Sonntag, 24. November 2019

Chios Herbst 2019 - Feiern und Ernten




In Griechenland wird jedes Jahr am 28. Oktober der sogenannte "Oxi" Tag  als ein wichtiger Nationalfeiertag begangen. Oxi bedeutet auf Griechisch: "Nein" - ausgesprochen "Ochi". Am 28. Oktober 1941 hatte Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini den griechischen Ministerpräsidenten Ioannis Metaxas aufgefordert, italienische Truppen ins Land zu lassen. Faktisch hätte dies die Besetzung und das Ende des Staates Griechenland bedeutet. Metaxas lehnte das Ultimatum ab und es kam zum Krieg, der zuerst für Italien katastrophal verlief. Erst die Hilfe Nazi-Deutschlands und Bulgariens zwang die Griechen in die Knie. Heute ist der "Oxi" Tag für alle Griechen ein Symbol der Unabhängigkeit und Wehrhaftigkeit. Er wird überall im Land mit Paraden und Tanz gefeiert. 



Auf der Insel Chios gibt es noch einen zweiten 'nationalen' Feiertag, den 11.November. Im Jahr 1912 wurde die damals zum Osmanischen Reich gehörende Insel von griechischen Truppen befreit. Die Bevölkerungsmehrheit stellten seit Jahrhundert Griechen, egal wer die Insel politisch beherrschte (Ostrom, Genua, Venedig, Osmanen). Es kam während der Befreiung im Epos-Gebirge, sowie im Norden der Insel zu Gefechten. Daran waren 2500 griechischen Soldaten und örtliche Milizionären beteiligt, denen etwa 1500 Soldaten und Gendarmen der Hohen Pforte gegenübertanden. Die osmanischen Truppen mussten sich der Übermacht ergeben und die Insel verlassen. Nach dem Ende des ersten Balkankrieges im Jahr 1913, in dem Griechenland, Serbien und Bulgarien das Osmanische Reich besiegt hatten, wurde Chios Teil des griechischen Königreiches. In der Folge verließen die muslimischen Bewohner und viele Juden die Insel: Heute erinnert noch die restaurierte Moschee in der Inselhauptstadt als Museum an das osmanische Erbe.





Überall auf Chios werden der 28. Oktober und der 11. November groß gefeiert - mit martialischen Paraden und vielen Fahnen. An der Hafenmole der Inselhauptstadt fährt ein großer Kranwagen auf, daran wird dann eine mächtige griechische Fahne hochgezogen. Ein deutlicher 'Gruß' an die nur acht Kilometer entfernte Türkei. Auch in kleinen Orten, wie dem im Nordwesten von Chios gelegenen Volissos werden die beiden Nationaltage gebührend gefeiert - frühmorgens mit einem Gottesdienst - später paradieren die Schulkinder unter dem Beifall der Einwohner durch den Ort. 

Schnell aber löst sich die strenge Marschordnung in Fröhlichkeit auf, wenn die Kinder und Jugendlichen beginnen, traditionelle Tänze der Region auf dem Dorfplatz aufführen. Das freut vor allem die älteren Bewohner und die anwesenden Eltern udn Verwandten. Ich fragte eine Freundin, die hier lange als Lehrerin gearbeitet hatte, woher die Kinder kommen: "Sie sind aus der gesamten Region Amani, darunter auch viele Kinder aus albanischen Familien - das ist hier ganz selbstverständlich." Nach den heftig beklatschten Darbietungen zogen viele Zuschauer in die nahegelegenen Tavernen, um beim griechischen Kaffee zu plaudern.  

Das flüssige Gold der Oliven 

 

Die Tage im November waren aber auch noch aus einem anderen Grund für die Region wichtig, die Olivenernte hatte nämlich begonnen. Unser Freund George nahm uns mit zu seinem Hain, mit vielen wilden Olivenbäumen. Sie sind kleiner als die gezüchteten Exemplare und sehen eher wie große Büsche aus. Das aus ihnen gewonnene Öl ist sehr säurearm, fruchtig-grün und aromatisch. George zeigte uns, wie die Wild-Oliven geerntet werden - eine anstrengede udn zeitraubende Arbeit! Während Oliven der gezüchteten und beschnittenen Bäume zumeist durch Schütteln der Äste und Bäume zu Boden fallen, schneidet George bei die vielen kleinen Äste des wilden Baumes ab. Dannn werden sie auf Netze gelegt und bei jedem die Früchte mit einer Handharke abgestreift. Sie müssen dann sofort gesammelt und noch am gleichen Abend in einer großen Ölmühle des Ortes gepresst werden. Dazu lud uns George ein und wir fuhren in der Dunkelheit zur großen Halle, vor der schon einige Bauern mit ihren Pickups warteten.

