Dienstag, 1. Dezember 2020

Rundfunkabgabe: CDU-Sachsen-Anhalt pfeift auf Rundfunkfreiheit

Eigentlich müsste die für 2021 geplante Erhöhung der Rundfunkabgabe aller Haushalte auf monatlich 18,36 € (+86 Cent) in trockenen Tüchern sein, da die Ministerpräsidenten der Länder den Staatsvertrag bereits unterzeichnet haben. Diesem müssen aber noch die Länderparlamente zustimmen und dies nutzt jetzt die CDU in Sachsen-Anhalt unter Ministerpräsident Reiner Haseloff, zur populistischen Profilierung. Der Vorgang eröffnet einen Blick darauf, was man in der Union in Magdeburg von der verfassugsrechtlichen Freiheit des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hält. Hier geht es weniger um die paar Cent mehr, sondern um Standortförderung und eine regierungsfreundliche Berichterstattung. Dies erklärt, warum die jahrelangen Verhandlungen der Länder um die Koppelung der Rundfunkabgabe an die allgemeine Preisentwicklung scheitern mussten. Damit hätten die Landesherren und die Parteien ihr zentrales Druckmittel auf ARD und ZDF aus der Hand gegeben

So monierte der medienpolitische Sprecher der Union in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze, laut Stuttgarter Zeitung (1.12.20) eine vielfach einseitige und negativ verzerrte Berichterstattung von ARD und ZDF und eine ungenügende Ansiedlung zentraler Einrichtungen der ARD im Osten. Noch deutlicher machte der CDU-EU-Abgeordente Sven Schulze aus Sachsen-Anhalt die Stoßrichtung. Er hatte im Zusammenhang mit einer von ihm kritisierten Satire in der ARD gesagt: "Nicht nur deshalb ist es richtig, daß die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht kommen wird. Die CDU in Sachsen-Anhalt wird das verhindern."  (Online-Branchendienst dwdl 19.8.20) Das macht deutlich, worum es der CDU in Magdeburg wirklich geht: Geld gibt es nur bei genehmer Berichterstattung plus Standortförderung. Das die Koppelung der Rundfunkfinanzierung an politische Forderungen verfassungsrechtliche Fragen der Rundfunkfreiheit tangiert - ist anscheinend in Magdeburg egal. Dabei hatten ARD und ZDF am 13. November auf einer Anhörung des Landtagsausschuss in Magdeburg Zugeständnisse angeboten (Medienkorrespondenz, 20.11.20)  Demnach werde das ZDF die zweite Stafffel einer Krimiserie in Halle an der Saale realisieren. Darüber habe die gemeinsame Digitalagentur von ARD und ZDF am Standort Leipzig ihren Sitz. Die Union im Osten hatte wohl einen fetteren Happen im Visier. Wochen zuvor kursierte das Gerücht, man habe für eine Zustimmung zum Staatsvertrag den Umzug der ARD-Fiction-Tochter Degeto aus Frankurt am Main in den Osten gefordert. 

Die Dreistigkeit, mit der die CDU in Magdeburg ihre Standortinteressen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk durchsetzen will, zeugt von einem sehr bedenklichen Verhältnis zur verfassungsrechtlich gesicherten Rundfunkfreiheit - zu der auch eine von politischen Forderungen unabhängige Finanzierung gehört. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinen Urteilen 1994 und 2007 zur Rundfunkfinanzierung entschieden, eine Ablehnung der Beitragserhöhung sei nur im Rahmen der Rundfunkfreiheit (Art 5 Grundgesetz) zulässig. Darauf hatte schon im November der Medienrechtler Bernd Holznagel bei der Anhörung im Medienausschuss des Landtags in Magdeburg hingewiesen (Medienkorrespondenz 4.12.20). Demnach sei die vorgeschlagene Erhöhung um 86 Cent, gegenüber den von ARD, ZDF und DLF geforderten 1,75€ moderat ausgefallen. "Eine unangemessen Belastung der Beitragszahler" könne man so "nicht begründen", betonte Holznagel. Die von der CDU/SPD/Grüne Koalition in Magdeburg vereinbarte Beitragsstabilität über Jahre widerspreche der verfassungsrechtlichen Finanzierungsgarantie des Rundfunks. Einsparpotentiale seien bereits durch die unabhängige Kommission (KEF) beim Vorschlag zur Erhöhung berücksichtigt worden. 

Der Versuch der Union in Magdeburg die Standortförderung durch die Öffentlich-Rechtlichen zu erzwingen, würde ARD und ZDF viel Geld kosten. Das diese Denkart kein Einzelfall ist und auch nicht auf den Osten der Republik beschränkt, zeigt der Südwestrundfunk (SWR) . Im Jahr 1998 waren der Südwestfunk (Baden-Baden und Mainz) und der Süddeutsche Rundfunk (Stuttgart) zum Südwestrundfunk SWR fusioniert. Dem dazu nötigen Staatsvertrag waren lange Verhandlungen zwischen den Landesregierungen in Stuttgart (CDU) und Mainz (SPD) vorangegangen. Dabei war es um Standorte und das Führungspersonal gegangen. Am Ende entstand ein aufgeblähter Direktions- und Produktionsapparat, verteilt auf die drei Standorte. Im SWR kursierte der Witz, die Direktoren und ihr Tross würden mehr Zeit auf der Bahn und im Auto verbringen, als an ihren Schreibtischen.

