is-right-emily-nussbaum

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Flüchtlinge 2015: Paranoia* in Deutschland - Realität in Griechenland


Tagtäglich wird die Stimmung in Deutschland beim Thema Flüchtlinge hysterischer. Das Hausblatt des deutschen Stammtischs: BILD, schürt Ängste mit Horrormeldungen von bis zu 7,4 Millionen Flüchtlingen. Die CSU begeht faktisch Verfassungsbruch durch die Forderung nach einer Obergrenze für Asylbwereber. Grundgesetzt und UNO-Flüchtlingskonvention - egal. Und die SPD jammert, bei einer Million Flüchtlingen komme Deutschland an seine Belastungsgrenzen.

Die Realtität: Derzeit befinden sich in Deutschland rund 577 000 Flüchtlinge (Tagesschau 7. Oktober 2015). Bei etwa 80 Millionen  Bundesbürgern sind das 0,7% der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn die Panikzahlen der BILD Realität würden, stiege der Flüchtlingsanteil auf 9% an. Zum Vergleich: Im Libanon machen die Kriegsflüchtlinge mittlerweile 25% der Gesamtbevölkerung aus.

Chios - eine Insel versucht zu helfen


Von der Küstenwache gerettet
2015 kamen fast jeden Tag zwischen 150 und 200 Flüchtlinge auf die griechische Insel Chios in der Nordost-Ägäis. Sie liegt nur etwa 8 Kilometer von der türkischen Küste bei Cesme entfernt. Auf der fünftgrößten Insel Griechenlands leben rund 50 000 Einwohner. Alleine im laufenden Jahr kamen hier rund 30 000 Flüchtlinge an. Ein Großteil ist zwar jetzt auf dem Festland und dem Weg nach Nordeuropa, aber auch im September 2015 lebten noch viele im zentralen Flüchtlingscamp außerhalb und dem Stadtpark der Inselhauptstadt. Sie wohnen in Camping-Zelten - Ende September hat die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR winterfeste Zelte aufgestellt. Man rechnet auf Chios damit, dass auch in der Schlechtwetterperiode zwischen Oktober und April der Flüchtlingsstrom kaum zurückgehen wird.
Stadtpark von Chios


In Deutschland und den meisten EU-Staaten in Mitteleuropa hat man dieser Entwicklung lange einfach nur zugeschaut. Das EU-Dublin-Abkommen 'schützte' uns ja vor den Flüchtlingsmassen. Jeder Asylbewerber muss ja in dem Staat Schutzt beantragen, in dem er erstmals die EU betreten hat. Damit waren wir fein raus. Jeder der es wissen wollte wusste aber schon lange, dass das nicht gutgehen kann. Griechenland und Italien waren damit überfordert und haben einfach die Grenzen nach Norden geöffnet. Anstatt aber bei uns Vorkehrungen zu treffen, beweist Deutschland als angeblicher 'Organsiations-Weltmeister' seine Unfähigkeit oder den Unwillen, Vorbereitungen zu treffen. Aber über die angeblich 'faulen Griechen' lästern - dazu reicht´s hier immer noch....

Bizarre Widersprüche


Hotel-Pool mit Blick auf die Türkische Küste
Während auch Chios die Touristen in schönen Hotelanlagen mit Pool den Blick auf das  türkischen Festland bei Cesme genießen, ist das Meer für Flüchtlinge lebensbedrohlich. Deshalb patroullieren Boote der griechischen Küstenwache und der Marine vor der Insel und bringen tagtäglich Menschen in den Hafen von Chios-Stadt. Bei meinem Besuch im Mai und September war die Situation an der Hafenpromenade ziemlich bizarr. Während am Fähranleger Flüchtlinge auf das Schiff
Rechts die Kreuzfahrer - Links die Flüchtlinge
nach Piräus oder Kavalla warteten, flanierten an ihnen Touristen vorbei, deren Kreuzfahrtschiff im Hafen lag.

