Mittwoch, 30. Juli 2014

Erster Weltkrieg - Medienkrieg Teil IV - Totaler Krieg




Im September 1914 war der Schlieffen-Plan gescheitert und die Westfront erstarrte im Stellungskrieg. Politiker und Militärs im Reich versuchten mit Durchhalte-Parolen der wachsenden Sehnsucht nach Frieden entgegenzuwirken. Auch die im Frühjahr 1916 gestartete Offensive bei Verdun war ein Mißerfolg. Ende August musste Erich von Falkenhayn den Posten des Generalstabschefs räumen. (1) Nachfolger wurden Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg mit Generalquartiermeister Erich Ludendorff als Stellvertreter (2).

Hindenburg-Ludendorff Bundesarchiv Bild 146-1993-132-12A

Die so geschaffene Dritte Oberste Heeresleitung (OHL) führte zu einer Militärdiktatur mit Ludendorff als treibender Kraft. Kurz zuvor hatte Oberst Freiherr Marschall, stellvertretender Chef des Militärkabinetts gewarnt, Ludendorff „werde (...) bei seiner Charakteranlage den Krieg bis zum Alleräußersten führen und nicht ruhen, bis das deutsche Volk völlig ausgesogen sei.“ (3)
  
Ludendorff ließ noch im August Pläne für die zentrale Steuerung der Kriegswirtschaft ausarbeiten. Das „Hindenburg-Programm“ sollte alle Ressourcen des Reiches für den Totalen Krieg mobilisieren. Im Dezember 1916 verabschiedete der Reichstag das „Gesetz über den Vaterländischen Kriegsdienst“, mit dem alle Männer zwischen 17 und 60 Jahren zur Arbeit verpflichtet wurden. Zuständig für die Kontrolle des Arbeitsmarktes waren die Militärs der Stellvertretenden Generalkommandos in den Ländern. (4) Wollte ein Arbeitnehmer den Arbeitsplatz wechseln, brauchte er dazu das Einverständnis des bisherigen Arbeitgebers. Ein paritätisch besetzter Schlichtungsausschuss entschied darüber in Streitfällen. "Damit wurden die Gewerkschaften erstmals als Sozialpartner angerkannt. (...) Im Gegenzug wurde das Streikrecht eingeschränkt." (5) Das Hindenburg-Programm sollte bis Februar 1917 eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Kriegsproduktion erreichen. (6) Für die Bevölkerung bedeutete es Mangelwirtschaft, Hunger und Not. Die hochfliegenden Pläne Ludendorffs scheiterten jedoch und hatten eine Aufblähung des bürokratischen Apparats zur Folge.



Mangelhafte Organisation


Eine zentrale Steuerung der Medien gab es bei Kriegsbeginn nicht, Zensur und Überwachung unterstanden der Kontrolle durch die Stellvertretenden Generalkommandos der Militärbezirke. Im August 1914 wurde ein „Merkblatt für die Presse“ herausgegeben, während die regionalen Behörden zusätzlich Ausführungsbestimmungen verteilten  (siehe auch Teil III dieser Serie). Obwohl im Kriegsfall das preußische Kriegsministerium für das Militär im Reich zuständig war, gab es mit Erhard Deutelmoser
Erhard Deutelmoser Bundesarchiv Bild 183 R04159



nur einen Pressereferenten. Das Reichsmarineamt und das Auswärtige Amt verfügten außerdem über eigene Pressedienste. Nach dem Krieg machte der einstige Chef des militärischen Geheimdienstes (Abteilung IIIB), Walter Nicolai (7), dafür den Reichstag verantwortlich. (8) Das Parlament habe 1913 bei der 'Großen Heeresvorlage' die Einrichtung einer zentrale Presseabteilung im Kriegsministerium abgelehnt. 

