Am 19. Juni 2019 hat der niedersächsische Landtag in Hannover einem Antrag zugestimmt, der die Landesregierung auffordert, die Finanzierung des digitalen Radiostandards DAB+ aus der Rundfunkabgabe zu beenden. Darüber hinaus solle sich die Landesregierung (SPD-CDU) gegen die Einstellung der UKW-Verbreitung aussprechen und gemeinsam mit den anderen Bundesländern ein abgestimmtes Konzept für die "digitale Radiozukunft" erarbeiten. Interessant an diesem Beschluss ist, dass alle Fraktionen des Landtages, also nicht nur die Opposition von AfD, Grünen und FDP dafür votierten, sondern auch die Regierungsfraktionen von SPD und CDU. Auslöser des Antrages war die vom Landesrechnungshof Niedersachsen im August 2018 in einem Bericht geforderte Beendigung des DAB+ Projektes. Die oppositionelle FDP hatte daraufhin einen Antrag im Landtag eingebracht, der im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen diskutiert und dann in geänderter Form einstimmig an den Landtag weitergeleitet worden war.
Im jetzt einstimmig verabschiedeten Antrag wird darauf hingewiesen, dass seit mehr als 20 Jahren Mittel der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren in DAB+ geflossen seien: "ohne dass sich das digital-terrestrische Radio bislang am Markt nachhaltig etablieren konnte." Dagegen würden Hörer zunehmend digitale Programme über das mobile oder stationäre Internet nutzen. "Dennoch sind durch das Festhalten an DAB+ alle Hörfunk-Anbieter gezwungen, in eine Technologie zu investieren, die nur für den Übergang dient."
Die Debatte am 19. Juni im Landtag zeigte Einigkeit der Fraktionen darin, dass DAB+ am Markt gescheitert und darüber hinaus nicht mehr zukunftsfähig sei. Deshalb müsse man sich "von der Förderung von DAB+ über die Rundfunkbeiträge verabschieden", sagte für die FDP Stefan Birkner.* Für seine Fraktion ist DAB+ eine "teure Übergangstechnologie (...) die nicht zielführend ist." Die FDP plädiert daher für einen Aufbau "zukunftsoffener Technologien, wie z.B dem 5G Standard."
Der SPD-Sprecher Alexander Saipa betonte: "dass hierzulande Radio von den Menschen überwiegend über UKW gehört wird." Außerdem habe sich DAB+ als nicht mehr ganz moderne Technik" bei den Verbrauchern nicht durchsetzen können. Nur 6% der Hörer würden vorwiegend über DAB Radioprogramme empfangen, 70% dagegen über UKW-Geräte."Ich finde, diese Zahlen können wir nicht ignorieren", meinte Saipa für seine Fraktion.
Der AfD-Vertreter, Christopher Emden, nutzte die Debatte, wie bei seiner Partei üblich, zum Generalangriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung. "Die Diskussion zeigt, wohin Rundfunkbeiträge führen können.(...) das zeigt wieder einmal, dass die Situation bei den Rundfunkbeiträgen heutzutage marktwirtschaftlich überhaupt nicht vertretbar (...) und für niemanden aufseiten der Zuhörer mehr akzeptabel sein kann." Er wandte sich gegen den "Rundfunkbeitragswahn". (zum Verhältnis AfD und öffentlich-rechtlicher Rundfunk siehe auch: https://medienfresser.blogspot.com/2017/05/afd-kulturzerstorer.html
Christian Meyer von den Grünen wies darauf hin, dass nach der Abstellung der UKW-Verbreitung in Norwegen die Radionortzung dort eingebrochen sei. Dort überlege man jetzt, zu UKW zurückzukehren. Die Gelder für DAB+ seien in Qualitätsjournalismus, Recherche und Vielfalt "deutlich besser angelegt."
Für die CDU machte es Clemens Lammerskitten kurz, für seine Fraktion seien: "UKW und DAB+ (...) Übergangslösungen", dagegen brächten Internet und Mobilfunk mit G5-Technik ein "zukunftsträchtiges Radio."
...und was folgt aus dem Landtagsbeschluss?
Seltsamerweise blieb die öffentliche Resonanz auf den eintimmigen Beschluss der Landtagsfraktionen in Niedersachsen überschaubar. "Offen gestanden verstehe ich das auch nicht so ganz", sagte am 3. Juli in Hannover der für Medienfragen zuständige Chef der Staatskanzlei, Dr. Jörg Mielke auf Nachfrage. Er räumte allerdings ein: "Die unmittelbaren Folgen sind überschaubar", da letztlich die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) den Geldbedarf der Öffentlich-Rechtlichen prüfe und nicht der Landtag. "Zum Thema DAB+ wird die niedersächsische Landesregierung im Rahmen der nächsten Sitzungen von Rundfunkkommission und Minsterpräsidentekonferenz aktiv werden" kündigte Mielke weiter an - aber: "Von Niedersachsen ausgehend, wird es kein medienpolitisches Beben geben." Die Kritik teilt Dr. Mielke: "DAB+ ist eine überholte Technik, die sich am Markt nicht durchgesetzt hat, eine Technik von Vorgestern, die mit Geldern von heute finanziert wird. Man darf aber schlechtem Geld nicht Gutes hinterherwerfen." Eine Abschaltung der UKW-Verbreitung sei nicht bürgerfreundlich, allerdings würden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten selbstständig über ihre technischen Investitionen entscheiden. Man werde jetzt mit dem Norddeutschen Rundfunk über die Sachlage sprechen. Vorrangig geht es der Landesregierung dabei um die anstehende Änderung des NDR-Staatsvertrages - DAB+ sei da nur ein Thema, betonte der Chef der Staatskanzlei.
