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Museumsführer Mitte 1970er | |
Mit dem Datum 1. September verbinden die meisten Menschen nur den Beginn des 2.Weltkrieges. In Vergessenheit geraten ist dagegen, dass am 1. September 1870 in Sedan die entscheidende Schlacht des deutsch-französischen Krieges 1870/71 stattfand. Die Niederlage und Gefangennahme Napoleons III. bedeutet das Ende des Kaiserreichs, aber auch den Beginn der Republik und des Volkskrieges gegen die deutschen Invasoren. Die 'Erbfeindschaft' prägte bis 1945 das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen - und damit auch meine Familiengeschichte.
ZDF- und Radio Bremen bei Arte
Zur 150-jährigen Wiederkehr brachte der deutsch-französische Kulturkanal Arte eine vierteilige Dokumentation. Drei Folgen wurden dabei vom ZDF beigesteuert, Radio Bremen lieferte einen Film über die Erforschung der damals gemachten Fotografien. Bemerkenswert war, das auf Arte keine Produktion aus Frankreich gezeigt wurde. Die ZDF-Serie erzählte die Geschichte des Krieges anhand von drei Zeitzeugen: Einer Pariserin, eines britischer Journalisten und eines deutschen Stabsoffiziers. Dabei scheint man beim ZDF immer noch der 'Schule' Guido Knopps mit "ZDF-History" zu folgen - Personalisierte Geschichtserklärung. Der Titel des ZDF-Dreiteilers orientierte sich eher an der heutigen 'deutsch-französischen Freundschaft' als an der Wirklichkeit anno 1870. "Der Bruderkrieg - Deutsche und Franzosen" erweckt den Eindruck, erst nach dem Krieg sei es zur 'Erbfeindschaft' zwischen Deutschen und Franzosen gekommen.
Die Wirklichkeit war wohl etwas anders, vor allem bei denjenigen, die Opfer der zwanzigjährigen Kriegszüge Napoleons I. bis 1815 gewesen waren. Nach der Besetzung Deutschlands durch seine Armeen, wurden die Einzelstaaten zu Vasallen des Korsen. Sie mussten tausende Soldaten für seine Feldzüge stellen - und die meisten kehrten nicht zurück. Auch die Bevölkerung litt unter der Besatzungszeit, sie wurde ausgeplündert. Nach der Niederlage Napoleons I. in Russland 1812: "gebar die deutsche Romantik Nationalismus und Völkerhass. Sie lehnte alles 'Welsche', alles Französische ab." (1) Der Dichter Ernst Moritz Arndt schrieb 1813: "Ich hasse alle Franzosen (...) Dieser Haß glühe als Religion des deutschen Volkes." (2) Die Einwohner Nordfrankreichs erinnerten sich ihrerseits daran, wie 1815 und danach vor allem preussische Soldaten dort gehaust hatten. (3) Eine Vorgeschichte, die in den TV-Filmen zum Krieg 1870/71 nicht vorkam.
Die ZDF-Serie belegte auch, wie vorsichtig man mit angeblich authentischen Fotografien umgehen sollte. Mit diesem Thema beschäftigte sich die Dokumentation von Radio Bremen. Im ZDF wurde mehrfach ein angebliches Bilddokument von 1870/71 gefallenen französische Soldaten gezeigt. Es handelt sich aber um gestellte Aufnahme, die Schlachtenmalern später als Vorlage dienen sollte. Dies enthüllte der Film von Radio Bremen, der einen Historiker bei der Erforschung der Fotografien des Krieges 1870/71 begleitete. Dabei hätte man schon als kritischer Beobachter erkennen können, dass das im ZDF mehrfach gezeigte Foto nicht echt sein konnte. Die Toten und ihre Uniformen waren unversehrt, sie wirkten wie Schlafende. Den Gesichtern fehlte die Leblosigkeit wirklicher Leichen. Diese zeigten die Fotografien aus dem Amerikanische Bürgerkrieg (1861-65), der erste umfassend durch Fotos dokumentierte Krieg der Neuzeit. Auf diesen Bildern sieht man die ungeschminkte Wahrheit des Krieges: Blut, Gefallene und Verweste. Anscheinend gibt es vom Krieg 1870/71 keine derartigen Bilddokumente. Auch der Historiker im RB-Film zeigte nur Tote, die in Paris nach der Niederschlagung der Kommune im Mai 1871 hingerichtet worden waren. Man hatte die Männer in Särgen aufgeschichtet und fotografiert, um sie später identifizieren zu können.
