Dienstag, 10. November 2020

Babylon Berlin - Shadowplay: Geschichte als Krimi-Kulisse

Auch die dritte Staffel enttäuscht
Foto: Frédéric Batier/X Filme Creative Pool / 
ARD Degeto/ WDR/Sky/Beta Film 2019

Im Oktober hatte die dritte Staffel "Babylon Berlin" Premiere im "Ersten' der ARD. Bis 21. Januar 2021 können die zwölf neuen Folgen kostenlos in der ARD-Mediathek abgerufen werden. Überzeugen konnte auch die dritte Staffel nicht. Flacher Plot garniert mit einer historischen Schnitzeljagd durch das Berlin anno 1929. Auf der ARD-Homepage findet sich ein bezeichnendes Statement des Co-Autors Henk Hantloegten. Demnach sei es ihnen weniger darum gegangen, wer der Täter sei. Vielmehr habe man ein "riesen Sittengemälde" Berlins beabsichtigt. Genau hier liegt für mich der Hund begraben. Die Story in Kurzform: Mord an Film-Schauspielerinnen in Babelsberg. Auslöser ist ein Streit unter Kiez-Ganoven, dazu kommt ein psychopathischer Polizei-Forensiker, der sich nicht ernst genommen fühlt. Er will im Wahn seinen Chef spektakulär umbringen - dazu braucht es zwölf einstündige Folgen. Die Schwächen dieser Geschichte konnten auch die profilierten Schauspieler nicht retten.

Das anvisierte "Sittengemälde" der Stadt zur Zeit des Börsencrash 1929 wirkt  plakativ. Im Ufa-Studio werden die wechselnden Hauptdarstellerinnen eines Filmprojekts von einem dämonischen Mann in Schwarz gemeuchelt. Dabei nahmen die Serien-Autoren historische Film-Anleihen:"Das Kabinett des Dr. Caligari", "Dr. Mabuse der Spieler" oder "Metropolis". Zu sehen und hören bekommt man aber auf grotesk gebürstete Tanz-Gymnastik, auf exaltiert getrimmte Charaktere und erneut einen gruseligen Soundtrack. Ebensowenig gelingt es aber, die politische Situation Ende der 1920er Jahre aufzuzeigen. Bei einigen Figuren nahm man Anleihen an historischen Personen - geglückt ist das nicht. Da kämpft im Berliner Kiez ein smart-verklemmter SA-Führer um eine Prostituierte und wird von der Unterwelt umgebracht. Gemeint war Horst Wessel, den die Nazis zum Märtyrer machten. Der sanftmütige Journalist aus Österreich, der Putschpläne der Reichswehrführung enthüllen will, hat Carl von Ossietzky als Vorbild. Das bezopften Töchterchen, das ihn mit Infos versorgt, ist der Sproß des Reichswehrchefs - siehe Hans von Seeckt. Der kaltschnäuzige und brutale Ex-Oberst und Mitarbeiter von Reichskanzler von Hindenburg strebt eine nationale  Diktatur an - siehe Kurt von Schleicher. Ach ja und dann noch der esotherisch-irre Konzern-Erbe, der es seiner Mutter nie recht machen kann. Er will den Börsencrash, um ein neues Reich zu erschaffen - chargierend zwischen Norman Bates ("Psycho") und Industriellen-Familie Thyssen. Insgesamt plakativ grelle Figuren, ohne dramaturgische Tiefe - sie könnten in anderen Kostümen in jeder Nachmittags-Soap auftreten. Vor allem fehlen auch in der dritten Staffel Überraschung, Dynamik und Tempo. 

