Dienstag, 1. Dezember 2020

Rundfunkabgabe: CDU-Sachsen-Anhalt pfeift auf Rundfunkfreiheit

Eigentlich müsste die für 2021 geplante Erhöhung der Rundfunkabgabe aller Haushalte auf monatlich 18,36 € (+86 Cent) in trockenen Tüchern sein, da die Ministerpräsidenten der Länder den Staatsvertrag bereits unterzeichnet haben. Diesem müssen aber noch die Länderparlamente zustimmen und dies nutzt jetzt die CDU in Sachsen-Anhalt unter Ministerpräsident Reiner Haseloff, zur populistischen Profilierung. Der Vorgang eröffnet einen Blick darauf, was man in der Union in Magdeburg von der verfassugsrechtlichen Freiheit des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hält. Hier geht es weniger um die paar Cent mehr, sondern um Standortförderung und eine regierungsfreundliche Berichterstattung. Dies erklärt, warum die jahrelangen Verhandlungen der Länder um die Koppelung der Rundfunkabgabe an die allgemeine Preisentwicklung scheitern mussten. Damit hätten die Landesherren und die Parteien ihr zentrales Druckmittel auf ARD und ZDF aus der Hand gegeben

So monierte der medienpolitische Sprecher der Union in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze, laut Stuttgarter Zeitung (1.12.20) eine vielfach einseitige und negativ verzerrte Berichterstattung von ARD und ZDF und eine ungenügende Ansiedlung zentraler Einrichtungen der ARD im Osten. Noch deutlicher machte der CDU-EU-Abgeordente Sven Schulze aus Sachsen-Anhalt die Stoßrichtung. Er hatte im Zusammenhang mit einer von ihm kritisierten Satire in der ARD gesagt: "Nicht nur deshalb ist es richtig, daß die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht kommen wird. Die CDU in Sachsen-Anhalt wird das verhindern."  (Online-Branchendienst dwdl 19.8.20) Das macht deutlich, worum es der CDU in Magdeburg wirklich geht: Geld gibt es nur bei genehmer Berichterstattung plus Standortförderung. Das die Koppelung der Rundfunkfinanzierung an politische Forderungen verfassungsrechtliche Fragen der Rundfunkfreiheit tangiert - ist anscheinend in Magdeburg egal. Dabei hatten ARD und ZDF am 13. November auf einer Anhörung des Landtagsausschuss in Magdeburg Zugeständnisse angeboten (Medienkorrespondenz, 20.11.20)  Demnach werde das ZDF die zweite Stafffel einer Krimiserie in Halle an der Saale realisieren. Darüber habe die gemeinsame Digitalagentur von ARD und ZDF am Standort Leipzig ihren Sitz. Die Union im Osten hatte wohl einen fetteren Happen im Visier. Wochen zuvor kursierte das Gerücht, man habe für eine Zustimmung zum Staatsvertrag den Umzug der ARD-Fiction-Tochter Degeto aus Frankurt am Main in den Osten gefordert. 

Die Dreistigkeit, mit der die CDU in Magdeburg ihre Standortinteressen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchsetzen will, zeugt von einem sehr bedenklichen Verhältnis zur verfassungsrechtlich gesicherten Rundfunkfreiheit - zu der auch eine von politischen Forderungen unabhängige Finanzierung gehört. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinen Urteilen 1994 und 2007 zur Rundfunkfinanzierung entschieden, eine Ablehnung der Beitragserhöhung sei nur im Rahmen der Rundfunkfreiheit (Art 5 Grundgesetz) zulässig. Darauf hatte schon im November der Medienrechtler Bernd Holznagel bei der Anhörung im Medienausschuss des Landtags in Magdeburg hingewiesen (Medienkorrespondenz 4.12.20). Demnach sei die vorgeschlagene Erhöhung um 86 Cent, gegenüber den von ARD, ZDF und DLF geforderten 1,75€ moderat ausgefallen. "Eine unangemessen Belastung der Beitragszahler" könne man so "nicht begründen", betonte Holznagel. Die von der CDU/SPD/Grüne Koalition in Magdeburg vereinbarte Beitragsstabilität über Jahre widerspreche der verfassungsrechtlichen Finanzierungsgarantie des Rundfunks. Einsparpotentiale seien bereits durch die unabhängige Kommission (KEF) beim Vorschlag zur Erhöhung berücksichtigt worden. 

Der Versuch der Union in Magdeburg die Standortförderung durch die Öffentlich-Rechtlichen zu erzwingen, würde ARD und ZDF viel Geld kosten. Das diese Denkart kein Einzelfall ist und auch nicht auf den Osten der Republik beschränkt, zeigt der Südwestrundfunk (SWR) . Im Jahr 1998 waren der Südwestfunk (Baden-Baden und Mainz) und der Süddeutsche Rundfunk (Stuttgart) zum Südwestrundfunk SWR fusioniert. Dem dazu nötigen Staatsvertrag waren lange Verhandlungen zwischen den Landesregierungen in Stuttgart (CDU) und Mainz (SPD) vorangegangen. Dabei war es um Standorte und das Führungspersonal gegangen. Am Ende entstand ein aufgeblähter Direktions- und Produktionsapparat, verteilt auf die drei Standorte. Im SWR kursierte der Witz, die Direktoren und ihr Tross würden mehr Zeit auf der Bahn und im Auto verbringen, als an ihren Schreibtischen.

Altbekannte CDU-Strategie

 
Die West-Alliierten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg verhindern wollen, dass erneut ein zentraler Staatsfunk entsteht. Sie entschieden sich für ein Modell, das der britischen BBC entlehnt war, denn ein kommerzielles Rundfunkmodell, analog zu den USA, war im wirtschaftlich zerschlagenen Nachkriegsdeutschland kaum realisierbar. Also wurden in den Besatzungszonen dezentrale Rundfunkanstalten eingerichtet, das erklärt, warum Radio Bremen (US-Hafen), der Saarländische Rundfunk (französische Verwaltung) und SWF und SDR in Baden-Württemberg (geteilt in US und französische Zone) entstanden. Im Osten richtete die Sowjetunion ein zentrales, vom Staat gesteuertes Rundfunksystem ein. Aber auch die Politiker in West-Deutschland begrüßten den öffentlich-rechtlich verantworteten Rundfunk nicht gerade. CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte nach Gründung der Bundesrepublik einen zentralen Rundfunk - finanziell wie inhaltlich abhängig von der Regierung in Bonn. Dem diente das von der CDU im Oktober 1950 veröffentlichte Memorandum: "Massenführung in der Bundesrepbulik". Mit seinem medienpolitischen Anspruch stieß Adenauer allerdings auch bei CDU- Ministerpräsidenten auf wenig Gegenliebe - sie wollten sich des Rundfunks selber bemächtigen. 
 

NWDR - Bayerischer Rundfunk - Norddeutscher Rundfunk 


In der britischen Zone (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen) wurde der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) gegründet. Bereits 1950 betrieb die CDU in Nordrhein-Westfalen die Trennung des NWDR in den Norddeutschen- und Westdeutschen Rundfunk (NDR-WDR). Schon damals wurde vordergründig mit den Interessen der Nutzer argumentiert. Die CDU-Landesregierung in Düsseldorf schimpfte, die NWDR- Nachrichtenzentrale in Hamburg berücksichtige die Belange NRWs nicht genügend und der Coup gelang. Zehn Jahre später versuchte Kanzler Adenauer ein Bundesfernsehen einzuführen, erst das Bundesverfassungsgericht stoppte 1961 seine Pläne. Ganz vergebens waren seine Bemühungen aber nicht, denn aus der Konkursmasse entstand das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mit Sitz in Mainz. Hier üben im Fernsehrat bis heute die Parteigranden des Bundes und der Länder die Macht aus. Anfang der 1970er Jahre wollte die CSU über die Besetzung der Schaltstellen beim Bayerischen Rundfunk Einfluss auf das Programm nehmen. Legendär, 1986 schaltete sich der BR aus dem Ersten Progamm der ARD aus: Die Satiresendung "Scheibenwischer" konnten die Zuschauer im Freistaat nicht sehen.

Unter der Regierung Kanzler Kohls begann die CDU ein Kesseltreiben gegen missliebige Redakteure und Sendungen, vor allem beim WDR und NDR - Stichwort "Rotfunk". Der Mitte der  1970er Jahre aufkommende Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die Atomenergie - Wyhl  und Brokdorf - setzten die Politik unter Druck. Vor allem der CDU-Ministerpräsident Niedersachsens, Ernst Albrecht, mit dem geplanten Atom-Endlager bei Gorleben, kam unter Druck. Er lastete dies der Berichterstattung des NDR über die Atompoilitik an und kündigte deshalb den NDR-Staatsvertrag mit Hamburg und Schleswig-Holstein. Auch hier benutzte die CDU das Vehikel, einer angeblich auf Hamburg zentrierten Berichterstattung. Der Kompromiss bestand in den Landesfunkhäusern in Hannover und Kiel, mitsamt eigenem Direktionsapparat und entsprechenden Zusatzkosten. 
 
