Kenn'se den? Sitzt ein Mann im Konzertsaal. Der Sänger auf der Bühne trifft keinen Ton richtig, doch am Ende tobt das Publikum und fordert eine Zugabe nach der anderen. Erstaunt wendet sich der Mann an seinen frenetisch klatschenden Nachbarn: "Sagen sie mal, der singt doch abscheulich, wieso fordern sie alle noch eine Zugabe?"Die Antwort: "Ich weiß: Heute machen wir ihn fertig!"
So ähnlich geht es mir, wenn wieder einmal Pressemeldungen den Durchbruch des Digitalradios (DAB+) verkünden. Da vermeldet die ARD-Pressestelle am 15. März stolz: "Die ARD, DeutschlandRadio und weitere wichtige europäische Radioveranstalter haben in Paris die Europäische Digitalradio Allianz gegründet." Insgesamt 300 Radiostationen mit europaweit 130 Millionen Hörern haben sich demnach zu dem Ziel vereint: "DAB+ zum Hauptverbreitungsweg für ihre Programme zu machen", so die BBC-Radiochefin Helen Boaden. Ziel der Allianz ist, dass künftig die Geräteindustrie nur noch Hybrid-Geräte - also Radios mit UKW und Digitalempfang - auf den Markt bringen sollen.
Einen Tag zuvor meldete der deutsche Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), im vergangenen Jahr seien in Deutschland 950.000 DAB-Empfänger (+32%) verkauft worden. "Digitales Radio ist schon heute Multichannel und nutzt viele Wege", betonte für den Verband Klaus Schunk, Vorsitzender des Fachbereiches Radio und Audiodienste und Chef des Mannheimer Lokalsenders Radio Regenbogen
Hängt Online-Radio DAB ab?
Schaut man sich die beiden Mitteilungen genauer an, wird man nachdenklich. So besteht die neue Europäische Digitalradio Allianz fast nur aus öffentlich-rechtlichen Sendern (ARD, DeutschlandRadio, BBC, NRK-Norwegen, RTBF-Belgien und NPO-Niederlande, Ceský Rohas-Tschechische Republik). Bei den Privaten engagieren sich bisher nur die britische Privatradiogruppe Global Radio und die im Vereinten Königreich aktive Bauer Media Group aus Deutschland. Aus dem deutschsprachigen Raum haben sich Radio Arabella (Österreich) und das im Raum Karlsruhe verbreiteten Lokalradio "Die neue Welle" der Initiative angeschlossen.
Auch der vermeldete Verkaufserfolg erweist sich auf den zweiten Blick eher als bescheidener Zuwachs. Den 950 000 Digitalempfänger stehen mehr als eine Million verkaufter Internetradios gegenüber - Prozentual ein stolzes Wachstum (+32% DAB +22% Internetradio). Demgegnüber legte der Verkauf von UKW-Radios nur um +0,2% zu. Betrrachtet man aber die Zahl verkaufter UKW-Empfänger, sind das 6.3 Millionen Neugeräte innerhalb eines Jahres. Dann wundert es nicht, wenn der VPRT verhalten reagiert: "Die Zahlen zeigen eindrucksvoll, dass DAB+ nur ein Empfangsweg von vielen ist und unterstreichen zudem die nach wie vor ungebrochen hohe Bedeutung des UKW-Empfangs."
Auf Nachfrage teilte die Gesellschaft für Konsumforschung GfK in Nürnberg mit, laut Händlerangaben seien seit 2011 knapp 2,7 Millionen Digitalradios über den Ladentisch gegangen. Dabei stieg die Zahl von 113.000 verkauften DAB-Empfängern kontinuierlich auf 952.000 Geräte im letzten Jahr.
...just for show ?
Ein Blick in den jährlich veröffentlichten Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten (Juni 2015) belegt, dass in Deutschland rund 7,4 Millionen Einwohner (+14 Jahre) DAB-Programme hören - also jeder Zehnte. (1) Zehn Prozent der rund 40 Millionen Haushalte hierzulande verfügen über ein DAB-Radio. Nicht schlecht - aber vor allem die hierbei erfassten DAB-Autoradios in neu gekauften Fahrzeugen machen fast die Hälfte des Wachstums auf, während die Zahl der Empfänger in den Wohnungen nur um etwas mehr als ein Fünftel zugenommen hat.
Trotzdem, auf den ersten Blick sind 6,3 MiIlionen DAB-Radios in deutschen Haushalten beachtlich. Vergleicht man dies aber mit den dort stehenden UKW-Geräten - 144 Millionen - tritt Ernüchterung ein. Außerdem wuchs die Zahl der Internet-Empfangsgeräte auf über 3,1 Millionen Geräte an. Kein Wunder also, wenn die Medienanstalten schon 2015 unmißverständlich feststellten, dass: "der primäre Übertragungsweg von Radio in bundesdeutschen Haushalten weiterhin UKW" sei und deshalb "noch für sehr lange Zeit unverzichtbar" bleibe. Es werde mindestens 12 Jahre dauern, bis eine "vollkommene Marktdurchdringung - das heißt die Substitution der bestehenden UKW-Empfangsgeräte" erreicht werde. Folgerichtig steht für die Medienanstalten ein Abschaltdatum der UKW-Sender "noch nicht auf der Agenda".
Warum also der Rummel? Vom 13.-15. März fanden in Paris die "Radiodays Europe" statt, eine 'Leistungsschau' der europäischen Radiowirtschaft. Dafür galt es, PR-trächtige Schlagzeilen zu produzieren. Außerdem ist die europäische DAB-Allianz vor allem für ARD und DeutschlandRadio wichtig. Seit 2014 fordert die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (Kef), das die Öffentlich-Rechtlichen endlich ein Abschaltdatum für die UKW-Verbreitung verkünden. (2) Dieses können und wollen weder ARD/DeutschlandRadio noch die Kommerziellen, da die Verkaufszahlen für DAB das nicht zulassen. Deshalb versuchen die Öffentlich-Rechtlichen hierzulande über das Werkzeug EU-Digital-Allianz mäßigend auf die Kef einzuwirken. Immerhin kann DAB nur gelingen, wenn auch künftig Millionen Euro aus der Rundfunkabgabe dafür aufgewendet werden - die Privaten sind weder in der Lage noch willig, in größerem Ausmaß zu investieren. Die scheinen sich technisch sowieso anders zu orientieren und peu a peut vom DAB als einzigem digitalen Zukunftsstandard zu verabschieden. Der Eindruck entsteht, dass im VPRT verstärkt auf Online-Radio per Mobilfunktechnik gesetzt wird.
(1) Digtialisierungsbericht S. 55 ff
(2) Siehe auch: http://medienfresser.blogspot.de/2015/11/dab-wachst-sich-tot.html
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