So mancher Inselbewohner reagiert auf die ankommenden Flüchtlinge irritiert: "Die haben alle Smartphones, woher haben die dafür das Geld?" Die Erklärung ist einfach, wer es auf bis nach Chios schafft, der hat mehrere Tausend Dollar/Euro für einen Fluchthelfer bezahlen können. Die Insel erreichen derzeit vor allem Syrer, die der Mittelschicht angehören. Sie haben für die Flucht vor Krieg und Verfolgung alles zu Geld gemacht, was sie hatten. Manch Wohlhabender kann es sich sogar leisten, in einem Hotel der Insel zu wohnen. Die meisten brauchen aber jeden Cent, um das Weiterkommen nach Nordeuropa bezahlen zu können.

"Die Armen aus Syrien oder Afghanistan stecken in der Türkei fest. Dort werden sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und haben keine Chance, die Überfahrt zu bezahlen," erfuhr ich auf Chios von einer Türkin, die dort mit einem Griechen verheiratet ist. Es gibt aber auch Ablehnung: "Die bringen Drogen mit, die können einem nicht ins Gesicht schauen", meinte ein durchaus weitgereister und kultuvierter Freund zu uns. Dabei werden seit Jahren Drogen aus der Türkei über Chios in Richtung Nordeuropa geschmuggelt - und so mancher Grieche verdient gut daran. Trotz Kritik und Vorurteilen leisten aber viele Inselbewohner Hilfe und auch die Inselverwaltung tut, was sie kann. Privat werden Kleidung und Spielzeug für die vielen Flüchtlignskinder gesammelt. In einem überdachten Durchgang, der zum Rathaus gehört, dürfen Neuankömmlinge erst einmal kampieren.

Notdürftiger Schutz vor dem kalten Wind
In einem Bericht der ARD sieht man, wie ein alter Grieche wortlos einer Familie eine Tüte mit Essen gibt. Er will keinen Dank - winkt nur ab. Später erzählt uns ein Freund: "Den Mann kenne ich, der hat selber nichts und ist arm. Trotzdem bringt er immer wieder Essen zu den Flüchtlingen, wenn er ein paar Euro übrig hat."

Viele Bewohner der Orte an der Ostküste von Chios sind mit ihren Nerven am Ende, aber trotzdem ist die Lage nicht aggressiv. Woran liegt das? Ein befreundeter Ladenbesitzer klärte uns auf: "Weißt Du, meine Großeltern kamen 1923 vom Festland, das heute die Türkei ist. Sie lebten in der Gegend der Hafenstadt Smyrna, die heute Izmir heißt. Nach dem der Krieg zwischen Griechen und Türken 1919-1923 verloren gegangen war, mussten tausende Griechen das Festland verlassen. Sie kamen mit nichts, als dem was sie tragen konnten, auf Chios an. Davon lebt zwar heute kaum noch jemand, aber die Erinnerung haben sie an ihre Kinder und Enkel weitergegeben. Das ist der Grund, warum hier viele Inselbwohner den Flüchtlingen helfen."

Zurück in Deutschland - Feiern bis zum Umfallen...


Am 3. Oktober kamen wir wieder zurück nach Stuttgart - Tag der Deutschen Einheit. In Stuttgart zogen die Massen auf das Volksfest am Wasen. Für uns ein Kulturschock: In der S-Bahn haufenweise junge Leute in bayerischer Tracht - im tiefsten Schwaben! Vorher wurde kräftig getrunken - auf dem Was´n ist´s halt teuer. Am Bahnhof Bad Cannstatt angekommen, von wo es auf das Festgelände geht, drangvolle Enge auf dem Bahnsteig. Neben mir kniet ein Mädel im Dirndl und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Wenige Meter später hat man eine Auffahrt zum Pissoir umgewidmet - es stinkt bestialisch.

Schön wieder im geordneten Deutschland zu sein, da wird auf Kommando gesoffen und das natürlich in 'Uniform'...


*Duden: Paranoia durch gesteigertes Misstrauen gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung mit Wahnvorstellungen