Den Politikern ging und geht es um politischen Einfluss und Standortpolitik - was das kostete, das darf der Rundfunknutzer bezahlen. Nur weil der CDU in Sachsen-Anhalt aktuell die AfD populistisch im Nacken sitzt, spielt man in Magedeburg die 'Gebühren-Karte'. Die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - wie von der AfD gefordert - steht für Haseloff und seine Partei nicht wirklich zur Debatte. Außerdem könnte das das Ende der Koalition, von CDU, SPD und Grünen bedeuten und Neuwahlen dürften der CDU nicht genehm sein. Die Erfahrung der Politiker mit dem kommerziellen Rundfunk zeigen, das diese Programme alleine auf Unterhaltung setzen - Politiker auf dem Bildschirm bringen keine Quote und keine Werbeinnahmen

Aktualisierung:  Mittlerweile entpuppt sich, nachdem Haseloff seinen CDU-Innenminister Stahlknecht (Nomen es Omen) gefeuert hat, als unionsinterner Machtkampf. Es geht den Rechten um den Ex-Innenminister und -Parteichef  darum, den Weg für eine Zusammenarbeit mit der AfD zu öffnen. Die Rundfunkabgabe ist da nur das Mittel zum Zweck. SPD und Grüne scheinen für den Erhalt der sowieso schon wackeligen Koalition zu einem 'Kompromiss' auf Kosten eines unabhängigen Rundfunks bereit zu sein. Demnach würde der Landtag seine Zustimmung mit einem Beschluss verbinden, in dem Verhandlungen über zusätzliche Sparmaßnahmen der Öffentlich-Rechtlichen gefordert werden. Dazu stellte die Sprecherin der Rundfunkkommission der Länder, Heike Raab fest, es werde keine Nachverhandlungehn geben. Dem Vernehmen nach bereiten sich die Rundfunkanstalten bereits auf eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor, meldete die 'Medienkorrespondenz'  

Aktualisiert, 3. Januar 2021: https://medienfresser.blogspot.com/2021/01/rundfunkabgabe-2021-katerstimmung-bei.html

Dienstag, 10. November 2020

Babylon Berlin - Shadowplay: Geschichte als Krimi-Kulisse

Auch die dritte Staffel enttäuscht
Foto: Frédéric Batier/X Filme Creative Pool / 
ARD Degeto/ WDR/Sky/Beta Film 2019

Im Oktober hatte die dritte Staffel "Babylon Berlin" Premiere im "Ersten' der ARD. Bis 21. Januar 2021 können die zwölf neuen Folgen kostenlos in der ARD-Mediathek abgerufen werden. Überzeugen konnte auch die dritte Staffel nicht. Flacher Plot garniert mit einer historischen Schnitzeljagd durch das Berlin anno 1929. Auf der ARD-Homepage findet sich ein bezeichnendes Statement des Co-Autors Henk Hantloegten. Demnach sei es ihnen weniger darum gegangen, wer der Täter sei. Vielmehr habe man ein "riesen Sittengemälde" Berlins beabsichtigt. Genau hier liegt für mich der Hund begraben. Die Story in Kurzform: Mord an Film-Schauspielerinnen in Babelsberg. Auslöser ist ein Streit unter Kiez-Ganoven, dazu kommt ein psychopathischer Polizei-Forensiker, der sich nicht ernst genommen fühlt. Er will im Wahn seinen Chef spektakulär umbringen - dazu braucht es zwölf einstündige Folgen. Die Schwächen dieser Geschichte konnten auch die profilierten Schauspieler nicht retten.

Das anvisierte "Sittengemälde" der Stadt zur Zeit des Börsencrash 1929 wirkt  plakativ. Im Ufa-Studio werden die wechselnden Hauptdarstellerinnen eines Filmprojekts von einem dämonischen Mann in Schwarz gemeuchelt. Dabei nahmen die Serien-Autoren historische Film-Anleihen:"Das Kabinett des Dr. Caligari", "Dr. Mabuse der Spieler" oder "Metropolis". Zu sehen und hören bekommt man aber auf grotesk gebürstete Tanz-Gymnastik, auf exaltiert getrimmte Charaktere und erneut einen gruseligen Soundtrack. Ebensowenig gelingt es aber, die politische Situation Ende der 1920er Jahre aufzuzeigen. Bei einigen Figuren nahm man Anleihen an historischen Personen - geglückt ist das nicht. Da kämpft im Berliner Kiez ein smart-verklemmter SA-Führer um eine Prostituierte und wird von der Unterwelt umgebracht. Gemeint war Horst Wessel, den die Nazis zum Märtyrer machten. Der sanftmütige Journalist aus Österreich, der Putschpläne der Reichswehrführung enthüllen will, hat Carl von Ossietzky als Vorbild. Das bezopften Töchterchen, das ihn mit Infos versorgt, ist der Sproß des Reichswehrchefs - siehe Hans von Seeckt. Der kaltschnäuzige und brutale Ex-Oberst und Mitarbeiter von Reichskanzler von Hindenburg strebt eine nationale  Diktatur an - siehe Kurt von Schleicher. Ach ja und dann noch der esotherisch-irre Konzern-Erbe, der es seiner Mutter nie recht machen kann. Er will den Börsencrash, um ein neues Reich zu erschaffen - chargierend zwischen Norman Bates ("Psycho") und Industriellen-Familie Thyssen. Insgesamt plakativ grelle Figuren, ohne dramaturgische Tiefe - sie könnten in anderen Kostümen in jeder Nachmittags-Soap auftreten. Vor allem fehlen auch in der dritten Staffel Überraschung, Dynamik und Tempo. 

Jüngere Zuschauer und Binge-Watcher im Visier 

Alle Staffeln einen hoher technischer Aufwand und schwache Story, mit ungewollt lächerlicher Lösung. So ging es in der Ersten Staffel um einen aus Gold gebauten Eisenbahn-Kesselwagen, der per Schiene aus der Sowjetunion geschmuggelt werden sollte. Bei den ersten Staffeln hatte die ARD für die Werbung alle Medienkanäle genutzt, um sie zum 'TV-Event' des Jahres aufzublasen. So drückte der Südwestrundfunk in seinem Pop-Radio (SWR 1) den, textlich wie musikalisch, verquasten Song: "Zu Asche zu Staub" in die Hitparade. Im Film darf dann Bryan Ferry einen Kurzauftritt im Berliner Nachtclub de 20er Jahre machen - als eyecatcher. Auf solche Mätzchen hat man dann in der dritten Staffel verzichtet. Schauspielerisch überzeugte erneut nur Liv-Lisa Fries als Kriminal-Azubi-Kommissarin Charlotte Richter. Ihre Rolle - Berliner Göre mit kriminalistischem know how, nimmt man der Schauspielerin ab. Beste Szene in der dritten Staffe: Charlotte und ihre Schwester toben durch ihre Dachwohnung zu Cläre Waldoffs Gassenhauer: "Raus mit den Männern aus'm Reichstag...."

Bei den Produzenten der Serie, ARD und ihrer Tochter Degeto sowie dem Pay-Kanal Sky sieht man das ergebnis positiv. Sky-Sprecher Moritz Wetter sagte Anfang November: "Wieder ein großer Erfolg, wir sind sehr zufrieden - online wie linear" ähnlich sah dies ARD-Sprecher Burchard Röver. Für den Erfolg ist dabei für den Pay-Kanal wie die ARD die Nutzung On-Demand entscheinded. Damit könne man, meinte eine Sprecherin der Degeto "auch die Interessen der Sehgewohnheiten eines Serienpulikums" erreichen. Während Sky keine Zahlen über Zuschauer veröffentlicht, sagt der ARD-Sprechert: "Wir hatten für die Dritte Staffel mittlerweile über 20 Millionen Abrufe in der Mediathek."  

Bei der Ausstrahlung im 'Ersten' wurden die ersten drei Folgen der neuen Staffel am Stück ausgestrahlt, sie erreichten mehr als 4.3 Millionen Zuschauer (13,6 % Marktanteil). Die letzten drei Folgen wurden an anderen Tagen später gezeigt und kamen auf 2,9 Millionen (9,7%). Einen ähnlichen Verlauf gab es auch bei den ersten Staffeln. Damals hatte das "Erste" zuerst 7,88 Millionen (24,4%) Zuschauer erreicht, am Schluss noch 3,64 Millionen (11,8%). Die ersten beiden Staffeln wurden danach zwischen 2018 und 2020 in der ARD-Mediathek rund 20 Millionen mal abgerufen. Hinzu kommen noch die Wiederholungen in ARD-Dritten und Digitalkanälen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Zahlen nur die Abrufe messen, nicht die Menge der Zuschauer. 

An den Drehbüchern der vierten Staffel wird bereits gearbeitet, sagte der Sky-Sprecher und bei der ARD erwartet man den Drehbeginn im Frühjahr 2021 - abhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie. Die Strategie der kommerziellen- wie öffentlich-.rechtlichen Produzenten orientiert auf den Erfolg im internationalen TV-Markt. Nur im Verbund ist eine Finanzierung und Refinanzierung solch aufwändiger Produktionen möglich. Der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben, die beiden ersten Staffeln von "Berlin Babylon" wurden in 140 Länder verkauft. 

ZDF-TV-Event-Soap: "Das Boot" 

Ein Blick auf die Neuauflage von "Das Boot" (ZDF/Sky) bestärkt die Skepsis, ob solche Kooperationen zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Kommerziellen anspruchsvolles  Fernsehen bieten kann. Die als 'TV-Events' beworbenen Serien sollen hohe Zuschauerzahlen bringen und vor allem bei Jüngeren Erfolg haben. Sie fehlen den linearen Programmen von ARD und ZDF, schauen Serien oft an einem Stück als Marathon im Internet - 'binge watching' genannt. Um sie bei den vielen Folgen als Zuschauer zu halten, wirken Dramaturgie, Personen und Storys normiert und damit oft voller Klischees. Jede Folge muss - wie bei den US-Vorbildern - mehrere Storys mit kurzen Spannungsbögen enthalten - damit die jungen Zuschauer nicht das Interesse verlieren. Für die internationale Vermarktung werden diese "TV-Events" zunehmend in englischer Sprache gedreht.