Jüngere Zuschauer und Binge-Watcher im Visier 

Alle Staffeln einen hoher technischer Aufwand und schwache Story, mit ungewollt lächerlicher Lösung. So ging es in der Ersten Staffel um einen aus Gold gebauten Eisenbahn-Kesselwagen, der per Schiene aus der Sowjetunion geschmuggelt werden sollte. Bei den ersten Staffeln hatte die ARD für die Werbung alle Medienkanäle genutzt, um sie zum 'TV-Event' des Jahres aufzublasen. So drückte der Südwestrundfunk in seinem Pop-Radio (SWR 1) den, textlich wie musikalisch, verquasten Song: "Zu Asche zu Staub" in die Hitparade. Im Film darf dann Bryan Ferry einen Kurzauftritt im Berliner Nachtclub de 20er Jahre machen - als eyecatcher. Auf solche Mätzchen hat man dann in der dritten Staffel verzichtet. Schauspielerisch überzeugte erneut nur Liv-Lisa Fries als Kriminal-Azubi-Kommissarin Charlotte Richter. Ihre Rolle - Berliner Göre mit kriminalistischem know how, nimmt man der Schauspielerin ab. Beste Szene in der dritten Staffe: Charlotte und ihre Schwester toben durch ihre Dachwohnung zu Cläre Waldoffs Gassenhauer: "Raus mit den Männern aus'm Reichstag...."

Bei den Produzenten der Serie, ARD und ihrer Tochter Degeto sowie dem Pay-Kanal Sky sieht man das ergebnis positiv. Sky-Sprecher Moritz Wetter sagte Anfang November: "Wieder ein großer Erfolg, wir sind sehr zufrieden - online wie linear" ähnlich sah dies ARD-Sprecher Burchard Röver. Für den Erfolg ist dabei für den Pay-Kanal wie die ARD die Nutzung On-Demand entscheinded. Damit könne man, meinte eine Sprecherin der Degeto "auch die Interessen der Sehgewohnheiten eines Serienpulikums" erreichen. Während Sky keine Zahlen über Zuschauer veröffentlicht, sagt der ARD-Sprechert: "Wir hatten für die Dritte Staffel mittlerweile über 20 Millionen Abrufe in der Mediathek."  

Bei der Ausstrahlung im 'Ersten' wurden die ersten drei Folgen der neuen Staffel am Stück ausgestrahlt, sie erreichten mehr als 4.3 Millionen Zuschauer (13,6 % Marktanteil). Die letzten drei Folgen wurden an anderen Tagen später gezeigt und kamen auf 2,9 Millionen (9,7%). Einen ähnlichen Verlauf gab es auch bei den ersten Staffeln. Damals hatte das "Erste" zuerst 7,88 Millionen (24,4%) Zuschauer erreicht, am Schluss noch 3,64 Millionen (11,8%). Die ersten beiden Staffeln wurden danach zwischen 2018 und 2020 in der ARD-Mediathek rund 20 Millionen mal abgerufen. Hinzu kommen noch die Wiederholungen in ARD-Dritten und Digitalkanälen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Zahlen nur die Abrufe messen, nicht die Menge der Zuschauer. 

An den Drehbüchern der vierten Staffel wird bereits gearbeitet, sagte der Sky-Sprecher und bei der ARD erwartet man den Drehbeginn im Frühjahr 2021 - abhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie. Die Strategie der kommerziellen- wie öffentlich-.rechtlichen Produzenten orientiert auf den Erfolg im internationalen TV-Markt. Nur im Verbund ist eine Finanzierung und Refinanzierung solch aufwändiger Produktionen möglich. Der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben, die beiden ersten Staffeln von "Berlin Babylon" wurden in 140 Länder verkauft. 

ZDF-TV-Event-Soap: "Das Boot" 

Ein Blick auf die Neuauflage von "Das Boot" (ZDF/Sky) bestärkt die Skepsis, ob solche Kooperationen zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Kommerziellen anspruchsvolles  Fernsehen bieten kann. Die als 'TV-Events' beworbenen Serien sollen hohe Zuschauerzahlen bringen und vor allem bei Jüngeren Erfolg haben. Sie fehlen den linearen Programmen von ARD und ZDF, schauen Serien oft an einem Stück als Marathon im Internet - 'binge watching' genannt. Um sie bei den vielen Folgen als Zuschauer zu halten, wirken Dramaturgie, Personen und Storys normiert und damit oft voller Klischees. Jede Folge muss - wie bei den US-Vorbildern - mehrere Storys mit kurzen Spannungsbögen enthalten - damit die jungen Zuschauer nicht das Interesse verlieren. Für die internationale Vermarktung werden diese "TV-Events" zunehmend in englischer Sprache gedreht.

