Mittwoch, 30. Juni 2021

Chios im Juni 2021 - nach acht Corona-Monaten wieder Zuhause.....

Sonenuntergang über der Ägäis in Avghonima

 

Wir hatten im Oktober 2020 nicht damit gerechnet, dass die Corona-Pandemie unsere Verbindung nach Chios derart 'stillegen' würde. Es hat acht lange Monate gedauert, bis wir wieder auf die Insel zurückkehren konnten. Dazwischen gab es nur den digitalen Kontakt zu unseren Freunden. Aber: Das Alter hat auch seine Vorzüge - so konnte ich Mitte Juni, nach meiner zweiten Impfung, problemlos wieder einreisen. 

Auf den ersten Blick war es wie immer, am Flughafen Homeros auf Chios wurden die zumeist griechischen Fluggäste meiner Olympic-Propellermaschine von Anghörigen und Freunden empfangen - aber Schutzmaske war Pflicht. Was uns und vor allem den Griechen schwerfällt - körperliche Distanz. Keine Umarmungen, kein Küsschen links und rechts, das schafft ungewollte Distanz. Aber: Chios ist gerade im Frühsommer (Mai-Juni) besonders schön. Überall grünt es, an
den Straßenrändern blühen Ginster und Rhododendren, in Gärten stehen Zitronen- und Mandarinenbäume voller Früchte. Die Luft ist um diese Jahreszeit angenehm mild, Abends wird es oft kühl - was das Schlafen erleichtert. An unserem Wohnort Volissos, im Nordwesten der Insel gelegen, begrüßten uns unsere Freunde und Nachbarn Georgios und Marianna. Um sie herum die Katzen-Großfamilie, um die sich beide seit Jahren kümmern.  


Nach acht Monaten 'Abstinenz' waren unsere Rendezvous schnell vergeben. Fast jeden Abend trafen wir Freunde in einer anderen Taverne, lernten so neue Restaurants kennen. Man erzählte sich, was auf Chios und in Deutschland in den letzten Monaten los gewesen war. Während auf Chios, wie den meisten Inseln, die Corona-Impfungen der Einwohner zügig umgesetzt wurden, wollten unsere Freunde das Impf-Chaos in Deutschland einfach nicht glauben. Auf Chios hatten schon vor Wochen alle Einwohner über 60 Jahre per SMS ein Impfangebot erhalten. Als wir erzählten, dass die Engpässe bei der Versorgung mit Impfstoff bei uns immer noch anhalten, burokratisches Chaos den Schutz behindert - da wollten das unsere griechischen Freunde einfach nicht glauben. Ach ja und dass unsere Bundeskanzlerin im September nicht mehr zur Wahl antritt, löste ungläubiges Erstaunen aus. Für die Griechen sind Merkel und Schäuble immer noch das Symbol für deutsche Politik. 

Die Corona-Pandemie hat auch auf Chios massive Folgen für den Fremdenverkehr, obwohl er im Vergleich mit den anderen Inseln der Ägäis nur bescheidenen Ausmaße hat. Das Chios City Inn Hotel, in der Nähe der Hafenpromenade der Hauptstadt, hat derzeit höchstens ein bis zwei Gäste in der Woche, erzälte uns George Missetzis, dessen Sohn Nikos den Betrieb leitet. Hauptgrund: Der Fährverkehr für Personen zum nahegelegenen Cesme in der Türkei - acht Kilometer Luftline entfernt - wurde vor langer Zeit eingestellt. Nur noch Lastwagen landen von dort in Chios, viele werden von dort auf die Fähren zum griechischen Festland verladen. Menschen dürfen wegen Corona nicht reisen.
"Die Fahrer der Trucks aus der Türkei werden bei der Durchreise nicht getestet"
, schimpft George. Früher kamen viele Besucher aus der Türkei für ein Wochenende nach Chios - zum Feiern und Einkaufen. Auch die Kreuzfahrtschiffe bleiben aus, was wir nicht bedauern, denn diese 'Gäste' lassen bei ihrem kurzen Landgang nur wenig Geld auf Chios. Unser Freund George Missetzis versucht, aus der Lage das beste zu machen: "Ich nutze die Zeit für die Renovierung der alten Häuser im Dorf Avghonima, die ich an Touristen vermiete." Bei ihm mieten sich im Frühjahr Orchideen-Freunde aus aller Welt ein, denn George kennt die besten Stellen, an denen sie wachsen.

