Kaum hatte das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wegen der verweigerten Erhöhung der Rundfunkabgabe durch Sachsen-Anhalt abgewiesen, zeigen sich die ersten Auswirkungen. (1) Betroffen davon sind davon jetzt die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten. Am 15.Januar kündigte das Deutschlandradio (DLR), rückwirkend zum 1.Januar, die Tarifverträge. Dazu beruft sich die Anstalt sich auf das im Vertrag festgehaltene Sonderkündigungsrecht. Somit erhalten die Mitarbeiter nicht, die bisher ab April vereinbarte Gehaltserhöhung (+2.25%). Mittlerweile gibt es auch bei den anderen Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten (ARD) Überlegungen, dem Deutschlandradio zu folgen.
Wieviele Personen in diesem Fall betroffen wären, lässt sich nur schwer sagen, denn die offiziellen Zahlen über Planstellen bei ARD und ZDF schließen Freie - und Fest-Freie Mitarbeiter ebensowenig ein, wie Beschäftigte von Tochterunternehmen. Dazu kommt, dass hier nur Vollzeitstellen aufgelistet werden, Teilzeitkräfte werden so nicht erfasst. (2) Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstlaten (KEF) - hat in ihrem aktuellen 22.Bericht aufgelistet, dass die ARD (ohne Deutschlandradio) über 19.656 Vollzeitstellen verfügt, beim ZDF sind es 3.534, dazu kommen im gemeinsam mit Frankreich veranstalteten Kulturkanal Arte deutscherseits 41 Stellen. Das Deutschlandradio verfügt demnach über 628 Planstellen. (3) Der Zusammenschluss der Freienvertretung innerhalb der ARD bezifferte 2017-2019 die Zahl der Honorarkräfte auf über 11.800 , dazu kommen noch etwa 4.200 für das ZDF. Darin nicht enthalten sind privatwirtschaftliche Tochterunternehmen der Öffentlich-Rechtlichen (4)
Fazit: Nach Angaben der KEF arbeiten rund 42.000 Menschen bei ARD und ZDF, davon sind 58% fest angestellt. Dafür müssen die Öffentlich-Rechtlichen jährlich aus ihrem Etat 3,27 Milliarden Euro aufwenden (ohne Altersversorgung).
Rundfunkanstalten prüfen Kündigung - Gewerkschaften not amused
Nach der Kündigung des Tarifvertrages durch das Deutschlandradio, habe ich Mitte Januar die anderen ARD-Anstalten und das ZDF um eine Stellungnahme gebeten. "Das ZDF hält am laufenden Tarifvertrag fest und macht von dem darin enthalteten Sonderkündigungsrecht (...) keinen Gebrauch", teilte die Pressestelle am 15.Januar mit. Für die ARD erklärte am selben Tag ein Sprecher des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Köln: "Wir wollen Schaden vom Programm weitestgehend fernhalten. Die Tarifverträge schließen jeweils die Landesrundfunkanstalten mit ihren jeweiligen Tarifpartnern ab. (...) Eine ARD-weite Regelung gibt es nicht. Einige Landesrundfunkanstalten prüfen (...) die Option." Allerdings habe sich bereits der Bayerische Rundfunk (BR) entschieden, von einer Sonderkündigung abzusehen. Beim Südwestrundfunk (SWR) hieß es drei Tage später: "Der SWR gehört zu der Gruppe, die dies 'ernsthaft prüft'." Dort besteht Zeitdruck, da eine Sonderkündigung bis Ende Januar 2021 erfolgen muss. Laut
Mitteilung des djv vom 1. Februar verzichtet der SWR auf die
Sonderkündigung des Tarifvertrages, die Erhöhung der Einkommen ist damit rechtsgültig geworden.
Beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) prüfe man: "ob die Option der Sonderkündigung (...) für den NDR in Betracht kommt", so die Pressestelle am 20. Januar. Ähnlich hatten sich zuvor Radio Bremen (RB) und der Saarländische Rundfunk (SR) geäußert. Beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) teilte man am 18.Januar mit, der Sender befinde sich "dazu derzeit mit den Gewerkschaften im Gespräch, eine Entscheidung ist noch nicht getroffen." Ähnlich lautete die Antwort beim Hessischen Rundfunk (HR), zwar gebe es auch hier ein Sonderkündigungsrecht im Tarifvertrag, man habe aber noch Zeit bis zum Frühsommer, für eine Entscheidung.