Es stellt sich die Frage, weshalb die Redaktion von Arte die Zuverlässigkeit der ZDF-Fotos nicht geprüft hat, die vermeintlich spektakulären Fotos waren den Verantwortlichen beim ZDF und Arte wohl wichtiger. Leider habe ich solche historischen Ungenauigkeiten nicht zum ersten mal auf Arte sehen müssen. https://medienfresser.blogspot.com/2017/11/arte-arbeitet-der-kulturkanal-mit.html
"Journal 1870/71" vom Süddeutschen Rundfunk (1970) nur bei youtube
Nicht gezeigt hat Arte einen Programmschatz aus den ARD-Archiven. Zur hundertjährigen Wiederkehr des Krieges hatte 1970 der damalige Süddeutsche Rundfunk (SDR) für das ARD-Fernsehen die siebenteilige Serie "Journal 1870/71" produziert. Was die Autoren damals beabsichtigten, schilderte Anfang der 2000er Jahre Rainer C. M. Wagner, einer der Serienautoren. Man habe versucht: "eine völlig neue Form zu finden. Helmuth Rompa, der 1965 zusammen mit Wilhelm Bittorf einen Dreiteiler über den „Amerikanischen Bürgerkrieg“ realisiert hatte, der junge Regisseur Achim Kurz und ich gebaren unter heftigen Gehirnstürmen die Idee, über das historische Ereignis so zu berichten, als habe es damals schon Fernsehen gegeben. Daraus wurde die Sendereihe JOURNAL 1870/71 – mit allen Mitteln der modernen Reportage, sämtlichen Fernseh-Formen und den damaligen TV-Größen im Bratenrock. Wir wollten die Identifizierung der Zuschauer mit bekannten Problemlagen bei gleichzeitigem historischen Abstand erreichen. Der dramaturgische Kniff dieser jeweils einstündigen schwarz-weiß Produktion, bestand in der Fiktion, es habe bereits während des Krieges gegeben." (4)
In den Folgen berichteten TV-Korrespondenten von den Schlachtfeldern und das war schon deshalb sehenswert, weil damals bekannte ARD-Journalisten vor der Kamera agierten, unter ihnen Gerd Ruge, Peter Scholl-Latour, Friedrich Nowottny, Rudolf Rohlinger Dagobert Lindlau, Georg Stefan Troller. Zusammen mit Schauspielern, die historische Personen darstellten, bot die Serie nicht nur bedrückend nachgestellte Bilder vom Krieg, sondern dazu auch Analysen der politischen Ursachen und Folgen des Konflikts. Mir blieb damals als Jugendlicher vor allem die Reportage Trollers aus Paris im Gedächtnis. Er beobachtete quasi 'live' vor Ort die Jagd auf die unterlegenen Kommunarden und die Erschießungen durch die enthemmten siegreichen Soldaten der Versailler Regierung.
Beim SDR-Projekt hat man sich 1970 an den damaligen Berichten über den Vietnam-Krieg in 'Tagesschau' und 'Weltspiegel' orientiert. Dazu dürfte das 1964 für die BBC produzierte 'Dokudrama' über die Schlacht bei "Culodden" von Peter Watkins die SDR-Macher inspiriert haben. Watkins Film war in einigen ARD-Dritten gezeigt worden, er hatte die letzte Schlacht auf britischem Boden (1746) zwischen der britischen Armee und Schotten nachstellen lassen. Die Akteure waren Laien, darunter viele Mitarbeiter der BBC und Watkins gelang damals eine schockierend realistische Darstellung des Gemetzels.
Aber warum gibt es das 'Journal 1870/71' in keiner ARD-Mediathek? Auf Nachfrage erklärte am 17.September 2020 eine ARD-Sprecherin in Köln, bei TV-Sendungen vor 1966 sei dies möglich, aber danach habe sich das Urheberrecht geändert: "Wenn wir (...) eine Dokumentation – zum Beispiel aus
dem Jahr 1970 – online stellen wollen, müssen die Rechte aller
urheberrechtlich Beteiligten nachgeklärt werden, d.h. die Beteiligten
müssten überhaupt erst einmal ausfindig gemacht werden und sie müssten
ihre Zustimmung erteilen. Der damit verbundene Aufwand
ist enorm." Dem fügte am 18.September eine Sprecherin des Südwestrundfunks (SWR) in Baden-Baden kathegorisch hinzu: "Leider
ist es uns aus rechtlichen Gründen nicht möglich, die Sendung in die Mediathek aufzunehmen." Dabei handelte es sich beim "Journal 1870/71" um eine Eigenproduktion des damaligen SDR, der später mit dem Südwestfunk zum heutigen SWR fusionierte. Sicher, die Recherche der Rechte für damals in der Serie verwendete Lithografien und Fotos dürfte aufwendig sein. Für andere Programmschätze in den Archiven von ARD und ZDF verheißt das aber nichts gutes. Schon peinlich, denn das Journal "1870/71" ist nicht nur spannend, es setzte bekannten ARD-Journalisten ein Denkmal.