Altbekannte CDU-Strategie

 
Die West-Alliierten hatten nach dem Zweiten Weltkrieg verhindern wollen, dass erneut ein zentraler Staatsfunk entsteht. Sie entschieden sich für ein Modell, das der britischen BBC entlehnt war, denn ein kommerzielles Rundfunkmodell, analog zu den USA, war im wirtschaftlich zerschlagenen Nachkriegsdeutschland kaum realisierbar. Also wurden in den Besatzungszonen dezentrale Rundfunkanstalten eingerichtet, das erklärt, warum Radio Bremen (US-Hafen), der Saarländische Rundfunk (französische Verwaltung) und SWF und SDR in Baden-Württemberg (geteilt in US und französische Zone) entstanden. Im Osten richtete die Sowjetunion ein zentrales, vom Staat gesteuertes Rundfunksystem ein. Aber auch die Politiker in West-Deutschland begrüßten den öffentlich-rechtlich verantworteten Rundfunk nicht gerade. CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte nach Gründung der Bundesrepublik einen zentralen Rundfunk - finanziell wie inhaltlich abhängig von der Regierung in Bonn. Dem diente das von der CDU im Oktober 1950 veröffentlichte Memorandum: "Massenführung in der Bundesrepbulik". Mit seinem medienpolitischen Anspruch stieß Adenauer allerdings auch bei CDU- Ministerpräsidenten auf wenig Gegenliebe - sie wollten sich des Rundfunks selber bemächtigen. 
 

NWDR - Bayerischer Rundfunk - Norddeutscher Rundfunk 


In der britischen Zone (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen) wurde der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) gegründet. Bereits 1950 betrieb die CDU in Nordrhein-Westfalen die Trennung des NWDR in den Norddeutschen- und Westdeutschen Rundfunk (NDR-WDR). Schon damals wurde vordergründig mit den Interessen der Nutzer argumentiert. Die CDU-Landesregierung in Düsseldorf schimpfte, die NWDR- Nachrichtenzentrale in Hamburg berücksichtige die Belange NRWs nicht genügend und der Coup gelang. Zehn Jahre später versuchte Kanzler Adenauer ein Bundesfernsehen einzuführen, erst das Bundesverfassungsgericht stoppte 1961 seine Pläne. Ganz vergebens waren seine Bemühungen aber nicht, denn aus der Konkursmasse entstand das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mit Sitz in Mainz. Hier üben im Fernsehrat bis heute die Parteigranden des Bundes und der Länder die Macht aus. Anfang der 1970er Jahre wollte die CSU über die Besetzung der Schaltstellen beim Bayerischen Rundfunk Einfluss auf das Programm nehmen. Legendär, 1986 schaltete sich der BR aus dem Ersten Progamm der ARD aus: Die Satiresendung "Scheibenwischer" konnten die Zuschauer im Freistaat nicht sehen.

Unter der Regierung Kanzler Kohls begann die CDU ein Kesseltreiben gegen missliebige Redakteure und Sendungen, vor allem beim WDR und NDR - Stichwort "Rotfunk". Der Mitte der  1970er Jahre aufkommende Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die Atomenergie - Wyhl  und Brokdorf - setzten die Politik unter Druck. Vor allem der CDU-Ministerpräsident Niedersachsens, Ernst Albrecht, mit dem geplanten Atom-Endlager bei Gorleben, kam unter Druck. Er lastete dies der Berichterstattung des NDR über die Atompoilitik an und kündigte deshalb den NDR-Staatsvertrag mit Hamburg und Schleswig-Holstein. Auch hier benutzte die CDU das Vehikel, einer angeblich auf Hamburg zentrierten Berichterstattung. Der Kompromiss bestand in den Landesfunkhäusern in Hannover und Kiel, mitsamt eigenem Direktionsapparat und entsprechenden Zusatzkosten. 
 
Den Politikern ging und geht es um politischen Einfluss und Standortpolitik - was das kostete, das darf der Rundfunknutzer bezahlen. Nur weil der CDU in Sachsen-Anhalt aktuell die AfD populistisch im Nacken sitzt, spielt man in Magedeburg die 'Gebühren-Karte'. Die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - wie von der AfD gefordert - steht für Haseloff und seine Partei nicht wirklich zur Debatte. Außerdem könnte das das Ende der Koalition, von CDU, SPD und Grünen bedeuten und Neuwahlen dürften der CDU nicht genehm sein. Die Erfahrung der Politiker mit dem kommerziellen Rundfunk zeigen, das diese Programme alleine auf Unterhaltung setzen - Politiker auf dem Bildschirm bringen keine Quote und keine Werbeinnahmen

Aktualisierung:  Mittlerweile entpuppt sich, nachdem Haseloff seinen CDU-Innenminister Stahlknecht (Nomen es Omen) gefeuert hat, als unionsinterner Machtkampf. Es geht den Rechten um den Ex-Innenminister und -Parteichef  darum, den Weg für eine Zusammenarbeit mit der AfD zu öffnen. Die Rundfunkabgabe ist da nur das Mittel zum Zweck. SPD und Grüne scheinen für den Erhalt der sowieso schon wackeligen Koalition zu einem 'Kompromiss' auf Kosten eines unabhängigen Rundfunks bereit zu sein. Demnach würde der Landtag seine Zustimmung mit einem Beschluss verbinden, in dem Verhandlungen über zusätzliche Sparmaßnahmen der Öffentlich-Rechtlichen gefordert werden. Dazu stellte die Sprecherin der Rundfunkkommission der Länder, Heike Raab fest, es werde keine Nachverhandlungehn geben. Dem Vernehmen nach bereiten sich die Rundfunkanstalten bereits auf eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor, meldete die 'Medienkorrespondenz'  

Aktualisiert, 3. Januar 2021: https://medienfresser.blogspot.com/2021/01/rundfunkabgabe-2021-katerstimmung-bei.html

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