Montag, 19. November 2012

SWR "resozialisiert" Super Nanny


Der öffentlich-rechtliche Südwestrundfunk (SWR) startet am 16 Januar 2013 in seinem Dritten Fernsehprogramm die Pilotfolge zur neuen Dokuserie: "Expedition Familie". Dabei sollen der Alltag und die Konflikte in ausgewählten Familien und Wohngemeinschaften unter die Lupe genommen werden. Dafür hat man sich eine einschlägige Mitarbeiterin gesichert, die früher als RTL-Super-Nanny bekannte Katharina Saalfrank. 

Die heute 40-Jährige war sieben Jahre lang die "Super Nanny" bei RTL. In dieser Sendung wurden vorwiegend Unterschichtenfamilien zur Schau gestellt, die nicht mit ihren Kindern klar kamen. Die Voyeurismus-Show brachte Frau Saalfrank dann 2011 in Konflikt mit der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) der Landesmedienanstalten. In der monierten Sendung vom 14. September 2011 ging es um das psychisch und physisch gewalttätige Verhalten einer Mutter gegenüber ihren zwei und fünfjähigen Kindern. Dort sei „vor laufender Kamera" gezeigt worden, "wie die Mutter ihrer fünfjährige Tochter anschreit, ihr mit Schlägen droht, sie ignoriert und schließlich schlägt – ohne dass das Kamerateam einschreitet“, heißt es in einer Erklärung der KJM vom Juli 2011. Damit habe die Sendung gegen die Menschenwürde verstoßen, stellen die Kinderschützer fest.

Mittlerweile hat Frau Saalfrank RTL verlassen, allerdings erst nachdem sie sieben Jahre lang anscheinend keine Skrupel gehabt hatte. Sie nannte als Grund für ihren Ausstieg inhaltliche Differenzen, bei RTL wurde die Einstellung der Serie mit den zum Schluss schlechten Quoten begründet. Nun will der SWR mit der Ex-Nanny auf dem selben Sendeplatz (Mittwoch 20.15 Uhr) wie einst RTL die TV-Expedition ins deutsche Familienleben starten. Angesichts des letzten Platzes des SWR-Dritten im Vergleich mit den ARD-Dritten (6,1% im Sendegebiet) scheint der Chefetage beim SWR mittlerweile fast alles recht zu sein, um jüngere Zuschauer zu keilen.

Wie man gegenüber Frau Saalfrank die richtige Schleimspur anlegt, zeigte die Landesschau des SWR für Rheinland-Pfalz (19.45 Uhr) bereits am 26. April 2012* Die studierte Pädagogin tingelte zu dieser Zeit über Provinzbühnen mit ihrer Erziehungsshow: "Nein Mama". Der SWR-Moderator kündigte das "Couchgespräch" mit den Worten an: "Jahrelang hat Sie Familien geholfen, jetzt ist Schluss damit..." und dann gab´s einen Ausschnitt aus dem Gesangs-Video von Frau Saalfrank. Danach wurde die   als "SPD-nah" bezeichnet Nanny noch zur Herdprämie von Familenministerin Schröder befragt. Kein Wort verlor dieser "Journalist" über die umstrittene "Super Nanny" bei RTL. 

Es gibt schon zu denken, wenn SWR-Chefredakteur Fritz Frey gegenüber dem "Spiegel" verkündete: "Saalfrank passt mit dem neuen Format sehr gut ins öffentlich-rechtliche Fernsehen". Nichts gegen mediale Resozialisierung, aber so einfach dürfen es sich öffentlich-rechtliche Journalisten nicht machen!
 
 * www.swr.de/landesschau-rp/couchgespraech/-/id=5661010/nid=5661010/did=9447404/559hnt/

Freitag, 19. Oktober 2012

Guido Knopp - Weltenbrand - fragwürdiges Spektakel



Mit dem dreiteiligen TV-Dokumentarspektakel "Weltenbrand" verabschiedet sich ZDF-Geschichtslehrer Guido Knopp von seinen Zuschauern - er geht auf Rente. Für den Titel der von ihm verantworteten Serie über die beiden Weltkriege greift er in den germanischen Mythenfundus (1), aus dem sich schon Richard Wagner in der "Götterdämmerung" bedient hatte.

Über den Auslöser des Krieges bedient die ZDF-Serie altbekannte Klischees. Europa sei in den Krieg irgendwie hereingerutscht, wird suggeriert. Folgerichtig werden die Staaten und ihre Völker 'vom Kriegsausbruch überrascht'. Kein Wort zur Vorgeschichte, dass Europa angesichts der Marokkokrise im Jahr 1912 kurz vor einem Krieg gestanden hatte. Weiter gehen Knopps Mannen stillschweigend darüber hinweg, dass konservativ-nationalistische Politiker und Militärs im Deutschen Reichs den Krieg geradezu herbeisehnten. Sie hatten seit Jahren am Bild der neidischen Nachbarstaaten gemalt, die dem aufstrebenden Kaiserreich angeblich den "Platz an der Sonne" verweigern würden.(2)

Weiter verbreitet der ZDF-Weltenbrand immer noch unhinterfragt die Geschichte von der allgemeinen Kriegsbegeisterung in Deutschland und Europa. Noch heute wirkt anscheinend in den Köpfen der ZDF-Redaktion der Ausspruch Kaiser Wilhelms - eines durchaus geschickten Propagandisten - der am 4.August 1914 erklärt hatte: "Ich kenne keine Parteien mehr - sondern nur noch Deutsche!"  In Wirklichkeit hatte es noch kurz vor Kriegsbeginn Demonstrationen für den Frieden gegeben. Der Jubel kam zuerst aus den kleinbürgerlichen und großbürgerlichen Kreisen des wilhelminischen Deutschlands. Viele einfache Leute und Arbeiter dachten im August 1914 eher mit Angst an das was kommen würde.(3)

Die ZDF-Serie schildert den verheerenden Gaskrieg ab dem zweiten Kriegsjahr, ohne die Urheber zu benennen. Am 3.Januar 1915 setzten deutsche Truppen an der Front in Russland erstmals Gas als Waffe ein.(4)  Am 22.April 1915 folgte dann der deutsche Angriff bei Ypern.  Dabei wurden britische und kanadische Soldaten sowie französische Kolonialtruppen mit aus Gasflaschen abgelassenem Chlorgas vergiftet. Die Kaiserlichen Militärs erhofften sich, so die Front zu durchbrechen und erneut in den Bewegungskrieg übergehen zu können. Dies erwies sich aber schnell als Fehler und in der Folge setzten die Entente wie die Mittelmächte diese mörderische Waffe ein.

