Prolog
„The first casualty
when war comes is truth“ - „Das erste
Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“- (1), diese Warnung sprach US-Senator
Hiram Johnson im März 1917 aus.
Er bezog sich auf den bevorstehenden Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg.
Am 3.Februar 1917 hatten die Vereinigten Staaten die diplomatischen
Beziehungen zum Deutschen Reich abgebrochen, die Kriegserklärung erfolgte dann am
6. April. Die USA reagierten damit auf die am 1. Februar 1917 von der
Reichsregierung beschlossenen Wiederaufnahme des uneingeschränkten
U-Bootkrieges. Wie sich Wahrheit der Propaganda unterordnet, konnte der progressive
republikanische US-Senator in den Staaten sehen, die sich seit August 1914 im
Krieg befanden.
Krieg und Medien
Der Erste Weltkrieg war nicht nur der erste
industrialisierte Krieg, in ihm spielten Propaganda und Massenmedien, also Zeitungen,
Fotografie und Film eine eminent wichtige Rolle. Auch gab es bereits
militärische Versuche mit Radioübertragungen an der Westfront. Die Zeit des Feudalstaates,
in dem man die Loyalität des Volkes durch Gehorsam erreichte, war vorbei. Regierungen
brauchten die Zustimmung der Massen für die Kriegsführung, deshalb waren Medien, Zensur und Propaganda eine zentraler politischer Faktor.
Berichterstattung über Kriege und Feldzüge hatte es schon
früher gegeben, sie bestanden im 19. Jahrhundert aber hauptsächlich aus
offiziellen Regierungs-Bulletins oder Berichten, die Offiziere für Zeitungen auf
den Kriegsschauplätzen verfasst hatten.
Der erste professionelle Kriegsberichterstatter war William Howard Russel der im Krimkrieg (1853-1856) für die Londoner „Times“ direkt aus dem Kampfgebiet um
die Hafenstadt Sewastopol berichten sollte. (2) Von dort schickte er seine
Artikel nach London. Der Herausgeber der „Times“, John Delane, war von den schonungslosen Berichten, die den desolaten
Zustand des britischen Expeditionskorps schilderten, geschockt und verbot den
Abdruck. Er gab sie allerdings an des britische Kabinett weiter, während sich
Russel auf der Krim fragte: „muss ich über diese Dinge sprechen, oder
soll ich schweigen?“ (3)
Nachdem aber das Konkurrenzblatt „London Daily News“ Berichte ihres Korrespondenten vom Kriegsschauplatz
publizierte, musste die „Times“ nachziehen und Russels Artikel veröffentlichen.
Die britischen Militärs auf der Krim reagierten sofort und entzogen den
Journalisten ihre Unterstützung. Sie durften nicht mehr zu den Schlachtfeldern
fahren. Dabei waren Journalisten wie Militärs aufeinander angewiesen: Die
Korrespondenten benötigten Informationen – das Militär in der Heimat eine gute
Presse. Russel reagierte auf den ‚Platzverweis’ clever, er ließ sich in der
Etappevon Soldaten ihre Fronterlebnisse schildern und baute dies in seine Artikel
ein. Wütend reagierte das Militär und stellte die Berichterstattung vor Ort unter
direkte Zensur.