"Das Boot" im Soap-Design... 
Foto ZDF, Nick Konietzsky/Stefan Rabold


Wie das aussieht, zeigt die Neuauflage von "Das Boot". Produziert von Sky und Bavaria Fiction, einer gemeinsamen Tochter von ZDF-Enterprises und der ARD-Tochter Bavaria Film. Zuerst lief die erste Staffel im Pay-Kanal Sky, danach im ZDF-Hauptprogramm. Mit dem 1981 von Wolfgang Petersen gedrehten Welterfolg, basierend auf der  Romanvorlage von Lothar-Günther Bucheim, hat das allerdings nichts mehr zu zun - nur noch den Titel. Die ARD hatte sich das damals rund 34 Millionen Euro kosten lassen - das 'spin-off' von ZDF und Sky ist mit rund 25 Millionen Euro deutlich günstiger geworden. Auch hier wirken die Personen seriell, smart, hübsch und jugendlich. Sie mühen sich durch plakative Dialoge und eine Story mit Agentenfilm-Klischees. Während Petersen einst beim Zuschauer klaustrophobische Spannung auslöst - wirkt der neue Aufguss fad und einschläfernd

"...Quoten versenkt Kaleu?!"  
 Copyright:ZDF/Nick Konietzsky

Die acht Folgen von "Das Boot" haben im ZDF Hauptprogramm 2,6 Millionen Zuschauer erreicht, berichten Online-Branchendienste. Wieviele Sky-Abonnenten die Serie gesehen haben, ist nicht bekannt. Das ZDF kündigte  jedenfalls an, dass die zweite Staffel nach Weihnachten ab 27.12. 2020 an drei aufeinenader folgenden Abenden im Hauptprogramm gezeigt wird. Darüber hinaus sei bereits die Dritte Staffel der U-Boot-Saga geplant.  

 

 

 

"Shadowplay" Klischee Berlin 1946

Beim ZDF setzt man zunehmend auf einen Mix aus Kriminalfilm vor historischer Kulisse. Ende Oktober lief im Hauptprogramm die erste Staffel der vierteiligen (Mediathek acht Folgen) deutsch-kanadischen Koproduktion "Shadowplay - Schatten der Mörder". Dabei dient das durch den Krieg zerstörte Berlin im Jahr 1946 als Schauplatz. Die Darsteller - darunter Nina Hoss - mühen sich dabei durch ein Drehbuch voll platter Figuren und entsprechender Dialoge. Der Plot: Ein New Yorker Cop sucht seinen psychopathischen Bruder, der in Berlin untergetauchte Nazis killt -als Vorbild dienen ihm dabei die Bildergeschichten von Max und Moritz. Debei bedienen sich die Autoren der Nazi-Verbrechen als Folie für ihre Psycho-Splatter Story, ähnlich wie 2009 Quentin Tarantinos: "Inglourious Basterds". Einer der "Shadowplay"-Autoren war einst an der Preisgekrönten skandinavischen Serie "Die Brücke" beteiligt - von dieser Qualität ist hier nichts zu sehen. Es regieren platteste Klischees: Der russische Offizier ist immer böse und Hinterhältig. Ihm sagt der mutige deutsche Polizist vor seiner Erschießung: "Sie können sich nicht leisten, dass es einen guten Deutschen gibt."

 

Foto ZDF Stanislav Hanzik

Ja, überall trifft man im Berlin des Sommers 1946 auf 'gute Deutsche' - Perverse und Verbrecher sind vor allem die Sieger. Der US-Vizekonsul verhilft aus Raffgier Nazis zur Flucht, seine Frau ist eine dem Alkohol verfallene Britin, die die Deutschen hasst, weil ihre Brüder gefallen sind. So richtig widerwärtig ist nur der deutsche Gynakologe - der als 'Engelmacher' vergewaltigten Frauen hilft, aber gleichzeitig Bordelle betreibt und ein weibliches Killerkommando unterhält. So glaubwürdig wie die Bösewichter der 60er Jahre James-Bond-Filme - heute aber peinlich. Spannend hätte die Figur der jungen Deutschen werden können, die von US-Soldaten vergewaltigt, zum brutalen Killer wird. Aber leider waren das Drehbuch und die Darstellerin damit sichtlich überfordert. Ach ja - und Nina Hoss - sie berlinert sich patent als deutsche Trümmerfrau-Polizistin durch das zerstörte Berlin. Fazit: Eine Serie für den Geschmack der Soap-Liebhaber, nur selten kommt Spannung auf. Die Helden laufen durch die Trümmer-Kulissen, plakative Dialoge und ein nervender Musikteppich. Bei den Zuschauern war die erste Staffel mäßig erfolgreich. Die zuerst um 20.15 Uhr ausgestrahlten Folgen erreichten 3,68 Millionen Zuschauer (11,8% Marktanteil), die später um 22.15 Uhr gesendeten, erreichten 1,86 Millionen (10,4%) Marktanteil.    

Kulissen-Spektakel statt Autentizität

Die Trivialisierung der Zeitgeschichte begann bereits 2013 mit dem dreiteiligen ZDF-Drama: "Unsere Mütter unsere Väter". * Darin wurde das Schicksal fünf junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg erzählt. Realisiert wurde die Produktion für das ZDF von Nico Hofmann und seiner Produktionsfirma teamworx. Mittlerweile ist Hofmann Chef der Bertelsmann-Tochter UfA-Fiction. (Kritik-Link unten). Diese deutschen Produktionen sind in der Regel behäbig - man traut dem Zuschauer wenig zu. Das es anders geht, zeigt der Kulturkanal Arte, der Ende 2019 die mittlerweile 5. Staffel der britischen Serie "Peaky Blinders - Gangs of Birmingham" ausstahlte. Produziert wird die Serie von BBC 2 und Sky, die vom französischen Arte eingekauft worden ist. Der Plot dreht sich um einen kriminellen irischen Clan, der im britischen Birmingham der 20er Jahre nach Oben will. Keine Serie für Zartbeseitete. Die Verquickung von Verbrechen und Politik reicht bis hinauf ins Unterhaus in London und zu Winston Churchill. Angefangen bei den Drehbüchern, der Dramaturige, den Dialogen, Kamera, Schnitt und Regie - Rasanz und Tiefe. Außerordentlich auch der Soundtrack, da wurde nicht versucht, Musik zum Teil der filmischen Darbietung zu machen (Babylon Berlin) oder Klaus Doldinger zu recyclen (Das Boot). Bei Peaky Blinders illustriert, kommentiert und konterkariert die Musik die Story. Der Titelsong ist von Nick Cave, auch Tom Waits oder Black Sabbath Rock aus den 1970ern illustriert die Folgen. Wie man mit historischem Background spannend erzählt, zeigte auch die BBC-Serie: "Ripper Street" (2012) die im Programm von ZDF-Neo gezeigt wurde. Dabei ging es um die Fälle eines britischen Kriminalkommissars in London im Jahr 1889. Spannend, schnell, brutal und auch hier tiefgründige und sperrige Charaktere. Bei der neuen ZDF-Serie "Vienna Blood", in der ein vierschrötiger Kommissar aus der Provinz zusammen mit einem jüdischen Freud-Jünger komplizierte Fälle im Wien der Jahrhundertwende löst, gilt es abzuwarten.

https://www.youtube.com/watch?v=RrxePKps87k&list=PL3YrSRHtg5381EIWW0NwPGamy03A0IxtS 


* siehe auch: https://medienfresser.blogspot.com/2013/03/unsere-mutter-unsere-vater-funf-freunde.html


Dienstag, 20. Oktober 2020

Chios 2020 im Herbst - Politische Wolken über der Insel

September 2020 - Region Amani im Nordosten der Insel

 

Eigentlich ist der Herbst auf Chios meist sonnig und warm - wie auch in diesem September. Getrübt wurde diese 'Großwetterlage' jetzt durch den dissonanten Dreiklang: Türkei - Corona - Flüchtlinge. Dabei ist das angespannte Verhältnis zu dem nur acht Kilometer von der Insel entfernten Nachbarn derzeit für die Inselbewohner die größte Sorge - politisch und wirtschaftlich. "Der Fährverkehr nach Cesme ist, bis auf den Transport von Gütern, eingestellt worden", sagte unser Freund George Missetzis, der auf Chios alte Bauernhäuser an Touristen vermietet. Hauptgrund ist dabei die unklare Corona-Situation in der Türkei, denn genaue Zahlen über positiv Getestete veröffentlichte Ankara bisher nicht. Noch im vergangenen Jahr sah man überall im Hafen von Chios Gruppen türkischer Touristen, die zum Einkaufen oder für ein Wochenende die Insel besuchten. An einigen Läden hingen Schilder mit türkischsprachigen Speisekarten  - davon war diesmal nichts zu sehen. "Das liegt auch daran, dass die türkische Währung - Lira - so heftig an Wert verloren hat, dass sich ein Besuch in Euro-Griechenland nicht mehr lohnt", betont George.

den Halbmond Ankaras im Nacken...
Beunruhigt sind die Chioten vor allem durch den Versuch des türkischen Präsidenten Erdoghan, militärisch wie wirtschaftlich seine Macht in der Ägäis und dem Mittelmeer auszubauen. Türkische Forschungs- und Kriegsschiffe im Seegebiet vor Zypern und Kastelorizo, verbunden mit Manövern, schüren die Furcht und den Zorn der Griechen. Der Nationalismus wächst hüben wie drüben und das hilft Politikern wie Erdoghan und Mitsotakis von der wirtschaftliche Krise ihrer Länder abzulenken. Kürzlich verstieg sich ein türkischer Minister zu der Behauptung, die Inseln vor der türkischen Küste seien nach dem ersten Weltkrieg der Türkei abgezwungen worden - er nannte dabei auch Chios. Mitsotakis verkündete, das verschuldete und in einer Rezession taumelnde Griechenland werde für zehn Milliarden Euro zusätzliches Kriegsgerät kaufen.

