Der 20. Juni 2017 sollte in Geschichtsbüchern als Ende des europäischen Humanismus im 21. Jahrhundert vermerkt werden. Der von der UN an diesem Datum ausgerufene Weltflüchtlingstag ist zum Symbol der Heuchelei geworden.
Volissos Juni 2017 |
Katzen: im Dutzend billiger! |
Was wir zu hören bekamen zeigte uns, wie eine Gesellschaft unter dem massiven Druck einer nicht Enden wollenden Wirtschaftskrise und der aussichtslosen Situation der Flüchtlinge schrittweise zerbricht. War vor drei Jahren noch die Einstellung unserer Freunde hauptsächlich von Solidarität und Mitleid für die Asylsuchenden geprägt, hörten wir diesmal oft ein Mix aus Vorurteilen und Ressentiments. „Der Islam will uns überrollen, das kann man doch überall sehen“, fürchtet sich eine Lehrerin, „Die Saison können wir völlig abschreiben, Touristen verlassen die Hotels, wenn dort Flüchtlinge wohnen und in ihren Räumen zu Allah beten“, behauptete ein Freund, der Zimmer auf der Insel vermietet. Noch vor einem Jahr hatte er nach einem Besuch des Flüchtlingslagers, in dem viele Kinder in Zelten im Schlamm leben mussten, spontan zwei Familien für einige Zeit in seinen Appartments untergebracht.
Ein Platz für Flüchtlinge?! |
Gesehen 2016 am Hafen von Chios |
Vielen Inselbewohnern dienen die Probleme mit den Flüchtlingen als Blitzableiter für die insgesamt verfahrene wirtschaftliche Lage und ihren Frust, da sich nichts bessert. Da wirkt es, wie Öl ins Feuer gießen, wenn vor allem junge männliche Flüchtlinge zunehmend aggressiv auftreten. Sie setzen sich per Faustrecht im faktisch rechtlosen Raum der Lager durch, es kommt zunehmend auch zu Konflikten mit Anwohnern. Die Flüchtlinge sehen Chios als Sackgasse auf ihrem Weg nach Nordeuropa, die Griechen fühlen sich von der Regierung in Athen und von den reichen Staaten Nordeuropas im Stich gelassen – und das zu Recht.
Aber mit den Wahrheiten ist das so eine Sache, so spricht kaum jemand darüber, dass mancher auf der Insel von der Lage auch profitiert: „Es gibt hier schon einige Hoteliers, die gut an den von EU, Frontex,
Polizei und UN entsandten Mitarbeitern verdienen.“ Einige Hotels waren im Winter gut gebucht, die Preise hatten das Niveau der Hauptsaison. Die Flüchtlinge müssen auch mit Essen und Trinken versorgt werden: "Viele Bäckereien machen guten Umsatz", räumt ein Gewerbetreibender in der Inselhaupstadt ein - Immerhin müssen täglich etwa 3500 Menschen versorgt werden.
Insgesamt geht es nicht allen Chioten schlechter: „Die wirtschaftliche Entwicklung der Insel hat sich eigentlich verbessert und der Fremdenverkehr spielt auf Chios, verglichen mit anderen Inseln der Ost-Ägäis, keine so große Rolle", betont eine Bekannte, die in der Branche arbeitet. Immerhin ist Chios als fünftgrößte Insel Griechenlands eine wohlhabende Region, viele der berühmten Reederfamilien haben hier ihre Wurzeln. Tausende Chioten wanderten im 20. Jahrhundert aus - vor allem in die USA und nach Australien. So mancher hat aber die alten Häuser der Familie auf der Insel behalten, im Sommer hört man an den Stränden einen Sprachmix aus Griechisch und Englisch. Vor allem ehemalige Seeleute verbringen ihren Lebensabend in der alten Heimat. Reiche Chioten bevorzugen die Nachbarinsel Inousses: "Da gibt es natürlich keine Flüchtlingslager" sagt unsere Freundin und lächelt vielsagend.
Insgesamt geht es nicht allen Chioten schlechter: „Die wirtschaftliche Entwicklung der Insel hat sich eigentlich verbessert und der Fremdenverkehr spielt auf Chios, verglichen mit anderen Inseln der Ost-Ägäis, keine so große Rolle", betont eine Bekannte, die in der Branche arbeitet. Immerhin ist Chios als fünftgrößte Insel Griechenlands eine wohlhabende Region, viele der berühmten Reederfamilien haben hier ihre Wurzeln. Tausende Chioten wanderten im 20. Jahrhundert aus - vor allem in die USA und nach Australien. So mancher hat aber die alten Häuser der Familie auf der Insel behalten, im Sommer hört man an den Stränden einen Sprachmix aus Griechisch und Englisch. Vor allem ehemalige Seeleute verbringen ihren Lebensabend in der alten Heimat. Reiche Chioten bevorzugen die Nachbarinsel Inousses: "Da gibt es natürlich keine Flüchtlingslager" sagt unsere Freundin und lächelt vielsagend.