"Das Boot" im Soap-Design... 
Foto ZDF, Nick Konietzsky/Stefan Rabold


Wie das aussieht, zeigt die Neuauflage von "Das Boot". Produziert von Sky und Bavaria Fiction, einer gemeinsamen Tochter von ZDF-Enterprises und der ARD-Tochter Bavaria Film. Zuerst lief die erste Staffel im Pay-Kanal Sky, danach im ZDF-Hauptprogramm. Mit dem 1981 von Wolfgang Petersen gedrehten Welterfolg, basierend auf der  Romanvorlage von Lothar-Günther Bucheim, hat das allerdings nichts mehr zu zun - nur noch den Titel. Die ARD hatte sich das damals rund 34 Millionen Euro kosten lassen - das 'spin-off' von ZDF und Sky ist mit rund 25 Millionen Euro deutlich günstiger geworden. Auch hier wirken die Personen seriell, smart, hübsch und jugendlich. Sie mühen sich durch plakative Dialoge und eine Story mit Agentenfilm-Klischees. Während Petersen einst beim Zuschauer klaustrophobische Spannung auslöst - wirkt der neue Aufguss fad und einschläfernd

"...Quoten versenkt Kaleu?!"  
 Copyright:ZDF/Nick Konietzsky

Die acht Folgen von "Das Boot" haben im ZDF Hauptprogramm 2,6 Millionen Zuschauer erreicht, berichten Online-Branchendienste. Wieviele Sky-Abonnenten die Serie gesehen haben, ist nicht bekannt. Das ZDF kündigte  jedenfalls an, dass die zweite Staffel nach Weihnachten ab 27.12. 2020 an drei aufeinenader folgenden Abenden im Hauptprogramm gezeigt wird. Darüber hinaus sei bereits die Dritte Staffel der U-Boot-Saga geplant.  

 

 

 

"Shadowplay" Klischee Berlin 1946

Beim ZDF setzt man zunehmend auf einen Mix aus Kriminalfilm vor historischer Kulisse. Ende Oktober lief im Hauptprogramm die erste Staffel der vierteiligen (Mediathek acht Folgen) deutsch-kanadischen Koproduktion "Shadowplay - Schatten der Mörder". Dabei dient das durch den Krieg zerstörte Berlin im Jahr 1946 als Schauplatz. Die Darsteller - darunter Nina Hoss - mühen sich dabei durch ein Drehbuch voll platter Figuren und entsprechender Dialoge. Der Plot: Ein New Yorker Cop sucht seinen psychopathischen Bruder, der in Berlin untergetauchte Nazis killt -als Vorbild dienen ihm dabei die Bildergeschichten von Max und Moritz. Debei bedienen sich die Autoren der Nazi-Verbrechen als Folie für ihre Psycho-Splatter Story, ähnlich wie 2009 Quentin Tarantinos: "Inglourious Basterds". Einer der "Shadowplay"-Autoren war einst an der Preisgekrönten skandinavischen Serie "Die Brücke" beteiligt - von dieser Qualität ist hier nichts zu sehen. Es regieren platteste Klischees: Der russische Offizier ist immer böse und Hinterhältig. Ihm sagt der mutige deutsche Polizist vor seiner Erschießung: "Sie können sich nicht leisten, dass es einen guten Deutschen gibt."