Deutlich angefressen reagierte am 18. Januar Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV): "Nein, uns ist natürlich nicht bekannt, welche ARD-Anstalten mit dem Gedanken der Kündigung spielen. In solchen Fällen werden wir als Journalistengewerkschaft vor vollendete Tatsachen gestellt." Der Tarifsekretär Medien bei der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi-DGB), Matthias von Fintel betonte, man habe 2019 mehrjährige Tarifabschlüsse vereinbart, die Lohnerhöhungen in drei Stufen vorsehen. Dabei werde die letzte Stufe ab April 2021 wirksam: "In einigen Rundfunkanstalten ist diese dritte Erhöhungsstufe mit einem Sonderkündigungsrecht versehen", erläuterte der Verdi-Sprecher. Von einer Kündigung der Tarifverträge sind neben den Festangestellten vor allem die große Zahl der Honorarkräfte der Rundfunkanstalten betroffen. Die ARD-Freienvertretung habe sich damit noch nicht beschäftigt, erklärte dazu Christoph Reinhardt am 20. Januar auf Nachfrage. "Sollte z.B. mein Sender rbb (Radio Berlin Brandenburg) ebenfalls die Kündigungsoption ziehen (...) wären hier alle betroffen - die Mindesthonorare werden auf alle frei Beschäftigten (einschließlich frei-Freie) angewendet, nicht nur auf die Arbeitnehmerähnlichen." (4)
Abschließend stellt sich also die Frage, ob nun die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten den Preis für das vorläufige Scheitern von ARD und ZDF in Karlsruhe zahlen sollen. Vor allem, weil selbst nach einem Erfolg der Klage im Hauptverfahren, eine rückwirkende Erhöhung der Rundfunkabgabe ausgeschlossen sein dürfte. Das Verfahren könnte Jahre dauern "Sie könnten dann ja nicht rückwirkend die Haushalte dazu verdonnern, eine hohe Nachzahlung zu leisten", war aus einer Staatskanzlei zu vernehmen. Dort kritisierte man, die Rundfunkanstalten hätten sich für das Verfassungsgericht schlecht vorbereitet: "Die Ablehnung des Antrags von ARD und ZDF hätte bei uns in der juristischen Abteilung ein Volontär scheiben könne".
Nachtrag: Am 29. Januar meldete der Branchndienst Medienkorrespondenz (2/21), man könne noch in 2021 mit einem Urteil rechnen. Dafür spreche, dass die Richter in Karlsruhe den Parteien mit dem 15. Februar nur eine kurze Frist für ihre Stellungnahmen zur Klage der Rundfunkanstalten eingeräumt haben.
Wie dem aus sei, die Folgen tragen nicht alleine die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten, stark betroffen seien auch die freien Produktionsfirmen. Die Fremdfirmen unterliegen schon seit Jahren dem wachsenden Preisdruck ihrer Auftrasggeber. Viele Rundfunkanstalten lassen Aufträge wieder in ihren Häusern erledigen - oft durch billige Honorarkräfte - vor allem im technischen Bereich. Gerade in den Ost-Ländern könnte sich der Coup von Sachsen-Anhalt als standortpolitischer Bumerang erweisen, denn hier sind die Medienbetriebe fast vollständig von Aufträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abhängig.
Und wo bleibt das Positive? Das Deutschlandradio hat neben der Kündigung der Tarifverträge auch beschlossen, den Ausbau des digitalen Radionetzes (DAB+) zu verschieben. Ähnliche Überlegungen gibt es auch bei anderen ARD-Anstalten. Bereits 2016 hatte die KEF (20.Bericht) deutliche Kritik an der Digitalradiostrategie geübt. So habe bereits 1997 das Vorläuferprojekt DAB über 176 Millionen Euro gekostet, das Resümee der KEF: "verlief erfolglos". Das 2009 neu aufgelegte Projekt DAB+ würde bis 2028 die ARD rund 445 Millionen Euro kosten - das Deutschlandradio 235 Millionen. Obwohl der niedersächsische Landtag eine Einstellung des technisch überholten und von den Hörern nicht akzeptierte Digitalradioprojektes forderte, ist bisher nichts geschehen.... (5)
(2) In den Rundfunkanstalten arbeiten neben Festangestellten, sogenannte
Fest-Freie, das sind Honorarkräfte, die aber ähnliche Rechte wie
Festangestellte genießen. Diese Möglichkeiten haben Frei-Freie Mitarbeiter nicht - oft ist ihre Honorarhöhe pro Jahr
deutlich begrenzt (SWR 18.000 Euro im Jahr).
(3) 22. Bericht der KEF, Februar 2020 S. 111-119
(4) https://www.ard-freie.de/60-2
(5) https://medienfresser.blogspot.com/2019/07/dab-landtag-niedersachsen-fordert.html