Montag, 30. Juni 2014

Erster Weltkrieg – Medienkrieg Teil III – Beispiel Württemberg






Stuttgart, Sonntag, 28. Juni 1914

Der „Schwäbische Merkur" (1) unterhält seine Leser an diesem Sommertag mit dem Bericht:  „Wunder der Funktelegrafie“. Weiter wird über den Streit wegen Äußerungen des katholischer Klerus in Lothringen berichtet, das damals zum Deutschen Reich gehörte. Auch die Pläne zur Einführung eines 20-Reichsmark-Scheines erscheinen berichtenswert. Aus dem Ausland gibt es Neuigkeiten vom Feldzug der Truppen des Königreichs Italien in Libyen. Und in Wien bereitet sich Kaiser Franz-Josef zur Abreise nach Bad Ischl vor, wo er alljährlich den Sommer verbringt.


Sarajevo, Sonntag, 28. Juni 1914

Gegen 10 Uhr trifft der Sonderzug mit dem österreich-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie am Bahnhof ein. Nicht einmal eine Stunde später sind beide Tot, erschossen vom 19-Jährigen Studenten Gavrilo Princip.


Stuttgart, 21. 30 Uhr

Die Nachricht vom Attentat kursierte bereits am Nachmittag in der Hauptstadt des Königreichs Württemberg. Gegen 21.30 Uhr erscheint ein Extrablatt des "Schwäbischen Merkurs".  

Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur: I 35 A

Der Attentäter wird nur „Individuum“ genannt, zu diesem Zeitpunkt scheint der Redaktion weder der Name, noch Alter und Herkunft bekannt zu sein. Wo die Verantwortlichen sitzen, darüber ist man sich einig, da Österreich-Ungarns „Verhältnis zum Königreich Serbien, (...) sowieso nur mühsam auf einem erträglichen Fuße zu halten war“. Jetzt gilt es den Schulterschluss mit Wien zu demonstrieren: „In Deutschland wird der jähe Hingang des österreichischen Fürsten fast wie der eines einheimischen gefühlt...“


Stuttgart, Montag, 29. Juni 1914

Einen Tag nach dem Anschlag wird nachgelegt: „(...) dass ruchlose Attentat (...) hat in Großserbisch-nationalistischen Treibereien seinen Sitz und Ursprung.“ Weiter berichtet der Merkur:es treten jetzt auch Nachrichten auf, die von einem besonderen Anschwellen der hochverräterischen Bewegung in Bosnien wissen wollen. Der Erzherzog soll gewarnt gewesen sein“  War man in Wien mit der Reise nach Bosnien zu leichtsinnig umgegangen? Der Berliner Korrespondent meldet, der 28. Juni sei für das Reich: „ein Datum von einschneidender Bedeutung“. Kaiser Wilhelm II habe sofort seine Teilnahme an der Regatta der Kieler Woche abgebrochen und dann wird hinzugefügt: „trotzdem der Meteor einen Vorsprung von über 15 Minuten hatte.“ Der Kaiser hat also einen sicheren Sieg der Solidaritär mit seinem Verbündeten geopfert; wie edelmütig....
In Stuttgart spricht Württembergs Ministerpräsident Karl Hugo von Weizsäcker dem österreichischen Gesandten das Beileid aus: Weiter wird mitgeteilt, dass Herzog Abrecht - Thronfolger des Württembergischen Königs Willhelm II – zur Beisetzung nach Wien fahren wird.

Auch in der liberalen Tageszeitung "Stuttgarter Neues Tagblatt" (2) beherrscht das Attentat die Titelseite mit zwei Portraitzeichnungen des Erzherzogs und seiner Frau. In einem, von Sarajevo per Telegraph übermittelten Bericht, wird der Name Gavrilo Princip genannt und der Ablauf des Anschlags geschildert. 

Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur: I 55
  Auch die Redakteuere des Tagblatts wissen, wo die Schuldigen zu suchen sind: "Niemand zweifelt daran, daß das Attentat auf die serbische Propaganda zurückzuführen sei."


Das Militär kontrolliert die Medien

Im Hauptstaatsarchiv des Landesarchivs Baden-Württemberg in Stuttgart geben Dokumente Einblicke in die Zensur-Praxis. Hier befinden sich Akten des Stellvertretenden Generalkommandos des XIII. Armeeoberkommandos. Zu seinen Aufgaben gehörte im Kriegsfall die Überwachung der 'Öffentlichen Ordnung' im Königreich Württemberg. Da das Militärarchiv in Potsdam in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges in Flammen aufging, gibt es heute neben Stuttgart nur noch in Bayern und Sachsen solche Aktenbestände.

Am 1. August 1914 ermächtigte der Bundesrat Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg zur Kriegserklärung an Frankreich und Russland. Damit galt auch in Württemberg der Belagerungszustand und die vollziehende Gewalt wurde dem Militär übertragen. Von Stuttgart aus befehligte das XIII. Armeekorps je eine Division in der Hauptstadt und in Ulm. Während die Armee an die Westfront zog, war das Stellvertretende Generalkommando in Stuttgart für die innere Sicherheit verantwortlich und damit auch für die Zensur der Medien. Das Generalkommando befand sich zu Kriegsbeginn in der Kriegsbergstrasse 32 und wurde von General von Hüge befehligt. Dabei standen ihm zu Beginn nur sieben Offiziere und 14 Unterbeamte zur Cerfügung - bei Kriegsende hatte sich der Verwaltungsapparat auf 317 Mitarbeiter aufgebläht. (3) 

Anfang August 1914 gab das Generalkommando an die lokalen Behörden  "Ausführungsbestimmungen zu dem Merkblatt für die Presse“. (4)
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
 


„Das Kgl. stellv. Generalkommando sieht sich infolge verschiedener Vorkommnisse bei der Veröffentlichung militärischer Nachrichten durch die württ. Presse veranlaßt, die Redaktionen sämtlicher Zeitungen (....) zur gewissenhaften Beachtung folgender Ausführungsbestimmungen anzuhalten:

  1. Nachrichten, die einer Zensur (...) nicht mehr bedürfen, werden ausschl. von Wolff´s telegraphischem Bureau (W.T.B.) verbreitet (...) und sind im genauen Wortlaut wiederzugeben.
  2. Alle übrigen Veröffentlichungen militärischen Inhalts, wie Feldpostbriefe, -karten und aus fremdländischen Zeitungen übernommene Mitteilungen (...) unterliegen ausschließlich (im Original fett-unterstrichen) der vorgängigen Zensur des Generalkommandos und sind an dessen Presseabteilung (...) zu richten.“

Am 8. August 1914 wurden der Zivilverwaltung „Regeln der Aufsicht über das Zeitungswesen im Königreich während der Dauer des Kriegszustandes“ ausgehändigt.
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
Als Aufsichts- und Prüfbehörden vor Ort waren die Stadtdirektoren, Oberämter und die Ortspolizei zuständig. Sie unterlagen der Befehlsgewalt der Militärorgane, also dem Stellvertretenden Generalkommando in Stuttgart, sowie den untergeordneten Garnisons- und Bezirkskommandanten.