Beim Thema Verdun haben die Autoren des ZDF kritischer als bisher gearbeitet. Die jahrzehntelang unhinterfragte These: Die Schlacht habe alleine das Ziel gehabt, die französische Armee ausbluten zu lassen, wird im Film nicht mehr vertreten. Viele Historiker sind lange der Darstellung des einstigen Kaiserlichen Generalstabschefs, Erich von Falkenhayn gefolgt. Er hatte in seinen 1920 veröffentlichten Memoiren: "Die Oberste Heeresleitung 1914-1916 in ihren wichtigsten Entscheidungen" (5) behauptet, es sei darum gegangen, die französische Armee zu erschöpfen und nicht die Stadt einzunehmen oder einen Durchbruch zu erzielen.

Falkenhayn hatte demnach am 21.Dezember 1915 in einem "Weihnachtsmemorandum" dem Kaiser angeblich vorgeschlagen, Verdun anzugreifen, um die französische Armee entscheiden zu schwächen. Kein Exemplar dieses Memorandums konnte aber bisher in offiziellen Archiven gefunden worden. Vielleicht ging es Falkenhayn um die nachträgliche Legitimation der von ihm unzureichend vorbereiteten Offensive. Diese Ansicht vertritt etwa der Düsseldorfer Geschichtsprofessor Gerd Krumeich: "Der einzige 'Fundort' der Quelle sind Falkenhayns Memoiren, die dieser 1919 (...) veröffentlichte und die vor allem den Zweck hatten, ihn, der für die Operation verantwortlich war, reinzuwaschen." (6) In dem gemeinsam von Krumeich und Jean-Jacques Becker veröffentlichten Buch: "Der große Krieg" meinen die Autoren: "Es gibt sehr gute Gründe anzunehmen, dass es sich bei diesem Memorandum um eine nach dem Krieg verfasst Fälschung handelt." Das Original sei in deutschen Archiven niemals gefunden worden. Falkenhayns Behauptung, einziges Ziel des Angriffs sei das 'Ausbluten' des französischen Heeres gewesen "ist (...) letztlich nur als Entschuldigung für das militärische Scheitern zu werten." (7)  Dokumente aus der Kriegszeit belegen demnach, dass man über Verdun versuchen wollten, wieder in den Bewegungskrieg zu kommen. Allerdings lehnte es Falkenhayn ab, gleichzeitig auf beiden Seiten der Maas bei Verdun anzugreifen. Seinen taktischen Fehler bei der Planung des Angriffs wollte er dann nach dem Krieg durch die 'Weihnachtsdenkschrift" kaschieren. 

Auch französische Quellen gehen heute davon aus, dass die Deutschen sehr wohl beabsichtigt habe, Verdun zu erobern.(8) Der britische Historiker Alistair Horne zitiert in seinem bereits 1965 erschienenen Buch über die Schlacht den Kommandanten der 5.Armee, den deutschen Kronprinzen Wilhelm. Dieser habe erklärt, es gehe bei der Offensive darum: "die Festung Verdun schnell zu Fall zu bringen." (9)
Die Lesart Falkenhayns über das Gemetzel bei Verdun wird im ZDF-Weltenbrand zwar nicht mehr vertreten, aber es wird auf die Absicht nach Kriegsende, seinen Misserfolg nachträglich zu verschleiern nicht eingegangen.

Aktualisierung
Die im Frühjahr 2014 veröffentlicht Analyse "Verdun 1916" des Historikers Olaf Jessen (10) beweist, dass Falkenhayn nach dem Krieg versucht hatte, seine Vertantwortung für das Scheitern der Offensive zu verschleiern. Er hatte damals behauptet, es sei ihm alleine darum gegangen, die französische Armee bei Verdun "ausbluten" zu lassen und die Stadt nicht etwa zu erobern. Die von Falkenhayn angeblich dem Kaiser im Dezember 1915 übergebene "Weihnachts-Denkschrift", in der Wilhelm dieses Ziel der Offensive dargelegt worden sei, hat es nicht gegeben. Verdun bedeutete nicht nur eine militärische Niederlage des Kaiserreichs, sie führte auch zur Verschärfung des Krieges (U-Boote) und machte einen Friedensschluss unmöglich. Jessen belegt dies durch viele Dokumente und Aussagen militärischer Zeitzeugen, die nach 1918 offiziell befragt worden waren.  

Aktualisierung 2
Eine bemerkenswerte Analyse des Kampfes um Verdun bietet das im Herbst 2015 im S. Fischer Verlag erschienene Buch des britischen Historikers Paul Jankowski: "Verdun - die Jahrhundertschlacht". Sein Fachgebiet ist die französische Geschichte der Neuzeit, deshalb wurde das Buch dort bereits 2013 unter dem Titel: "Verdun 21 fevrier 1916" veröffentlicht. Er behandelt vorrangig die Mythenbildung um die Schlacht an der Maas - die bis in die Gegenwart hinein wirkt. Dabei habe Verdun weder taktisch, noch strategisch, die Bedeutung für den Krieg gehabt, die ihr nachgesagt wurde. Umso unverständlicher ist, dass der Fischer-Verlag für die deutsche Ausgabe den Titel: "Verdun-Die Jahrhundertschlacht" gewählt hat. In heutigen Zeiten scheint man in den Verlagen zu glauben, Leser nur noch mit Superlativen gewinnen zu können...