 

Belastete Vergangenheit

Nachdem das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg untergegangen war, musste die Türkei viele Inseln vor seinem Festland abtreten. Sie kamen zu Griechenland, oder unter die Verwaltung Italiens und Großbritanniens. Dabei ist wichtig, dass die Bevölkerung dieser Inseln seit Jahrhunderten überwiegend Griechen gebildet hatten. Völlig Absurd ist der Verweis auf den Ersten Weltkrieg bei  Chios, denn die Insel war bereits 1912 nach dem Balkankrieg Teil Griechenlands geworden. Auf Chios lebten damals nur einige tausend muslimische Einwohner - vor allem in der Zitadelle der Hautpstadt - sie mussten 1923 die Insel verlassen. 

 

Bis heute sind die Massaker auf Chios, die 1822 osmanische Truppen und Plünderer vom Festland verübten, bei den Griechen unvergessen. Im Jahr 1821 hatten sich Griechen auf dem Peloponnes gegen die osmanische Herrschaft erhoben. Auch auf Chios landete ein Trupp Freischärler, der aber die Insel wieder verließ, als der Sultan in Konstantinopel (Istanbul erst ab 1930) Truppen schickten. Die über Monate dauernden Plünderung der Insel kostete  zehntausende Bewohner das Leben, viele wurden in die Sklaverie durch die Osmanen verkauft und manchen gelang die Flucht auf andere Inseln. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1923 die meisten Griechen vom türkischen Festland vertrieben, als der Versuch der Regierung in Athen gescheitert war, große Gebiete Kleinasiens zu erobern. Dabei war es dort auch zu Massakern griechischer Truppen an der muslimischen Bevölkerung gekommen. Aus Rache wurden von den Truppen Kemal Atatürks die griechische Bevölkerung Smyrnas - heute Izmir - vertrieben. Viele Flüchtlinge kamen zuerst in Chios an, manche Familien blieben und wurden dabei nicht immer freundlich von den Alteingesessenen aufgenommen. Eine Freundin: "Ihr glaubt es nicht. Viele Chioten bezeichnen deren Nachkommen heute noch abschätzig als 'türkischen Samen'." 

Während des Zweiten Weltkrieges, in dem die Türkei kurz bis vor Kriegsende neutral geblieben war, konnten viele verfolgte Griechen dorthin Zuflucht finden. Sie wurden versorgt und viele Männer konnten sich in Ägypten den britischen Truppen anschließen. Trotzdem blieb das Verhältnis zwischen Griechen und Türken auch nach 1945 angespannt - bei gemeinsamer NATO Mitgliedschaft. In den 1950er Jahren gab es in der Türkei Pogrome gegen Griechen und nach der Eskalation in Zypern (1974) stand man kurz vor einem Krieg. Daher finden sich an den Küsten von Chios nicht nur alte Wachtürme, die einst vor Piraten warnen sollten. An vielen Buchten und auf Anhöhen stehen, mittlerweile verfallene und von Gestrüpp überwachsene Bunkeranlagen. Sie sollten Chios gegen eine türkische Invasion schützen. Einst kaufte ein Freund von uns bei Karfas an einem Hang ein Stück Land, um es zu bebauen - er stieß zuerst auf einen eingestürzten Bunker. Regelmäßig gibt es jedes Jahr auf Chios Manöver der griechischen Armee und Marine. Oft donnern tieffliegender Kampfjets über die Insel, dabei liefern sich türkische- und griechische Flugzeuge Scheingefechte (dogfights). 

...und die Flüchtlinge?

Auf Facebook fand ich bei der Rückkehr von Chios die Frage besorgter Touristen, ob man denn angesichts der Flüchtlinge auf Chios die Insel ungefährdet besuchen könne. Schon grotesk, denn Chios ist immer noch ein sehr sicherer Ort, mehr jedenfalls als so mancher Stadtteil einer europäischen oder deutschen Großstadt. Gefährlich ist das Leben  auf Chios, wenn schon, dann eher für Flüchtlinge. Die Aggression in den Lagern und von Chioten ist, wegend er unhaltbaren Zustände im Lager Vial gewachsen. Zustände wie auf Lesbos, die letztlich die Regierung in Athen mit Billigung der EU -  zur Abschreckung weiterer Flüchtlinge - dulden, ist Chios bisher erspart geblieben. 

Das erste Flüchtlingslager auf Chios war 2015 an der Ostküste bei Vrondados errichtet worden. Es war schon damals überbelegt und viele Menschen lebten in Zelten neben Containern hinter Stacheldraht. Manche mussten bei einem alten Friedhof in Zelten der UN leben. Schon damals schämten wir uns bei diesem Anblick für Europa. Als dann später immer mehr Flüchtlinge die Insel erreichten, wurden sie in den alten Festungsgraben der Zitadelle der Hauptstadt gepfercht. Die Zustände waren katastrophal, die Spannungen mit den Chioten nahmen zu, manche bewarfen die Zelte - in denen Männer, Frauen und Kinder leben mussten - mit Steinen und Brandsätzen. Es halfen aber auch viele Inselbewohner mit Lebensmitteln und Spenden. Heute leben die Flüchtlinge, abgeschottet und vom Militär bewacht, im Süden der Insel in einem alten Militärlager Vial. Bei vielen Chioten liegen jetzt die Nerven blank, denn nichts ändert sich und Athen lässt die Inselbevölkerung im Stich.

Zu heftigen Auseinandersetzung zwischen Inselbewohnern und Bereitschaftspolizei aus Athen kam es daher vor einigen Wochen. Die Regierung in Athen plant, auf dem kargen Plateau des Epos-Gebirges, nördlich der Inselhauptstadt, ein weiteres Lager. Die Polizeieinheiten mit Wasserwerfen sollten den Widerstand der Einwohner dagegen brechen. Die Staatsmacht führte sich wie ein Besatzungsregime auf und das hatte Folgen. Ein Freund erzählt: "Ich bin friedliebend und Staatstreu, aber das war zuviel. Das Hotel, in dem die Sonderpolizei in Karfas untergebracht war, wurde gestürmt und ihr gesamtes Gepäck auf die Straße geworfen." Die Polizisten revangierten sich bei der Abfahrt am Hafen bei Mesta mit Prügelattacken, wie in Handy-Videos bei facebook zu sehen. Pikantes Detail: Bei den Parlamentswahlen hatte die Regierungspartei Neo Dhemokratia einen der beiden Sitze der Insel gewonnen (Syriza den anderen). Der jetzt zuständige Minister für Flüchtlinge in Athen kommt von Chios. Nach den Auseinandersetzungen musste sein Büro auf der Insel geschlossen werden.

Pelineo - höchster Berg der Insel

Corona - keine Panik aber Aufmerksamkeit

Und Corona?! Auf der Insel spürt man davon wenig, die Kontrollen auf dem Flughafen nach der Ankunft beschränkten sich darauf, meine Papier mit der Einreiseerlaubnis anzuschauen. Es gab einige Infektionsfälle, die bisher vor allem Griechen betreffen, die vom Festland aus Athen oder Thessaloniki gekommen sind.  

Aktualisierung 20. Oktober 2020 um 21 Uhr:  Die Tageszeitung "Die Welt" meldet, die veröffentlichten Zahlen Infizierter in Griechenland entspreche nicht der Realität. So seien in der ersten Phase der Corona-Epidemie im Frühjahr landesweit täglich nur etwa 800 Menschen getestet worden - vorwiegend Beschäftigte in Pflegeberufen und Bewohner sozialer Einrichtungen. Das erklärt die hohe Zahl an Todesfällen. Mittlerweile liegt die Testrate in Griechenland bei 26 000 Personen pro Tag. Auf Chios musste jetzt das Flüchtlingslager Vial geschlossen werden, da etwa 30 Personen mit dem Corona Virus infiziert sind, meldet die Zeitung weiter. Die Menschen dürfen das Lager nicht mehr verlassen, es wurde von der Außenwelt abgeriegelt.  

In der Inselhauptstadt tragen die Menschen Masken, vor allem beim Einkaufen. Die Bars und Lokale am Hafen wirkten leerer als sonst, die Jugend ist aber auch hier - wie wohl überall in Europa - etwas sorglos. In den Dörfern hält man gelassen Abstand, ich wurde beim Einkaufen mit meiner Maske etwas belächelt - aber die Verkäuferin im Minimarket trug selber eine. Mit Unverständnis reagierte man aber auf unsere Berichte von tausenden Demonstranten, die Corona in Deutschland leugnen. "Das machen bei uns nur ein paar Spinner oder ultraorthodoxe Christen und Popen, die nicht aufhören wollen, ihre Ikonen in der Kirche zu küssen", lästert ein Freund in Volissos. Für das Touristenzentrum im Süden bei Karfas ist die Situation natürlich schwer. Viele Hotels haben diese Saison gar nicht erst geöffnet und George Missetzis, der im Dorf Avghonima restaurierte Häuser an Touristen vermietet meinte: "Wir haben. verglichen mit 2019 jetzt nur 17% des Umsatzes gemacht - und dabei war schon das letzte Jahr eine  Katastrophe."  


Trotzdem: Man lässt sich nicht beirren, hofft auf bessere Zeiten und tüftelt an Ideen, wie sich Geld verdienen lässt. Viele haben den Sommer erstmals in Ruhe verbringen können - mangels Tourismus. George meinte: "So häufig wie in diesem Jahr, bin ich noch nie am Meer schwimmen gewesen" und wirklich, er sah so entspannt und erholt aus. 