Die Zivilbehörden hatten die Aufgabe: „alle in ihrem Bereich erscheinende Zeitungen alsbald nach dem Erscheinen (...) auch in Beziehung auf den sonstigen, namentlich politischen Inhalt zu prüfen.“ Bei Verstößen mussten diese der nächst höheren Militärbehörde gemeldet werden. Dabei waren die zivilen Behörden „befugt (...) wo Eile ist (...) die beanstandete Nummer eines Blattes zu beschlagnahmen, sowie eine dem Erscheinen der Zeitung vorangehende Zensur anzuordnen“.

Am 28. September 1914 heißt es in einem Erlass des Stuttgarter Innenministeriums: „Zufolge des (einfachen) Kriegszustands ist (...) die vollziehende Gewalt gegenüber den Zeitungen (wozu auch Flugblätter zu rechnen sein werden) und politischen Zeitschriften zur Ergreifung jeder Massregel ermächtigt, die unter den Begriff „Zensur“ fällt.“ Mit dem "uneingeschränktem Beanstandungsrecht, ohne deren vorherige Prüfung kein Druckerzeugnis (...) erscheinen darf“, bestimmten die Militärs, wie die Bevölkerung informiert und was ihr vorenthalten wurde. Die Zensur beschränkte sich nicht auf gedruckte Medien, auch: „Malen, Zeichnen, Fotografieren und der Verkauf von Landkarten wurden strengen Bestimmungen unterworfen. (...) Die Zensur wurde zu einem nützlichen Instrument, um die Stimmung im Volk im Sinne der Machthaber zu beeinflussen. Sie erstreckte sich auf die Vor- und Nachzensur der Presse, auf Briefe, Telegramme und Postsendungen sowie auf die Einfuhr von Zeitungen und Zeitschriften.“ (5)


Beispiele (6)

Am 30. Oktober 1914 monierte der Stuttgarter Stadtdirektor den von der SPD gedruckten Kalender für das Jahr 1915. Der Chef des Stabes des Generalkommandos ordnete am 11. November an: „die Unterdrückung des zufolgenden Kalenders der Schwäbischen Tagwacht halte ich mit Rücksicht auf die darin enthaltenen politischen Verhetzenden Artikel unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen für angeregt und zulässig.“


Die in den ersten Kriegsmonaten überall im Reich auftretende Panik vor Spionage und Sabotage bediente auch der "Schwäbische Merkur"
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Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur: I 35 A


So sei ein junger Mann in Stuttgart wegen seines "ausgesprochen slawischem Typus". festgenommen worden. Auch ein "angeblich französisches Ehepaar" wurde verhaftet und konnte dabei nicht vor der "Volkswut" geschützt werden. Erst Offizieren sei es gelungen, die "übel Zugerichteten" in die Polizeiwache am Hauptbahnhof zu bringen. Auch vor Greuelpropaganda schreckte man nicht zurück. So wird berichtet, in Berlin habe man drei Franzosen erschossen, die versucht hätten, Brunnen mit Choleraerregern zu vergiften. 

Die allgemeine Befürchtung, Zeitungsberichte könnten dem Feind wertvolle Informationen liefern, brachten auch unverdächtige Publikationen ins Visier der Militärzensur. In der
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
Werkszeitung der NSU-Motorradwerke Ulm erschien am 28. Dezember 1914 ein Bericht über die „Neubildung von Kraftradfahrer-Abteilungen“ beim Heer. Dazu sind auf einem Foto Kriegsfreiwillige auf ihren NSU-Motorrädern abgebildet. Das Generalkommando in Stuttgart verbot die Ausgabe, wegen Veröffentlichung militärischer Geheimnisse. Auch die Stuttgarter „Musikalienhandlung Auer“ bekam im Dezember 1914 Ärger. Der Geschäftsinhaber hatte, ohne vorher eine Genehmigung einzuholen, in seinem Schaufenster „Zeichnungen aus dem Felde“ ausgestellt. Das Stellvertretende Generalkommando ordnete die umgehende Entfernung an.

Die Zensurbehörden befürchteten auch negative wirtschaftliche Auswirkungen. So beanstandete das Kriegsministerium in Berlin am 21.November 1914 einen Artikel, in dem Möglichkeit erörtert wurden, begehrte Rohstoffe aus neutralen Ländern zu beziehen. Da man Repressionen der Entente gegen solche Länder befürchtete, schritt die Zensur ein. Auch Berichte über Probleme bei der Versorgung mit Metallen wurden zensiert, schließlich könne der Feind damit „auf möglicherweise eintretende Knappheit aufmerksam“ gemacht werden.

Es kam auch vor, dass die Presse ihrerseits bei den Zensurbehörden vorstellig wurde. So informierte am 13. Juni 1915 der „Schwäbische Merkur" das Stellvertretende Generalkommando über ein anonym zugesandtes Pamphlet. Darin prangerte der "Geheimbund Volksgericht“ Kriegsgewinnler und schlechte Versorgung der Zivilbevölkerung an. In dem hektographierten Schreiben wurden die Verantwortlichen aufgefordert, innerhalb von 14 Tagen zu reagieren, sonst werde man dies „international und an der Front bekannt machen“ und „im schlimmsten Fall vor keinen Gewalttaten zurück schrecken.“

Angesichts der sich häufenden Todesanzeigen wurden die Zeitungen abgemahnt, wenn sie diese ohne Genehmigung der Zensurbehörde abgedruckt hatten. Es war verboten, bei Traueranzeigen den Ort des Todes und die militärische Einheit des Gefallenen zu nennen. Das „Heidenheimer Tagblatt“ veröffentlichte im Dezember 1914 Verlustzahlen der württembergischen Truppen, Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: „Laut Verfügung (...) sind derartige Veröffentlichungen verboten (... ). Ein nochmaliger Verstoss müsste eine erhebliche Strafe zu Folge haben“. Auch eine Kurznachricht konnte die Zensur auf den Plan rufen, so erging am 6. Dezember 1914 folgende Rüge: „Die von der Rems-Zeitung veröffentlichten Notiz über das Erscheinen einer aus der Richtung Ulm kommenden Flugmaschine ist unstatthaft. Gegen das Blatt ist das Geeignete verfügt worden“. In der Regel kamen die Zeitungen mit Ermahnungen oder Bußgeldern davon - in diesem Fall 10 Reichsmark.

Die Zensoren versuchten auch unerwünschte Themen zu unterdrücken. So verbot die Oberzensurstelle in Ulm am 2. Dezember 1914 einer örtliche Zeitung, über eine Choleraepidemie unter russischen Kriegsgefangenen zu berichten. Häufig wurden Zeitungen gemaßregelt, weil sie Presseberichte aus dem neutralen Ausland ausgewertet hatten. So verwarnte das Generalkommando in Stuttgart am 16. Dezember 1914 die „Gmünder Zeitung“, da sie ohne Genehmigung einen Bericht einer Schweizer Zeitung benutzt hatte.