Revolution und Kriegsende behandelt der "Weltenbrand" oberflächlich. So erfährt man etwa nicht, dass der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert am 9. November 1918 einen Wutanfall bekam, nachdem sein Genosse Philipp Scheidemann die Deutsche Republik verkündet hatte.

Insgesamt ist das im Juni 2012 im Bildungsfernsehen des Bayerischen Rundfunk (!) - br-alpha gesendete Dokumentarspiel: "Europas letzter Sommer Die Julikrise 1914" sowie die zweite Folge über das Kriegsende und den Kapp-Putsch deutlich informativer. Vor allem erfährt der Zuschauer, wie deutsche Politiker und Militärs des Kaiserreiches von Anfang an nur auf den Sieg setzten - Kompromissvorstellungen oder einen "Plan B" zum Schlieffenplan gab es nicht. Schon 1914 war den Mächtigen in Politik und Militär das deutsche Volk ziemlich egal. "Im Rausch der Augusttage (1914 d. Blogger) ließ sich Falkenhayn zu dem zynisch leichtfertigen Satz hinreißen: 'Wenn wir auch darüber zugrundegehen, schön wars doch!" Dafür mussten dann vor Verdun mehr als 300 000 deutsche Soldaten mit ihrem Leben bezahlen. (11). Diese Politik des "Alles oder Nichts" führte in seiner radikalen Fortsetzung durch Hitler im Zweiten Weltkrieg zum Untergang Deutschlands.
 
(1) Wikipedia: "Der Weltenbrand ist ein Begriff aus der nordisch-germanischen Mythologie. Er beschreibt eine der vier eschatologischen Katastrophen im Rahmen von Ragnarök, dem Untergang der Welt."
(2) so 1897 vor dem Reichstag der spätere Reichskanzler (1900-1909) von Bernhard von Bülow
(3) Jochen Börsche in Stefan Burgdorff/Klaus Wiegrefe (Hrsg.) Der Erste Weltkrieg dtv/Spiegel 2004, S.54 ff. und Volker Ullrich: Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution-Beiträge zur Sozialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg, Donat Verlag 1999
(4) John Keegan, Der Erste Weltkrieg, Kindler 2000, S. 280 ff. 
(5) David Stevenson: Der Erste Weltkrieg, Artemis & Winkler 2006, S. 201 und German Werth: 1916 Schlachtfeld Verdun Anmerkung S. 59 
(6) Schlachten der Weltgeschichte, 2004 dtv, S. 298
(7) Becker/Krumeich; Der Grosse Krieg - Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918, 2010, Klartext-Verlag, S. 226 ff 
(8) www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/la-bataille-de-verdun:  
"Das ursprüngliche Ziel des Generals von Falkenhayn bestand darin, die Stadt zu erobern, um seinen Truppen damit das Tor zur Invasion Frankreichs zu öffnen. Er dachte dabei zweifellos nicht, dass sich der Angriff in eine lange Reihe von zermürbenden Stellungskämpfen verschlechtern würde. Aber nach den ersten Misserfolgen beim Versuch, die französischen Stellungen zu durchstoßen, und aufgrund der allgemeinen Bedingungen auf dem Schlachtfeld sah er sich genötigt, eine neue Strategie in Form eines Abnutzungskrieges zu übernehmen."


(9) Hew Strachan: Der Erste Weltkrieg, 2003 C.Bertelsmann, S. 230 - Quellenverweis: Alistair Horne: Des Ruhmes Lohn, Minden 1965, S. 65
(10) Olaf Jessen, Verdun 1916 - Urschlacht des Jahrhunderts, 2014 C.H.Beck
(11) Karl Heinz Janßen, Die Zeit Nr. 38, 16.04.1994

Dienstag, 2. Oktober 2012

Familie 2012: Digitale Autisten


Saß einst die deutsche Familie vor dem Fernsehgerät, um gemeinsam "Derrick" oder "Wetten dass?" zu sehen, setzt die Werbewirtschaft heute auf die Digital-Autisten. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man ein aktuelles Foto im Fachblatt Werben & Verkaufen (Süddeutscher Verlag) betrachtet.






Interessanterweise sehen die Werbeblattmacher die deutsche Familie weiterhin im klassischen Autoritätssystem - Vater gibt immer noch mit dem Zeigefinger die Befehle!. Alle sitzen zwar noch gemeinsam auf dem Sofa - aber jeder konsumiert getrennt Medienangebote. Die Blagen spielen auf dem interaktiven Flachbildschirm ein Videospiel, Mama liest- romantisch entrückt - im "Kindle" einen Roman. Papa dagegen ist mit dem Laptop online. Entweder informiert er sich gerade bei Spiegel-Online, oder vergnügt sich - wie geahnt - heimlich auf einer Sex-Site ....

Spaß beiseite, manchmal verraten die Ideen der Werbefuzzis viel darüber, wie sie ihre Konsumenten sehen oder gerne hätten. Gemeinsam und doch vereinzelte Medienkonsumenten, deren aktuelle Nutzungsdaten sofort ausgewertet werden können. Sie bekommen sofort auf ihre Bildschirme den passenden Werbespot, individuelle Bannerwerbung oder das Buchangebot zum gerade gelesenen Digtial-Buch. Direkte Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern würde den Konsum nur stören.

 Tja und wenn der digitale Zoo mal technische zusammenbricht?  

"Oh Gott Liebling, was sind das für Kinder?" "Welche Kinder - und wer bist Du ?" "Wer sind eigentlich die beiden alten Langweiler neben uns?" "Ach die bezahlen immer unsere Computerspiele."


In Wirklichkeit sitzt die Familie schon lange nicht mehr beisammen, jeder hockt in seinem Zimmer und  pflegt seinen digitalen Autismus*.

* Wikipedia zeigen Autisten einen "...angeborenen abweichenden Informationsverarbeitungsmodus, der (...) Schwächen in sozialer Interaktion und Kommunikation..." mit sich bringe.