Ob die geplante Änderung des Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrages bis zum Jahresende unter Dach und Fach kommt, ist man sich anscheinend in Hannover nicht sicher. So ist man wohl beim geplanten Index-Modell zur Rundfunkabgabe weit gekommen, aber immer noch stellen sich die Bundesländer mit FDP-Regierungsbeteiligung noch quer. Faktisch wird es erst im Herbst, nach den Landtagswahlen in den Ost-Bundesländern, eine Entscheidung geben. Gelingt die Reform nicht bis Jahresende, dürfte das Thema Neuorganisation der Rundfunkabgabe insgesamt vom Tisch sein - angesichts dieser Probleme ist DAB+ für die Politiker nur ein Nebenschauplatz.
....Krokodilstränen der Privaten - was will, die ARD?
Der Verband Privtater Medien VAUNET begrüßte den Beschluss des Landtages in Hannover als "richtungsweisend", so ihr Sprecher Klaus Schunk, Chef des Privatsenders Radio Regenbogen in Mannheim. Gegenüber dem Online-Dienst Meedia meinte Schunk optimistisch, der Beschluss werde über die Landesgrenzen hinaus Wirkung zeigen. Für ihn ist klar, DAB+ hat sich trotz langjähriger Werbekampagnen nicht durchgesetzt und liegt weit hinter den Möglichkeiten digitaler Verbreitung. Gegenüber dem Online-Mediendienst DWDL sagte Schunk, Radioprogramme müssten Individuell für einzelne Nutzer adressiert werden und unmittelbare Interaktivität sowie die Einbindung von Videos ermöglichen. Es geht also um die Vermarktung der Online-Radionutzung zu Werbezwecken. Mittels 'Targeting' wird jeder Onliner mit seiner individuellen Internetnutzung ausgewertet, um ihm dann speziell zugeschnittene Werbung auf der angeklickten Internetseite einzublenden. Das kann DAB+ nicht, denn die Technik verfügt über keinen Rückkanal. Die Privatradios setzen vermehrt auf die mobile Radionutzung per Smartphone und anderer Online-Empfangsgeräte, denn die Werbeindustrie sieht dort große Chancen.
Allerdings waren die kommerziellen Radioveranstalter nicht immer so Ablehnend gegenüber DAB+ hoffte man doch so zusätzliche Programme starten zu können. Die Begrenzung der UKW-Frequenzen setzt der Entwicklung des Kommerzfunks enge Grenzen, das versprach DAB und DAB+ zu beenden. Allerdings gefiel das nicht allen Privatfunkern, denn es drohte zunehmend Konkurrenz um den Hörer- und Werbemarkt. Mit der Entwicklung des schnellen Internets bot sich die Chance auf Online-Senderfamilien - Problem nur war der mobile Empfang. Durch den schnellen Ausbau des mobilen Internets scheinen diese Grenzen für Radio per mobilem Internet behoben. Jedoch noch im Oktober 2016 hatten die Privatfunker eine jährliche Subventionierung von 25 Mio Euro für die DAB-Verbreitung gefordert. Sie konnten und wollten die Kosten für die für auf Jahre nötige gleichzeitige Verbreitung ihrer Programme über UKW und DAB+ (multicast) nicht tragen. Daher forderte der VPRT - heute VAUNET - noch im Dezember 2016 eine DAB-Förderung in Höhe der Öffentlich-Rechtlichen Ausgaben - 500 Mio Euro für zehn Jahre. Jetzt scheint davon mehr die Rede zu sein - Online und 5 G lautet das Zauberwort. Dabei wissen die Radiomacher, der Ausbau des neuen Mobilfunknetzes wird lange dauern und vor allem Privatkunden werden 5 G wohl nur erst in Ballungsräumen nutzen können. Landesweite Radioprogramme werden auch weiterhin auf UKW und/oder DAB+ angewiesen sein. Sollten die Kommerziellen Veranstalter von den Kosten für die technische Verbreitung befreit werden - etwa durch Finanzierung aus der Rundfunkabgabe - dürfte das ihre Kritik am Digitalradiostandard wohl besänftigen.
...und nun?
Wahrscheinlich werden die ARD-Anstalten weiterhin auf DAB+ setzen, denn die meisten ihrer Radioprogramme sind werbefrei - Tendenz zunehmend, siehe WDR-Änderung. Die Privaten setzen zwar zunehmend auf die mobile Radionutzung per Mobilfunk, ermöglicht sie doch zielgenaue Werbung und erreicht vor allem jüngere Hörer. Gleichzeitig bleibt für Komerzielle wie die ARD aber UKW auf absehbare Zeit unersetzbar.
Siehe auch:
https://medienfresser.blogspot.com/2018/08/rechnungshof-dab-lieber-ein-ende-mit.html
https://medienfresser.blogspot.com/2018/05/digitalradio-dab-mit-ruckenwind-in-den.html
https://medienfresser.blogspot.com/2016/12/digitalradio-privatsender-wollen-500.html
https://medienfresser.blogspot.com/2016/07/digitalradio-wird-dab-vom-internet.html
https://medienfresser.blogspot.com/2016/03/digitalradio-muder-applaus.html
https://medienfresser.blogspot.com/2015/11/dab-wachst-sich-tot.html
https://medienfresser.blogspot.com/2014/03/kef-macht-druck-beim-dab-digitalradio.html
https://medienfresser.blogspot.com/2013/09/digitalradio-dab-weitere-subventionen.html
* Zitate der Debatt, Landtagsprotokoll 51. Plenarsitzung.
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