Mit dem Sezessionskrieg
in den USA (1861-1865) begann nicht
nur ein langjähriger und blutiger Bürgerkrieg. Es war ein 'moderner' Krieg, mit Schützengräben
und ersten Maschinengewehren, und nutzte Eisenbahnen wie Telegrafie. Hier spielte
die Presse eine wichtige Rolle, alleine aus den Nordstaaten gingen über 500
Journalisten an die verschiedenen Fronten. Telegraphie und Fotografie dienten der Berichterstattung und die Zeitungen erhielten schnell aktuelle Informationen von den
Kriegsschauplätzen. Als Folge konnten die Zeitungen in New York etwa ihre Auflagen
während des Krieges verfünffachen. Es zeigten sich auch Schattenseiten des Metiers,
Sensationsgier ging oft vor Wahrheit, kommerzielle Interessen der Verleger beeinflussten die
Berichterstattung. So wies die „Chicago Times“
ihre Korrespondenten an: „Telegraphieren Sie alle Nachrichten, die
Sie bekommen können, vollständig durch und wenn es keine Nachrichten gibt, dann
schicken Sie Gerüchte!“ Ein Chronist aus den Nordstaaten
kritisierte, die Journalisten seien „ignorant, unredlich und unethisch (...) die
Meldungen (...) häufig ungenau, oft erfunden, parteiisch und hetzerisch.“ (4)
Der Versuch der US—Regierung eine zentrale Zensur einzuführen, ließ sich in der
Realität nur unzureichend umsetzen. Dabei befahl US-Kriegsminister Edwin Stanton etwa, Journalisten von der Front
zu verbannen und einzelne zu verhaften. Einen Reporter der „New York Tribune“ ließ der Minister sogar hinrichten, da dieser
sich geweigert hatte, einen Artikel zur Zensur vorzulegen. (5)
Wie groß der Eindruck
der Fotografien von Schlachtfeldern waren, zeigten die Reaktionen
der Besucher einer Ausstellung. Sie präsentierten auch Bilder gefallener Soldaten und von Verwundeten. Viele
der Betrachter reagierten erschüttert, denn im im Gegensatz zu den gezeichneten
Schlachtfeldszenen mit heroischen Helden, sah man hier die Brutalität und
Einsamkeit des Todes, wie auch das Elend der Verwundeten. Dabei hatten die Fotografen
wegen der langen Belichtungszeiten und der großen Fotoapparate Probleme, direkt
von der Front zu Berichten. Niemand durfte sich Bewegen und so konnten keine Bilder
den Kampf zeigen. Hier gab es auch Manipulationen, so legte man etwa neben Tote eine Waffe um so zu unterstreichen, dass es sich um einen Soldaten handelte.
Im deutsch/französischen
Krieg 1870/71 spielten Zensur eine wichtige Rolle. So verbot im Königreich Preußen das
Kriegsministerium der Presse die Berichterstattung über militärische
Geheimnisse oder die Bewegungen der Heeres. Dies geschah auch deshalb, weil
deutsche Militärs aus französischen Zeitungen Informationen über die Bewegungen
der Armeen Kaiser Napoleons III. gefunden und ausgewertet hatten. Ähnliches wollte
man in Deutschland verhindern und beaufsichtigte die Presse deshalb streng.
Massenmedien und Gesellschaft
Die Notwendigkeit, verstärkt staatlichen Einfluss auf Massenmedien
auszuüben, hatte zwei Gründe. Einerseits ermöglichte die rasante technischen Entwicklung
den Aufstieg der Massenpresse. Andererseits nahm die Lese- und Schreibfähigkeit
in der Bevölkerung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts massiv zu und damit auch
das politische Interesse der einfachen Leute. Zuerst revolutionierte in den USA die Rotationsdruckmaschinen ab 1865 die Zeitungsproduktion, konnten so doch stündlich 10 000
Papierbögen bedruckt werden . Der im schwäbischen Hachtel geborene Ottmar Mergenthaler wanderte 1872 in
die USA aus und erfand dort 1885 die
Linotype-Setzmaschine. Sie beschleunigte
den Vorgang des Zeitungssetzens und gab damit der Massenpresse einen weiteren
Schub. (6) Ende des 19. Jahrhunderts begann das Medium Film seinen Siegeszug um die Welt. Alleine im Deutschen Reich gab es 1914
etwa 7500 Lichtspielhäuser, die
wöchentlich rund 1,5 Millionen Besucher
hatten. (7)
Gegen Ende des 19.
