Sonntag, 14. September 2014

Erster Weltkrieg - Medienkrieg - Teil VI - 'think tanks'


Politiker und Regierungen lassen sich nicht erst heute von Lobbygruppen und ihren Stiftungen beraten. So bestimmen die "Bertelsmann-Stiftung", oder die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" sowie die regierungsnahe "Stiftung Wissenschaft und Politik" mit ihren Analysen die öffentliche Diskussion. Vorläufer dieser Lobby-Organisationen waren schon im Ersten Weltrieg aktiv, so das "Büro für Sozialpolitik" oder die "Auskunftsstelle vereinigter Verbände". 

Friedrich Ebert, Bundesarchiv 146-1970-096-03
Der Erste Weltkrieg erfasste alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereiche. Politik und Militär wollten die Öffentliche Meinung steuern. Dies wurde umso wichtiger, da der "Burgfrieden" mit dem SPD-Führer Friedrich Ebert und den Gewerkschaften fragil war. "1915 hielt der Burgfrieden einstweilen, aber die Stimmung in der Bevölkerung veränderte sich mit der Erkenntnis, das der Krieg militärisch stagnierte. Daß ließ die Bevölkerung zu einem umso wichtigeren Objekt der staatlichen Überwachung werden." (1) Aber das militärische System von Befehl und Gehorsam konnte in einem industriellen Krieg kein Ersatz für die Loyalität der Massen sein. Mit jedem Jahr, den der Krieg andauerte, wuchs bei den Eliten die Furcht vor der Revolution. Anfang Januar 1916 bildete sich in der SPD die "Spartakusgruppe", zu der der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht gehörte, Er war der erste Abgeordnete, der im Dezember 1914 gegen die Kriegskredite stimmte. Am 12. Januar 1916 schloss ihn die SPD gemeinsam mit weiteren 19 Abgeordnete aus ihrer Fraktion aus. Ende März scheiterte die Offensive vor Verdun unter schrecklichen Verlusten, die Versorgungslage der Zivilbevölkerung verschlechterte sich rapide. Die Wut innerhalb der Arbeiterschaft nahm zu, das Vertrauen in die SPD-Frühung dagegen ab und am 1. Mai 1916 demontrierten Tausende in Berlin auf dem Potsdamer Platz gegen den Krieg. Liebknecht rief:
Karl Liebknecht, Bundesarchiv 183-H25212
"Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" und wurde umgehend verhaftet und später wegen Hochverrat angeklagt. Zum Prozessbeginn zeigten in Berlin rund 50 000 Arbeiter mit einem Streikt ihre Solidarität. Liebknecht wurde Ende August 1916 zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt. Die wachsende Radikalisierung innerhalb der Arbeiterschaft förderte die Furcht im bürgerlich-konservativen Lager vor der Revolution. Anfang Dezember 1916 tauchten im Reich Flugblätter auf, die zur Solidarität mit Liebknecht aufriefen. Dies wurde von den Zensurbehörden genau registriert und in Rundschreiben allen Militärbezirken im Reich mitgeteilt:
Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435


"Die Einführung, Verbreitung und Ausfuhr ist (...) verboten, die Beschlagnahme etwa vorgefundener Exemplare und die Fahndung auf Verbreiter angeordnet worden."  

Innerhalb der SPD zeigten sich zunehmend die unberbrückbaren Gegensätze, Friedrich Ebert, verlor an Einfluss. Die Spaltungstendenzen innerhalb der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften waren nicht zu übersehen. Für Regierung und Militärs wurde es immer wichtiger, über die Entwicklung aussagekräftige Informationen zu erhalten. Dabei halfen die Analysen und Berichte unabhängiger Stiftungen und Institute - die Vorläufer heutiger "think-tanks".




Organisation


Ende 1914 erkannten einige politisch Verantwortliche in Berlin, dass nur mit einer zentrale gesteuerten Öffentlichen Meinung der angestrebte 'Siegfrieden' im Land verankert werden könnte. Dieser Erkenntnis standen allerdings die Interessen der Bürokraten und ihrer Strukturen im Reich und den Ländern entgegen. Sie wollten ihre Macht und Einfluss nicht an abgeben. (2)
Erhard Deutelmoser, Bundesarchiv, 183 R04 159
Dabei war diese Notwendigkeit auch einigen Militärs klar, etwa dem Berufsoffizier Erhard Deutelmoser. Bei Kriegsbeginn war er im Geheimdienst der Obersten Heeresleitung (Abteilung III B) für Presse und Zensur zuständig. (3) Ende 1915 übernahm er die Leitung des neuen Kriegspresseamtes innerhalb der OHL. Nachdem Ludendorff dort die Leitung übernommen hatte, musste Deutelmoser gehen. Anfang 1917 wurde er Leiter der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes und übernahm ab November 1917 das neu geschaffene Amt des Pressechefs beim Reichskanzler.


