Freitag, 19. Oktober 2012

Guido Knopp - Weltenbrand - fragwürdiges Spektakel



Mit dem dreiteiligen TV-Dokumentarspektakel "Weltenbrand" verabschiedet sich ZDF-Geschichtslehrer Guido Knopp von seinen Zuschauern - er geht auf Rente. Für den Titel der von ihm verantworteten Serie über die beiden Weltkriege greift er in den germanischen Mythenfundus (1), aus dem sich schon Richard Wagner in der "Götterdämmerung" bedient hatte.

Über den Auslöser des Krieges bedient die ZDF-Serie altbekannte Klischees. Europa sei in den Krieg irgendwie hereingerutscht, wird suggeriert. Folgerichtig werden die Staaten und ihre Völker 'vom Kriegsausbruch überrascht'. Kein Wort zur Vorgeschichte, dass Europa angesichts der Marokkokrise im Jahr 1912 kurz vor einem Krieg gestanden hatte. Weiter gehen Knopps Mannen stillschweigend darüber hinweg, dass konservativ-nationalistische Politiker und Militärs im Deutschen Reichs den Krieg geradezu herbeisehnten. Sie hatten seit Jahren am Bild der neidischen Nachbarstaaten gemalt, die dem aufstrebenden Kaiserreich angeblich den "Platz an der Sonne" verweigern würden.(2)

Weiter verbreitet der ZDF-Weltenbrand immer noch unhinterfragt die Geschichte von der allgemeinen Kriegsbegeisterung in Deutschland und Europa. Noch heute wirkt anscheinend in den Köpfen der ZDF-Redaktion der Ausspruch Kaiser Wilhelms - eines durchaus geschickten Propagandisten - der am 4.August 1914 erklärt hatte: "Ich kenne keine Parteien mehr - sondern nur noch Deutsche!"  In Wirklichkeit hatte es noch kurz vor Kriegsbeginn Demonstrationen für den Frieden gegeben. Der Jubel kam zuerst aus den kleinbürgerlichen und großbürgerlichen Kreisen des wilhelminischen Deutschlands. Viele einfache Leute und Arbeiter dachten im August 1914 eher mit Angst an das was kommen würde.(3)

Die ZDF-Serie schildert den verheerenden Gaskrieg ab dem zweiten Kriegsjahr, ohne die Urheber zu benennen. Am 3.Januar 1915 setzten deutsche Truppen an der Front in Russland erstmals Gas als Waffe ein.(4)  Am 22.April 1915 folgte dann der deutsche Angriff bei Ypern.  Dabei wurden britische und kanadische Soldaten sowie französische Kolonialtruppen mit aus Gasflaschen abgelassenem Chlorgas vergiftet. Die Kaiserlichen Militärs erhofften sich, so die Front zu durchbrechen und erneut in den Bewegungskrieg übergehen zu können. Dies erwies sich aber schnell als Fehler und in der Folge setzten die Entente wie die Mittelmächte diese mörderische Waffe ein.

Beim Thema Verdun haben die Autoren des ZDF kritischer als bisher gearbeitet. Die jahrzehntelang unhinterfragte These: Die Schlacht habe alleine das Ziel gehabt, die französische Armee ausbluten zu lassen, wird im Film nicht mehr vertreten. Viele Historiker sind lange der Darstellung des einstigen Kaiserlichen Generalstabschefs, Erich von Falkenhayn gefolgt. Er hatte in seinen 1920 veröffentlichten Memoiren: "Die Oberste Heeresleitung 1914-1916 in ihren wichtigsten Entscheidungen" (5) behauptet, es sei darum gegangen, die französische Armee zu erschöpfen und nicht die Stadt einzunehmen oder einen Durchbruch zu erzielen.

Falkenhayn hatte demnach am 21.Dezember 1915 in einem "Weihnachtsmemorandum" dem Kaiser angeblich vorgeschlagen, Verdun anzugreifen, um die französische Armee entscheiden zu schwächen. Kein Exemplar dieses Memorandums konnte aber bisher in offiziellen Archiven gefunden worden. Vielleicht ging es Falkenhayn um die nachträgliche Legitimation der von ihm unzureichend vorbereiteten Offensive. Diese Ansicht vertritt etwa der Düsseldorfer Geschichtsprofessor Gerd Krumeich: "Der einzige 'Fundort' der Quelle sind Falkenhayns Memoiren, die dieser 1919 (...) veröffentlichte und die vor allem den Zweck hatten, ihn, der für die Operation verantwortlich war, reinzuwaschen." (6) In dem gemeinsam von Krumeich und Jean-Jacques Becker veröffentlichten Buch: "Der große Krieg" meinen die Autoren: "Es gibt sehr gute Gründe anzunehmen, dass es sich bei diesem Memorandum um eine nach dem Krieg verfasst Fälschung handelt." Das Original sei in deutschen Archiven niemals gefunden worden. Falkenhayns Behauptung, einziges Ziel des Angriffs sei das 'Ausbluten' des französischen Heeres gewesen "ist (...) letztlich nur als Entschuldigung für das militärische Scheitern zu werten." (7)  Dokumente aus der Kriegszeit belegen demnach, dass man über Verdun versuchen wollten, wieder in den Bewegungskrieg zu kommen. Allerdings lehnte es Falkenhayn ab, gleichzeitig auf beiden Seiten der Maas bei Verdun anzugreifen. Seinen taktischen Fehler bei der Planung des Angriffs wollte er dann nach dem Krieg durch die 'Weihnachtsdenkschrift" kaschieren. 