Das Generalkommando in Stuttgart war auch für das reibungslose Funktionieren
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
kriegswichtiger Betriebe verantwortlich. Der 'Burgfrieden' bedeutete das Verbot von Arbeitskämpfen. (7) Die Zensurbehörden schritt aber schon ein, wenn über die Möglichkeit gewerkschaftlicher Organisierung berichtet wurde. Am 13. Juli 1915 schrieb die Zensurabteilung an das Kriegsministerium in Stuttgart: „Das stellv. Generalkommando beehrt sich mitzuteilen, dass die Redaktion des „Deutschen Volksblatts“ angewiesen worden ist, weitere Erörterungen über die Frage des Koalitionsrechts der Arbeiter bei der Pulverfabrik Rottweil zu unterlassen.“ Die Leitung der Pulverfabrik Köln-Rottweil hatte zuvor am 30. Juni bei der Zensur interveniert, es werde „der Burgfriede am besten gewahrt, wenn solche Bestrebungen vorerst ruhen bleiben“.


Linke Kriegsgegner im Visier

Die Mehrheit der SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre hatte sich im August 1914 für einen „Burgfrieden“ mit der Reichsregierung und den Arbeitgebern entschieden. Auf politische Demonstrationen und Streiks wurde während des Krieges verzichtet, im Gegenzug wurde man als Tarifpartner anerkannt. Die Führer der Arbeiterbewegung hofften im Gegenzug auf eine Demokratisierung und das allgemeine Wahlrecht. Bei Widerstand gegen den Kriegskurs befürchteten die Funktionäre ein Verbot ihrer Organisationen und eine Verfolgung wie 1878 durch Bismarcks Sozialistengesetz. Dabei hätte die SPD-Presse im Reich, mit 73 Zeitungen - darunter 49 Tageszeitungen - und einer Auflage von 400 000 Exemplaren (8) gegen den Krieg mobilisieren können. Am 29. Juli 1914 wies die Parteiführung aus Berlin alle Parteimedien an, ihre Propaganda gegen den Krieg abzuschwächen und Friedensbemühungen des Reichstages hervorzuheben. "Diese inoffizielle Verständigung führte dazu, dass die Militärbehörden geplanten Maßnahmen gegen die Arbeiterbewegung abblasen ließen" (9) Auch die geschickte Regierungspropaganda vom schuldlos von bösen Nachbarn überfallenen Reich, fiel bei nationalistisch eingestellten SPD- und Gewerkschaftsmitglieder auf fruchtbaren Boden. Letztlich nutzte die Anpassung der Funktionäre aber nichts, denn für die Herrschenden blieben sie nach wie vor die „vaterlandslose Gesellen“.

In Stuttgart hatten vor dem Krieg linke Sozialdemokraten Einfluss, noch am 28. Juli 1914 hatten sie in drei Sälen der Stadt Massenkundgebungen gegen den Krieg organisiert. Zuvor war in Esslingen bei der Landesversammlung der SPD zum Kampf gegen den Krieg aufgerufen worden. Sie hatte einem Antrag Clara Zetkins zugestimmt: „Das Proletariat fordert den Frieden“. Die von linken Soialdemokraten kontrollierte „Schwäbische Tagwacht“ lag von Kriegsbeginn an in einem Kleinkrieg mit der Zensur. Der tödliche Schlag gegen sie kam aber aus den eigenen Reihen. Der von den Kriegsbefürwortern beherrschte SPD-Landesvorstand löste den linken Redaktionsleiter Friedrich Westmeyer ab und ersetzte ihn durch einen linientreuen Genossen. Daraufhin gründete die Linke mit „Der Sozialdemokrat“ eine eigene Zeitung und wählte Westmeyer an die Spitze. Die Spaltung der SPD manifestierte sich in Württemberg bereits im Juni 1915, als Westmeyer aus der SPD-Landtagsfraktion ausgeschlossen wurde. Um ihn politisch kaltzustellen, zog man ihn im Frühjahr 1917 zum Militär ein, er starb wenige Monate später, mit 44 Jahren, in einem Lazarett an der Westfront. (10)

Die SPD-Presse im Königreich Württemberg wurde von der Zensur scharf überwacht, der Kleinkrieg gegen sie auch mit rhetorischen Feinheiten geführt. Am 27. Oktober 1914 schreibt
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
das Königliche Oberamt in Göppingen an das militärische Bezirkskommando: „Die sozialdemokratische „Freie Volkszeitung“ setzt seit neuerer Zeit an den Kopf ihrer Zeitung die Aufschrift: „Der Krieg um die Vorherrschaft der Welt“ und „der Krieg um die Weltherrschaft“. Da diese Aufschriften keinerlei Erläuterungen darüber folgen, w e r diesen Krieg (...) führt, ist es möglich, das dem Leserkreis dieser Zeitungen falsche Auffassungen über die Ursachen und den Zweck des von uns geführten Krieges Platz greifen.“ Aus diesem Grund „sollten derartige zweifellos bewusst irreführende Aufschriften (...) mit allem Nachdruck verboten werden. Die Zensurbehörde forderte am 31. Oktober das Oberamt auf zu Handeln, da: "gegen die Freie Volkszeitung schon mehrfach Verwarnungen ergangen sind, ohne dass in der Haltung des verantwortlichen Redakteurs eine merkliche Änderung eingetreten ist. Es dürfte daher schärferes Vorgehen etwa in der Weise angezeigt sein, dass das Erscheinen der Zeitung auf bestimmte Zeit verboten wird.“

Die Zensoren beobachteten mit Argusaugen subversive Publikationen aus der neutralen
Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 429
Schweiz. Am 7. März 1915 warnte das Kriegsministerium in Stuttgart in einem „Geheim“ gekennzeichneten Schreiben vor der Broschüre: „Der Krieg und die Internationale“. Der Autor und russische Emigrant, Leo Trotzki, habe darin „hochverräterische Ausführungen“ getan. Das Ministerium in Stuttgart befürchtete Versuche, diese Schrift „auch im Heere zu verbreiten“. Aus diesem Grund forderte man das Generalkommando auf: „das weitere zu veranlassen (...) um die Verbreitung der Broschüre zu verhindern. Vorgefundene Exemplare sind zu beschlagnahmen.“

Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 432
Die Zensur nahm zum Teil groteske Formen an. So durften nicht über Zensurmaßnahmen berichtet werden. Die Redaktion der SPD-Frauenzeitschrift „Gleichheit“ wollte am 17. März 1916 folgenden Text abdrucken: „Die angekündigte Frauenwahlrechtsnummer der Gleichheit ist von der Zensur nicht genehmigt worden. Die heutige Nummer erscheint deshalb verspätet und ohne in Inhalt und Form der Bedeutung des sozialistischen Frauentages gerecht werden zu können.“ Der Zensor erlaubte nur den Satz: „Die heutige Nummer erscheint verspätet.“


: Vorlage HSTAS, M 77/1 Bü 432
Vorlage: HSTAS, M 77/1 Bü 432
Seit 1892 gab die SPD die Frauenzeitschrift "Die Gleichheit" heraus. Clara Zetkin leitete sie bis zur Spaltung der SPD Anfang 1917. Sie brachte kritische Artikel über den Kriegsalltag im Reich, Mangel und Not. Dmait war "Die Gleichheit" der Zensur ein besonderer Dorn im Auge. Jede Ausgabe wurde genauestens geprüft und vieles verboten. Manchmal strich der Zensor mit seinem Kopierstift einfach den ganzen Artikel durch - wie für den 10. Dezember 1915. 