Wilde Oliven
"Ich werden meine Oliven als letzter heute pressen lassen", sagte George und grinste, denn die alteingesessenen Dorfbewohner verfolgen sein Experiment mit wilden Oliven eher skeptisch. Immerhin ist George aus Athen zugewandert, stammt also nicht aus Chios. In der Mühle war es sehr laut, was an der hier stehenden großen Maschine lag. Im ersten Schritt werden die in Säcken angelieferten Oliven gewaschen und von Blättern und Stielen gereinigt. Danach kommen sie horizontale Drehwerke, in denen sie zermahlen werden, damit das Öl austreten kann. Ganz zum Schluss wird das fertige Öl, wie bei einer Tankstelle, aus einem Zapfhahn in große Behälter abgefüllt. 

So sah eine Mühle früher aus
Jede Ladung der Bauern wurden gewogen, denn aus dem Gewicht errechnete sich der Preis für die Pressung, die an den Mühlenbesitzer gezahlt werden muss. Die große Mühle sei ais Italien importiert worden, erzählte George. Sie soll einen sechsstelligen Euro-Betrag gekostet haben. Neben dieser Ölmühle gibt es auf Chios noch einen zweiten Großbetrieb. Außerdem stehen in vielen Dörfern weitere kleine Mühlen. Zur Erinnerung an frühre Zeiten, hat man neben der großen Halle eine alte Mühle aufgebaut. So wurde früher mit den zwei rotierenden Mahlsteinen der Olivebrei für die Pressung erzeugt. Als wir ankamen, stellte uns Georg den anderen Bauern als seine Nachbarn vor, wir bekamen selbstgebackene Kekse und ein Gläschen Feigenschnaps (Zouma) zur Begrüßung. Der Zouma von Chios ist berühmt, überall in den Dörfern stehen große Feigenbäume. Zouma darf aber auf Chios nur für den privaten Gebrauch gebrannt und konsumiert werden. Deshalb bekommt man ihn weder abgefüllt in Flaschen im Laden, noch offiziell in den Tavernen der Insel. Fragt man allerdings danach, bekommt man Zouma im Glas oder  in einer Karaffe für Ouzo... 


Es war spannend, am Abend den gesamten Prozess, von der Anlieferung der Oliven bis zur Abfüllung des Öls mitverfolgen zu können. Bei George wurden aus den etwa 130 Kilo Oliven rund 12 Liter bestes Öl gepresst. Wir waren stolz und dankbar, dass er uns danach ein Fläschchen geschenkt hat - wundervoll grün und voller Geschmack mit einer leicht scharfen Note und kaum Säure - so soll Olivenöl sein. Klar, dieses Öl benutzten wir nur für Salat oder einfach auf frisches Brot geträufelt. 
In Griechenland versuchen mittlerweile Großunternehmen unabhängige Mühlenbetriebe aufzukaufen. Diese Strategie zur Monopolisierung hatte auf Chios zumindest, glücklicherweise noch keinen Erfolg. Befinden sich die Ölmühlen in einer Hand, so dürfte das für die Qualität keine guten Folgen haben. Schon heute erlaubt die EU, qualitativ mangelhaftes Olivenöl durch Raffinierung 'aufzuhübschen' und dann als vermeintlich gehaltvolles Öl in den Handel zu bringen und an Restaurans zu verkaufen. Dieses sogenannte Lampant-Öl schmeckt eigentlich nach nichts, dürfte aber imemr nmoch besser sein, als gefälschtes Olivenöl. Es wird aus einem Mix aus billigem Pflanezenöl, Pfeffer für den Geschmack und Spinat für die grüne Farbe gemixt und als Olivenöl verkauft. (Zu Lampant-Öl siehe auch: https://www.artefakten.net/olivenoeltaeuschungen-sind-eher-norm-als-ausnahme-und-warum-gesetzliche-regelungen-das-beguenstigen-und-legalisieren/





Nach den Wahlen sind wieder die alten Eliten am Ruder


Nach den Kommunalwahlen, die gemeinsam mit den Parlamentswahlen auf Chios stattfanden, sind die Vertreter der alten Eliten wieder ans Ruder gekommen im Inselrathaus. Bei der Fahrt über die Insel bemerkten wir an vielen Stellen neue Straßenschilder und Fahrbahnmarkierungen. Oft wirkte das eher willkürlich als sinnvoll und ein Freund meinte  daraufhin angesprochen nur sarkastisch: "Der neue Inselchef will so seinen Wählern zeigen, dass er was tut." Ähnlich hätten schon seine konservativen Vorgänger agiert, das bezeugen im karg besiedelten Nordwesten der Insel überdimensionierte Kreuzungen. Sie sind heller erleuchtet als der Inselflughafen. Nun ja, sinnentleerte Symbolpolitik mit Beton gibt es ja bei uns in Deutschland auch genug - von Stuttgart 21 bis zum BER-Flughafen..... 