Unsere Freunde verlieren jedenfalls nicht den Mut. Überall Natur, die an vielen Stellen immer noch unberührt ist und zum Wandern einlädt. Saubere Strände mit warmem Meer, in dem um uns beim baden kleine Fische neugierig herumschwimmen. Eine lebhafte Hauptstadt, von der man aus in ein paar Schritten die Ruhe der Altstadt in der Zitadelle - oder im nahegelegenen Stadtpark genießen kann. Ein Wetter - Sonne bis 30° - man konnte, bei kühlem Wind, angenehm Wandern. Einzige ernsthafte Gefahr: Die im Westen wegelagernden Kühe, vor ihren 'Straßensperren' musste man sich in Acht nehmen - in der Nacht dann vor Ziegenherden. Die Jagdsaison war zuende - auf den Straßen im Nordosten begegneten wir in der Dunkelheit herumhoppelnden Hasen - sie feierten wohl. Schön der Blick von der Terrasse des Mastix-Museums im Süden über die Mastiha. Die Fahrt beim Sonnenuntergang an der Westküste in den Inselnorden - wie im Märchen. 

Und am Abend genießen wir, gemeinsam mit Freuden und vielen Katzen, die Ruhe und den Sonnenuntergang bei Volissos.  



Wir freuen uns jetzt schon auf Chios 2021!   





Donnerstag, 17. September 2020

1870/71: Arte zeigt deutsche Dokus - TV-Serie 1970 nur bei youtube

Museumsführer Mitte 1970er 
Mit dem Datum 1. September verbinden die meisten Menschen nur den Beginn des 2.Weltkrieges. In Vergessenheit geraten ist dagegen, dass am 1. September 1870 in Sedan die entscheidende Schlacht des deutsch-französischen Krieges 1870/71 stattfand. Die Niederlage und Gefangennahme Napoleons III. bedeutet das Ende des Kaiserreichs, aber auch den Beginn der Republik und des Volkskrieges gegen die deutschen Invasoren. Die 'Erbfeindschaft' prägte bis 1945 das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen - und damit auch meine Familiengeschichte.

ZDF- und Radio Bremen bei Arte

Zur 150-jährigen Wiederkehr brachte der deutsch-französische Kulturkanal Arte eine vierteilige Dokumentation. Drei Folgen wurden dabei vom ZDF beigesteuert, Radio Bremen lieferte einen Film über die Erforschung der damals gemachten Fotografien. Bemerkenswert war, das auf Arte keine Produktion aus Frankreich gezeigt wurde. Die ZDF-Serie erzählte die Geschichte des Krieges anhand von drei Zeitzeugen: Einer Pariserin, eines britischer Journalisten und eines deutschen Stabsoffiziers. Dabei scheint man beim ZDF immer noch der 'Schule' Guido Knopps mit "ZDF-History" zu folgen - Personalisierte Geschichtserklärung. Der Titel des ZDF-Dreiteilers orientierte sich eher an der heutigen 'deutsch-französischen Freundschaft' als an der Wirklichkeit anno 1870. "Der Bruderkrieg - Deutsche und Franzosen" erweckt den Eindruck, erst nach dem Krieg sei es zur 'Erbfeindschaft' zwischen Deutschen und Franzosen gekommen. 

Die Wirklichkeit war wohl etwas anders, vor allem bei denjenigen, die Opfer der zwanzigjährigen Kriegszüge Napoleons I. bis 1815 gewesen waren. Nach der Besetzung Deutschlands durch seine Armeen, wurden die Einzelstaaten zu Vasallen des Korsen. Sie mussten tausende Soldaten für seine Feldzüge stellen - und die meisten kehrten nicht zurück. Auch die Bevölkerung litt unter der Besatzungszeit, sie wurde ausgeplündert. Nach der Niederlage Napoleons I. in Russland 1812: "gebar die deutsche Romantik Nationalismus und Völkerhass. Sie lehnte alles 'Welsche', alles Französische ab." (1) Der Dichter Ernst Moritz Arndt schrieb 1813: "Ich hasse alle Franzosen (...) Dieser Haß glühe als Religion des deutschen Volkes." (2) Die Einwohner Nordfrankreichs erinnerten sich ihrerseits daran, wie 1815 und danach vor allem preussische Soldaten dort gehaust hatten. (3) Eine Vorgeschichte, die in den TV-Filmen zum Krieg 1870/71 nicht vorkam.

Die ZDF-Serie belegte auch, wie vorsichtig man mit angeblich authentischen Fotografien umgehen sollte. Mit diesem Thema beschäftigte sich die Dokumentation von Radio Bremen. Im ZDF wurde mehrfach ein angebliches Bilddokument von 1870/71 gefallenen französische Soldaten gezeigt. Es handelt sich aber um gestellte Aufnahme, die Schlachtenmalern später als Vorlage dienen sollte. Dies enthüllte der Film von Radio Bremen, der einen Historiker bei der Erforschung der Fotografien des Krieges 1870/71 begleitete. Dabei hätte man schon als kritischer Beobachter erkennen können, dass das im ZDF mehrfach gezeigte Foto nicht echt sein konnte. Die Toten und ihre Uniformen waren unversehrt, sie wirkten wie Schlafende. Den Gesichtern fehlte die Leblosigkeit wirklicher Leichen. Diese zeigten die Fotografien aus dem Amerikanische Bürgerkrieg (1861-65), der erste umfassend durch Fotos dokumentierte Krieg der Neuzeit. Auf diesen Bildern sieht man die ungeschminkte Wahrheit des Krieges: Blut, Gefallene und Verweste. Anscheinend gibt es vom Krieg 1870/71 keine derartigen Bilddokumente. Auch der Historiker im RB-Film zeigte nur Tote, die in Paris nach der Niederschlagung der Kommune im Mai 1871 hingerichtet worden waren. Man hatte die Männer in Särgen aufgeschichtet und fotografiert, um sie später identifizieren zu können. 

Es stellt sich die Frage, weshalb die Redaktion von Arte die Zuverlässigkeit der ZDF-Fotos nicht geprüft hat, die vermeintlich spektakulären Fotos waren den Verantwortlichen beim ZDF und Arte wohl wichtiger. Leider habe ich solche historischen Ungenauigkeiten nicht zum ersten mal auf Arte sehen müssen. https://medienfresser.blogspot.com/2017/11/arte-arbeitet-der-kulturkanal-mit.html 

"Journal 1870/71" vom Süddeutschen Rundfunk (1970) nur bei youtube

Nicht gezeigt hat Arte einen Programmschatz aus den ARD-Archiven. Zur hundertjährigen Wiederkehr des Krieges hatte 1970 der damalige Süddeutsche Rundfunk (SDR) für das ARD-Fernsehen die siebenteilige Serie "Journal 1870/71" produziert. Was die Autoren damals beabsichtigten, schilderte Anfang der 2000er Jahre Rainer C. M. Wagner, einer der Serienautoren. Man habe versucht: "eine völlig neue Form zu finden. Helmuth Rompa, der 1965 zusammen mit Wilhelm Bittorf einen Dreiteiler über den „Amerikanischen Bürgerkrieg“ realisiert hatte, der junge Regisseur Achim Kurz und ich gebaren unter heftigen Gehirnstürmen die Idee, über das historische Ereignis so zu berichten, als habe es damals schon Fernsehen gegeben. Daraus wurde die Sendereihe JOURNAL 1870/71 – mit allen Mitteln der modernen Reportage, sämtlichen Fernseh-Formen und den damaligen TV-Größen im Bratenrock. Wir wollten die Identifizierung der Zuschauer mit bekannten Problemlagen bei gleichzeitigem historischen Abstand erreichen. Der dramaturgische Kniff dieser jeweils einstündigen schwarz-weiß Produktion, bestand in der Fiktion, es habe bereits während des Krieges gegeben." (4)

In den Folgen berichteten TV-Korrespondenten von den Schlachtfeldern und das war schon deshalb sehenswert, weil damals bekannte ARD-Journalisten vor der Kamera agierten, unter ihnen Gerd Ruge, Peter Scholl-Latour, Friedrich Nowottny, Rudolf Rohlinger Dagobert Lindlau, Georg Stefan Troller. Zusammen mit Schauspielern, die historische Personen darstellten, bot die Serie nicht nur bedrückend nachgestellte Bilder vom Krieg, sondern dazu auch Analysen der politischen Ursachen und Folgen des Konflikts. Mir blieb damals als Jugendlicher vor allem die Reportage Trollers aus Paris im Gedächtnis. Er beobachtete quasi 'live' vor Ort die Jagd auf die unterlegenen Kommunarden und die Erschießungen durch die enthemmten siegreichen Soldaten der Versailler Regierung.

Beim SDR-Projekt hat man sich 1970 an den damaligen Berichten über den Vietnam-Krieg in 'Tagesschau' und 'Weltspiegel' orientiert. Dazu dürfte das 1964 für die BBC produzierte 'Dokudrama' über die Schlacht bei "Culodden" von Peter Watkins die SDR-Macher inspiriert haben. Watkins Film war in einigen ARD-Dritten gezeigt worden, er hatte die letzte Schlacht auf britischem Boden (1746) zwischen der britischen Armee und Schotten nachstellen lassen. Die Akteure waren Laien, darunter viele Mitarbeiter der BBC und Watkins gelang damals eine schockierend realistische Darstellung des Gemetzels. 