 

Foto ZDF Stanislav Hanzik

Ja, überall trifft man im Berlin des Sommers 1946 auf 'gute Deutsche' - Perverse und Verbrecher sind vor allem die Sieger. Der US-Vizekonsul verhilft aus Raffgier Nazis zur Flucht, seine Frau ist eine dem Alkohol verfallene Britin, die die Deutschen hasst, weil ihre Brüder gefallen sind. So richtig widerwärtig ist nur der deutsche Gynakologe - der als 'Engelmacher' vergewaltigten Frauen hilft, aber gleichzeitig Bordelle betreibt und ein weibliches Killerkommando unterhält. So glaubwürdig wie die Bösewichter der 60er Jahre James-Bond-Filme - heute aber peinlich. Spannend hätte die Figur der jungen Deutschen werden können, die von US-Soldaten vergewaltigt, zum brutalen Killer wird. Aber leider waren das Drehbuch und die Darstellerin damit sichtlich überfordert. Ach ja - und Nina Hoss - sie berlinert sich patent als deutsche Trümmerfrau-Polizistin durch das zerstörte Berlin. Fazit: Eine Serie für den Geschmack der Soap-Liebhaber, nur selten kommt Spannung auf. Die Helden laufen durch die Trümmer-Kulissen, plakative Dialoge und ein nervender Musikteppich. Bei den Zuschauern war die erste Staffel mäßig erfolgreich. Die zuerst um 20.15 Uhr ausgestrahlten Folgen erreichten 3,68 Millionen Zuschauer (11,8% Marktanteil), die später um 22.15 Uhr gesendeten, erreichten 1,86 Millionen (10,4%) Marktanteil.    

Kulissen-Spektakel statt Autentizität

Die Trivialisierung der Zeitgeschichte begann bereits 2013 mit dem dreiteiligen ZDF-Drama: "Unsere Mütter unsere Väter". * Darin wurde das Schicksal fünf junger Deutscher im Zweiten Weltkrieg erzählt. Realisiert wurde die Produktion für das ZDF von Nico Hofmann und seiner Produktionsfirma teamworx. Mittlerweile ist Hofmann Chef der Bertelsmann-Tochter UfA-Fiction. (Kritik-Link unten). Diese deutschen Produktionen sind in der Regel behäbig - man traut dem Zuschauer wenig zu. Das es anders geht, zeigt der Kulturkanal Arte, der Ende 2019 die mittlerweile 5. Staffel der britischen Serie "Peaky Blinders - Gangs of Birmingham" ausstahlte. Produziert wird die Serie von BBC 2 und Sky, die vom französischen Arte eingekauft worden ist. Der Plot dreht sich um einen kriminellen irischen Clan, der im britischen Birmingham der 20er Jahre nach Oben will. Keine Serie für Zartbeseitete. Die Verquickung von Verbrechen und Politik reicht bis hinauf ins Unterhaus in London und zu Winston Churchill. Angefangen bei den Drehbüchern, der Dramaturige, den Dialogen, Kamera, Schnitt und Regie - Rasanz und Tiefe. Außerordentlich auch der Soundtrack, da wurde nicht versucht, Musik zum Teil der filmischen Darbietung zu machen (Babylon Berlin) oder Klaus Doldinger zu recyclen (Das Boot). Bei Peaky Blinders illustriert, kommentiert und konterkariert die Musik die Story. Der Titelsong ist von Nick Cave, auch Tom Waits oder Black Sabbath Rock aus den 1970ern illustriert die Folgen. Wie man mit historischem Background spannend erzählt, zeigte auch die BBC-Serie: "Ripper Street" (2012) die im Programm von ZDF-Neo gezeigt wurde. Dabei ging es um die Fälle eines britischen Kriminalkommissars in London im Jahr 1889. Spannend, schnell, brutal und auch hier tiefgründige und sperrige Charaktere. Bei der neuen ZDF-Serie "Vienna Blood", in der ein vierschrötiger Kommissar aus der Provinz zusammen mit einem jüdischen Freud-Jünger komplizierte Fälle im Wien der Jahrhundertwende löst, gilt es abzuwarten.

https://www.youtube.com/watch?v=RrxePKps87k&list=PL3YrSRHtg5381EIWW0NwPGamy03A0IxtS 


* siehe auch: https://medienfresser.blogspot.com/2013/03/unsere-mutter-unsere-vater-funf-freunde.html


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