Seit Jahren bemüht sich unser Freund Georg Chalatsis um den Erhalt und die Freilegung alter Handels- und Wanderwege auf der Insel. Zusammen mit Freiwilligen reinigt er sie von Gestrüpp und bringt Wegweiser für Wanderer an. Ein mühseeliges Unterfangen, Georg ist angesichts der Ignoranz der politisch Verantwortlichen mittlerweile müde geworden. Diese würden gerne Fördermittel für Wanderwege einsacken, dann aber nichts tun. Er habe daher aus eigener Tasche neue Wegweiser finanzieren müssen, merkt er bitter an. Die Verantwortlichen in den Gemeinden kümmerten sich nicht dauerhaft um die Pflege der Wanderwege, alles würde an den Freiwilligen hängenbleiben - und hier nehme das Engagement leider auch ab. Gerade deshalb freuten wir uns, seine neuen Schilder in der Region Amani zu sehen. Bald soll es eine Wanderkarte geben - versprach uns Georg zum Abschied. 

Wir besuchen nach drei Jahren erneut das einstige Lepra-Dorf, das nördlich der Inselhauptstadt versteckt in einem Tal liegt. Es wurde 1958 aufgegeben und verfällt seitdem. Zumindest zwei Schilder sind an der Einfahrt angebracht worden, sonst hat sich leider nichts getan, um dieses Kulturdenkmal vor dem Vefall zu retten. Immer noch zeugen neue Graffitis an den Wänden, dass niemand etwas zum Schutz des Geländes unternimmt. "Das Gelände gehört der Kirche", meint ein Freund entschuldigend und gleichzeitig voller Zorn. Das kann man auch sehen, denn zwischen den Verfallenden Häusern vom Anfang des 20. Jahrhunderts steht die renovierte orthodoxe Kirche. Insgesamt ein Symbol der Gedankenlosigkeit und Ignoranz der Verantwortlichen. (siehe auch meinen Blogeintrag)
https://medienfresser.blogspot.com/2015/05/chios-einstige-lepra-kolonie-muss-als.html


Neue Heimatmuseen in Dörfern


Heimatmuseum Volissos
Erfreulich ist, dass das Interesse an der eigenen Lokalgeschichte anscheinend wächst. So haben vor einem Jahr Einwohner von Volissos, darunter der inselweit bekannte Sattelmacher, ein kleines Heimatmuseum eröffnet. Es befindet sich in einer alten Wohnung am zentralen Dorfplatz, gegenüber der Taverne "Giaouzaki". Im ersten Stock ist das kleine Museum in einer Wohnung eines Altbaus untergebracht, die durch ihre typisch hohen Räume beeindruckt. Dazu eräuterte die ehemalige Lehrerin Mairy Kotsanaros: "Zwischen den Deckenbrettern hat man früher getrockneten Tang vom nahegelegenen Strand gesteckt. Das wirkte isolierend gegen die Wärme und Kälte." Sie kümmert sich um das Museum, spricht
Französisch und Deutsch. In den drei Räumen sieht man einige Trachten, die noch in den 1950er Jahren getragen wurden. Alte Flinten und Fotos erinnern an den Wiederstand gegen die Osmanen. Werkzeug berichtet vom dörflichen Alltag, das Prachtstück ist die alte Aussteuertruhe einer  Chiotin. Im Boden des Deckels befindet sich das Bild eines Dampf-Seglers aus dem 19.Jahrhundert. Über dem Schiff weht die Halbmond-Fahne des Osmanischen Reiches, damit stammt die Truhe noch aus der Zeit vor der Befreiung der Insel. "Viele der alten Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände haben wir in verlassenen Häusern gefunden, deren Besitzer gestorben sind", sagt Mairy. In Volissos sind in den letzten Jahren Künstler zu Gast gewesen, auch und gerade aus

der Türkei. In einem Sommer haben eineige die alten Türen verlassener Geschäfte bemalt. Der international bekannte Künstler Selim Birsel, hatte im Dorfmuseum eine kleine Ausstellung seiner Grafiken. Die meisten Läden in den alten Gassen stehen heute leer und verfallen, umso mehr freute uns, dass hier jetzt ein Geschäft für Design und Grafik eröffnet hat - es wirkt in der Umgebung allerdings etwas, wie vom Himmel gefallen. 