Jahrhunderts war die allgemeine Volksbildung
in den industrialisierten Staaten gestiegen, im deutschen Reich konnte die
Mehrheit Lesen und Schreiben. Noch 1750 beherrschten nur etwa zehn Prozent der Einwohner Deutschlands diese Techniken, aber 1871 waren es bereits 90 Prozent. Folgerichtig erschienen zu Beginn des 20. Jahrhunderts
im Reich rund 3500 Zeitungen und es entstanden
große Verlagshäuser wie Mosse, Ullstein
und Scherl. Das man mit Zeitungen Profite
erwirtschaften konnte, erkannte 1863
bereits Ferdinand Lassalle. Zeitungen seien „eine
äußerst lukrative Spekulation für einen kapialbegabten oder auch für einen
kapitalhungrigen Verleger“. (8) Der Verkauf von Zeitungen und die
Einnahmen aus Anzeigen wurden ein lukrativer Geschäftszweig in allen industrialisierten
Staaten. Bis 1914 wuchs im Deutschen Reich die Zahl der
Zeitungstitel auf 4000.
Die Alphabetisierung der Bevölkerung und damit auch breiter Teile
der Arbeiterschaft hatte auch sie zu politisch interessierten Lesern gemacht.
Die gesellschaftliche Polarisierung im nur formell demokratischen Reich zwischen
Sozialdemokratie/Gewerkschaften und National-Liberalen samt Konservativen, beförderte
die Gründung der Meinungspresse. Dies beobachtete die Elite des
Obrigkeitsstaats mit Misstrauen und Versuchte die Entwicklung zu beeinflussen. Spielte
das Recht auf Pressefreiheit in der Reichsverfassung von 1871 noch keine Rolle,
wurde 1874 das „Reichspressegesetz“ eingeführt. Dabei war aber den Herrschenden fast
jedes Mittel gegen missliebige Publikationen recht. So führte etwa Reichskanzler
Otto von Bismarck zwischen 1872 und 1887 gegen die katholische
Kirche den so genannten „Kulturkampf“.
Er wollte die Macht der katholischen Zentrumspartei im Reichstag brechen und
ließ ihm nicht genehme Presseorgane durch Strafverfolgung schikanieren. Als Bismarck
später dann die Arbeiterbewegung in das Visier nahm, ließ er die SPD-Presse 1878 durch das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“
unterdrücken. Faktisch wurde so im Reich die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt,
aber das Bürgertum nahm es hin. (9)
Mit Kaiser Wilhelm II. war 1888 ein unbeherrschter und eitler Mann an die Macht gekommen, der gleichzeitig von Stimmungsschwankungen und Selbstzweifeln geplagt war. Er sah sich politisch als absolutistischer Alleinherrscher. Gleichzeitig hatte er ein gutes Gespür für moderne Entwicklungen, wie die Moglichkeiten der Massenmedien. Wilhelm war ein begabter Selbstdarsteller und nutzte jeden Auftritt. Zur Imagepflege des Kaisers bekamen die Medien sogar "Homestorys" geliefert, Berichte, Fotos oder Filmaufnahmen aus dem Privatleben Wilhelms und seiner Familie. Der Kaiser posierte gerne und genoss öffentliche Auftritte, gab sich dabei gerne leutselig. Dabei war er politisch ein Leichtgewicht und Reichskanzler Bethmann-Hollweg fürchtete seine öffentlichen Auftritte. Mehrfach hatte der Kaiser sich in der Vergangenheit zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.
Mit Kaiser Wilhelm II. war 1888 ein unbeherrschter und eitler Mann an die Macht gekommen, der gleichzeitig von Stimmungsschwankungen und Selbstzweifeln geplagt war. Er sah sich politisch als absolutistischer Alleinherrscher. Gleichzeitig hatte er ein gutes Gespür für moderne Entwicklungen, wie die Moglichkeiten der Massenmedien. Wilhelm war ein begabter Selbstdarsteller und nutzte jeden Auftritt. Zur Imagepflege des Kaisers bekamen die Medien sogar "Homestorys" geliefert, Berichte, Fotos oder Filmaufnahmen aus dem Privatleben Wilhelms und seiner Familie. Der Kaiser posierte gerne und genoss öffentliche Auftritte, gab sich dabei gerne leutselig. Dabei war er politisch ein Leichtgewicht und Reichskanzler Bethmann-Hollweg fürchtete seine öffentlichen Auftritte. Mehrfach hatte der Kaiser sich in der Vergangenheit zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.
Worte für den Krieg
Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele spielten der Kaiser und sein Reichskanzler auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung. Dies wurde auch und gerade in der Julikrise 1914 sichtbar.