Dienstag, 31. Juli 2012

Carsten Sostmeier: "...seit 2008 wird zurückgeritten!" ARD-Reporter nimmt Anleihe bei Hitler


Vielleicht war es die bisher bescheidene Medaillen-Ausbeute des deutschen Teams bei Olympia, die den ARD-Kommentator Carsten Sostmeier (NDR)* am 31. Juli anlässlich des ersten "deutschen" Goldes verbal entgleisen lies?

Die siegreichen Vielseitigkeitsreiter - früher Militäry genannt und von Tierschützern kritisiert - feierte er euphorisch. Dabei erinnerte Sostmeier daran, dass den deutschen Reitern bei der Olympiade 2004 das Gold aberkannt worden war. Zur Illustration nahm er dazu eine verbale Anleihe aus dem Zitatenschatz Hitlers: Wie vor vier Jahren mit Hinrich Romeike, wie vor acht Jahren mit Bettina Hoy als wir Mannschaft und Einzel gewannen. Aber dann kamen ja die Franzosen, die Briten, die Amerikaner und am grünen Tisch haben sie uns die Goldmedaille mit einer fragwürdigen Entscheidung weggerissen, und das haben sich die Deutschen gemerkt, denn seit 2008 wird zurückgeritten. Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos. 2008, 2012, Kapitel 1 am heutigen Tag ist erfüllt.“

Umgehende Proteste ließen Sostmeiers Haussender NDR nicht ruhen, der am selben Tag folgende Presseerklärung veröffentlichte - im Wortlaut: 

ARD-Kommentator Carsten Sostmeier hat sich für seine Äußerungen beim Auftritt der deutschen Vielseitigkeitsreiter während der Olympischen Spiele in London entschuldigt: „Es tut mir sehr leid, wenn ich mit meinen Äußerungen für Irritationen gesorgt habe. Ich entschuldige mich dafür.“ Sostmeier hatte u. a. beim Gold-Erfolg, der deutschen Vielseitigkeits-Mannschaft in der ARD gesagt: „Wie vor vier Jahren mit Hinrich Romeike, wie vor acht Jahren mit Bettina Hoy als wir Mannschaft und Einzel gewannen. Aber dann kamen ja die Franzosen, die Briten, die Amerikaner und am grünen Tisch haben sie uns die Goldmedaille mit einer fragwürdigen Entscheidung weggerissen, und das haben sich die Deutschen gemerkt, denn seit 2008 wird zurückgeritten. Wir holen uns Gold zurück, gnadenlos. 2008, 2012, Kapitel 1 am heutigen Tag ist erfüllt.“ Ähnlich hatte er sich tags zuvor auch im Internet-Livestream von den Olympischen Spielen geäußert.

ARD-Teamchef Walter Johannsen: „Bei allem Verständnis für die Begeisterung von Carsten Sostmeier über den ersehnten Reitererfolg: Derartige Formulierungen sind Entgleisungen, die nicht passieren dürfen. Das ist jetzt auch Carsten Sostmeier klar geworden.“

Faktisch hat der NDR seinen Korrespondent damit als Wiederholungstäter geoutet. Darüber hinaus musste der Sender seinen Korrespondenten anscheinend erst davon überzeugen, das läßt zumindest der letzte Satz des ARD-Teamchefs vermuten. Eigentlich sollte man den Herrenreiter Sostmeier im Ersten umgehend aus dem Verkehr ziehen. 

* NDR-Pferdesportexperte der ARD 
** Vor dem Reichstag hatte Hitler am 1. September 1939 beim Überfall auf Polen erklärt: "...seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen...".


Freitag, 20. Juli 2012

Kinder und Jugendliche hören weniger Radio



"Media Analyse 2012 Radio II: Rekord-Hoch bei den Jungen" tönte am 17. Juli die "Radiozentrale" - ein Interessenverband der öffentlich-rechtlichen- und privaten Radioveranstalter in Berlin - zu den neuen Radiodaten. "Noch nie haben so viele junge Hörer Radio eingeschaltet wie derzeit", wird stolz verkündet. Dies bestätigen auf den ersten Blick die am selben Tag veröffentlichten aktuellen Daten der Radio Media Analyse (MA 2012/I). Demnach schalten täglich 12,6 Millionen (72%) der unter 30-Jährigen ein Radioprogramm ein. (1) Dabei hören sie im Durchschnitt pro Tag  199 Minuten Radio. Allerdings muss die Radiozentrale einräumen, dass die Reichweite des Hörfunks in dieser Altersgruppe immer noch deutlich geringer ist, als im Durchschnitt der Bevölkerung. Betrachtet man die Ergebnisse bei allen Einwohnern, die der deutschen Sprache mächtig sind, erreicht das Radio täglich  58,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik - also mehr als 80 Prozent. (2)

Teenager wenden sich vom Radio ab


Betrachtet man jedoch die Radioreichweite bei den jüngeren Hörer, (10-19), gibt die Entwicklung wenig Grund zum Jubeln. Demnach verloren alle Radioprogramme täglich (Mo-Fr) in dieser Altersgruppe mehr als 170.000 (-3%) junge Hörer. Der Hörfunk erreicht jetzt noch 5,6 Millionen jugendliche Hörer (69%). Öffentlich-rechtliche Radioprogramme kommen damit pro Tag auf knapp 2,8 Millionen Hörer (-144.000), die Privaten auf gut 4 Millionen (-200.000). (3) Weit Negativer sieht die Entwicklung an den Wochenenden aus. Bei den jungen Hörern kommen alle Radioprogramme Sonnabends noch auf 5 Millionen (62%) Hörer und am Sonntag werden sogar nur 4,7 Millionen (59%) erreicht.

Auch Werbewellen verlieren junge Hörer

 

Für die Manager der Radioprogramme mit Werbeeinnahmen ist weniger die Tagesreichweite ihrer Programme von Interesse, als die pro durchschnittlicher Werbestunde erreichte Hörerzahl. (4) Die Werbewellen schalten demnach rund 23,7  Millionen Hörer (+1,7%) an Werktagen ein. Bezogen auf die über 73 Millionen Einwohner über zehn Jahre) erreichen die Werberadios stündlich damit mehr als ein Drittel (32%).