Bei Kriegsbeginn wurde improvisiert, man lud im August Journalisten zu einer „Sprechstunde“ in den Reichstag. Dort unterrichtete sie ein Offizier über die militärische Geheimhaltung im Kriegsfall. (9) Bald fanden zwei bis dreimal wöchentlich "Pressebesprechungen“ statt, an denen zwischen 50 und 100 Journalisten teilnahmen. Sie waren für Nicolai der „Mittelpunkt der amtlichen Auskunftserteilung“, aber „die (...) von vielen Stellen getrennt und darum verschieden ausgeübte Zensur führte sehr bald unerträgliche Zustände für die Presse herbei.“ Dabei hatte man zu Kriegsbeginn die Oberzensurstelle“ eingerichtet, die "allen politischen und militärischen Ressorts als ausführendes Organ in Zensurfragen zur Verfügung“ stehen sollte. Sie verfügte über keinerlei Befehlsgewalt gegenüber den Zensoren in den regionalen Generalkommandos. Daran änderte sich nur wenig, als im Herbst 1915 beim Kriegsministerium das „Kriegspresseamt“ eingerichtet wurde. Formell unterstanden ihm die Oberzensurstelle, sowie die Kontrolle der Korrespondenten neutraler Staaten und die später eingerichtete zentrale Propagandaabteilung. Leiter des Amtes wurde der Berufsoffizier Erhard Deutelmoser, er unterstand Nicolai - und damit direkt der OHL. Ab 1917 wurde Deutelmoser zum Ministerialdirektor und Wirklich Geheimen Legationsrat im Auswärtigen Amt, er leitete die Pressestelle und übernahm ab Herbst 1917 auch die Aufgabe des Pressechefs des Reichskanzlers.

 

Bis zum Sommer 1916 waren die Zeitungen voll "bürokratisch-militärischer Kriegspropaganda". Die Zensoren wollten die Leser belehren und damit die Öffentliche Meinung steuern. Erst mit der neuen OHL setzte eine "grundlegende ‚Modernisierung der deutschen Kommunikationspolitik ein, (...) weg von konservativen, hin zu radikalnationalistischen Denkfiguren. An die Stelle der Burgfrieden-Rhetorik rückte mehr und mehr das Postulat der Volksgemeinschaft.“ (10) Die Bevölkerung sollte auf die Losung: ‚Krieg bis zum Sieg’ eingeschworen werden und dazu bediente man sich zunehmend Methoden der klassischen Produktwerbung. 

Nicolai kritisierte nach dem Krieg: „Beschränkt auf die Leitung durch militärische Hand blieb dem Pressedienst aber der wesentliche, der politische Inhalt, versagt. Je mehr in der Heimat politische Strömungen die Oberhand gewannen, die dem Kampf entsagten, um so mehr geriet der militärische Pressedienst nicht nur vor unlösbare Aufgaben, sondern musste auch an den Zielen einbüßen zu denen er geschaffen worden war.“ Ihm dürfte das vorgeschwebt haben, was Joseph Goebbels erst 1933 mit dem "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" gelang - die zentral gesteuerte Öffentlichkeit in Deutschland.
 

Allerdings darf man nicht alles für bare Münze nehmen, was Nicolai nach dem Krieg schrieb. Er war als Chef des Geheimdienstes alles andere als ein unpolitischer Administrator. So war er 1917 federführend für den „Vaterländischen Unterricht“ der Soldaten verantwortlich. Damit sollten sie ideologisch auf 'Siegfrieden’ eingeschworen werden. Nicolai griff auch aktiv in die Politik ein, er stand 1917 hinter der Gründung der ultra-nationalistischen „Vaterlandspartei“, obwohl Soldaten eine Parteimitgliedschaft untersagt war. (11) Für ihren Erfolg war die "Unterstützung, die der militärische Propagandaapparat (...) gewährte“ ausschlaggebend. (12) "Ihr rechter Nationalismus mit einem antikapitalistischen Beigeschmack, ihre Ablehnung aller konstitutionhellen Reformen und ihr Eroberungsstreben spalteten die Gesellschaft (...)". (13) Die "Vaterlandspartei" erhielt außer staatlicher Unterstützung auch massive finanzielle Zuwendungen aus der Stahl- und Eisenindustrie. Dafür propagierte sie die Annexion belgischer und französischer Gebiete mit ihren reichen Kohlevorkommen. Im Juli 1918 war die "Vaterlandspartei" mit 1,25 Millionen Mitgliedern größer als die – mittlerweile gespaltene - SPD.