Auch französische Quellen gehen heute davon aus, dass die Deutschen sehr wohl beabsichtigt habe, Verdun zu erobern.(8) Der britische Historiker Alistair Horne zitiert in seinem bereits 1965 erschienenen Buch über die Schlacht den Kommandanten der 5.Armee, den deutschen Kronprinzen Wilhelm. Dieser habe erklärt, es gehe bei der Offensive darum: "die Festung Verdun schnell zu Fall zu bringen." (9)
Die Lesart Falkenhayns über das Gemetzel bei Verdun wird im ZDF-Weltenbrand zwar nicht mehr vertreten, aber es wird auf die Absicht nach Kriegsende, seinen Misserfolg nachträglich zu verschleiern nicht eingegangen.

Aktualisierung
Die im Frühjahr 2014 veröffentlicht Analyse "Verdun 1916" des Historikers Olaf Jessen (10) beweist, dass Falkenhayn nach dem Krieg versucht hatte, seine Vertantwortung für das Scheitern der Offensive zu verschleiern. Er hatte damals behauptet, es sei ihm alleine darum gegangen, die französische Armee bei Verdun "ausbluten" zu lassen und die Stadt nicht etwa zu erobern. Die von Falkenhayn angeblich dem Kaiser im Dezember 1915 übergebene "Weihnachts-Denkschrift", in der Wilhelm dieses Ziel der Offensive dargelegt worden sei, hat es nicht gegeben. Verdun bedeutete nicht nur eine militärische Niederlage des Kaiserreichs, sie führte auch zur Verschärfung des Krieges (U-Boote) und machte einen Friedensschluss unmöglich. Jessen belegt dies durch viele Dokumente und Aussagen militärischer Zeitzeugen, die nach 1918 offiziell befragt worden waren.  

Aktualisierung 2
Eine bemerkenswerte Analyse des Kampfes um Verdun bietet das im Herbst 2015 im S. Fischer Verlag erschienene Buch des britischen Historikers Paul Jankowski: "Verdun - die Jahrhundertschlacht". Sein Fachgebiet ist die französische Geschichte der Neuzeit, deshalb wurde das Buch dort bereits 2013 unter dem Titel: "Verdun 21 fevrier 1916" veröffentlicht. Er behandelt vorrangig die Mythenbildung um die Schlacht an der Maas - die bis in die Gegenwart hinein wirkt. Dabei habe Verdun weder taktisch, noch strategisch, die Bedeutung für den Krieg gehabt, die ihr nachgesagt wurde. Umso unverständlicher ist, dass der Fischer-Verlag für die deutsche Ausgabe den Titel: "Verdun-Die Jahrhundertschlacht" gewählt hat. In heutigen Zeiten scheint man in den Verlagen zu glauben, Leser nur noch mit Superlativen gewinnen zu können...

Revolution und Kriegsende behandelt der "Weltenbrand" oberflächlich. So erfährt man etwa nicht, dass der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert am 9. November 1918 einen Wutanfall bekam, nachdem sein Genosse Philipp Scheidemann die Deutsche Republik verkündet hatte.

Insgesamt ist das im Juni 2012 im Bildungsfernsehen des Bayerischen Rundfunk (!) - br-alpha gesendete Dokumentarspiel: "Europas letzter Sommer Die Julikrise 1914" sowie die zweite Folge über das Kriegsende und den Kapp-Putsch deutlich informativer. Vor allem erfährt der Zuschauer, wie deutsche Politiker und Militärs des Kaiserreiches von Anfang an nur auf den Sieg setzten - Kompromissvorstellungen oder einen "Plan B" zum Schlieffenplan gab es nicht. Schon 1914 war den Mächtigen in Politik und Militär das deutsche Volk ziemlich egal. "Im Rausch der Augusttage (1914 d. Blogger) ließ sich Falkenhayn zu dem zynisch leichtfertigen Satz hinreißen: 'Wenn wir auch darüber zugrundegehen, schön wars doch!" Dafür mussten dann vor Verdun mehr als 300 000 deutsche Soldaten mit ihrem Leben bezahlen. (11). Diese Politik des "Alles oder Nichts" führte in seiner radikalen Fortsetzung durch Hitler im Zweiten Weltkrieg zum Untergang Deutschlands.
 