Reproduktion von Mikroform. Original: Württembergische Landesbibliothek, Signatur I 35 |
Nachdem durch Wilhelm am 31. Juli 1914 der Kriegszustand im Deutschen Reich erklärt worden war, hielt er vom Berliner Stadtschloss aus seine erste "Balkonrede" an das Volk:
"Neider überall zwingen uns zur gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand."Damit sollte dem Volk eingeredet werden, dass alleine die bösen Nachbarn für den drohenden Krieg verantwortlich seien.
Am 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Russland den Krieg. Bereits Ende Juli hatte die SPD-Führung gegen das Demonstrationsverbot im Reich nicht zum Widerstand aufgerufen. Vielmehr hatte man 29. Juli alle Presseorgane der Partei angewiesen, die Anti-Kriegspropaganda abzuschwächen und demgegenüber die vermeintlichen Friedensbemühungen des Reichstages in der Berichterstattung hervorzuheben. (10) Kaiser und Reichskanzler freute der Schwenk der SPD- und Gewerkschaftsführung auf den Kriegskurs. Kein Wunder also, dass Wilhelm in seiner zweiten "Balkonrede" der Masse vor dem Stadtschloss verkünden konnte:
"In dem jetzt bevorstehenden Kampfe kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr."
Nachdem Wilhelm am 4. August 1914 auch Frankreich die Kriegserklärung zustellen ließ und die Führer der Arbeiterbewegung auf Kriegskurs gebracht waren, erklärte der Kaiser vor Abgeordneten des Reichstages stolz:
"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche."Die Volksvertreter seien darauf hin in allgemeinen Jubel ausgebrochen - vermerkten die Chronisten.
Bundesarchiv Plak 001-002-002 |
Die Kriegserklärung Großbritanniens an das Reich am 5. August 1914, konsternierte Kaiser und Reichskanzler gleichermaßen. Sie hatten nicht gedacht, dass das Empire seiner Schutzpflicht gegenüber dem neutralen Belgien nachkommen würde. Jetzt ging es darum, den Hass gegen das 'perfide Albion' bei den Deutschen zu schüren. Am 7. August 1914 erschien in allen Zeitungen des Reiches eine Rede des Kaisers an sein Volk:
"...die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. (...) Man verlangt, daß wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten (...). So muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Nun auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterland..“
Wer jetzt noch gegen den Krieg war, wurde zum Staats- und Volksfeind erklärt.
Auch im Krieg war sich Wilhelm der Wirkung neuer Medientechnologien bewusst. Von der Rede existiert eine Tonaufnahme. http://www.dra.de/online/dokument/2006/november.html Weniger bekannt ist, dass sie erst im 10. Januar 1918 entstand, als Deutschlands Wahn, im Westen einen schnellen Sieg erringen zu können, in den Schützengräben vor Verdun und in Flandern blutig gescheitert war.
(1) wikipedia.org/wiki/Hiram_Johnson
(2) Im Krimkrieg standen Großbritannien, Frankreich, das
Königreich Sardinien und das Osmanische Reich dem zaristischen Russland gegenüber.
Russland verlor den Krieg – siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Krimkrieg,
sowie: „Der Krimkrieg“ German Werth, Ullstein 1989 sowie „Krimkrieg – Der
letzte Kreuzzug“, Orlando Figes, Berlin Verlag, 2010
(3) Mira Beham, Kriegsgtrommeln – Medien, Krieg und Politik,
DTV 1996, S.13ff
(4) Beham, Ebenda, S. 17 und 20
(5) ebenda S. 20
(6) Hermann Meyn, Massenmedien in der Bundesrepublik
Deutschland, 1990, S. 15.ff
(7) David Stevenson, Der Erste Weltkrieg,
Artemis-Winkler-Verlag 2006, S. 335
(8) Meyn, Ebenda, S. 16
(9) Meyn, a.a.O. S. 16
(10) Olliver Jantz, Der große Krieg, Campus Verlag 2013, S. 184 und 197
(10) Olliver Jantz, Der große Krieg, Campus Verlag 2013, S. 184 und 197
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