Zentral gesteuerte Öffentlichkeit - Ein Wunschtraum  

 

Für Ludendorff spielte Medien bei der Beeinflussung der Öffentlichen Meinung eine zentrale Rolle. Nach Nicolais Einschätzung sah dieser „die größte Gefahr (...) in einem ungünstigen Einfluß der Presse auf die Kampfkraft der Truppe und im weiteren Umfang auf den Kriegswillen der Heimat“. Ludendorff habe in Medien „in erster Linie eine Helferin zur siegreichen Beendigung des Krieges gesehen“. (14) 

Nach der Übernahme der OHL durch Hindenburg und Ludendorff, wurden viele Kompetenzen im Reich zentralisiert. Am 4. Dezember 1916 verabschiedete dazu der Reichstag das Gesetz über den Kriegszustand. Dem Kriegspresseamt hatte bisher die vollziehende Gewalt gegenüber den Zensurbehörden der Länder gefehlt. Jetzt fühlte sich die Oberzensurstelle im Aufwind und legte am 23. Januar 1917 eine Denkschrift vor. (15) Demnach "vermittelt" die „begutachtende Behörde“ an die örtlichen Befelhlshaber die Richtlinien der Obersten Heeresleitung und seines Kriegspresseamtes. Mit dem Gesetz sei endlich eine „mit vollziehender Gewalt versehene Zentralinstanz (Kriegsminister, als Obermilitärbefehlshaber)“ entstanden. Diese "wird geeignet sein (...) der Oberzensurstelle die rasche, durchgreifende Wirkung der bindenen Entscheidungen in Einzelfällen zur Seite zu stellen, die naturgemäß praktisch auch über den Einzelfall hinauswirken.“ 

Die Oberzensurstelle sollte "im besonderen Masse den Zwecken der Vereinheitlichung der Zensur“ dienen (Unterstreichung im Original). Diesem Zweck dienten regelmäßige Besprechungen mit den Leitern der Presseabteilungen der Kommandobehörden im Reich. Deren Aufgabe bestehe darin, "unmittelbare Fühlung mit der Presse ihrer Bereiche" zu halten, betont die Denkschrift. Bei den Treffen wurde von Vertretern der Regierung und des Militärs die gewünschte Sichtweise zu aktuellen Themen vorgegeben. Protokolle dieser Besprechungen gingen an die regionalen Generalkommandos und waren „Nur für den Dienstgebrauch. Nicht zum Aushändigen an die Presse“, gekennzeichnet (16). Darin finden sich genaue Anweisungen im Umgang mit den erhaltenen Informationen: „Die mit I. bezeichneten Mitteilungen können der Presse zur Verwertung weitergegeben werden. Die mit II. bezeichneten sind „zur vertraulichen Information der Presse bestimmt, von dieser also Geheim zu behandeln. Die mit III. bezeichneten sind nur für die Zensurbehörde bestimmt.“ (17)

Nach Erscheinen der aktuellen Ausgabe, mussten die Redaktionen mit Rügen und Strafen der Zensurbehörden rechnen. Es konnten Geldstrafen verhängt, oder das Erscheinen des Blattes für eine bestimme Zeit verboten werden. Eine "Vorzensur (...)besteht nach wie vor grundsätzlich nur für klar als solche zu Tage liegende militärische Angelegenheiten (...)." (Unterstreichung im Originalder Denkschrift). Wer als Redakteur glaubte, frei über alle anderen Themen berichten zu können, war im Irrtum. Die Oberzensurstelle legte nämlich nach: „Es muss daran festgehalten werden, dass die auf unendlich vielseitigen Gebieten heute bestehende starke Verknüpfung und gegenseitige Beeinflussung auf den ersten Blick getrennter Dinge eine allgemeine und klare Scheidung von militärischen, politischen und wirtschaftspolitischen Interessen ausschließt.“  Damit bekamen die Zensurbehörden einen Freifahrtschein für jeden Eingriff.