Die Situation mit den Flüchtingen und dem Streit mit der Regierung in Athen hat sich - zumindest derzeit - entschärft. Seit bekannt wurde, dass die Regierung in Athen auf Chios ein zweites Aufnahmelager plante, war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Inselbewohnern und Spezialkräften der Polizei aus Athen gekommen. Nahe der Inselhauptstadt sollte auf dem karstigen Epos-Hochplateau das zweite Lager errichtet werden und Athen schickte im vergangenen Jahr eine berüchtigte Spezialeinheit der Polizei nach Chios. Sie hätten sich aufgeführt, wie in Feindesland: "Ich bin ein friedlicher Mann, aber das war zu viel", schimpft noch heute unser Freund Georg Chalatsis, der jahrelang in Deutschland als Lehrer gearbeitet hatte. Auf Youtoube und Facebook kann man Aufnahmen der prügelnden Polizei sehen. Die Inselbewohner ließen sich das nicht bieten, und demolierten das Hotel, in dem die Polizisten untergebracht waren. 

Wieviele Flüchtlinge aktuell auf Chios leben, ist unklar. Das Lager im Süden wurde hermetisch von der Armee abgeriegelt, Menschen auf das Festland gebracht - es sollen jetzt um die 1000 Flüchtlinge in Chios untergebracht sein. Die Regierung hat die Pläne für ein weiteres Lager im Nordosten der Insel aber nicht aufgegeben. Derzeit kommen aus der Türkei nur wenige Flüchtlingsboote, die Regierung in Ankara setzt auf finanzielle Unterstützung der Eruopäischen Union und hat daher die Kontrollen verschärft. Gleichzeitig wurden sogenannte push-back Aktionen der griechischen Küstenwache bekannt. Unter den Augen der EU-Polizeitruppe Frontex wurden Schlauchboote vor der Küste abgefangen und Richtung Türkei zurückgedrängt - ein absoluter Rechtsverstoß.

Wir hatten also viel Gesprächsstoff mit unseren Freunden bei
Taverne Fita

den gemeinsamen Abendessen. Die grandiose Natur - vom Meer bis zum Gebirge, Mastix-Plantagen und grünen Waldgebeiten - nahm uns erneut gefangen. Unsere Freunde Georg und Filia führten uns in das kleine Bergdorf Fita, das am Fuß des Pelineo-Gebirges im Inselnorden liegt.Direkt am zentralen Plat des Dorfes lädt eine Taverne zum Besuch ein. Die Betreiber sind ein Paar, das in Athen ein gutgehendes Restaurant hatte. Aber sie wollten ein ruhigeres Leben, übergaben das Lokal an ihren Sohn und eröffneten in Fita ihre neue Taverne.
Im Winter leben sie hier alleine, da das Dorf so richtig nur im Sommer bewohnt ist. Aber die beiden stört das nicht, sie wollen dem Stress entgehen. Allerdings ist das Lokal mittlerweile so bekannt auf der Insel, dass man am Wochenende einen Tisch auf dem Dorfplatz reservieren muss. Die Küche bietet griechisches Essen mit Pfiff. Als wir mit Georg und seiner Frau Filia angkamen, brachte ein Bauer frisch gestochenen Salat - den servierte das Lokal mit Birnenschnitzen, Rocquefort und etwas Balsamico - ein Genuss. Dazu gab es einen würzigen Muskat-Wein aus dem nahegelegenen Ariousios-Weingut - dazu dieser Blick auf das Meer - was will man mehr?!   

Bei jedem Besuch auf Chios fahren wir in den Norden der Region Amani, hier ist es noch grün und die Wälder  erzeugen kühles Klima. Kurz vor Aghiasmatha führt eine kleine Straße in Kurven den Berg hinauf in das kleine  Dorf Leptopoda. Als wir dort ankamen, liefen wir in durch die kleinen Gassen und wurden von einer älteren Damen angesprochen:

"Wo kommt ihr her, ah aus Deutschland." Sie schien zu wissen, dass wir in Volissos wohnen - der Buschfunk funktioniert. In einer der verwinkelten Dorfgassen, steht ein kleines Kafenion. Hier können sich die Besucher selber Kaffee kochen und dann beim Abschied etwas Geld auf die Theke legen. Im Sommer belebt sich das Dorf, im Herbst fällt es dagegen in den Winterschlaf. 