Unter Deutelmosers Leitung wurden Pläne für eine Propagandaabteilung ausgearbeitet, die im Reich die Bevölkerung für den Sieg mobilisieren sollte. Gegründet im März 1918 nannte sie sich zuerst: "Zentralstelle für Heimataufklärung (ZfH)", später wurde sie als: "Zentralstelle für den Heimatdienst" bekannt. In der Staatsbibliothek in Berlin kann man die Geschäftsordnung" vom 18. März 1918 online aufrufen. Dort steht: "Die Zentralstelle bearbeitet nach den Weisungen des Pressechefs alle den Aufklärungsdienst in der Heimat betreffende Sachen." (4) Auch private Verbände arbeiteten zu (5), sp der "Bund Deutscher Gelehrter und Künstler", der "Studienausschuß für Auslandsorganisation" sowie die "Auskunftsstelle Vereinigter Verbände" und das "Büro für Sozialpolitik". Während die "Auskunftsstelle" unter Regierungsrat Oskar Poensgen Propaganda für die Kriegspolitik machten, produzierte das "Büro für Sozialpolitik" Analysen über SPD und Gewerkschaften. 

Büro für Sozialpolitik 


Im Jahr 1890 gründeten liberale Industrielle in Frankfurt a.M. das "Institut für Gemeinwohl". (6) Für sie war die 'soziale Frage' das zentrale Zukunftsproblem. Deshalb forderte man im Reich die Einführung einer einheitlichen Sozial- und Armenfürsorge. Mit ihrer Zeitschrift "Soziale Praxis" bot das Institut ein Forum für eine sozialpolitische Debatte. Dazu richtete man 1904 in Berlin das "Büro für Sozialpolitik" ein. Während des Ersten Weltkrieges belieferte es, unter Leitung des Journalisten Ernst Francke, die Regierung und das Militär mit politischen Analysen. Im Dezember 1917 gründete Francke auch den "Volksbund für Freiheit und Vaterland", der sich gegen die ultranationalistischen Forderungen der "Vaterlandspartei" stellte. Der Volksbund trat parteiübergreifend auf und versuchte national gesinnte Teile der Arbeiterbewegung einzubinden. Dabei vertrat man gemäßigtere Kriegsziele und das allgemeine Wahlrecht bei einem Sieg Deutschlands. Allerdings forderte man auch eine Erweiterung des deutschen olonialreichs in Afrika. Eine Demokratie westlichen Stils lehnten viele im Volksbund ab. Deutschland sei dafür nicht geeignet, einige Unterstützer strebten einen 'nationalen Sozialismus' an. Damit konnte man keine Mehrheiten in der Arbeiterbewegung gewinnen.


SPD - Spaltung erscheint unausweichlich


Regelmäßig erhielten die staatlichen und miliärischen Stellen in Berlin Berichte des Büros für Sozialpolitik über die Entwicklungen innerhalb der SPD und der Gewerkschaften. Abschriften erhielten die für Zensur und politische Kontrolle der Länder zuständigen Armeebehörden vom Kriegsministerium in Berlin.
Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435
Eine Kopie des Berichts vom 9.Oktober 1916 liegt heute im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart. Er wurde unter "Ge
heim" eingestuft und neben dem Stellvertretenden Generalkommando der württembergischen Armee in Stuttgart auch an das Innenministerium sowie den Generaladjutanten des Königs geschickt. Der Bericht enthält eine Darstellung über die zuspitzende Situation in der Sozialdemokratie. Hauptthema: SPD-Parteikonferenz vom 21. bis 23. September in Berlin. Dort sei "die von Tag zu Tag wachsende Erkenntnis der meisten Teilnehmer von der Unüberbrückbarkeit der sachlichen Gegensätze" deutlich zu Tage getreten. Dabei kam es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmern. Laut Bericht war der Ebert-Anhänger und bayerische Landtagsabgeordnete Johannes Timm über den Linken Arthur Stadthagen so erbost: "daß er ihn schüttelte und nur mit Mühe von weiteren Tätlichkeiten zurückgehalten werden konnte."
Hugo Haase, Bundesarchiv, 146-1970-096-05
Der Reichstagsabgeordnete Hugo Haase hielt für die Linke eine Rede, die das Büro für Sozialpolitik als "nicht ungeschickte, aber haßdurchglühte Verteidigung der Minderheit" bewertete. Dagegen stellte der maßgeblich für den 'Burgfrieden' verantwortliche Eduard David seinen Antrag für ein SPD-Friedensmanifest. Der Bericht bewertet ihn:  "In seinem entscheidenden Teil stellt es sich auf den Boden der Vaterlandsverteidigung bis zu einem Frieden, der die territoriale Unversehrtheit, politische Unabhängigkeit und wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit des Reiches gewährleistet". Der Versuch Haases, per Geschäftsordnungsantrag diese Abstimmung zu verhindern, scheiterte aber, dafür stimmten nur 169 Teilnehmer, während 276 seinen Antrag ablehnten. 
Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435
Der zur rechten SPD-Mehrheit um Ebert gehörende Abgeordnete David sagte laut Bericht, sein Manifest "hätten nur Leute ablehnen können (...) die sich in diesem Völkerringen innerlich nicht in erster Linie als Sachwalter des deutschen Volkes fühlen." Damit erklärte er die Kriegsgegner innerhalb seiner Partei letztlich zu 'Vaterlandslosen Gesellen'. Die Analyse des Büros für Sozialpolitik wertete auch Artikel aus Parteizeitungen aus. Dort wird ein Münchner Delegierter zitiert, die Linken "seien als Leichen auf dem Kampfplatze geblieben." Laut Bericht des Büros für Sozialpolitik seien damit auf der SPD-Tagung "die Gegensätze (...) mit unerhörter Stärke hervorgetreten." Wäre dies ein regulärer Parteitag gewesen, hätte er unweigerlich "zur Spaltung geführt". Bei der Analyse berücksichtigte man auch die Veröffentlichungen der unterlegenen Linken. So habe Käte Duncker auf einer Versammlung in Steglitz gesagt: "die Grundlagen der Parteieinheit seien zerfressen, eine reinliche Scheidung notwendig." Ähnlich beurteilte auf der Gegenseite Wilhelm Kolb aus Karlsruhe, die Spaltung der Partei sei eine "politisch und geschichtliche Notwendigkeit geworden". Er forderte eine konsequent reformistische Politik der SPD: "ohne grundsätzliche Ablehnung des Budgets und der Heeres- und Kolonialforderungen." Die Autoren der Analyse des Büros für Sozialpolitik beurteilten die Resonanz der Konferenz differenzierter: "Ein großer Teil der Mehrheitspresse preist das Ergebnis der Konferenz als vollen Sieg der Mehrheit, ohne weitere Konsequenzen aus diesem Siege zu fordern. Aber auch ein Teil der Minderheitspresse glaubt gesiegt zu haben, und zwar 'moralisch'. So geht die Verwirrung in der Partei ungeschmälert 
weiter."