Will man sehen, wie sich die Hörerzahl jüngerer Hörer auf die Werbeprogramme von ARD und den Privaten verteilt, stößt man auf ein Problem. Die von der ARD-Werbetochter (AS&S) veröffentlichten Zahlen beinhalten auch die von ihr mit vermarkteten Privatsender. Aufschlussreicher sind deshalb die Daten des größten Privatvermarkters, der Radio Marketing Service GmbH (RMS) in Hamburg . Diese arbeitet allerdings bei jungen Hörern mit zwei unterschiedlichen Altersgruppen: 10-13- und 14-19. Während die Ergebnisse von ARD- und Privaten bei 10-13-Jährigen relativ konstant blieben, haben die ARD-Werbeprogramme bei den 14-19-Jährigen mit jetzt 400.000 Hörern fast 70.000 Nutzer pro Werbestunde (-16,8%) verloren. Allerdings ging auch die Hörerzahl der Privatradios rund  20.000 Hörer (-2,8%) zurück, sie erreichen noch 732.000 junge Hörer. 


Sorgen dürften alle Verantwortlichen der Werbewellen machen, dass sich Kids und Jugendliche immer weniger für klassisches Werberadio interessieren. Von den 10-13-Jährigen schalten stündlich nur 18% den Werbefunk ein, bei den 14-19-sind es auch nur 20%. Darauf angesprochen meinte am 19. Juli die Sprecherin eines Vermarkters für Radiowerbung scheinbar gelassen: "Das heißt ja nicht, dass die jungen Leute nicht später vermehrt Radio hören." Klingt ein wenig wie Pfeifen im Keller.... 


  1. Reichweite bedeutet, wer in der Befragung angibt, gestern ein Radioprogramm gehört zu haben. Zweimal im Jahr werden die Hörgewohnheiten der deutschsprachigen Einwohner (ab 10) in 64000 Telefoninterviews erhoben. Auftraggeber ist die Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (AGMA), ein Zusammenschluss von 260 Werbeunternehmen und Radioveranstaltern.
  2. Pressemitteilung Radiozentrale 17.07.2012und Daten ARD-Werbung AS&S.
  3. Tägliche Nutzung mehrerer Programme ergeben höhere Zahlen als die gesamte Radionutzung.
  4. Von 6 - 18 Uhr an Werktagen (Mo-Fr) Bruttosumme - Mehrfachnennungen möglich.

Donnerstag, 28. Juni 2012

ARD und ZDF im Kabel: Gezahlt wird nicht



ARD und ZDF haben die Verträge mit den den großen Kabelunternehmen zum Jahresende gekündigt. Sie wollen nicht mehr für die Einspeisung ihrer Programme ins Kabel bezahlen. Damit dürften ARD und ZDF etwa 60 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Im Gegenzug könnten die Netzbetreiber künftig deren digitale TV-Kanäle im Kabel nicht mehr weiterverbreiten. Das würde für den Tageschau.24, Eins Festival und Eins Plus sowie ZDF Kultur, ZDF Info und Neo das Aus im Kabel bedeuten. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten, die Netzunternehmen setzen auf neue Verhandlungen mit den Öffentlich-Rechtlichen.

Das Fernsehveranstalter für die Kabelverbreitung an die Netzbetreiber zahlen müssen, stößt bei Öffentlich-Rechtlichen- wie Privaten seit Jahren auf Ablehnung. Die Programmveranstalter vertraten immer die Ansicht, dass Kabelfirmen ihnen vielmehr etwas für die Verbreitung zahlen müssten - ohne Programme ist das Kabel ja uninteressant. Trotz dieser Ansicht beugten sich die Programmveranstalter zähneknirschend vor einigen Jahren dem Diktat der Kabelunternehmen.

Weshalb haben ARD und ZDF jetzt diesen Schritt gewagt? Ein Grund dürfte sein, dass der Umstieg der Kabelhaushalte vom analogen zum digitalen Empfang nur schleppend vorankommt. Dagegen empfangen seit Abschaltung der analogen Satellitenverbreitung in diesem Jahr alle Satelliten-Haushalte ihre TV-Programme digital. Während die Zahl der Satellitenhaushalte zwischen 2005 und 2011 von 43,1% auf 44,7% kontinuierlich gestiegen ist, sank der Anteil der das Kabel nutzenden TV-Haushalte von 51,7% auf 50,2%. **

Eine Abschaltung der digitalen ARD- und ZDF-Programme im Kabel bekäme weniger als die Hälfte der Kabel-TV-Haushalte zu spüren. Immer noch empfangen fast 60% der Kabelhaushalte nämlich ihr Programme analog.*** Dass sie damit nur knapp 30 TV-Kanäle empfangen können, reicht ihnen anscheinend aus. ARD und ZDF könnten die Abschaltung derzeit noch verschmerzen, denn der Marktanteil bei den Zuschauern für die Digitalkanäle erreicht zusammengerechnet nur einen einstelligen Prozent-Bereich. Demnach erreichten die digitalen öffentlich-rechtlichen Programmangebote am Abend (19-23 Uhr) im ersten Halbjahr 2012 gemeinsam weniger als 1,5% Marktanteil.**** Weiterhin müssen die Kabelbetreiber die Hauptprogramme von ARD und ZDF (Das Erste, ZDF, Arte und 3 Sat, Phoenix, Kinderkanal und die jeweils örtlichen ARD-Dritte) analog wie digital verbreiten. Dies schreiben der Rundfunkstaatsvertrag und die Mediengesetze der Länder vor.

Die Netzunternehmen ihrerseits müssen sich genau überlegen, ob sie die digitalen Kanäle von ARD und ZDF sowie die meisten der beliebten Dritten der ARD einfach aus dem Kabel werfen. Manchen Kabelkunden könnte dies dazu veranlassen, zum günstigeren Satellitenempfang zu wechseln. Auch die Idee, die 60 Millionen Euro durch eine Erhöhung der Kabelgebühren von den Haushalten zu bekommen, dürfte ebenfalls schwierig sein. Schon heute bietet der Satellit deutlich mehr Programme, als das digitale Kabel - und das für deutlich weniger Geld.