In der Realität funktionierte das in Berlin ausgetüftelte System zur Steuerung der Medien niemals wie geplant. "Bis 1918 verfügten weder die Oberste Heeresleitung (OHL) noch die zivilen Instanzen über ein Kontrollmittel für die Armeekorpsbezirke. (...) das Bemühen um eine zentral gesteuerte Informationspolitik hatte keinen durchschlagenden Erfolg. Das Kriegspresseamt stand stets hinter den regionalen Militärs zurück. " (18)


Berlin liefert Vorgaben


Den redaktionellen Alltag bestimmte der Heeresbericht, der täglich gegen 11 Uhr von der OHL herausgegeben wurde. Er ging zuerst per Funk an die Armeekommandos der verschiedenen Frontabschnitte. Die Presse durfte über den Kriegsverlauf auf Basis amtlicher- oder halbamtlicher Quellen berichten. Damit waren vor allem die Meldungen des „Wollf`schen Telegraphenbureau“ in Berlin gemeint. Sie mussten unredigiert von den Zeitungen veröffentlicht werden. Die Oberzensurstelle verbot die Kommentierung: "insbesondere kritische Betrachtungen über den Zweck, die Durchführung und die etwaigen Folgen der militärischen Operationen bleiben weiterhin untersagt." Der Heeresbericht erschien später mehrmals täglich und ab 1918 lieferte die Agentur Kommentare zur politischen Lage.



Die regelmäßigen Besprechungen in Berlin mit den Leitern der Pressestellen liefen nach einem einheitlichen Schema ab: Zuerst referierte ein Regierungsvertreter die Sichtweise des Reichskanzlers zu aktuellen Fragen. Danach kamen Ministerien und die OHL zu Wort, abschließend wurde die aktuelle Berichterstattung thematisiert - etwa der Umgang mit Gerüchten. (19)
Am 7. April 1915 erging die Aufforderung an die Presse, künftig keine Berichte über russische Greueltaten in Ostpreußen zu veröffentlichen. So wollte man "eine Beunruhigung im Deutschen Volke (....) vermeiden.“ Dabei hatte die deutsche Propaganda entsprechende Meldungen selber an die Presse im neutralen Ausland verteilt. So wollte man der internationalen Empörung über deutsche Greuel in Belgien und Nordfrankreich etwas entgegen setzen. 

Am 16 .Juni 1915 forderte das Auswärtige Amt von der deutschen Presse mehr Zurückhaltung gegenüber den damals noch nicht am Krieg beteiligten Vereinigten Staaten. Deren Neutralität habe "eine gewisse Bedeutung für uns, (...) auch weil es zur Zeit den größten Teil der belgischen Zivilbevölkerung ernährt. Würde Belgien uns zur Last fallen, so wäre es fraglich, ob die Ruhe dort noch so gewährt werden könnte, wie bisher." 

Am 1. Mai 1916 gingen erstmals tausende Arbeiter in Berlin für Frieden und gegen den Krieg auf die Straße. Der SPD-Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht sprach zu den Arbeitern und rief: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ Darauf hin wurde er verhaftet und wegen Hochverrat am 23. August 1916 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der 'Burgfrieden' zwischen Arbeiterführern und Regierung wankte, Arbeiter solidarisierten sich mit Liebknecht. Die Zensurbehörden warnten im November 1916 beunruhigt vor Flugblättern, die zur Solidarität mit Liebknecht aufriefen:
 
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart,  M 77/1 Bü 435
 

Der zunehmdenen Unruhe und Forderungen nach Frieden griffen auch auf bürgerliche Kreise über. Dieser Entwicklung wollte die neue OHL etwas entgegen setzen und verfügte am 28. November 1916 die „Freigabe der Kriegszielerörterung“. Angesichts des Erfolges gegen Bulgarien hoffte man, auf eine positive Stimmung für einen 'Siegfrieden'. Diese 'Erörterung' bedeutete aber keine offene Debatte, in der Denkschrift der Oberzensurstelle wird festgehalten, es sei nur eine "sachliche Erörterung“ erlaubt und keinesfalls die "Beeinflussung der militärischen Kriegsführung“. Vor allem durfte „die oberste Heeresleitung nicht in den politischen ‚Meinungskampf’ hineingezogen werden. (Unterstreichung im Original). Tabu blieben der Uneingeschränkte U-Boot- Krieg' und der 'Burgfrieden' . Gerade diesen galt es im „Geist der Geschlossenheit und Hingabe an die grossen nationalen Ziele zu erhalten, jede Gefährdung der Einheit des deutschen Volkes zu vermeiden und niemals den Eindruck aufkommen zu lassen, als sei der entschlossene Volkswille zum Siege schwankend geworden.“ An der Propagierung des Siegfriedens' als einzig erlaubter Lösung änderte sich nichts.