Spaltung der SPD – verschärfte Zensur

Der Krieg dauerte an und der Wunsch nach Frieden wurde unüberhörbar. Ende 1916 wurde die Debatte über die deutschen Kriegsziele zugelassen - allerdings durfte in den Zeitungen nur ein Siegfrieden propagiert werden. Die Februarrevolution 1917 in Russland bedeutete nicht nur das Ende des Zarenreiches, sie schürte auch in Deutschland die Unruhe in der Bevölkerung und die Hoffnungen auf Frieden. Der "Burgfrieden" war längst gescheitert und die Minderheit der Kriegsgegner wurde aus der SPD ausgeschlossen.

Sie formierte sich in der USPD und im Spartakusbund und aus den SPD-Medien wurden ihre Anhänger hinausgeworfen. Sie versuchten eigene Zeitungen zu gründen, aber dazu brauchte man die Zustimmung der Zensurbehörden.

Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 432
Nachdem Karl Kautsky aus der Redaktion der „Neuen Zeit“ entlassen worden war, beantragte er am 17. Oktober 1917 beim Generalkommando in Stuttgart die Lizenz für Herausabe der "Internationalen neuen Zeit“. Auch Clara Zetkin war aus der Redaktion der „Gleichheit“ entlassen worden und versuchgte eine neue Frauenzeitschrift zu gründen. Am 2. November 1917 erging aus Berlin eine Weisung an das Generalkommando in Stuttgart: „Das Bedürfnis für die Gründung eines neuen Wochenblatts der „Internationalen neue Zeit“ durch Kautsky und seine politischen Freunde muss unter den derzeitigen Verhältnissen (...) als unerwünscht bezeichnet werden.“ Die Behörden in der Reichshauptstadt waren gut über Kautskys Projekt informiert, sie wussten sogar, wie hoch sein Gehalt als Chefredakteur sein sollte.

Vor allem die streitbare Kriegsgegnerin Zetkin war dem Generalkommando ein Dorn im Auge. In einem Schreiben vom 15. Juli 1917 heißt es: „Der Grund, weshalb ihr von der sozialdemokratischen Partei die Leitung der „Gleichheit“ entzogen wurde, liegt gerade in ihrer Hinneigung zu den radikalen Elementen der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft.“ Der Chef des Generalkommandos in Kassel , Freiherr von Tettau, warnte das Berliner Kriegsministerium, Zetkin gehöre zum „äussersten linken Flügel der Sozialdemokratie und übte wohl eine stark verhetzende Wirkung aus.“ Am 5. Dezember 1917 wurde ihr die Zulassung verweigert, zur Begründung verwies man auf die Papierknappheit. Außerdem bestehe „kein dringendes Bedürfnis der Allgemeinheit an dem Erscheinen“. Mit einer ähnlichen Begründung erhielt Kautsky am 26. Januar 1918 eine Absage der Zensurbehörde.

Manchmal diente die Zensur gleichermaßen der rechten SPD-Führung wie auch der kriegsbegeisterten bürgerlichen Presse. In einem Artikel der „Gleichheit“ vom 28. März 1917 strich der Zensor folgenden Absatz: „In Petersburg sollen große Friedenskundgebungen der Arbeiter stattgefunden haben. Der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Keil, Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion, forderte in derselben Zeit zur Zeichnung der neuen Kriegsanleihe auf – und zwar in dem nationalliberalen, hochimperialistischen Bourgeoisblatt ‚Schwäbischer Merkur’ !“



(1) Nationalliberale Zeitung, 1785 gegründet

(2) Liberale Tageszeitung, 1909 gegründet
(3) Landesarchiv Baden-Württemberg – Hauptstaatsarchiv https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=5771
(4)  Alle Dokumente - Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart
(5)  siehe Anmerkung 3
(6)  Alle Beispiele - Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart
(7) siehe Anmerkung 3 

(8)  Stefan Bornost, Der Weg zur KPD, theorie21, S. 11
(9)  Oliver Janz, Der große Krieg, Campus Verlag 2013, S. 197
(10)  Kontext Wochenzeitung, 24.05.2014


Dienstag, 24. Juni 2014

Erster Weltkrieg - Medienkrieg Teil II - Das Lügen-System




Streit um Kompetenzen – Wer Steuert die Medien?



Am Nachmittag des 31. Juli 1914 ließ Kaiser Wilhelm II den Kriegszustand für das Deutsche Reich verkünden. Den Kommandanten der einzelnen Oberkommandos der Armeekorps (AOK) wurde, gemäß Reichsverfassung, die vollziehende Gewalt übertragen. (1) Das seit 1874 gültige Reichspressegesetz wurde damit außer Kraft gesetzt und die Medienzensur eingeführt. 

Das jeweilige Stellvertretende Generalkommando eines Armeekorps übte die Oberaufsicht über alle Medien aus und erließ die Zensurbestimmungen. Jede neue Zeitung oder Publikation musste von ihr genehmigt werden. Die "Einführung der sogenannten Präventivzensur" sei "nicht beabsichtigt", jedoch "eine regelmäßige (...) Bewachung der gesamten Presse (...) unumgänglich." Die Medienkontrolle war "in erster Linie Aufgabe der Zivilbehörde", heißt es in einer am 16. November 1914 veröffentlichten Bekanntmachung des Komandierenden Generals von Haugwitz in Kassel. (2)

Vorzensur wurde nur bei "Veröffentlichungen militärischen Inhalts" ausgeübt und oblag den örtlichen Militärs. Eine "vorsätzliche Zuwiederhandlung" konnte mit drei Jahren Festungshaft oder 5000 Mark Strafe geahndet werden. "Außer dieser rein militärischen Vorzensur unterliegen, soweit nicht im einzelnen Falle etwas anderes ausdrücklich ageordnet ist, die Veröffentlichungen der Tagespresse keiner weiteren Vorprüfung", Allerdings hatten die Zeitungen außerdem "die Verpflichtung, von sich aus auch alle anderen Zensurbestimmungen, die ihnen vom Stellevertretenden Generalkommando, regelmäßig gedruckt zugehen zu beachten und im Zweifel die Entscheidung der Zensurbehörde einzuholen." (3)

Neben der Vorzensur gab es die "erweiterte Vorzensur". Sie betraf Zeitschriften, Bücher, Vereinsnachrichten oder Geschäftsberichte: "soweit sie irgendwie mit dem Kriege zusammenhängen."  Diese Publikationen wurden ebenfalls vor der Veröffentlichung geprüft.

Die "bürgerlichen Zensurbehörden" also Polizei, Städte und Gemeinden übten die allgemeine Aufsicht über die Presse in ihrer Region aus. Die Zeitungen mussten ihnen nachträglich jede Ausgabe zu Prüfung vorlegen, das galt auch für die Anzeigen. Der militärischen Zensur mussten die Tageszeitungen einmal wöchentlich ein Exemplar überstellen. 

Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 432


Das System der Zensur war bürokratisch und hierarchisch aufgebaut und es gab immer wieder Kompetenzkonflikte - in denen letztlich das Militär die Oberhand behielt. Diese komplexe Struktur entsprach dem Aufbau des Deutschen Reiches. Von Außen wirkte es wie ein straff organisierter Zentralstaat mit einem präpotenten Kaiser, der absolutistischen Züge trug. In Wirklichkeit war Deutschland ein kompliziertes politisches System konkurrierender Instanzen. Das Reich bestand aus 25 Einzelstaaten, darunter vier Königreichen - Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberg. Zwar hatte Preußen als größter Einzelstaat, mit Wilhelm als König und der Hauptstadt Berlin, eine starke Machtposition im Reich. (4) In wichtigen Fragen (Etat – Steuern) bedurfte man aber der Zustimmung der Länder, die mit Argusaugen auf ihre Kompetenzen achteten. Einerseits befehligten die vier Könige eigene Armeen, andererseits unterstanden diese aber dem Kaiser und dem Generalstab, den Generaloberst Helmuth von Moltke leitete. Das Militär verfügte bereits vor dem Krieg über politischen Einfluss und das beschränkte sich nicht auf militärische Bereiche. (5). Demgegenüber hatten die Abgeordneten des Reichstag nur wenig zu Bestimmen. Wilhelm II konnte nach eigenem Gutdünken den Reichskanzler ernennen oder entlassen und im Hintergrund beeinflusste seine Entourage den oft wankelmütigen Herrscher . Mit der Erklärung des Kriegszustandes wurde die Oberste Heeresleitung (OHL) als zentrales militärisches Organ eingerichtet. Ihr stand formell der Kaiser vor, Generaloberst von Moltke und sein Stab hatten aber das Sagen. Der Reichstag hatte sich Anfang August auf unbestimmte Zeit vertagt, nachdem alle Abgeordneten den Kriegskrediten zugestimmt hatten.



Militärs kontrollieren die Medien



Die Befehlshaber der einzelnen Armeeoberkommandos im Reich waren nur dem Kaiser gegenüber verantwortlich. Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg und seine Nachfolger hatte ihnen gegenüber keine Befugnisse. „Somit lag die innere Sicherheit (...) für die gesamte Dauer des Krieges in den Händen der Kommandierenden der 57 Armeekorps-Bezirke“. Sie übten vor Ort die Kontrolle und Zensur über die Medien in ihrer Region aus. (6) Kompetenzgerangel war damit zwischen Berlin und den AOK  vorprogrammiert. (7) Die Reichsregierung hatte in der Folge: „nicht geringe Schwierigkeiten, die Bezirkskommandanturen zu koordinieren.“ (8). Angesichts ihrer Machtbedürfnisses und der vielen AOK-Standorte konnte das nicht verwundern. (9)



Dabei war Kaiser Wilhelm und den Militärs in Berlin sehr wohl bewusst, wie wichtig eine zentrale Lenkung der Öffentlichkeit im Krieg war. (10) Bereits am 2. August 1914 hatte Generaloberst von Moltke erklärt, die Medien im Reich seien „ein unentbehrliches Mittel der Kriegsführung“. (11)



Nachdem im September 1914 der Schlieffen-Plan – ein schneller Sieg über Frankreich – an der Marne gescheitert war, ging man zum Stellungskrieg über. Generaloberst von Moltke wurde an der OHL-Spitze durch Erich von Falkenhayn ersetzt. Die Soldaten in den Gräben merkten, dass es mit der Hoffnung: "Zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause" nichts wurde. Die Leser der Tageszeitungen fanden jeden Tag Seiten voller Gedenkanzeige. Bis Ende 1914 waren im Westen 145 000 deutsche Soldaten getötet und 540 000 verwundet worden. In der Bevölkerung wuchs zur Jahreswende der Wunsch nach Frieden. (12) Am 28. November 1914 erging aus Berlin deshalb folgende Generaldirektive an die Presse:



„Die im Auftrag seiner Majestät des Kaisers vom Reichkanzler geleitete auswärtige Politik, darf in dieser kritischen Zeit(...)durch keine offene oder versteckte Kritik gestört und behindert werden(...). Das Vertrauen in sie muß gehoben und darf ebenso wenig erschüttert werden, wie das Vertrauen in die militärische Führung.“ (13)



Zentrale Organe zur Steuerung der Öffentlichkeit



Der Führung in Berlin und der OHL wurde klar, dass der Krieg länger dauern und die Öffentlichkeit für einen Kampf bis zum siegreichen Frieden ideologisch mobilisiert werden musste. Im November 1914 richtete die Oberste Heeresleitung in Berlin ein zentrales Zensurbüro ein, das 1915 offiziell zum „Kriegspresseamt“ wurde . (14) Chef war Eberhard Deutelmoser, über ihm zog der Chef des kaiserlichen Geheimdienstes (Abteilung III B), Oberst Walter Nicolai, die Drähte. Nicolai erhielt später den Spitznamen: „Vater der Lügen“. (15) Ein weiteres Steuerungsinstrument war die halbamtliche Presseagentur „Wolffs-Telegrafisches Bureau“ (W.T.B.) in Berlin. Darüber hinaus wurden regelmäßig die Korrespondenten wichtiger Zeitungen in Berlin zu Pressegesprächen mit Militärs eingeladen. (16) 
Handbuch der Kriegsverordnung, Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 77/1 Bü 432



Mit zentralen Strukturen versuchte man, die Medien im Reich aus Berlin zu steuern. Meldungen der WTB-Agentur über den Kriegsverlauf mussten alle Zeitungen unverändert abdrucken. Wollten sie andere Quellen nutzen, war dies nur nach Genehmigung durch das betreffende AOK zulässig. Immerhin konnte man während des Krieges in Deutschland Zeitungen neutraler Länder bekommen, die deutschsprachige Presse der Schweiz war begehrt. Viele lokale Zeitungen im Reich versuchten, den propagandistischen Einheitsbrei durch eigene Meldungen aufzuwerten - was in der Regel die örtlichen Zensuroffiziere auf den Plan rief.   
Auch die Berichte der seit Ende August 1914 auf den Kriegsschauplätzen zugelassenen Korrespondenten mussten die Zensur in Berlin durchlaufen. (17) Erst nach Prüfung durch das Kriegspresseamt wurden ihre Artikel freigegeben. Man veröffentlichte sie in der Regel über das W.T.B. oder die großen Berliner Zeitungen. (18) Überall wurde in der Presse die militärische Situation geschönt. So hieß es im September 1914 zum Rückzug nach der Marneschlacht, es sei nur eine "Umgruppierung“ der Truppen vorgenommen worden. In keiner deutschen Zeitung erschien bis zum Kriegsende ein Bericht über eine miltiärische Niederlage. (19)