(1) Wikipedia: "Der Weltenbrand ist ein Begriff aus der nordisch-germanischen Mythologie. Er beschreibt eine der vier eschatologischen Katastrophen im Rahmen von Ragnarök, dem Untergang der Welt."
(2) so 1897 vor dem Reichstag der spätere Reichskanzler (1900-1909) von Bernhard von Bülow
(3) Jochen Börsche in Stefan Burgdorff/Klaus Wiegrefe (Hrsg.) Der Erste Weltkrieg dtv/Spiegel 2004, S.54 ff. und Volker Ullrich: Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution-Beiträge zur Sozialgeschichte Hamburgs und Norddeutschlands im Ersten Weltkrieg, Donat Verlag 1999
(4) John Keegan, Der Erste Weltkrieg, Kindler 2000, S. 280 ff. 
(5) David Stevenson: Der Erste Weltkrieg, Artemis & Winkler 2006, S. 201 und German Werth: 1916 Schlachtfeld Verdun Anmerkung S. 59 
(6) Schlachten der Weltgeschichte, 2004 dtv, S. 298
(7) Becker/Krumeich; Der Grosse Krieg - Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg 1914-1918, 2010, Klartext-Verlag, S. 226 ff 
(8) www.cheminsdememoire.gouv.fr/de/la-bataille-de-verdun:  
"Das ursprüngliche Ziel des Generals von Falkenhayn bestand darin, die Stadt zu erobern, um seinen Truppen damit das Tor zur Invasion Frankreichs zu öffnen. Er dachte dabei zweifellos nicht, dass sich der Angriff in eine lange Reihe von zermürbenden Stellungskämpfen verschlechtern würde. Aber nach den ersten Misserfolgen beim Versuch, die französischen Stellungen zu durchstoßen, und aufgrund der allgemeinen Bedingungen auf dem Schlachtfeld sah er sich genötigt, eine neue Strategie in Form eines Abnutzungskrieges zu übernehmen."


(9) Hew Strachan: Der Erste Weltkrieg, 2003 C.Bertelsmann, S. 230 - Quellenverweis: Alistair Horne: Des Ruhmes Lohn, Minden 1965, S. 65
(10) Olaf Jessen, Verdun 1916 - Urschlacht des Jahrhunderts, 2014 C.H.Beck
(11) Karl Heinz Janßen, Die Zeit Nr. 38, 16.04.1994

Dienstag, 2. Oktober 2012

Familie 2012: Digitale Autisten


Saß einst die deutsche Familie vor dem Fernsehgerät, um gemeinsam "Derrick" oder "Wetten dass?" zu sehen, setzt die Werbewirtschaft heute auf die Digital-Autisten. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man ein aktuelles Foto im Fachblatt Werben & Verkaufen (Süddeutscher Verlag) betrachtet.






Interessanterweise sehen die Werbeblattmacher die deutsche Familie weiterhin im klassischen Autoritätssystem - Vater gibt immer noch mit dem Zeigefinger die Befehle!. Alle sitzen zwar noch gemeinsam auf dem Sofa - aber jeder konsumiert getrennt Medienangebote. Die Blagen spielen auf dem interaktiven Flachbildschirm ein Videospiel, Mama liest- romantisch entrückt - im "Kindle" einen Roman. Papa dagegen ist mit dem Laptop online. Entweder informiert er sich gerade bei Spiegel-Online, oder vergnügt sich - wie geahnt - heimlich auf einer Sex-Site ....

Spaß beiseite, manchmal verraten die Ideen der Werbefuzzis viel darüber, wie sie ihre Konsumenten sehen oder gerne hätten. Gemeinsam und doch vereinzelte Medienkonsumenten, deren aktuelle Nutzungsdaten sofort ausgewertet werden können. Sie bekommen sofort auf ihre Bildschirme den passenden Werbespot, individuelle Bannerwerbung oder das Buchangebot zum gerade gelesenen Digtial-Buch. Direkte Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern würde den Konsum nur stören.

 Tja und wenn der digitale Zoo mal technische zusammenbricht?  

"Oh Gott Liebling, was sind das für Kinder?" "Welche Kinder - und wer bist Du ?" "Wer sind eigentlich die beiden alten Langweiler neben uns?" "Ach die bezahlen immer unsere Computerspiele."


In Wirklichkeit sitzt die Familie schon lange nicht mehr beisammen, jeder hockt in seinem Zimmer und  pflegt seinen digitalen Autismus*.

* Wikipedia zeigen Autisten einen "...angeborenen abweichenden Informationsverarbeitungsmodus, der (...) Schwächen in sozialer Interaktion und Kommunikation..." mit sich bringe.