Aber warum gibt es das 'Journal 1870/71' in keiner ARD-Mediathek? Auf Nachfrage erklärte am 17.September 2020 eine ARD-Sprecherin in Köln, bei TV-Sendungen vor 1966 sei dies möglich, aber danach habe sich das Urheberrecht geändert: "Wenn wir (...) eine Dokumentation – zum Beispiel aus dem Jahr 1970 – online stellen wollen, müssen die Rechte aller urheberrechtlich Beteiligten nachgeklärt werden, d.h. die Beteiligten müssten überhaupt erst einmal ausfindig gemacht werden und sie müssten ihre Zustimmung erteilen. Der damit verbundene Aufwand ist enorm." Dem fügte am 18.September eine Sprecherin des Südwestrundfunks (SWR) in Baden-Baden kathegorisch hinzu: "Leider ist es uns aus rechtlichen Gründen nicht möglich, die Sendung in die Mediathek aufzunehmen."  Dabei handelte es sich beim "Journal 1870/71" um eine Eigenproduktion des damaligen SDR, der später mit dem Südwestfunk zum heutigen SWR fusionierte. Sicher, die Recherche der Rechte für damals in der Serie verwendete Lithografien und Fotos dürfte aufwendig sein. Für andere Programmschätze in den Archiven von ARD und ZDF verheißt das aber nichts gutes. Schon peinlich, denn das Journal "1870/71" ist nicht nur spannend, es setzte bekannten ARD-Journalisten ein Denkmal. 

 Wie es auch sei, noch können interessierter Zuschauer die Serie - nicht vollständig und in schlechter Qualität - bei youtube abrufen. Immer noch sehenswert! Zur Pariser Commune: https://www.youtube.com/watch?v=-kAkE2mI1KY

2013 versuchte der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) die Völkerschlacht von Leipzig (1813) mit einem ähnlichen Format zu reanimieren. Einen Verweis auf das 'Vorbild' der SDR-Serie gab es nicht. https://medienfresser.blogspot.com/2013/08/mdr-projekt-volkerschlacht-alter-hut.html  

 

Familien-Erinnerungen

Mitte der 1970er Jahre besuchten mein Vater https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/erinnerung-karl-heinz-ressing.htmlund ich meine französische Großmutter, die unweit der belgischen Grenze in einem nordfranzösischen Dorf lebte. Dabei führte uns der Weg von Weinheim über Saarbrücken und Metz Richtung Le-Cateau und Lille-Cambrai. https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/verdun-eine-familiengeschichte.html Mein Vater, Jahrgang 1913, erinnerte sich an die Erzählungen seiner Eltern über den "Sedantag". Bis zum Ende des Kaiserreichs 1918 galt er als der nationale Feiertag des Kaiserreichs, die Weimarer Republik hatte ihn abgeschafft. Die Erinnerung an den Krieg 1870/71, war nach 100 Jahren ziemlich verblasst. Beim Besuch Saarbrückens fuhren wir auf die nahegelegenen Spicherer Höhen. Hier hatten die Truppen Napoleons III. am 6.August 1870 eine Niederlage erlitten. Mitte der 1970er Jahre kam man auf dem Weg zur 320 Meter hoch gelegenen Bergspitze auf halber Höhe zu einer Grenzstation mit Schlagbaum. Während nämlich der Hang zur Bundesrepbublik gehört, ist die Bergspitze französisches Staatsgebiet - heute fährt man einfach vorbei - damals konnte man noch kontrolliert werden. Wir aßen im typisch französischen Gasthaus Woll zu Mittag. An einer Wand hing eine Lithografie über den Kampf, denn das Gasthaus war 1897 direkt auf dem ehemaligen Schlachtfeld errichtet worden. 

Unser Weg führte uns weiter nach Sedan kurz vor Erreichen der Stadt kamen wir durch das Dorf Bazeille. Ein Schild zeigte den Weg zum "Musée de la dernière Cartouche" - dem Museum der letzten Patrone. Ein langgestreckter Bau abseits der Straße, der als Museum nur durch ein altes Schild am Eingang zu erkennen war. Heute ist alles renoviert, Mitte der 1970er Jahre wirkte es marode und vergessen. Ein alter Herr führte uns durch die Räume, in denen französische Marinesoldaten das Haus und damit Sedan gegen Angriffe bayerischer Truppen verteidigt hatten. Als ihnen die Munition ausgegangen war, mussten sich die Franzosen ergeben, ein Ölbild zeigt den Moment, als ein Offizier die letzte Patrone aus einem Fenster abfeuerte. In den Wänden der Zimmer im ersten Stockwerk sah man noch alte Einschusslöcher. Hier ging einst das Kaiserreich Napoleons III. unter - im 2. Weltkrieg kam mein Vater als Wehrmachtssoldat im Mai 1940 nach Frankreich. Der Durchbruch der Nazi-Wehrmacht bei Sedan im Sommer 1940 besiegelte damals die Niederlage Frankreichs. 

Heute pflegt man die Erinnerungen an den Krieg 1870/71 in Frankreich, wie etwa in der Festung Bitche an der Grenze Lothringens zu Rheinland-Pfalz. Die französische Besatzung der mächtigen Festung aus dem 17. Jahrhundert, hielt damals bis zum, Kriegsende im Februar 1871 der deutschen Belagerung stand. Viele Soldaten und Zivilisten, die in die Festung geflohen waren, kamen damals ums Leben. Heute kann man die Festung besichtigen, durch audiovisuelle Mittel wird versucht, dem Besucher einen Eindruck über das Leben unter Belagerung zu vermitteln. 

Der Turm der Hessen 1978

Die beiden Grenzorte zur Pfalz im Nordelsass: Wissembourg und Woerth waren im August 1870 Schauplätze erbitterter Kämpfe, in denen Napoleons Armee zum Rückzug gezwungen wurden - der Anfang vom Ende des Empire. Noch heute gibt es hier die Besonderheit, das alte deutsche und französische Denkmale daran die Schlacht erinnern. Das Elsass war 1871 nach dem verlorenen Krieg vom Kaiserreich annektiert worden. Danach wurde etwa der große Aussichtsturm gebaut, der an die hessischen Truppen erinnern sollte. Unweit davon stehen Denkmale für die französischen Soldaten der Schlacht. In beiden Städten gab es in den 1970ern kleine Museen, die an die blutigen Ereignisse erinnerten. Damals wirkte das aber alles vergangen und vergessen, dabei war es erst knapp 30 Jahre her, dass das Elsaß wieder zu Frankreich gehörte.


(1) Katalog zur Ausstellung der Befreiungskriege im militärhistorischen Museum Dresden, S. 20. 

(2) Ebenda S. 36 

(3) Die Befreiungskriege in Augenzeugenberichten - Eckart Kleßmann, Karl Rauch Verlag, 1966, S. 342.ff

(4) Rainer C.M. Wagner in Bundeszentrale für Politische Bildung: Tele-Visionen, Fernsehgeschichte Deutschlands zur Stuttgarter Dokumentarfilm-Studie. online-pdf


Montag, 1. Juni 2020

'Triumph des Willens' NS-Propaganda in der Sportschau?



Nun ist die fussballlose Zeit also vorbei, aber nicht nur in den menschenleeren Stadien läuft die Saison ziemlich holperig weiter. Anscheinend haben auch die Berichterstatter der ARD-Sportschau ihre Schwierigkeiten, den richtigen Tonfall zu finden. Gerade bei den Berichten über die Spiele der Bundesliga am Samstag wird oft 'mit der heißen Nadel' gearbeitet und die Berichterstatter aus den Stadien nutzen gerne knallige Parolen.

Es gibt aber Grenzen. So kommentierte der ARD-Reporter am 23. Mai das Spiel des SC Freiburg gegen Werder Bremen (0:1) mit dem Satz, bei Werder habe sich der "Triumph des Willens" durchgesetzt. Da stockte einem schon der Atem, denn "Triumph des Willens" lautet der Titel des NS-Propagandfilms über den Reichsparteitag der NSDAP, den Leni Riefenstahl im Jahr 1935 gedreht hatte. Der Sportschau-Reporter benutzte jetzt genau diese Metapher und es stellt sich die Frage, ob NS-Propagandasprache mittlerweile zum erlaubten Repertoire in der ARD gehört.

Auf eine schriftliche Anfrage teilte der Westdeutsche Rundfunk - der die Sportschau verantwortet - zwei Tage danach mit: "Die Formulierung ist dem Kommentator äußerst unangenehm. Sie war keinesfalls in diesem Zusammenhang gemeint, und er hat sie direkt zurückgezogen". Der Volksmund sagt: 'Das gesprochene Wort fängt niemand mehr ein' - und das gilt auch hier. Beim Südwestrundfunk (SWR), dessen Redakteur im Stadion die Berichterstattung über das Spiel zu verantworten hatte, hieß es auf Nachfrage am 27. Mai: "Der Reporter hat in der Live-Situation bewertet,dass der Sieg der Bremer Mannschaft auf deren starken Siegeswillen zurückzuführen war. eine Verbindung zu einem 85 Jahre alten FIlm von Leni Riefenstahl war natürlich nicht beabsichtigt."


Mich beunruhigt, wie stark die Goebbels-Diktion anscheined immer noch in den Köpfen steckt - bewusst oder unbewusst. Beruhigen kann die Entschuldigung nicht, denn es gab bei der ARD bei der Olympiade 2012 einen noch gravierenderen Fall. https://medienfresser.blogspot.com/2012/07/seit-2008-wird-zuruckgeritten-ard.html

Es zeigt sich, wie 75 Jahre nach Ende des Dritten Reiches das Wissen und die Sensibilität verblasst sind - in Zeiten, in denen der Schoss wieder gebiert......    