Die Reichsleitung hatte zu Kriegsbeginn auch die Presse der neutralen Staaten im Visier und belieferte sie mit Propagandamaterial. Dazu entstand im Oktober 1914 die Zentralstelle für den Auslandsdienst, unter Leitung des Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger von der Zentrums-Partei. Er hatte sich früh für eine organisierte Auslandspropaganda eingesetzt. (19a). Die Zentralstelle belieferte aus Berlin 27 internationale Nachrichtenagenturen mit Propagandamaterial. Gleichzeitig wurden die die im Reich tätigen Korrespondenten neutraler Staaten strenger Überwachung und Zensur unterworfen. Ein technisches Problem für die deutsche Propaganda entstand, als Großbritannien bei Kriegsbeginn die sechs deutschen Atlantikkabel kappte. Damit konnten  Meldungen aus dem Reich nur noch per Funk international verbreitet werden. Die Entente sicherte sich so, zumindest zu Kriegsbeginn, das globale Nachrichtenmonopol. (20) Außerdem schädigte sich das Reich selber in seiner Außendarstellung, da bei Kriegsbeginn die Ausfuhr deutscher Zeitungen ins Ausland eingestellt wurde. (20a) Sie hatte damit vor allem Einfluss auf die Medien in den damals neutralen Vereinigten Staaten, denn die britischen Nachrichten kamen dort zeitnaher an und hatten somit "erhebliche Wirkung auf die Debatte (... ) um die angemessene Vorbereitung der Vereinigten Staaten auf einen Weltkrieg." (21) In Berlin reagierte man mit der Gründung der „Überseedienst Transozean GmbH“. Sie sollte beispielsweise Zeitungen im neutralen Ausland aufkaufen oder neu gründen, um so versteckte deutsche Propaganda verbreiten zu können. Diese Strategie ging aber nicht auf, da diese Absicht schnell offensichtlich wurde. (22) 



Differenzierte Zensurpraxis - Gehorsame Medien


Der Versuch, die Zensur im Reich zentral von Berlin aus zu steuern, ließ sich nur bedingt umsetzen. Die politische Fühung im Reich unterwarf sich der dezentralen Militärhierarchie mit den weitgehenden Machtbefugnissen der AOK. Das hatte aber manchmal auch einen positiven Effekt, denn die Härte der Zensur variierte in den verschiedenen Ländern des Reichs. „Ihr Zugriff war umfassender in Berlin und in Industrieregionen mit großem Arbeiteranteil, ihr Einfluss war aber überall vorhanden.“ (23) 

In der Regel befolgten die Zeitungen die Vorgaben der Zensur freiwillig – Herausgeber und Joiurnalisten wollten als “Patrioten“ dem Reich zum Sieg verhelfen. Die in Stuttgart erscheinende, nationalliberale Tageszeitung "Schwäbischer Merkur" informierte ihre Leser bereits am 30. Juni 1914 - vor der Kriegserklärung - man werde sich "große Beschränkungen" in der Berichterstattung auferlegen und habe deshalb Meldungen "mit Rücksicht auf die Landesverteidigung" nicht veröffentlicht.

Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur I 35 A
In Kassel empfahl am 16. November 1914 General Haugwitz: "die (...) mit gutem Erfolg durchgeführte Übung der gemeinschaftlich vertraulichen Besprechung mit den Pressevertretern aller Parteien" zu übernehmen (24). 

Im Württembergischen Staatsarchiv in Stuttgart befindet sich eine Liste von über 30 dekorierter Redakteure und Journalisten. Sie hatten in ihren Blättern für den Kauf von Kriegsanleihen geworben und waren mit einem Orden Württembergs dafür belohnt worden. "In der Praxis wirkte sich (...) weniger die häufig improvisierte Zensur durch die Behörden aus als die Selbstzensur der Verleger und Journalisten." (25)

Der Einhaltung des politischen  „Burgfriedens“ sahen sich auch die Mehrheit der Funktionäre der SPD und Gewerkschaften verpflichtet. Das galt auch für ihre Zeitungen und Publikationen und die Arbeiterführer wurden dafür belohnt. Ab Kriegsbeginn durfte die SPD-Zeitung "Vorwärts" auch in den Zeitungsständen preußischer Bahnhöfe verkauft werden. (26) Nur die zersplitterte Opposition aus Pazifisten und radikalen Sozialisten agitierte weiter gegen den Krieg. Dabei wurden sie massiv von der militärischen Zensur und der politischen Polizei verfolgt. Dabei stießen die Veröffentlichungen der Opposition nur auf wenig Resonanz. Zu theorielastig und damit schwer lesbar waren oft die Publikationen. 

Den Militärs standen außer der direkten Zensur und dem Verbot von Publikationen weitere Instrumente der Disziplinierung zur Verfügung. So wurden Anträge für neue Zeitungen oder Zeitschriften einfach mit der Begründung, es gebe nicht genug Papier abgelehnt. Kritische Publizisiten steckte man ins Gefängnis oder zog sie zum Militär ein. Die umfassenden Befugnisse der örtlichen Militärs und der Behörden vor Ort betraf nicht nur Zeitungen und Zeitschriften. Auch Veranstaltungen, Konzerte, Vorträge und Aufführungen unterlagen der Kontrolle. In Württemberg wurde ein Geschäftsinhaber im Herbst 1914 aufgefordert, sein patriotisch dekorierrtes Schaufenster umzugestalten - er hatte vergessen, eine Genehmigung der Behörden einzuholen.



(1) Artikel 86 der Verfassung des Deutschen Reiches
(2) Handbuch der Kriegsverordnungen für den Bereich des XI. Armeeoberkommandos IV.Teil: Schrifttum, Cassel 1917, S. 5 ff., Landesarchiv Baden-Württemberg - Hauptstaatsarchiv
(3) Ebenda


(4) Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht 1871-1918, Fischer 2013, S. 38 ff

(5) Gordon A. Craig, Die preußisch-deutsche Armee, Athenäum-Droste, 1980, S. 281 ff

(6) Oliver Janz, Der Große Krieg, 2013 Campus Verlag, S. 57

(7) Janz, ebenda, S. 57

(8) David Stevenson, Der Erste Weltkrieg, Artemis-Verlag, 2006, S. 334

(9) Janz, a.a. O, S. 226

(10) Mira Beham, Kriegstrommeln – Medien, Krieg und Politik, DTV 1996, S.26

(11) a.a.O, S. 36
(12) Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich, Der Große Krieg, Klartext Verlag, 2010, S 218

(13) Becker/Krumeich, a.a. O. S. 93

(14) Janz, ebenda, S. 226, sowie https://de .wikipedia.org/wiki

(15) /Walter_Nicolai_(Geheimdienstoffizier)

(16) Roger Chickering, Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg, Beck-Verlag, 2002, S.64

(17) https://wikipedia.org/wiki/Propaganda_im_Ersten_Weltkrieg

(18). Chickering, a. a. O. S. 63

(19) Chickering, ebenda, S. 64
(19a) Ernst Pieper, Nacht über Europa, 2013, Propyläen Verlag, S. 201

(20) Janz, ebenda, S. 79
(20a) Pieper, a.a.O., S. 197
(21) Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora, Beck, 2014, S. 144 ff


(23) Siehe Anmerkung 8, S. 335
(24) Siehe Anmerkung 2 
(25) Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora, Beck 2014, S. 383
(25) Siehe Anmerkung 21, S. 207

Freitag, 13. Juni 2014

Erster Weltkrieg - Medienkrieg: Teil I




Prolog





„The first casualty when war comes is truth“ - „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“- (1), diese Warnung sprach US-Senator Hiram Johnson im März 1917 aus. Er bezog sich auf den bevorstehenden Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Am 3.Februar 1917 hatten die Vereinigten Staaten die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich abgebrochen, die Kriegserklärung erfolgte dann am 6. April. Die USA reagierten damit auf die am 1. Februar 1917 von der Reichsregierung beschlossenen Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges. Wie sich Wahrheit der Propaganda unterordnet, konnte der progressive republikanische US-Senator in den Staaten sehen, die sich seit August 1914 im Krieg befanden.