Das schönste an der Region Amani sind die Bergwälder - überall sattes Grün. Zum Glück blieb die Region bisher von den gefürchteten Waldbränden verschont. Ein Grund dafür ist eine Bürger-Truppe von Feuerschützern (Omikron), die regelmäßig die Region überwacht, Übungen abhält und im Notfall zur Brandbekämpfung ausrückt. Sie beseitigen vertrocknetes Holz und räumen Schneisen in die Wälder um Brände einzudämmen. 

Es sind immer wieder Einzelne, die sich auf der Insel für Natur oder den Erhalt von Kulturgütern engagieren.

Sie verlassen sich nicht auf die vagen Versprechungen der
Politiker, die vor allem Wählerstimmen im Visier haben. Unser Freund Georg, der einstige Lehrer, restauriert seit Jahren alte Wanderpfade und Handelswege aus byzantinisch-osmanischer Zeit. Zusammen mit anderen Naturliebhabern ist er das ganze Jahr über unterwegs, um sie freizuräumen und Wegweiser für Wanderer aufzustellen. Er hat dafür kürzlich einen internationalen Preis erhalten. Beim Essen erzählt er uns: "Wir haben gerade bei Fita einen Weg in die Berge geräumt. Dazu gibt es eine spannende Geschichte, denn einst gab es hier eine Blutfehde zwischen zwei Familien. Ein Mann hatte aus Eifersucht seinen Freund getötet und musste sich jahrelang in Höhlen des Bergmassivs verstecken. Er wurde dort von seiner Famlie versorgt - während die Polizei ihn suchte. Gemeinsam mit einem Schriftsteller der Insel organisieren wir jetzt eine Wanderung zu der Höhle und erzählen die Geschichte"
 

Am letzten Abend waren wir mit George und Marianna im kleinen Dorf Pitios, unterhalb des Pelineo-Gebirges. Hier steht ein alter Wehrturm aus der Zeit der Genuesen und die verwinkelten Gassen mit den kleinen Häusern wirken wie eine Theaterkulisse. Am großen Platz könnte man sofort ein Shakespeare-Stück aufführen - Romeo und Julia auf Chios.

In der alten Dorfschule wurde kürzlich die Taverne "Zur alten Schule" eröffnet, hier kann man auch zwei kleine Apartments mieten. Der Abend war wie aus dem Griechenland-Bilderbuch: Man betrachtet das Leben am Platz, geniesst das Essen und trinkt gemeinsam Wein - während der Mond aufgeht. Ach ja und dann war da noch der orthodoxe Priester, er kennt George und Marianna und spendierte uns den Wein. Dann kam noch der Chef des Finanzamtes in Chios vorbei und plauderte mit unserer Runde. Zum guten Schluss half uns der Tavernenwirt mit ein paar Litern Benzin aus - wir hatten vergessen zu tanken. Nach so einem Abend fiel uns der Abschied am nächsten Tag noch etwas schwerer als sonst..... 

Die Chioten lassen sich auch 2021 nicht unterkriegen, was haben die Einwohner nicht alles erlebt. Vor zweihundert Jahren das Massaker der Osmanen an der Inselbevölkerung; die verheerenden Erdbeben in den 1880er Jahren; die Kämpfe um die Befreiung der Insel von den Osmanen 1912; die deutsche Besatzung während des zweiten Weltkrieges 1941-1944 mit Hunger und Elend; den Bürgerkrieg 1946/47 und die Diktatur 1967-74. Aktuell blickt man sorgenvoll  Richtung Türkei, der Streit um die Seegrenzen mit Erdoghan spielt sich vor der eigenen Haustür ab. Regelmäßig hält das griechische Militär hier Manöver ab - als ich ankam hörte ich tagsüber im Norden den 'Kriegslärm'. Aber dann beruhigt es sich wieder und unsere Freunde arbeiten wieder an ihren Plänen für die Zukunft - das macht Chios für uns so liebenswert.....

Uns bleibt die Hoffnung, sofern es Corona zulässt, im Herbst wieder heimzukommen.....bis bald!


PS: Die Griechen lieben Enten und Gänse, folgendes Warnschild fanden wir nahe Volissos im Küstenort Limnia: Vorsicht Enten kreuzen...