Zur aktuellen Lage auf Chios, ein TV-Bericht des ARD Europamagazins vom 11. Dezember 2016
www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/videos/europamagazin-griechenland-100.html
Aktuell: Wie die taz am 17. Juni meldet, hat das Boot der rumänischen Küstenwache vor Chios eine illegale Push-Back aktion durchgeführt - mit Gewalt Flüchtlinge in die Türkei zurückgedrängt: siehe auch
http://taz.de/EU-schiebt-Fluechtlinge-illegal-zurueck/!5310727/ Bereits am 11. Juni hatte die griechische Küstenwache unter den Augen von Frontex, einen illegagen Pushback vor Chios durchgeführt: http://ffm-online.org/2016/06/16/die-folgen-des-tuerkei-deals-alarm-phone-presseerklaerung/
Bundesdeutsche Medien haben die Situation der Flüchtlinge außerhalb Deutschlands weitgehend abgehakt. Hier erfährt man, dass unsere Hot-Spots/Aufnahmeeinrichtungen leer stehen und Betreuer entlassen werden. Na dann ist ja alles OK in AfDeutschland, es herrschen wieder Ruhe und Ordnung...
Weit weg, im kriesengeschüttelten Griechenland dagegen, steht
Rumänische Grenzpolizei |
Britische Coastguard |
Und wie sieht die so medienwirksam angekündigte Unterstützung Griechenlands in der Flüchtlingsfrage durch die EU aus? Die versprochenen Beamten auf den EU-Staaten, die bei der Bearbeitung der Asylanträge helfen sollten, sind bisher in verschwindend geringer Zahl angekommen. Aber in Chios dümpelt eine 'Armada' von Schiffen der Küstenwachen von Rumänien, Kroatien, Großbritannien und der Niederlande im Hafenbecken. Sie patroullieren regelmäßig entlang der EU-Grenze zur Türkei, nur wenige Kilometer entfernt von der Hafenstadt Cesme. Den deutlichsten Effekt hat die EU-Streitmacht für die lokalen Hoteliers. Die Vertreter von EU und Frontex, UN-Flüchtlingshilfswerk und NGOs haben die meisten Hotels der Stadt belegt. In der Inselhauptstadt ist derzeit kaum ein Zimmer zu bekommen - auch ein Aufschwung...
Die Öffentlichkeit scheut man bei Frontex und Co. So meldete die deutschsprachige 'Griechenland-Zeitung' aus Athen am 19. Mai: Auf Chios sei ein Dänischer Staatsbürger wegen angeblicher Spionage verhaftet worden. Was war geschehen? Er hatte die Schiffe der Frontex-Armada im Hafen fotografiert...
In den letzten Wochen haben von Rechten aufgestachelt, etwa 200-300 Bewohner der
Kroatische Küstenwache |
Insgesamt ist die Situation auf Chios zunehmend angespannt, die Nerven der Menschen liegen blank. Der Bürgermeister der Insel versuchte auf seine Mitbürger beschwichtigend einzuwirken und kritisiert die Regierung in Athen, die die Insel im Stich lasse. Manch Lokalpolitiker scheint die Situation dafür nutzen zu wollen, den erst vor einem Jahr ins Amt gewählten Bürgermeister aus dem Amt zu vertreiben.
Das es auf Chios ein rechtes Potential gibt, ist schon länger bekannt, erreichte die Nazipartei Chrysi Avghi (Goldende Morgenröte) doch bei den Parlamentswahlen um die acht Prozent auf der Insel. Auch finden sich an vielen Straßen Graffities wie Keltenkreuze und andere rechte Symbole. Ein im Ökotourismus engangierter Freund erzählte uns: "Stellt Euch vor, ein Freund von mir, den ich seit 20 Jahren kenne meinte letztens zu mir, man solle die Boote mit den Flüchtlingen auf dem Meer einfach versenken. Das war das Ende unserer Freundschaft..."