Donnerstag, 2. April 2020

SWR 2020: Spätzlesender auf Speed



Entspanntes Team: Clemens Bratzler, Anke Mai, Kai Gniffke
Muss ein neues Management die Entscheidungen ihrer Vorgänger vertreten, kann das manchmal paradox wirken. Die Führungsriege steht dann für Produkte gerade, die sie nicht zu verantworten hat. Vor diesem Problem stand am 7.Februar in Stuttgart die neue Chefetage des Südwestrundfunks (SWR) auf der Programmpressekonferenz 2020. Regelmäßig werden zu Jahresbeginn die Highlights des Saison vorgestellt. Intendant, Kai Gniffke war sich der besonderen Situation bewusst und meinte zu Beginn selbstironisch, er schmücke sich hier ja eigentlich mit 'fremden Federn'. Das Programmangebot sei schließlich vom alten Management des Senders auf die Schiene gesetzt worden. Er und sein neues Team mit den Programmdirektoren, Anke Mai (Kultur) und Clemens Bratzler (Information) wollten diese Pressekonerenz deshalb vor allem dazu nutzen, ihre Vorstellung vom künftigen SWR zu skizzieren. So möchte man die oft abschätzig als 'Spätzlesender' geschmähte zweitgrößte ARD-Anstalt künftig als die Online-Adresse der Arbeitsgemeinschaft positionieren. Dementsprechend offensiv verkündete die Pressemitteilung: "Der SWR 2020: Innovativ, investigativ und lebensnah".

Die neue Führungsspitze will den oft behäbig wirkenden SWR künftig als 'Spätzlesender auf Speed' tunen. Intendant Gniffke betonte daher, das von ihm eingesetzte "Innovationslabor" in Baden-Baden werde bis zum Sommer neue Formate und Programmideen präsentieren. Dabei setze er nicht mehr primär auf lineares Fernsehen, sondern um Präsenz auf allen digitalen Plattformen. Demnach konnte die ARD-Mediathek, die der SWR verantwortet, eine Anstieg der Abrufe von 65 Millionen im Oktober 2019 auf 87 Millionen im Januar 2020 verzeichnen. Die Nummer Zwei im neuen SWR-Direktorium, Clemens Bratzler, geizte ebenfalls nicht mit anvisierten Superlativen. Er will mit großen Partnern außerhalb des SWR das Programmangebot ausbauen - dabei schwebt ihm als Ziel eine Art 'National Geographic' für jüngere Zuschauer vor. Mit dem im Juni 2019 auf Youtube gestartete SWR Doku-Channel, der aktuell auf 32.000 Abonnenten hat, sieht er den SWR auf dem richtigen Weg. Derzeit bietet der Online-Kanal 81 Dokumentationen per Abruf und wöchentlich kommen zwei neue hinzu. Der Intendant unterstütze Bratzlers Kurs und betonte, bei neuen Koproduktionen seien für ihn die Erstausstrahlungsrechte weniger wichtig. Da folgt er dem Modell der ARD, die "Berlin Babylon" gemeinsam mit dem Bezahlkanal Sky produzierte und erst ein Jahr nach Ausstrahlung im Pay TV im Ersten und ihrer Mediathek anbieten durfte.

Wie diese Innovationen, angesichts des seit Jahren laufenden Sparkurses beim SWR, umgesetzt werden und was das für die Arbeitsbelastung im SWR bedeutet, dazu gab sich die Führungsriege einsilbig. Bereits heute beklagen Journalisten wachsenden Arbeitsdruck durch Trimedialität (TV, Radio, Internet). Einen Tag vor der Pressekonferenz berichtete eine Tageszeitung, künftig werde die Produktion der Radionachrichten für alle Wellen in Baden-Baden erfolgen. Dies bestätigte die Landessenderdirektorin für Baden-Württemberg, Stefanie Schneider, betonte aber, es werde keine Einheitsnews geben. Dem schloss
Stefanie Schneider vertrat die Landessender
 sich auch Clemens Bratzler an, räumte dann aber ein, dass künftig ein Redakteur für die Nachrichtenauswahl der jeweiligen Wellen zuständig sein soll. Für den Intendanten ist diese Konzentration nur der Anfang, auch auf anderen 'Feldern' sei ähnliches geplant - was er damit meinte, behielt er für sich. Kurz und etwas farblos blieb der Auftritt der Programmdirektorin Kultur, Anke Mai.  Dies dürfte nicht nur daran gelegen haben, dass sie erst eine Woche zuvor den 'Dienst' angetreten hatte. Ihr Statement zum Hörfunk bezog sich alleine auf die anvisierten jüngeren Hörer. Sie stellte den TV-Stream der Pop-Welle SWR 3 und das Angebot des Online-Jugendkanals 'Funk' in ihren Focus. Keine Rolle spielte in der Präsentation das Kulturprogramm SWR 2, einst immer ein Thema auf den  Programmpräsentationen des SWR. Auf entsprechende Nachfrage zur Zukunft der anspruchsvollen Programme meinte der Intendant, er strebe eine verstärkte Zusammenarbeit der ARD-Kulturwellen an. Da dürften einigen in Baden-Baden - dem Stammsitz von SWR 2 - die Ohren geklungen haben. Immerhin investiert der SWR in sein Kulturprogramm den Großteil des Radiobudgets - bei überschaubaren Hörerzahlen. Ein harter Sparkurs per ARD-Kooperation könnte hier schnell zu Lasten der Programmvielfalt gehen...


Ein Novum dieser Pressekonferenz war, dass der Intendant und die Direktoren nach Ende der Veranstaltung für Einzelgespräche zur Verfügung standen. Hatte Gründungsintendant Peter Voss einst eher majestätische Audienzen abgehalten, war dies unter seinem Nachfolger Peter Boudgoust abgeschafft worden. Der Verwaltungsfachmann war immer freundlich aber auch verschlossen bis einsilbig zu den Medien. Das Gesprächsangebot der neuen Führungscrew dürfte ein Signal gewesen sein, mehr die Öffentlichkeit erreichen zu wollen - allerdings nutzte nur eine Handvoll der 25 anwesenden Journalisten die Möglichkeit. 

Die Kulturdirektorin Anke Mai, zuvor beim Bayerischen Rundfunk, räumte ein, es gebe beim SWR komplexere Strukturen als in München. So muss sie sich mit den zwei Landessenderdirektorinnen für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz absprechen, denn hier werden die regionalen Radiowellen SWR 1 und SWR 4 produziert. Direkten Zugriff hat die neue SWR-Kulturdirektorin eigentlich nur auf die in Baden-Baden für das gesamte Sendegebiet produzierten Programme SWR 2 und SWR 3. Anke Mai betonte daher, sie wolle sich um weniger kompliziert Strukturen zwischen Mainz, Stuttgart und Baden-Baden bemühen. Über digitale Verbreitungswege will sie neue Hörergruppen für das Kulturprogramm SWR 2 erschließen. Dabei setzt auch sie auf die verstärkte Kooperation mit anderen Kulturwellen der ARD-Anstalten.

Plusminus-Moderatorin Alev Seker leitet die Pressekonferenz
In Baden-Württemberg leben mehr als elf Millionen Menschen (Statistisches Landesamt 2017), über 3,3, Millionen mit einem  Migrationshintergrund. Während bei anderen ARD-Anstalten mittlerweile ModeratorInnen mit Migrationshintergrund aul ModeratorInnen selbstverständllich sind (NDR-WDR) gilt für den SWR: Fehlanzeige. Außerdem ist das im Programm vermittelte Bild des Bundeslandes immer noch stark Brauchtum und ländlicher Idylle orientiert - mit schwäbischem Schwerpunkt. Dessen ist sich Clemens Bratzler durchaus bewusst. Er will die Vielfalt künftig auch bei den Presentern auf dem Bildschirm fördern. Vielleicht wurde deshalb die SWR-Pressekonferenz durch die neue SWR-Moderatorin der Wirtschaftssendung Plusminus im Ersten, Alev Seker, geleitet. Aber ach Bratzler sthet vor dem Problem, sich beim Landesprogramm mit den beiden Landessendern in Mainz und Stuttgart verständigen zu müssen, denn hier werden die regionalen TV-Fenster im Südwestfernsehen verantwortet. Nicht besonders Innovationsfördernd scheint auch der Altersduchschnitt der Zuschauer zu sein - liegt er doch deutlich über 60 Jahren. Hinzu kommt, dass Baden-Württemberg immer noch stark ländlich und konservativ geprägt ist. Der neue TV-Chef ist aber in Stuttgart schon lange 'im Geschäft' und kennt die Widerständen. Mangelndes Selbstbewusstsein zeichnet Bratzler nicht aus, hatte er sich doch letztes Jahr ebenfalls um den Intendantenposten beworben.

Mittlerweile hat der SWR, wie andere öffentlich-rechtliche Anstalten mit journalistischen Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Einst standen die Bewerber für ein Volontariat Schlange, das ist heute nicht mehr so, bestätigte der TV-Chef. Die Gründe sind für Bratzler klar, für viele Jüngere seien die Angebote von ARD und ZDF heute kaum noch Bestandteil ihres Medienalltags. Dem will er mit einem verstärkten Online-Engagement, wie dem Doku-Kanal auf Youtube, etwas entgegensetzen. Das das Angebot ankomme, zeige die Dokumentation zum zehnjährigen Gedenken an das Schulmassaker in Winnenden. Während der Film im Südwestfernsehen rund 100 000 Zuschauer erreicht habe, seien die Abrufe im SWR-Dokukanal um ein Vielfaches höher gewesen. Der Trend geht zur zeitunbhängigen TV-Nutzung über Mediatheken.