*      Digitalisierungsbericht der Arbeitsgemeinschaft der Medienanstalten (ALM) 2011
**    Terrestrischer TV-Haushalte (dvbt) von 9,7% auf 11,8%, Internetempfang 3%
***  Stand 2011
**** Die Zeit Nr. 28 (5.7.2012) 
        ZDF neo: 0,6%, ZDFinfo 0,3%, ZDFkultur 0,1%, tagesschau24 0,1%, Einsfestival 0,2%, EinsPlus 0,1%

Sonntag, 24. Juni 2012

Tageszeitungen: Einnahmen sinken - Redakteure werden eingespart


Die tägliche Auflage aller deutschen Tageszeitungen ist zwischen 2000 und 2011 um über 7 Millionen auf knapp 21,4 Millionen Exemplare gesunken. Das bedeutet einen Rückgang um ein Viertel der gesamten Auflage. Dies hat auch Folgen für die Zahl der beschäftigten Redakteure und Volontäre in deutschen Zeitungsunternehmen. Waren 2000 insgesamt 15.306 Redakteure bei den Tageszeitungen tätig, sind es 2011 nur noch 12.966 (-15%). Die Zahl der Volontäre ging noch stärker von 1378 auf 1128 (-18%) zurück.

Regelmäßig untersucht Horst Röper mit seinem Formatt-Institut in Dortmund den deutschen Zeitungsmarkt und veröffentlicht die Ergebnisse in der Fachzeitschrift Mediaperpektiven.* Hauptursache der negative Entwicklung innerhalb der letzten zehn Jahre ist der anhaltende Rückgang der Werbeeinnahmen bei Tageszeitungen. Konnten die Verlage 2000 netto mehr als 6,5 Millarden Euro aus Werbung erlösen, so waren es 2011 gerade noch etwas mehr als 3,5 Milliarden Euro. 

Der Einbruch der Werbeerlöse um mehr als 46 Prozent hat die Einnahmestruktur der deutschen Tagespresse damit völlig verändert. Jahrzehnte lang finanzierten sich die Tageszeitungen in Deutschland etwa zu zwei Dritteln aus Werbeeinnahmen und nur zu einem Drittel aus dem Zeitungsverkauf. Heute muss der Leser mit seinem Abonnement oder Kauf am Kiosk mehr als die Hälfte (52%) der Erlöse finanzieren. 

Kein Wunder also, dass die Zeitungsverleger die Sparschrauben anziehen, um weiter ihre Renditen halten zu können. Dies trifft vor allem die Beschäftigten und ihre Redaktionen. Die lokalen Abo-Zeitungen sind in Deutschland vorherrschend. Deshalb treten die Verleger vor allem bei der lokalen Berichterstattung auf die Kostenbremse, was zu Lasten der journalistischen Qualität geht. Laut Formatt werden die Berichte benachbarter Lokalredaktionen vermehrt untereinander ausgetauscht, dabei spielt es keine Rolle, ob die Blätter bei konkurrierenden Verlagen erscheinen. Der Leser merkt dabei auf den ersten Blick nicht, dass die Redaktionen mit demselben Material arbeiten. Andere Verlage gehen dazu über, die Lokalteile verschiedener Zeitungen zusammen zu legen.**

Die Perspektiven sehen hinsichtlich Pressevielfalt und journalistischer Qualität nicht gut aus. So warnt Röper, eine Verbesserung der Werbeeinnahmen bei den Tageszeitungen sei nicht zu erwarten. Im Gegenteil: zunehmend verzichten Lebensmittelriesen wie Aldi, Lidl usw darauf, große Anzeigen zu schalten oder Beilagen in Tageszeitungen zu veröffentlichten. Damit besteht die Gefahr, dass die journalistische Qualität lokaler Tageszeitungen weiter sinkt. Vor ein paar Jahren  gab es in Münster den Versuch, alteingesessene Lokalredaktionen komplett durch Billig-Journalisten einer eigens dafür gegründeten Leihfirma zu ersetzen.***



* Media Perspektiven, Heft 5/2012, S 268-285
** Beispiel: Nürnberger Nachrichten-Nürnberger Zeitung, Kölner Stadtanzeiger-Kölnischer Rundschau.
*** http://mmm.verdi.de/archiv/2006/12/print/teilen_und_herrschen_nach_gutsherrenart
http://mmm.verdi.de/archiv/2008/01-02/titelthema_tarifflucht/leiharbeit_legal_missbraucht

Dienstag, 15. Mai 2012

RTL will „Heilige Kuh“ schlachten – Zielgruppe 14-49 vor dem Aus?


Geht es nach den Wünschen von Martin Krapf, Chef des TV-Werbezeitenvermarkters IP-Deutschland, werden künftig nicht mehr die 14- bis 49-jährigen Zuschauer die wichtigste Zielgruppe der privaten Fernsehsender sein. Künftig will sich sein Unternehmen auf die 20- bis 59-Jährigen als Top-Zielgruppe konzentrieren. IP gehört zum Bertelsmann-Konzern und vermarktet die Werbezeiten von RTL, Super RTL, Vox und des Nachrichtenkanals n-tv. Bereits seit dem letzten Jahr veröffentlicht IP die Zuschauermarktanteile nicht nur für 14- bis 49-Jährige, sondern auch für 20- 59-Jährige. Jetzt will man ab dem nächsten Jahr nur noch die Zahlen der älteren Zielgruppe veröffentlichen, meldete im Frühjahr das Fachblatt Werben und Verkaufen.