Erinnerung an Bürgerkrieg und Militärdiktatur


Die 'große Geschichte' fand auch auf Chios statt, etwa die deutsche Besatzung zwischen 1941-44. (https://medienfresser.blogspot.com/2014/12/chios-vor-70-jahren-endete-die-deutsche.html) Der Bürgerkrieg in Griechenland (1946-49) mit seiner Brutalität und den Opfern, ist immer noch ein Tabu - gleiches gilt für die Zeit der Militärdiktatur (1976-74). Umso erfreulicher fanden wir es, dass jetzt eine Gedenktafel im Kambos-Viertel an Opfer des Bürgerkrieges auf Chios erinnert. Sie informiert in griechisch und englisch über die Kämpfe im Kambos und steht neben dem Eingang zum Zitrus-Museum. 

Leider fanden wir am Museum der Hinweis, dass dieses Kleinod - ein Muss für jeden Inselbesucher - den Winter über geschlossen ist. Wir hatten uns so gefreut, im Garten des Museumscafes bei leckerem Kuchen und zwischen wohlgenährten Katzen das Panorama der Zitrusbäume genießen zu können. Ein Freund erzälte uns später, das einst von einer Initiative gegründete Museum werde mittlerweile von einem reichen Finanzier beherrscht, der bestimme was läuft. 

Alexandros Panagoulis (2. von links)
Oft saßen wir in Volissos einige Stunden lang in der Taverne "Giaouzaki", um am zentralen Platz, um das Kommen und Gehen zu beobachten. Interessant ist die
Gruppe alter Männer, die hier täglich beim süßen griechischen Kaffee sitzen und Klatsch und Tratsch austauschen - das ist bei Griechen beileibe nicht ein Privileg der Frauen! Kurz vor unserer Abreise entdeckte ich ein Plakat am Fenster der Taverne, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Auf einem alten Foto aus den 1960er Jahren war ein Gefangener vor einem Richtertisch zu sehen. Ich versuchte den Text zu entziffern und stieß auf den Namen Alexandos Panagoulis - das klingelte es in meinem Kopf. Ich erinnerte mich an das Buch der italienischen Schrifstellerin Oriana Fallaci: Ein Mann". Sie hatte über Panagoulis 1980 diesen Bestseller geschrieben. Er hatte während der Diktatur versucht, Junta-Chef Papadopulos durch ein Attentat zu töten. Der Anschlag misslang. Panagoulis wurde festgenommen, gefoltert und eingesperrt. Nach Ende der Diktatur kam er zwar frei, wurde aber kurz danach Opfer eines nie geklärten Verkehrsunfalls. Jetzt erinnerte man auf Chios in mehreren Veranstaltungen an den mutigen Mann, eine fand in Volissos in der Schule statt - leider erst am Tag unserer Abreise. 


...und zum Abschied ein Tornado


Ja diese Tage auf Chios hatten es wirklich in sich. dreieinhalb Wochen sonniges Wetter mit milder Wärme, ideal für Wanderungen und sogar das eine oder andere Bad in der Ägäis war noch möglich. 
Sonnenuntergänge erster Güte, Ruhe und Natur satt - so lieben wir die Insel, die seit über zehn Jahren zur zweiten Heimat geworden ist - und das liegt nicht zuletzt an den griechischen Freunde. Hier merken wir, wie wichtig Stille und Ruhe sind - in der Nacht hört man die Käuzchen und streitende Katzen - mehr nicht.
 
In der letzten Nacht krachte es dann aber doch noch, Platzregen und sogar Hagel knallten auf das Dach. Am Morgen fürchteten wir, es nicht rechtzeitig durch die Epos-Berge zum Homeros-Flughafen zu schaffen. Auf dem Abstieg vom Epos in die Inselhauptstadt konnte man weit hinüber in die Türkei blicken - die Küste schimmerte in der Morgensonne, während Chios unter einer schwarzen Wolkendecke Blitz und Donner ausgeliefert war. Wenige Kilometer bevor wir den Flughafen erreichten, sahen wir dicht vor der Küste einen Tornado, der sich in Richtung Landebahn bewegte. Was für ein Naturschauspiel - Chios hat sich wieder mal alle Mühe gegeben, uns zu beeindrucken...