Nach der russischen Februar-Revolution 1917 wurde vom Kriegspresseamt am 19. März die Devise ausgegeben: „Wir haben keinerlei Anlass, in unserer Presse die Personen des neuen Regimes herunterzureißen und von vorneherein alle Fäden zu ihnen zu zerschneiden. Im Gegenteil, wie müssen die Verständigung auch mit ihnen, ohne solche Versuche jedoch erkennen zu lassen, immer offen lassen.“ 

Auf die Machtübernahme der Bolschewiki am 11. November 1917 reagierte man einen Tag später: die Maximalisten“ genannten Bolschewiki hätten bisher die Macht nur in einigen Städten übernommen. „Aus dem Friedensmanifest ergibt sich, dass die Maximalisten es mit dem Abschluss des Friedens außerordentlich Eilig haben.“ Gut sechs Wochen später, am 31. Dezember 1917, warnte der Pressechef des Reichskanzlers, die Bolschewiki setzten bei ihren Verhandlungen mit Deutschland auf „eine innere Spaltung bei uns(...).“ Deshalb sei es „dringend erwünscht, dass die deutsche Presse keinerlei Zeichen der Schwäche oder Neigung zeigt, von deutschen Forderungen zurückzuweichen.“



Bis Mai 1918 wurden im Reich 174 Zeitungen ganz, oder für mehrere Tage verboten. (20) Insgesamt gesehen befolgten aber die bürgerliche Presse wie die Zeitungen der Mehrheits-SPD die Zensurvorgaben aus Berlin. Die Denkschrift kam deshalb zu dem beruhigenden Ergebnis, die Vorgabe der Oberzensurstelle würden: „wohl meist von der Presse durchaus willkommen geheissen“

      (1)   Olaf Jessen, Verdun 1916, C.H.Beck-Verlag, 2014.

(2)   https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Ludendorff

(3)   Jessen, a. a. O, S. 322

(4)   Landesarchiv Baden-Württemberg – Hauptstaatsarchiv https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=5771

(5) Daniel Marc Segesser, Der Erste Weltkrieg in globaler Perspektive, Marix-Verlag, 2013, S. 156 ff 

(6) Siehe Anmerkung 2

(7)   https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Nicolai_(Geheimdienstoffizier)


(8)  Walter Nicolai: „Nachrichtenwesen und Aufklärung“ in „Der Weltkampf um Ehre und  Recht“, Hrsg. Generalleutnant Max Schwarte, 1921.

(9)  „Unter eins, unter zwei, unter drei“, Professor Marco Althaus in Politkommunikation Juli-August 2013, S. 52 

(10) Oliver Janz, Der große Krieg, Campus Verlag 2010, S. 228
(11) Hew Strachan, Der Erste Weltkrieg, C.Bertelsmann, 2003, S. 334
(12) Gordon A. Craig, Deutsche Geschichte 1866-1945, 1999 Beck-Verlag, S. 417 ff
(13) Strachan, a.a.O. S. 334

(14) Siehe Anmerkung 8
(15) Denkschrift Nr 17793, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

(16) "Aufzeichnungen", Ausgabe 316 vom 29.11.1917, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

(17) Jeder Volontär lernt heute noch die drei Kategorien im Umgang mit Quellen: „unter eins“, „unter zwei“ und „unter drei“. Für Erstere gilt – darf mit Angabe der Quelle zitiert werden. Bei „unter zwei“ darf die Information zwar veröffentlicht, aber keine Quelle genannt werden ("Aus Kreisen wurde bekannt") Eine Information „unter drei“ bedeutet: Darf auf keinen Fall veröffentlicht werden, dient nur dem Hintergrundwissen. https://de.wikipedia.org/wiki/Unter_drei

(18) Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich, Der große Krieg, 2010, Klartext-Verlag, S. 92

(19) Siehe Anmerkung 16
(20) Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora, Beck-Verlag 2014, S. 584 

Donnerstag, 17. Juli 2014

Herfried Münkler - Germans to the front!