Wie es auch sei, noch können interessierter Zuschauer die Serie - nicht vollständig und in schlechter Qualität - bei youtube abrufen. Immer noch sehenswert! Zur Pariser Commune: https://www.youtube.com/watch?v=-kAkE2mI1KY
2013 versuchte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) die Völkerschlacht von Leipzig (1813) mit einem ähnlichen Format zu reanimieren. Einen Verweis auf das 'Vorbild' der SDR-Serie gab es nicht. https://medienfresser.blogspot.com/2013/08/mdr-projekt-volkerschlacht-alter-hut.html
Familien-Erinnerungen
Mitte der 1970er Jahre besuchten mein Vater https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/erinnerung-karl-heinz-ressing.htmlund ich meine französische Großmutter, die unweit der belgischen Grenze in einem nordfranzösischen Dorf lebte. Dabei führte uns der Weg von Weinheim über Saarbrücken und Metz Richtung Le-Cateau und Lille-Cambrai. https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/verdun-eine-familiengeschichte.html Mein Vater, Jahrgang 1913, erinnerte sich an die Erzählungen seiner Eltern über den "Sedantag". Bis zum Ende des Kaiserreichs 1918 galt er als der nationale Feiertag des Kaiserreichs, die Weimarer Republik hatte ihn abgeschafft. Die Erinnerung an den Krieg 1870/71, war nach 100 Jahren ziemlich verblasst. Beim Besuch Saarbrückens fuhren wir auf die nahegelegenen Spicherer Höhen. Hier hatten die Truppen Napoleons III. am 6.August 1870 eine Niederlage erlitten. Mitte der 1970er Jahre kam man auf dem Weg zur 320 Meter hoch gelegenen Bergspitze auf halber Höhe zu einer Grenzstation mit Schlagbaum. Während nämlich der Hang zur Bundesrepbublik gehört, ist die Bergspitze französisches Staatsgebiet - heute fährt man einfach vorbei - damals konnte man noch kontrolliert werden. Wir aßen im typisch französischen Gasthaus Woll zu Mittag. An einer Wand hing eine Lithografie über den Kampf, denn das Gasthaus war 1897 direkt auf dem ehemaligen Schlachtfeld errichtet worden.
Unser Weg führte uns weiter nach Sedan kurz vor Erreichen der Stadt kamen wir durch das Dorf Bazeille. Ein Schild zeigte den Weg zum "Musée de la dernière Cartouche" - dem Museum der letzten Patrone. Ein langgestreckter Bau abseits der Straße, der als Museum nur durch ein altes Schild am Eingang zu erkennen war. Heute ist alles renoviert, Mitte der 1970er Jahre wirkte es marode und vergessen. Ein alter Herr führte uns durch die Räume, in denen französische Marinesoldaten das Haus und damit Sedan gegen Angriffe bayerischer Truppen verteidigt hatten. Als ihnen die Munition ausgegangen war, mussten sich die Franzosen ergeben, ein Ölbild zeigt den Moment, als ein Offizier die letzte Patrone aus einem Fenster abfeuerte. In den Wänden der Zimmer im ersten Stockwerk sah man noch alte Einschusslöcher. Hier ging einst das Kaiserreich Napoleons III. unter - im 2. Weltkrieg kam mein Vater als Wehrmachtssoldat im Mai 1940 nach Frankreich. Der Durchbruch der Nazi-Wehrmacht bei Sedan im Sommer 1940 besiegelte damals die Niederlage Frankreichs.
Heute pflegt man die Erinnerungen an den Krieg 1870/71 in Frankreich, wie etwa in der Festung Bitche an der Grenze Lothringens zu Rheinland-Pfalz. Die französische Besatzung der mächtigen Festung aus dem 17. Jahrhundert, hielt damals bis zum, Kriegsende im Februar 1871 der deutschen Belagerung stand. Viele Soldaten und Zivilisten, die in die Festung geflohen waren, kamen damals ums Leben. Heute kann man die Festung besichtigen, durch audiovisuelle Mittel wird versucht, dem Besucher einen Eindruck über das Leben unter Belagerung zu vermitteln.
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Der Turm der Hessen 1978
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Die beiden Grenzorte zur Pfalz im Nordelsass: Wissembourg und Woerth waren im August 1870 Schauplätze erbitterter Kämpfe, in denen Napoleons Armee zum Rückzug gezwungen wurden - der Anfang vom Ende des Empire. Noch heute gibt es hier die Besonderheit, das alte deutsche und französische Denkmale daran die Schlacht erinnern. Das Elsass war 1871 nach dem verlorenen Krieg vom Kaiserreich annektiert worden. Danach wurde etwa der große Aussichtsturm gebaut, der an die hessischen Truppen erinnern sollte. Unweit davon stehen Denkmale für die französischen Soldaten der Schlacht. In beiden Städten gab es in den 1970ern kleine Museen, die an die blutigen Ereignisse erinnerten. Damals wirkte das aber alles vergangen und vergessen, dabei war es erst knapp 30 Jahre her, dass das Elsaß wieder zu Frankreich gehörte.
(1) Katalog zur Ausstellung der Befreiungskriege im militärhistorischen Museum Dresden, S. 20.
(2) Ebenda S. 36
(3) Die Befreiungskriege in Augenzeugenberichten - Eckart Kleßmann, Karl Rauch Verlag, 1966, S. 342.ff
(4) Rainer C.M. Wagner in Bundeszentrale für Politische Bildung: Tele-Visionen, Fernsehgeschichte Deutschlands zur Stuttgarter Dokumentarfilm-Studie. online-pdf