Zerstören die Flüchtlinge den Tourismus?
Ruinieren die Flüchtlinge also den Fremdenverkehr auf der Insel, wie es manche unserer Freunde behaupten? Die Realität ist komplizierter:"Viele der Probleme des Tourismus auf Chios sind hausgemacht", betonen Insider. Mangelhaften Planung und Koordination, lange bevor die ersten Flüchtlinge kamen, bestimmten die Situation. Und hinter vorgehaltener Hand wird kritisiert, es säßen nicht unbedingt die fähigsten Leute an den
Schalthebeln der Tourismusverwaltung. Ähnliche Erfahrung machten auch wir bereits 2011 bei den Recherchen für unseren
Reiseführer (Müller-Verlag). „Die verschiedenen Machtgruppen der Insel wollen alle ein Stück vom
Kuchen und sie torpedieren lieber eine gute Idee, als dass ein Konkurrent mehr abbekommt,“ schimpft ein Vermieter, der die
Szenerie kennt. So wurden Stände auf Tourismusmessen in Deutschland gebucht, ohne
dass ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit vorlag. Nie war es möglich, dort Pressekonferenzen oder PR-Events zu organisieren, da in der Regel erst kurz vor Messebeginn geklärt werden konnte, ob Chios vertreten sein wird. Wir entdeckten mehr durch Zufall eine deutschsprachige Werbebroschüre der Tourismusverwaltung, deren Übersetzung wohl per google-translate vorgenommen wurde. Dabei waren wir dort bekannt, aber keiner bat uns um Hilfe. Diese Peinlichkeit konnte gerade noch vor einer Messe aus dem Verkehr gezogen werden, das Geld dafür war verschwendet worden.
Im Juni konnte man auf einem Onlineportal erfahren, dass ein Verantwortlicher der Inselverwaltung auf Kreuzfahrt-Tourismus als Einnahmequelle setzt. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Ein Schiff mit 4000 Touristen legt für acht Stunden im Hafen der Hauptstadt an. Das
wirtschaftliche Prinzip der Veranstalter lautet: Die Passagiere geben ihr Geld bei uns aus! Wer all-inclusive lebt, lässt bei einem Bummel in der Hauptstadt höchstens ein paar Euro
für einen Snack oder Souveniers hier. Einige Busunternehmen und Taxis machen den
schnellen Euro mit Touren zu den Sehenswürdigkeiten der Insel - zur Essenszeit am Abend sind
alle wieder brav an Bord. Dann legt
das Schiff ab und fährt zur nächsten Insel – sehr fraglich, ob von ihnen einer sein Herz für Chios entdeckt hat und wiederkommt. Vor ein paar Jahren
geisterte die Schnapsidee durch die Köpfe der politisch Verantwortlichen, einen
eigenen Groß-Anleger für Kreuzfahrtschiffe außerhalb des Hafens zu bauen – glücklicherweise wurde nichts daraus.
Das größte Problem für Touristen ist, dass der Flughafen zu
klein ist, direkt kann man die Insel aus Deutschland oder Österreich nicht anfliegen und das
hält Leute vom Besuch ab, wie ich auf Messen immer wieder zu hören bekam. Nun soll der Flughafen ausgebaut werden – aber
das löst nur eines der Probleme. Das Tourismuszentrum der Insel, der Ort Karfas,
ist eine chaotische Ansammlung von Hotelanlagen an einer Steilküste mit schmalem Sandstrand. Hier wurden Hotels und Appartementanlagen planlos an den Hang gesetzt. Am Strand verschandelt seit Jahren die Ruine einer
geschlossenen Großtaverne die Aussicht, daneben verrottet ein alter Bau, der
renoviert durchaus ein Schmuckstück sein könnte. Es gibt nur eine kleine
Strandpromenade, wer die Küste entlang wandern
will, muss auf die Fahrstraße ausweichen – es wurde nie ein regionalplanerisches
Gesamtkonzept entwickelt.