Wer Krieg als Mittel der Macht einsetzen will, der braucht - zumindest in demokratischen Gesellschaften - die Zustimmung der Bevölkerung. Nach zwei Weltkriegen, ausgelöst durch deutsche Regierungen, hält sich die Begeisterung für militärische Abenteuer bei uns noch in Grenzen. So kann Deutschland aber in der globalen Politik keine wichtige Rolle spielen und deshalb schlägt die Stunde der Ideologen. Wir sollen wieder Wehrhaft werden und diesem Ziel dient die aktuelle Debatte über die Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Mit seinem Buch "Die Schlafwandler" hat Christopher Clark die alte Mär vom "hineinschlittern" aller Regierungen in den Krieg erfolgreich wieder aufgewärmt. Unabhängig davon, ob er dies beabsichtigt hat, Clark entschuldet die aggressive Politik des Deutschen Reiches. Damit spielt er denen in die Karten, die heute ein verstärktes militärisches Engagement Deutschlands in der Welt fordern.

Ganz vorne agiert der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler. Aktuell vesucht er Gegner der Flugdrohnen als "Stechschrittpazifisten" (Stuttgarter Zeitung, 15. Juli 2014) zu dikreditierten. Er nutzt dabei die klassischen Tricks der Feind-Propaganda: Gegner lächerlich machen und moralisch abwerten. Wie wär´s mit 'Friedens-Ajatollahs', 'Fundi Pazifisten' oder 'Anti-Kriegs-Hetzer'  


Die Linke und ihr Widerstand gegen die Drohnen sind für Münkler altmodisch, sie agierten gedanklich in einem Bereich "den es in dieser Weise gar nicht mehr gibt - nämlich bei den klassischen zwischenstaatlichen Kriegen". Heute gehe es aber um "das Sich-fit-Machen im Rahmen dessen, dass Militär zunehmend verpolizeilicht wird". Orwellsches Neusprech a la Münkler: Soldaten zu Fittnes-Trainern, Trommelfeuer zu Polizeiaktionen.

Wo sieht Münkler den Feind?


"Die ökonomische Prosperität als wichtigste Machtressource Deutschlands hängt nicht nur am Frieden in Europa, sondern auch an der politischen und sozialen Stabilität der europäischen Peripherie. Die größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird nicht in der Gefährdung von Grenzen durch feindliche Militärverbände, sondern im Überschreiten dieser Grenzen durch gewaltige Flüchtlingsströme bestehen, die, wenn sie massiv auftreten, nicht der wirtschaftlichen Prosperität Europas zugute kommen, sondern die sozialen Sicherungssysteme der europäischen Staaten überfordern und damit die soziale Ordnung in Frage stellen.

Gleichzeitig ist Europa infolge einer Wertbindungen nicht in der Lage, diese Flüchtlingsströme an seinen Grenzen zu stoppen und zurückzuweisen, wie man dies bei einem militärischen Angriff versuchen würde. Also bedarf es einer präventiven bzw. präemptiven Stabilisierungspolitik in der europäischen Peripherie, die verhindern soll, dass solche Flüchtlingsströme infolge ethnischer bzw. religiös-konfessioneller Auseinandersetzungen, wirtschaftlichem Elend sowie der damit verbundenen Perspektivlosigkeit oder aber machtpolitischer Rivalitäten in der Region entstehen.
Das ist eine gewaltige Aufgabe, da sie sich auf einen Halbkreis bezieht, der inzwischen in der Ukraine beginnt, sich über den Kaukasus sowie den Nahen und Mittleren Osten nach Ägypten erstreckt und von dort bis in den Maghreb reicht, wobei die Probleme des subsaharischen Afrikas zusätzlich noch dazukommen."  (1)