Kenner des SWR kritisieren seit seiner Gründung das komplexe Standort- und Gremiengeflecht des Senders. So gibt es zwei Landessender mit entsprechenden Direktionen (Stuttgart, Mainz), die Intendanz sitzt in Stuttgart, Kultur wird vor allem in Baden-Baden produziert, der Justiziar wurde in Mainz angesiedelt. Im SWR machte lange das Bonmot die Runde, die Direktoren würden mehr Zeit in der Bahn oder im Dienstwagen verbringen, als am Schreibtisch. Neben dem Rundfunkrat gibt es zwei Landesrundfukräte in den beiden Bundesländern. Dessen ist sich Kai Gniffke bewusst als er betonte, frühere Reibungen im Direktorium gehörten der Vergangenheit an, das Verhältnis sei mittlerweile sehr entspannt. Auf die Frage, welche Rolle der SWR künftig in der ARD spielen solle, verwies er auf den Schwerpunkt Online - schon heute sei man für die Mediathek des Senderverbundes zuständig. Gniffke will, dass der SWR künftig als innovativer, nonlinearer und schnell agierender Sender gesehen wird. Auf die aktuelle Entwicklung der Rundfunkabgabe angesprochen meinte er, die einst diskutierte Index-Lösung, also eine automatische Steigerung entlang der Preisentwicklung, sei 'tot'. Er setzt darauf, dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk den Bürgern vermitteln muss, wofür das System steht. Das erklärt wohl auch, warum er als einziger Intendant einen eigenen Blog hat.

Abwarten, ob 2021 die Stimmung auch noch so fröhlich sein wird.....

Abschließend kann man festhalten, das neue SWR-Führungspersonal wollte in Stuttgart ein Zeichen für einen Aufbruch geben. Ob und wie sich das im Programm niederschlägt, bleibt abzuwarten - in einem Jahr wissen wir mehr.....

Sonntag, 22. März 2020

Wie die Polizei einen Polizisten fertigmacht


Caroline Wenzel  - Ernst Kappel
Es gibt bemerkenswerte Bücher und bemerkenswerte Veranstaltungen - so am 10. März 2020 im Hospitalhof in Stuttgart. An diesem Abend wurde das Buch: "System Polizei - Der Kommissar und der Amoklauf von Winnenden" (1) der Öffentlichkeit vorgestellt. Autoren sind die Fernsehjournalistin Caroline Wenzel und der Kriminaloberkommissar im Ruhestand Ernst Kappel. Sie lasen vor den rund 100 Besuchern im Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof in Stuttgart aus dem Buch, darauf folgte eine lebhafte Diskussion. 

Die Geschichte des Ernst Kappel ist die eines Beamten, der sich selber als "Vollblutbulle" bezeichnet. Seit seinem Einstieg bei der Polizei Mitte der 1980er Jahre war er bei vielen gefährlichen Einsätzen an 'vorderster Front' eingesetzt - und war stolz darauf. (PS: Wer weiß, ob wir uns am Bauzaun begegnet sind.....) Dann kam der 11. März 2009, der sein Leben völlig veränderte. An diesem Tag erschoss ein Amok laufender Jugendlicher in Winnenden bei Stuttgart insgesamt 15 Menschen und zum Schluss sich selbst. Ernst Kappel war damals sechzehn Stunden lang im Einsatz. Dazu gehörte am Ende des Tages die Leichenschau im Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Danach litt Kappel zunehmend unter psychischen und körperlichen Problemen, die aber von seinen Vorgesetzten und dem 'System Polizei' ignoriert wurden. Er musste jahrelang gegen seinen Dienstherren prozessieren, damit seine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Dienstunfall anerkannt wurde. Heute ist Ernst Kappel im Ruhestand und leidet an einem  heimtückischen Hirntumor im Endstadium. Er hat nie den Kampf um sein Recht aufgegeben - was der Abend im Hospitalhof zeigte.

Jürgen Röhr
Kappel hatte sich 2012 nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit seinem Dienstherren entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen - 'Der Spiegel' brachte einen großen Artikel, es folgten TV-Berichte bei Report-Mainz und im Regionalfernsehen des Südwestrundfunks (SWR). Danach sah man ihn in der Polizei als 'Nestbeschmutzer', es begann ein Kesseltreiben gegen Ernst Kappel. Das es sich nicht um einen Einzelfall handelt, verdeutlichte auf dem Podium Jürgen Röhr. Er war 2003 im Einsatz angeschossen worden und hatte monatelang in Koma gelegen. Im Jahr 2007 hatte er dann mit anderen Betroffenen eine Selbsthilfegruppe für im Dienst verletzte Polizisten gegründet. Sein Statement in Stuttgart zeigte, dass Ernst Kappel kein Einzelfall ist. Die Devise der Führung lautet: Vertuschen, Verschweigen, Druck ausüben - dabei hilft falsch verstandener Korpsgeist vieler Polizisten, gemischt mit Angst um die Karriere. 

Nach etwa einer Stunde Diskussion war im Publikum deutliche Fassungslosigkeit und Erschütterung spürbar. Kurz vor Schluss ergriff dann eine Frau das Wort und sofort war klar, hier sprach keine Einzelperson, sondern das "System Polizei". Schon ihre Wortwahl "wir" - die Polizei habe sich dem Problem angenommen, machte das deutlich. Demnach habe "man" überall 'Soziale Berater' in den Dienststellen - "man" kümmere sich. In seiner Antwort wies Jürgen Röhr, darauf hin, dass solche 'Berater' in den Dienststellen nach dem Motto rekrutiert würden, wer dafür Zeit habe. Laut den Autoren gibt es in den Revieren und Dienststellen in Baden-Württemberg 3 ausgebildete Psychologen. 

In ihrem Statement betonte die Unbekannte am Mikrophon, es gebe keinen Zusammenhang zwischen Frühverrentung betroffener Beamter und dem Ziel, über deren Planstellen zu verfügen. Im Expertenteil des Buches sagt Kappels Anwalt Oliver Leuze: "Es ist allgemein im Beamtenrecht so, dass Beamte, die nicht voll arbeiten können, eine Stellen besetzen und den Haushalt belasten. Und wenn sie zur Ruhe gesetzt würden, dann beträfe es einen anderen Haushalt. Und dann ist man sie los. Es ist ein anderer Geldtopf und man hat wieder Mittel für eine Stelle." Entsprechend äußerte sich Mitte März auf Nachfrage ein Sprecher des Finanzministeriums in Stuttgart: Die Rentenzahlungen der Landesbeamten im Ruhestand würden über den Etatplan 12 des Finanzministeriums zentral finanziert. Die Menge der Verrentungen in den Ressorts hätten dagegen keinen Einfluss auf deren Finanzausstattung und die Zahl der Planstellen. 

Wer war die Dame, die im Hospitalhof versuchte, mit argumentativen Nebelkerzen die Polizei reinzuwaschen? Erst später erfuhr ich, dass sich Dr. Stefanie Hinz, Landespolizeipräsidentin in Baden-Württemberg zu Wort gemeldet hatte - ihre Funktion hatte sie wohlweislich verschwiegen. Sonst hätte sie sicherlich dem Publikum Rede und Antwort stehen müssen, was sie wohl vermeiden wollte. Ein Zuhörer fragte danach, ob sich seitens der Polizei nie jemand bei Herrn Kappel entschuldigt habe - Frau Hinz schwieg und verließ nach Ende der Veranstaltung zügig den Saal. Die Courage, einige Worte mit Ernst Kappel zu wechseln, hatte sie nicht.   


Uwe Schill

Berührend war der Auftritt von Uwe Schill, er hatte seine Tochter bei dem Amoklauf in Winnenden verloren. Jahre später las er zufällig den Artikel über Ernst Kappel und nahm Kontakt zu ihm auf. Heute verbindet Schill und Kappel eine tiefe Freundschaft und man konnte sehen, wie schwer es Uwe Schill fiel, einen Auszug aus seinem Buchbeitrag vorlesen - der Tag nach der Lesung war der elfte Jahrestag von Winnenden......


Eine Sternstunde der 'Vierten Gewalt' - der Medien - wurde der Abend im Hospitalhof nicht. Dabei hätte man hier ein Lehrstück in Staatsbürgerkunde publizistisch aufarbeiten können. Niemand von den marktführenden Tageszeitungen in Stuttgart war  erschienen. die "Stuttgarter Zeitung" hatte in ihrem Kalender keinerlei Hinweis gebracht. Zwei andere Veranstaltungen an diesem Tag im Hospitalhof hatte man angekündigt. Wer die jahrelange Protektion von Stuttgart 21 durch die beiden Stuttgarter Tageszeitungen kennt, wundert sich nicht - man geriert sich Staatstragend und nicht der Öffentlichkeit verpflichtet. Aber auch die Kollegen vom 'Alternativen' Online-Wochenblatt "Kontext" glänzten am Abend durch Abwesenheit - damit ging ihnen der Auftritt von Frau Hinz durch die Lappen. Nun ja, es hatte zuvor schon einiger Bemühungen bedurft, dass die Redaktion das Thema aufgreift. Zumindest war auf die Veranstaltung hingewiesen und ein Buchauszug verlinkt worden. Löbliche publizistische Ausnahme: Der TV-Sender regio.tv aus dem Stuttgarter Umland hatte ein Team geschickt und sendete danach einen sehenswerten Bericht. 

Nach Ende der Veranstaltung  ließen sich viele Besucher das Buch von den beiden Autoren signieren.....

 

Chronistenpflicht: Ernst Kappel ist am 19. August 2020 gestorben.....



(1): Verlag Kloepfer und Narr, Tübingen 333 Seiten hardcover - 25 € 

https://www.regio-tv.de/mediathek/video/der-amoklauf-von-winnenden-polizist-berichtet-ueber-erfahrungen/ 
https://www.swrfernsehen.de/landesschau-bw/Amoklauf-Winnenden-Schicksal-Ernst-Kappel-Uwe-Schill,av-o1210966-100.html?fbclid=IwAR0e5Tl6C4wJPAUgbhKihv-O6cwWhExOkKhvGb5tI6VfFdOIeOIkhIQsFO4