Aber es gibt Lichtblicke: Seit Jahren arbeitet ein befreundeter Grieche an den alten
Handelswegen, die noch aus byzantinischer und osmanischer Zeit stammen. "Das machen wir alles selbst mit Freiwilligen, auf die staatlichen Stellen darf man nicht setzen, denen geht es nur um ihre eigenen Interessen", wettert Georgios, der lange in Deutschland als Lehrer gearbeitet hat. Junge Leute nutzen die digitalen Medien, um für Chios zu werben, überall gibt es kulturelle Events für die Inselbewohner. Erstmals seit vielen Jahren wurde wieder in der Inselhauptstadt ein Kino eröffnet. Kulturelle Aktivitäten gibt es in den kleinsten Orten, sie entstehen oft auf Initiative einzelner. So wie bei der Lehrerin, die in Volissos mit gerade mal 300 Einwohnern ihre Schüler dazu brachte, das Molière-Stück: "Der Bürger als
Edelmann" einzustudieren und es dann auf dem Dorfplatz aufzuführen.
Spezielle Reiseagenturen und Anbieter von restaurierten Dorfhäusern werben um Touristen, die Ruhe, Natur und griechisches Lebensgefühl suchen. Diese Menschen sind es, auf die wir die Hoffnung setzen, dass Chios nicht zu einer Touristen-Fabrik wie Rhodos oder Kreta degeneriert. Aktuell hält man sich auf der Insel vor allem mit Besuchern der nahegelegenen Türkei über Wasser, per Fähre kommen vor allem Wohlhabende zu einem Wochenendtrip auf die Insel - seit ein paar Jahren findet man an Restaurants auch türkischsprachige Speisekarten. "Klar, der Putschversuch und Erdoghan haben die Situation nicht einfacher gemacht, aber ohne die Gäste vom Festland wären wie schon längst am Ende", sagt eine Tavernenbesitzerin im Süden der Insel. Stolz sind wir auf die Freunde, die sich trotz aller Angriffe weiterhin für Flüchtlinge engagieren - sei es als Anwalt oder als Betreuer eines Flüchtlingscamps.
Endlich wieder ein Insel-Kino |
Spezielle Reiseagenturen und Anbieter von restaurierten Dorfhäusern werben um Touristen, die Ruhe, Natur und griechisches Lebensgefühl suchen. Diese Menschen sind es, auf die wir die Hoffnung setzen, dass Chios nicht zu einer Touristen-Fabrik wie Rhodos oder Kreta degeneriert. Aktuell hält man sich auf der Insel vor allem mit Besuchern der nahegelegenen Türkei über Wasser, per Fähre kommen vor allem Wohlhabende zu einem Wochenendtrip auf die Insel - seit ein paar Jahren findet man an Restaurants auch türkischsprachige Speisekarten. "Klar, der Putschversuch und Erdoghan haben die Situation nicht einfacher gemacht, aber ohne die Gäste vom Festland wären wie schon längst am Ende", sagt eine Tavernenbesitzerin im Süden der Insel. Stolz sind wir auf die Freunde, die sich trotz aller Angriffe weiterhin für Flüchtlinge engagieren - sei es als Anwalt oder als Betreuer eines Flüchtlingscamps.
Europa muss aufhören wegzusehen!
Antihumanistischer Schutzwall Europas |
Die 12 Millionen Flüchtlinge und Millionen ‚displaced
persons’ die nach 1945 ins zerstörte Rest-Deutschland kamen, wurden auch nicht
mit offenen Armen empfangen. Aber damals herrschte überall Zerstörung und
Mangel. Und Heute? Die wirtschaftlich prosperierenden Länder Europas wählen die
Barbarei, um Menschen abzuhalten, die ihre Chance auf
Glück und ein menschliches Leben suchen. Die Banken und ihre faulen Kredite
sind für uns wertvoller, als Menschlichkeit.
Und wir sollten gewarnt sein, so wie unsere Gesellschaft und
ihre politischen Führer mit den Asylsuchenden umgehen, so machen sie es auch
mit den Armen im eigenen Land. Gerade das Beispiel Großbritannien zeigt, wie
sich reiche Gesellschaften gegenüber Schwachen auch ideologisch barbarisieren.
Bei uns terrorisiert das Hartz-IV-System die Ausgesonderten - aber wen kümmert es? Lieber macht man bei uns die Flüchtlinge für die Versäumnisse unserer Regierung verantwortlich. Griechenland, deren Reiche unverdrossen mit Hilfe internationaler
Banken ihre Schäfchen ins trockene bringen, ist überall!
FORTSETZUNG: https://medienfresser.blogspot.de/2017/10/chios-herbst-2017.html