Helmut Thomas Coup

Sollte es der RTL-Group und seinem Vermarkter gelingen, die Altersstruktur der „Hauptwährung“ des Verkaufs von Werbezeiten zu erhöhen, würde damit eine Ära im deutschen Fernsehen zu Ende gehen. Mitte der 1980er Jahre hatte der damalige RTL-Chef, Helmut Thoma die vermeintlich wichtigste Altersgruppe zwischen 14 und 49 Jahren erfunden. Er wollte damals seinen Sender RTL (Volksmund: Rammeln, Töten, Lallen) deutlich jünger und damit für Werbetreibende attraktiver positionieren als die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Der Coup gelang und bald tanzten alle Sender um das Goldene Kalb 14-49. Über den RTL-Chef und seine Zielgruppe lästerte 2003 der Werbemanager Bernd Michael auf den Münchner Medientagen: „Thoma hat das zu jedem Anlass mit seiner österreichischen Penetranz als Erfolgskriterium propagiert.“

Reaktion auf den demografischen Wandel – Deutschland wird Alt

Weshalb soll aber jetzt Thomas „Heilige Kuh“ von IP geschlachtet bzw. buchstäblich aufs Altenteil geschoben werden? Seit 2010 überschreiten die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre zunehmend die 50er Grenze, gleichzeitig sinkt die Zahl jüngerer Menschen in Deutschland. Schon 2003 hatte der Altersdurchschnitt fast der Hälfte aller Zuschauer von RTL, Sat 1 und Kabel1 über der magischen 49-Grenze gelegen. Damals bezeichnete der Werbemanager Michael Krautwald die Altersbegrenzung 14-49 als „Fata Morgana“ und betonte: „Alter ist kein konsumtrennendes Merkmal mehr.“ Andererseits gehen die Werbemanager immer noch davon aus, dass die Konsumenten ihre bevorzugten Produktmarken vor dem 35. Lebensjahr finden.
Viele Werbetreibende orientieren sich bei Werbebuchungen verstärkt an sozialen Strukturen, also den vielfältigen Lebens- und Konsumstilen einzelner Bevölkerungsgruppen (Sinus Milieus). Trotzdem gilt der Erfolg bei den 14-49-Jährigen aber immer noch als zentrale „Währung“ für die Attraktivität eines TV- oder Radiosenders. Allerdings machen Werbetreibende ihre Buchung von Werbezeiten davon abhängig, wie viel sie pro erreichtem Zuschauer oder -hörer bezahlen müssen (1000-Kontaktpreis). Sinkt die absolute Zahl aller Einwohner zwischen 14-49 Jahren, steigt damit der zu zahlende Kontaktpreis pro Tausend. Erweitert man jetzt die Altersgruppe nach Oben, steigt diese Zahl wieder und der Kontaktpreis sinkt - das dürfte das Kalkül von IP sein.

RTL ist schon lange kein „junger Sender“ mehr

Auf das Problem der alternden Gesellschaft für die Kommerzsender will IP mit der veränderten Zielgruppe reagieren. So will man die Attraktivität der RTL-Senderfamilie für die werbetreibende Wirtschaft bewahren und nimmt auch in Kauf, dass der Marktanteil von RTL sinkt. Laut W&V würde der Marktanteil des Senders von 18,4% (14-49) auf 17% (20-59) sinken. Dabei würde aber die Zahl erreichter Zuschauer wohl zunehmen. Deutlich auf jüngere Zuschauer ausgerichtete Programme, wie etwa Pro Sieben müssten dagegen mit deutlichen Einbußen bei Marktanteilen und Zuschauerzahlen rechnen (11,7% auf 8,5%). Vielleicht erklärt das den bisherigen Widerstand des TV-Vermarkters SevenOne Media, der die Sender des einstigen Kirch-Imperiums (Sat 1, ProSieben, Kabel 1)vermarktet? Somit bleibt unklar, ob sich der IP-Vorschlag durchsetzen wird. Irgendwie sehen alle TV-Manager in jüngeren Zielgruppen einen Fetisch für den Erfolg des Sender – davon sind auch Öffentlich-Rechtliche nicht geschützt.

Festzustellen bleibt: Helmut Thoma ist es in Deutschland gelungen, mit dem Start des kommerziellen Privatfernsehens den Standard 14-49 über Jahrzehnte als Maßstab für den Erfolg eines Fernsehprogramms durchzusetzen – unabhängig davon, wie relevant er jemals war. Deshalb sollte ihm IP-Deutschland wenigstens ein Denkmal vor der RTL-Zentrale in Köln setzen.

Donnerstag, 15. März 2012

Radio MA 2012: ARD-Programme verlieren junge Hörer

Junge Leute hören wieder vermehrt Radio, das zeigen die aktuellen Zahlen der Radio Media Analyse (MA 2012/I)*. Demnach schalten täglich fast 70% aller 10-19- Jährigen – 5,8 Millionen – ihr Radio ein, ein Zuwachs um 50 000 innerhalb eines halben Jahres. Sie hören dabei täglich im Durchschnitt 129 Minuten Radio. In der ARD-Mitteilung dazu heißt es dazu ziemlich euphemistisch: „Weiterhin sehr erfolgreich sind die ARD-Sender, bei den jungen Hörerinnen und Hörern." Die Realität sieht aber anders aus: 2,9 Millionen der 5,8 Millionen jungen Hörer schalten täglich ein öffentlich-rechtliches Programm ein - ein Minus von 115 000 gegenüber dem letzten Halbjahr. Dagegen konnten die Privaten ihren Vorsprung in dieser Altersgruppe um 200 000 tägliche Hörer auf 4,2 Millionen weiter ausbauen**

Alle Radiomacher muss aber nachdenklich stimmen, dass die Radionutzung bei den 10- 19-Jährigen weiterhin deutlich unter dem Durchschnitt aller Einwohner ab 10 Jahre liegt. Immerhin hören dagegen täglich etwa 80% aller Einwohner, die älter als 10 Jahre sind, also 58,4 Millionen Menschen in Deutschland, ihr Radiogerät ein und hören dabei durchschnittlich 250 Minuten lang.

ARD verliert nicht nur bei Jüngeren

Die Verantwortlichen der ARD-Anstalten können auch insgesamt mit dem Anteil aller Hörer nicht zufrieden sein. Innerhalb von sechs Monaten schalteten täglich 640 000 Menschen weniger eines der 52 ARD-Radioprogramme ein. Die ARD erreicht damit nur noch 38,3 Millionen Einwohner, während die mehr als 200 Privatsender mit 33,6 Millionen Hörern ihren Anteil um fast 700 000 Hörer steigern konnten.