Gleichzeitig engagieren sich viele Inselbewohner weiterhin für die Flüchtlinge. Der Aufmarsch des rechten Mobs vor ein paar Wochen hat sie aber sichtbar getroffen. "Die haben am Platz vor dem Rathaus zielgerichtet Leute angegriffen, die sich für die Flüchtlinge engagieren", berichtete uns ein engagierter Freund auf Chios, dem der Schock immer noch anzusehen war.
Freiwillige versorgen Flüchtlinge |
Und trotzdem, immer noch versorgen griechische und internationale Helfer in der
Einst besetzt.... |
Im Hinterland der Insel ist die Lage auf den ersten Blick deutlich entspannter, Flüchtlinge sieht man im Norden oder Westen der Insel nicht. Kommt man allerdings in den Süden, etwa in das mittelalterliche Dorf Mesta - touristisches Highlight der Insel - ist die Anspannung auch hier spürbar. Nur wenige Kilometer entfernt, im nahegelegenen Hafen von Limenas, werden Flüchtlinge per Schiff auf andere griechische Inseln gebracht. Eine Freundin im Dorf schilderte uns, was hier vor kurzem geschehen ist: "Eines Nachmittags tauchte ein Mann auf dem zentralen Platz von Mesta auf und rief voller Panik 'Die Flüchtlinge kommen!' Innerhalb von zehn Minuten waren die Kaffees und die Taverne menschenleer." Was war geschehen? Im Hafen sollten Flüchtlinge auf die Nachbarinsel Leros gebracht werden, dann verbreitete sich unter ihnen das Gerücht, sie sollten in Wirklichkeit in die Türkei abgeschoben werden. Etwa 50 Menschen versuchten danach aus dem Hafen zu fliehen - in Mesta erschien keiner von ihnen. Der Panikmacher sei kein Grieche gewesen, sondern ein mit spanischem Akzent sprechender Mann - vielleicht aus den Unterstüterkreisen - so vermutet unsere Freundin in Mesta.
Provisorische Unterkunft im Großzelt am Hafen |
Siehe auch: www.deutschlandfunk.de/griechenland-gestoerte-urlaubstraeume.1773.de.html?dram:article_id=354412
Mehrmals fragten unsere griechischen Freunde auf Chios: "Stimmt es, dass ihr in Deutschland eine Million Flüchtlinge aufgenommen habt?" Als wir das bestätigten fragte man uns: "Aber warum helft ihr uns Griechen nicht?"
Rettungsaktion |
Am Nachmittag sitze ich im Internetcafe, direkt am Hafen von Chios. Hinter mir hocken im Halbdunkel die Jungs vor dem Bildschirm und spielen online 'Killergames'. Währenddessen fahren zwei Schlauchboote mit Frontex-Leuten aus dem Hafen. Wenige Tage später lesen wir, dass an diesem Tag mehrere Flüchtlinge versucht haben, schwimmend zurück in die Türkei zu kommen. Sie hatten auf Chios keine Chance auf Asyl und wollten versuchen, einen anderen Fluchtweg nach Europa zu finden. Glücklicherweise wurden sie von den Bootbesatzungen gerettet - die Küste hätte keiner von ihnen lebend erreicht.....
http://medienfresser.blogspot.de/2015/10/fluchtlinge-2015-paranoia-in.html
Nachtrag:
In der ZEIT vom 19. Mai 2016 wird über ein mögliches Scheitern des Türkei-EU-Deals spekuliert:
"Konservative Politiker und ostmitteleuropäische Regierungen erwägen, griechische Inseln wie Lesbos oder Kos zu einem großen Auffanglager zu machen. Zugleich sollte Griechenland den Fährverkehr aufs Festland einstellen. Die Ägäis als Endstation (...). Das würde Griechenland kolabieren lassen und hätte keine Mehrheit in der EU."
Noch keine Mehrheit in der EU - es droht immer noch ein Scheitern der Verhandlungen mit der EU, dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Weltbank über die Schuldensituation Athens. Entscheidender ist der Zynismus solche Gedankenspiel europäischer Politiker.
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