Krieg und Medien



Der Erste Weltkrieg war nicht nur der erste industrialisierte Krieg, in ihm spielten Propaganda und Massenmedien, also Zeitungen, Fotografie und Film eine eminent wichtige Rolle. Auch gab es bereits militärische Versuche mit Radioübertragungen an der Westfront. Die Zeit des Feudalstaates, in dem man die Loyalität des Volkes durch Gehorsam erreichte, war vorbei. Regierungen brauchten die Zustimmung der Massen für die Kriegsführung, deshalb waren Medien, Zensur und Propaganda eine zentraler politischer Faktor.


Berichterstattung über Kriege und Feldzüge hatte es schon früher gegeben, sie bestanden im 19. Jahrhundert aber hauptsächlich aus offiziellen Regierungs-Bulletins oder Berichten, die Offiziere für Zeitungen auf den Kriegsschauplätzen verfasst hatten.



Der erste professionelle Kriegsberichterstatter war William Howard Russel der im Krimkrieg (1853-1856) für die Londoner „Times“ direkt aus dem Kampfgebiet um die Hafenstadt Sewastopol berichten sollte. (2) Von dort schickte er seine Artikel nach London. Der Herausgeber der „Times“, John Delane, war von den schonungslosen Berichten, die den desolaten Zustand des britischen Expeditionskorps schilderten, geschockt und verbot den Abdruck. Er gab sie allerdings an des britische Kabinett weiter, während sich Russel auf der Krim fragte: „muss ich über diese Dinge sprechen, oder soll ich schweigen?“ (3) 


Nachdem aber das Konkurrenzblatt „London Daily News“ Berichte ihres Korrespondenten vom Kriegsschauplatz publizierte, musste die „Times“ nachziehen und Russels Artikel veröffentlichen. Die britischen Militärs auf der Krim reagierten sofort und entzogen den Journalisten ihre Unterstützung. Sie durften nicht mehr zu den Schlachtfeldern fahren. Dabei waren Journalisten wie Militärs aufeinander angewiesen: Die Korrespondenten benötigten Informationen – das Militär in der Heimat eine gute Presse. Russel reagierte auf den ‚Platzverweis’ clever, er ließ sich in der Etappevon Soldaten ihre Fronterlebnisse schildern und baute dies in seine Artikel ein. Wütend reagierte das Militär und stellte die Berichterstattung vor Ort unter direkte Zensur.



Mit dem Sezessionskrieg in den USA (1861-1865) begann nicht nur ein langjähriger und blutiger Bürgerkrieg. Es war ein 'moderner' Krieg, mit Schützengräben und ersten Maschinengewehren, und nutzte Eisenbahnen wie Telegrafie. Hier spielte die Presse eine wichtige Rolle, alleine aus den Nordstaaten gingen über 500 Journalisten an die verschiedenen Fronten. Telegraphie und Fotografie dienten der Berichterstattung und die Zeitungen erhielten schnell aktuelle Informationen von den Kriegsschauplätzen. Als Folge konnten die Zeitungen in New York etwa ihre Auflagen während des Krieges verfünffachen. Es zeigten sich auch Schattenseiten des Metiers, Sensationsgier ging oft vor Wahrheit, kommerzielle Interessen der Verleger beeinflussten die Berichterstattung. So wies die „Chicago Times“ ihre Korrespondenten an: „Telegraphieren Sie alle Nachrichten, die Sie bekommen können, vollständig durch und wenn es keine Nachrichten gibt, dann schicken Sie Gerüchte!“  Ein Chronist aus den Nordstaaten kritisierte, die Journalisten seien „ignorant, unredlich und unethisch (...) die Meldungen (...) häufig ungenau, oft erfunden, parteiisch und hetzerisch.“ (4)

Der Versuch der US—Regierung eine zentrale Zensur einzuführen, ließ sich in der Realität nur unzureichend umsetzen. Dabei befahl US-Kriegsminister Edwin Stanton etwa, Journalisten von der Front zu verbannen und einzelne zu verhaften. Einen Reporter der „New York Tribune“ ließ der Minister sogar hinrichten, da dieser sich geweigert hatte, einen Artikel zur Zensur vorzulegen. (5) 

Wie groß der Eindruck der Fotografien von Schlachtfeldern waren, zeigten die Reaktionen der Besucher einer Ausstellung. Sie präsentierten auch Bilder gefallener Soldaten und von Verwundeten. Viele der Betrachter reagierten erschüttert, denn im im Gegensatz zu den gezeichneten Schlachtfeldszenen mit heroischen Helden, sah man hier die Brutalität und Einsamkeit des Todes, wie auch das Elend der Verwundeten. Dabei hatten die Fotografen wegen der langen Belichtungszeiten und der großen Fotoapparate Probleme, direkt von der Front zu Berichten. Niemand durfte sich Bewegen und so konnten keine Bilder den Kampf zeigen. Hier gab es auch Manipulationen, so legte man etwa neben Tote eine Waffe um so zu unterstreichen, dass es sich um einen Soldaten handelte.



Im deutsch/französischen Krieg 1870/71 spielten Zensur eine wichtige Rolle. So verbot im Königreich Preußen das Kriegsministerium der Presse die Berichterstattung über militärische Geheimnisse oder die Bewegungen der Heeres. Dies geschah auch deshalb, weil deutsche Militärs aus französischen Zeitungen Informationen über die Bewegungen der Armeen Kaiser Napoleons III. gefunden und ausgewertet hatten. Ähnliches wollte man in Deutschland verhindern und beaufsichtigte die Presse deshalb streng.




Massenmedien und Gesellschaft



Die Notwendigkeit, verstärkt staatlichen Einfluss auf Massenmedien auszuüben, hatte zwei Gründe. Einerseits ermöglichte die rasante technischen Entwicklung den Aufstieg der Massenpresse. Andererseits nahm die Lese- und Schreibfähigkeit in der Bevölkerung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts massiv zu und damit auch das politische Interesse der einfachen Leute. Zuerst revolutionierte in den USA die Rotationsdruckmaschinen ab 1865 die Zeitungsproduktion, konnten so doch stündlich 10 000 Papierbögen bedruckt werden . Der im schwäbischen Hachtel geborene Ottmar Mergenthaler wanderte 1872 in die USA aus und erfand dort 1885 die Linotype-Setzmaschine. Sie beschleunigte den Vorgang des Zeitungssetzens und gab damit der Massenpresse einen weiteren Schub. (6) Ende des 19. Jahrhunderts begann das Medium Film seinen Siegeszug um die Welt. Alleine im Deutschen Reich gab es 1914 etwa 7500 Lichtspielhäuser, die wöchentlich rund 1,5 Millionen Besucher hatten. (7)




Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die allgemeine Volksbildung in den industrialisierten Staaten gestiegen, im deutschen Reich konnte die Mehrheit Lesen und Schreiben. Noch 1750 beherrschten nur etwa zehn Prozent der Einwohner Deutschlands diese Techniken, aber 1871 waren es bereits 90 Prozent. Folgerichtig erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Reich rund 3500 Zeitungen und es entstanden große Verlagshäuser wie Mosse, Ullstein und Scherl. Das man mit Zeitungen Profite erwirtschaften konnte, erkannte 1863 bereits Ferdinand Lassalle. Zeitungen seien „eine äußerst lukrative Spekulation für einen kapialbegabten oder auch für einen kapitalhungrigen Verleger“. (8) Der Verkauf von Zeitungen und die Einnahmen aus Anzeigen wurden ein lukrativer Geschäftszweig in allen industrialisierten Staaten. Bis 1914 wuchs im Deutschen Reich die Zahl der Zeitungstitel auf 4000.