Auch die Entwicklung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung wurde vom Büro für Sozialpolitik aufmerksam verfolgt. So habe "der angesehendste Führer der freien Gewerkschaften (...) in kleinem Kreise" über die Linken in der SPD gesagt: "Mit Idioten könne man keine Politik machen."
Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435

Dabei kritisierte das Büro in seinem Bericht auch die Reichsregierung. Über die Reaktionen der SPD-Presse zu einer Rede Reichskanzler Bethmann-Hollwegs wird resümiert: "Die Mehrheitspresse wäre mit ihr im wesentlichen einverstanden, wenn sie sich über die Zukunft der inneren Politik deutlicher ausgesprochen hätte. Es ist nicht zu bestreiten, daß die früheren Reden in den sozialdemokratischen Massen große Erwartungen in dieser Hinsicht geweckt haben". Die SPD verlange "jetzt dringend Taten der Neuorientierung, und es machen sich Zweifel bemerkbar, ob der Kanzler die Kraft, ja ob er den unbeugsamen Willen zu solchen Taten habe." Dabei konstatiert das Büro für Sozialpolitik, die Arbeiterschaft habe "nicht ohne Genugtuung beobachtet", wie der Kanzler auch von rechter Seite unter Druck gesetzt worden sei. 

Die Sozialdemokraten wurden auch gelobt - etwa wenn sie Treue zur Monarchie bekundeten: "Ungewöhnlich beachtenswert sind die Ausführungen des Stuttgarter Sozialdemokratischen Blattes zum Regierungsjubiläum König Wilhlems II" (König von Württemberg). Demnach sahen die Redakteure der SPD-Postille in Stuttgart auch keinen
Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435

Unterschied zwischen Monarchie und Demokratie. Genüsslich zitiert das Büro für Sozialpolitik einen Artikel: "Nehmen wir alles in allem, so will uns scheinen, daß unter den gegebenen Verhältnissen garnichts geändert würde, wenn morgen in Württemberg an die Stelle der Monarchie die Republik treten würde." Beruhigt konnte das Büro für Sozialpolitik mitteilen: "Diese Äußerung des führenden württembergischen Arbeiterblattes gibt die innere Haltung offenherzig wieder, die in Deutschland ziemlich die ganze sozialdemokratische Arbeiterschaft der Monarchie gegenüber hat." 



Starben rechte Sozialdemokraten an der Front den 'Heldentod' vermeldete das Büro dies unter der Überschrift: "Verluste der Mehrheit"Zeichneten sich Sozialdemokraten oder Gewerkschaftern an der Front aus, so wurde dies ebenso für berichtenswert erachtet...: 

Vorlage Hauptstaatsarchiv Stuttgart M77/1 Bü 435



(1) Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora, Beck 2014, S. 383
(2) Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften: http://www.sehepunkte.de/2006/11/10070.html
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Erhard_Deutelmoser
(4) http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN71981930X 
(5) http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN71981930X&PHYSID=PHYS_0007&USE=800
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Institut_f%C3%BCr_Gemeinwohl