Unsere derzeitige "Wertbindung" ist also Schuld, dass wir die Flüchtlinge nicht alle ins Meer werfen oder mit Schüssen zurücktreiben können. Deshalb müssen wir in ihren Heimatländern intervenieren - Kolonialimus 2.0. An das Volk geht die Parole: Will Deutschland den 'Platz an der Sonne' weiter behalten, muss es sich vor den Armutsflüchtlingen schützen. Globalisierung und ungerechte Verteilung? Kein Thema, jetzt muss gehandelt werden, Soldaten in Schwarz-Rot-Gold sollen an den Brennpunkten für Ordnung sorgen. 

Anno 1900 lautete beim Boxeraufstand in China die Devise des Kaisers: "Germans to the front" und Wilhelm II. forderte in seiner berüchtigten Hunnen-Rede auf, keine Gefangenen zu machen. Im 21. Jahrhundert ist die Politik vorsichtiger geworden, unter Rot-Grün - Schröder/Fischer - gab 2002 der SPD-Verteidigungsminister Peter Struck die Parole aus: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Die Folgen konnte man nach dem Bombardement in Kundus sehen. Kein Schreibtischtäter fragt nach Opfern, weder die traumatisierten Kriegsheimkehrer, noch die Zivilbevölkerung vor Ort. 
 
Und was hat das mit der Debatte über die Verantwortung deutscher Politiker am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu tun? Professor Münkler äußerte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung beeindruckend offen (4.Januar 2014):
Frage: Was bedeutet eigentlich für Deutschlands Identität, wenn die Alleinschuld-Theorie nicht zu halten ist?
Münkler: Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen.

Frage: Sie meinen, Deutschland sei gefangen in einem Geschichtsbild, dass es schon 1914 die Welt ins Unglück geritten hat
Münkler: Wir neigen außenpolitisch zu dem Gedanken: Weil wir historisch schuldig sind, müssen, ja dürfen wir außenpolitisch nirgendwo mitmachen; also kaufen wir uns lieber frei, wenn es darum geht, an den Krisenrändern zu stabilisieren.

Volker Ullrich ("Die nervöse Großmacht") kommentierte am 16. Januar 2014 in der 'Zeit' den Versuch, die deutsche Kriegsschuld aus der Welt zu schaffen: "Dieser Wunsch scheint umso übermächtiger zu werden, je mehr Deutschland aufgrund seiner ökonomischen Stärke eine führende Rolle in Europa spielt." 

Münkler steht nicht allein, seit Jahresbeginn trommeln das Auswärtige Amt, Bundespräsident Joachim Gauck und die CDU-nahe 'Stiftung Politik und Wissenschaft' , um in der Bevölkerung Zustimmung für militärische Interventionen zu erreichen. (2) Dem steht noch die Erfahrung vieler Menschen an den Zweiten Weltkrieg und sein Elend entgegen. Aber diese Generation verschwindet biologisch. Selbst Helmut Kohl (Jahrgang 1930) mit seiner schauderhaften "Gnade der späten Geburt", wäre vor einer solchen nassforschen Politik zurückgeschreckt. 

Unbekümmert von geschichtlichen Katastrophen werkelt die politische Jeunesse Dorée in Berlin an neuen Instrumenten, die im schlimmsten Fall einen erneuten "Griff zur Weltmacht" heraufbeschwören könnten. Währenddessen steigt in den Ländern der Europäischen Union die Abneigung gegen die Dominanz Deutschlands. Und wir? Merken wieder mal nix! Hauptsache: "Wir sind Weltmeister" . Da fällt man beim Public-TV unangenehm auf, wenn die Nationalhymne nicht mitgesungen wird. 1914 - 2014   

(1) http://www.review2014.de/de/aussensicht/show/article/die-gefaehrliche-kluft-zwischen-schein-und-tun/pages/4.html
(2) "Kurs auf die Welt", Die Zeit, 6. Februar 2014