Hauptverlierer der ARD-Programme sind der Westdeutsche Rundfunks (-360 000 Hörer), der Norddeutsche Rundfunk (-222 000) und der Bayerische Rundfunk (-140 000 Hörer) sowie der Hessische Rundfunk (-113 000 Hörer).

Interesse an Werbewellen sinkt

Insgesamt haben die durch Werbung finanzierten Dudelprogramme der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Veranstalter im letzten Halbjahr Hörer verloren. Hierbei entscheidet über den Erfolg nicht die Zahl der erreichten Hörer vom Vortag, sondern die Menge der Hörer pro Werbestunde***. Diese Zahl ist für die werbetreibende Wirtschaft ausschlaggebend, denn sie entscheidet, wo Werbezeiten eingekauft werden. Vor allem in der zentralen Altersgruppe der 14- 49-Jährigen haben die Werbewellen innerhalb von sechs Monaten rund 200 000 Hörer verloren.

Zusammengerechnet erreichen alle Werberadios pro Stunde etwas mehr als 23,3 Millionen Hörer. Dabei erreichen die öffentlich-rechtlichen Dudelwellen noch 11,27 Millionen Hörern, ein Minus von 176 000 Hörern. Die Kommerziellen Privatradios konnten ihren Höreranteil dagegen mit über 12 Millionen Hörern pro Stunde und einem Minus von 20 000 Hörer knapp halten.

Besonders unangenehm dürfte den Managern aller Werbewellen der Rückgang in der jüngsten Altersgruppe (10 – 29) aufstoßen. Mit knapp 4,8 Millionen Hörern pro Werbestunde in dieser Altersgruppe, verlor der Dudelfunk fast 100 000 Hörer und erreicht noch 26% der 10- bis 29-Jährigen. Bei den 14- bis 49-Jährigen schalte dagegen stündlich noch über 33% eine Werbeprogramm ein.

*Zweimal im Jahr werden durch fast 65 000 Telefoninterviews die Hörgewohnheiten aller in Deutschland lebenden Einwohner über 10 Jahre erfasst, die die deutsche Sprache verstehen. Auftraggeber ist die Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (AGMA), in der rund 260 Unternehmen der Werbebranche sowie öffentlich-rechtliche und private Radioveranstalter zusammengeschlossen sind.

** Quelle: ARD-Werbung Sales & Services (AS&S), 7.März 2012, Mehrfachnennungen bei der Programmnutzung möglich

*** Quelle: ARD-Werbung Sales & Services (AS&S) sowie Radio Marketing Service Hamburg (RMS), Montag-Freitag, 6-18 Uhr, Bruttowert-Mehrfachnennungen möglich

Dienstag, 3. Januar 2012

Kein Interesse an Fernsehnutzung im Knast oder Pflegeheim

Bei der Messung der TV-Zuschauerzahlen in bundesdeutschen TV-Haushalten (36,04 Mio**), spielen die Insassen von Justizvollzugsanstalten oder Pflegeheimen keine Rolle. Dabei befanden sich 2009 in Deutschland etwa 71.000 Menschen in staatlichem Gewahrsam, während 717,000 Pflegebedürftige in Heimen* betreut wurden (Stand 2009). Gemessen an der Gesamtbevölkerung von 71,94 Mio**, über 3 Jahre, macht diese Gruppe immerhin gut 1% aller Einwohner aus. So mancher TV-Sender würde sich darüber freuen, wenn seine Quoten diese Hürde schaffen würde. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die über 17 Millionen Menschen, die sich jährlich zur stationären Behandlung im Krankenhaus aufhalten (2009).*

Den Privatsendern dürften die Gefängnis- und Pflegeheiminsassen egal sein, denn sie sind keine Zielgruppe für die Fernsehwerbung. Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) benötigt aber für die genaue Messung der Medienkonzentration die vollständigen Daten. Deshalb heißt es in ihrem 14. Jahresbericht: "Die KEK weist bereits seit längerem auf (...) die Vernachlässigung (...) der Außer-Haus-Nutzung in öffentlichen Einrichtungen (...) hin." (S. 76 ff).

Die für die Zuschauermessung verantwortliche Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) veröffentlicht nur die Marktanteile der Fernsehprogramme ihrer Mitglieder und der TV-Unternehmen, die bei ihr eine Lizenzen zum Bezug der Daten erworben haben. "Diese unvollständige Datenbasis stellt die KEK vor ein Problem, wenn sie Aussagen über die Programmnutzung von Fernsehveranstaltern, die nicht Mitglied- bzw. Lizenznehmer der AGF sind, treffen muss." Weiter kritisiert die KEK, dass die AGF bisher keine Anstalten getroffen hat, auch die TV-Nutzung per Computer und Internet zu erfassen. Dabei seien für die KEK "Informationen bezüglich der Fernsehnutzung über alle Distributionswege wichtig."

Zur AGF hatten sich 1988 die öffentlich-rechtlichen und großen privaten Fernsehveranstalter zusammengeschlossen. In ihrem Auftrag misst die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die TV-Nutzung von knapp 11.500 Menschen in 5100 ausgesuchten Haushalten in Deutschland**. Weder AGF noch GfK sehen bisher eine Veranlassung, an der von der KEK kritisierten Messweise etwas zu ändern. (Siehe auch Blogeintrag vom 26. September 2011: Online-TV spielt für Fernsehprogramme (noch) keine Rolle). Zumindest für die Messung der Online-Fernsehnutzung liegen die Pläne aber bereits in den Schubladen der Verantwortlichen bei AGF und GfK. Umgesetzt werden solle sie aber erst dann, wenn dieser Nutzungsweg bei den Zuschauern die Fünfprozenthürde überspringt.

* Alle Daten aus dem 14. Jahresbericht der Kommission zur Ermittlung der Konzentration in den Medien
** Angaben laut AGF-Homepage: www.agf.de