Die Alphabetisierung der Bevölkerung und damit auch breiter Teile der Arbeiterschaft hatte auch sie zu politisch interessierten Lesern gemacht. Die gesellschaftliche Polarisierung im nur formell demokratischen Reich zwischen Sozialdemokratie/Gewerkschaften und National-Liberalen samt Konservativen, beförderte die Gründung der Meinungspresse. Dies beobachtete die Elite des Obrigkeitsstaats mit Misstrauen und Versuchte die Entwicklung zu beeinflussen. Spielte das Recht auf Pressefreiheit in der Reichsverfassung von 1871 noch keine Rolle, wurde 1874 das „Reichspressegesetz“ eingeführt. Dabei war aber den Herrschenden fast jedes Mittel gegen missliebige Publikationen recht. So führte etwa Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1872 und 1887 gegen die katholische Kirche den so genannten „Kulturkampf“. Er wollte die Macht der katholischen Zentrumspartei im Reichstag brechen und ließ ihm nicht genehme Presseorgane durch Strafverfolgung schikanieren. Als Bismarck später dann die Arbeiterbewegung in das Visier nahm, ließ er die SPD-Presse 1878 durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ unterdrücken. Faktisch wurde so im Reich die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt, aber das Bürgertum nahm es hin. (9)

Mit Kaiser Wilhelm II. war 1888 ein unbeherrschter und eitler Mann an die Macht gekommen, der gleichzeitig von Stimmungsschwankungen und Selbstzweifeln geplagt war. Er sah sich politisch als absolutistischer Alleinherrscher. Gleichzeitig hatte er ein gutes Gespür für moderne Entwicklungen, wie die Moglichkeiten der Massenmedien. Wilhelm war ein begabter   Selbstdarsteller und nutzte jeden Auftritt. Zur Imagepflege des Kaisers bekamen die Medien sogar "Homestorys" geliefert, Berichte, Fotos oder Filmaufnahmen aus dem Privatleben Wilhelms und seiner Familie. Der Kaiser posierte gerne und genoss öffentliche Auftritte, gab sich dabei gerne leutselig. Dabei war er politisch ein Leichtgewicht und Reichskanzler Bethmann-Hollweg fürchtete seine öffentlichen Auftritte. Mehrfach hatte der Kaiser sich in der Vergangenheit zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.  


Worte für den Krieg 


Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele spielten der Kaiser und sein Reichskanzler auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung. Dies wurde auch und gerade in der Julikrise 1914 sichtbar. 

Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur I 35


Nachdem durch Wilhelm am 31. Juli 1914 der Kriegszustand im Deutschen Reich erklärt worden war, hielt er vom Berliner Stadtschloss aus seine erste "Balkonrede" an das Volk:
 "Neider überall zwingen uns zur gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand."
Damit sollte dem Volk eingeredet werden, dass alleine die bösen Nachbarn für den drohenden Krieg verantwortlich seien. 

Am 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Russland den Krieg. Bereits Ende Juli hatte die SPD-Führung gegen das Demonstrationsverbot im Reich nicht zum Widerstand aufgerufen. Vielmehr hatte man 29. Juli alle Presseorgane der Partei angewiesen, die Anti-Kriegspropaganda abzuschwächen und demgegenüber die vermeintlichen Friedensbemühungen des Reichstages in der Berichterstattung hervorzuheben. (10) Kaiser und Reichskanzler freute der Schwenk der SPD- und Gewerkschaftsführung auf den Kriegskurs. Kein Wunder also, dass Wilhelm in seiner zweiten "Balkonrede" der Masse vor dem Stadtschloss verkünden konnte:  
 "In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr." 

Nachdem Wilhelm am 4. August 1914 auch Frankreich die Kriegserklärung zustellen ließ und die Führer der Arbeiterbewegung auf Kriegskurs gebracht waren, erklärte der Kaiser vor Abgeordneten des Reichstages stolz: 

"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche."
Die Volksvertreter seien darauf hin in allgemeinen Jubel ausgebrochen - vermerkten die Chronisten.
Bundesarchiv Plak 001-002-002

Die Kriegserklärung Großbritanniens an das Reich am 5. August 1914, konsternierte Kaiser und Reichskanzler gleichermaßen. Sie hatten nicht gedacht, dass das Empire seiner Schutzpflicht gegenüber dem neutralen Belgien nachkommen würde. Jetzt ging es darum, den Hass gegen das 'perfide Albion' bei den Deutschen zu schüren. Am 7. August 1914 erschien in allen Zeitungen des Reiches eine Rede des Kaisers an sein Volk:

"...die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. (...) Man verlangt, daß wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten (...). So muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Nun auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland..“ 

Wer jetzt noch gegen den Krieg war, wurde zum Staats- und Volksfeind erklärt. 


Auch im Krieg war sich Wilhelm der Wirkung neuer Medientechnologien bewusst. Von der Rede existiert eine Tonaufnahme. http://www.dra.de/online/dokument/2006/november.html Weniger bekannt ist, dass sie erst im 10. Januar 1918 entstand, als Deutschlands Wahn, im Westen einen schnellen Sieg erringen zu können, in den Schützengräben vor Verdun und in Flandern blutig gescheitert war.



(1) wikipedia.org/wiki/Hiram_Johnson

(2) Im Krimkrieg standen Großbritannien, Frankreich, das Königreich Sardinien und das Osmanische Reich dem zaristischen Russland gegenüber. Russland verlor den Krieg – siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Krimkrieg, sowie: „Der Krimkrieg“ German Werth, Ullstein 1989 sowie „Krimkrieg – Der letzte Kreuzzug“, Orlando Figes, Berlin Verlag, 2010

(3) Mira Beham, Kriegsgtrommeln – Medien, Krieg und Politik, DTV 1996, S.13ff

(4) Beham, Ebenda, S. 17 und 20

(5) ebenda S. 20

(6) Hermann Meyn, Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 15.ff

(7) David Stevenson, Der Erste Weltkrieg, Artemis-Winkler-Verlag 2006, S. 335

(8) Meyn, Ebenda, S. 16

(9) Meyn, a.a.O. S. 16
(10) Olliver Jantz, Der große Krieg, Campus Verlag 2013, S. 184 und 197