Sonntag, 27. Mai 2018
Digitalradio DAB - mit Rückenwind in den Abgrund?
Derzeit 'trommelt' die ARD massiv mit TV-Spots für digitales Radio mit DAB+
(https://www.youtube.com/watch?v=cL0_MhixlYA) Nirgendwo ist ein Mensch zu sehen, vor Häusern, parkenden Autos oder einem Zelt am Strand hört man Radioprogramme. Nur auf einer leeren Baustelle steht als einziges Lebewesen ein einsamer Hund und hört zu. Ist das Sarkasmus, nach dem Motto: Stell Dir Digitalradio vor und keiner hört zu? Der Werbespot illustriert treffend die Misere des digtialen Radios in Deutschland. Während die Konsumenten DAB + weitgehend ignorieren, hören immer mehr - vor allem Jüngere - online oder per Smartphone digitales Radio und Musikstreamings.
Noch im Oktober 2017 frohlockte die ARD: "Rückenwind aus Brüssel für Digitalradio". Das europäische Parlament hatte eine europaweite Norm zur Förderung des digitalen Radios gefordert. Demnach sollten ab einem bestimmten Stichtag "alle höherwertige Radiogeräte zusätzlich zum UKW-Empfang auch den Empfang digitaler Radioprogramme ermöglichen." Durchbruch hört sich anders an. Gleichzeitig musste die ARD einräumen, dass fast 80% aller derzeit verkauften Empfangsgeräte und vier von fünf Autoradios in Deutschland nur UKW bieten. Die EU hatte mit viel Geld den in Deutschland entwickelten DAB+ Standard gefördert, die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten steuerten bisher einen dreistelligen Millionebetrag aus Rundfunkgebühren bei. Angesichts des mäßigen Erfolgs, versucht die ARD das Digitalradio als Exportschlager zu verkaufen. So betonte am 9. Oktober 2017 die damalige ARD-Vorsitzende und MDR-Intendantin Karola Wille, DAB+ habe sein "Marktpotential mittlerweile auch außerhalb der EU, so etwa in Asien und Australien entfaltet".
Damit wollte man wohl Politiker wie auch die Kommission zu Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) davon überzeugen, DAB+ weiterhin zu fördern. Immerhin hatte die KEF bereits 2014 die Entwicklung des digitalen Hörfunks kritisiert. * Im aktuellen Bericht vom Februar 2018 kürzte die KEF den von der ARD angemeldeten Bedarf bis 2020 von 122,7 Millionen Euro für das digtiale Radio auf 100 Millionen. ** Vor allem die Kosten für die gleichzeitige Verbreitung der Radioprogramme über UKW und DAB+ (Simulcast) sind der KEF ein Dorn im Auge. Sie will ab 2029 nur noch die digitale Verbreitung finanzieren, die 20% niedriger sei, als das analoge UKW-Netz. Die Kommission fordert, dass die Politik bis zum Frühjahr 2019 ein "Konzept der UKW-Abschaltung" durch den Bund vorlegt. Weiterhin müsse eine "Methodik zur Ermittlung der DAB+ Nutzung" und "regulatorische Maßnahmen" zur Serienausstattung von PKW mit digitalen Empfangsgeräten erreicht werden. Die KEF fordert, dass bis 2019 in 27% der Haushalte ein DAB+ Empfänger steht, wie das erreicht werden soll ist fraglich. Im aktuellen Bericht muss die Kommission einräumen, dass die Wachstumsraten nämlich gegenüber dem letzten Jahr von 28% auf 20% gesunken sind. Neben den 138 Millionen UKW-Geräten stehen in 15% aller Haushalte gerade einmal 10 Millionen DAB-Empfänger.
Kein Wunder also, wenn die ARD selbst in DAB nicht mehr den Königsweg. Am 4. Oktober 2017 hieß es in einer Pressemitteilung: "Die ARD sieht ihre Hybridstrategie bestätigt, bei der Verbreitung von Radioprogrammen in Zukunft sowohl auf DAB+ als auch auf das Internet zu setzen." Früher hatte man auf DAB gesetzt und gegen das Internet und Mobilfunk als Verbreitungsmittel argumentiert. Auch setzte sich die ARD dafür ein, dass die Politik einen Zeitpunkt für die UKW-Abschaltung bestimmen soll. Das brachte aber die Privatfunker in Rage und deshalb verließen sie Anfang 2017 das gemeinsame Digitalradio-Board, das den Digitalradiostandard fördern sollte. Die Kommerzsender kehrten dann im September zurück, denn sie hatten sich durchgesetzt. Der Chef der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Siegfried Schneider, betonte am 6. September 2017, die Diskussion über ein Abschaltdatum sei "zum jetzigen Zeitpunkt unnötig und eher kontraproduktiv."
Aktuell wirbt die ARD verstärkt für ihre Radio-Apps, mit denen Smartphones Radio - zeitversetzt - empfangen können. Der Grund ist einfach, das Smartphone und das Internet haben DAB+ den Rang abgelaufen. Im September 2017 bot die Fachzeitschrift Media Perspektiven*** einen Überblick. Demnach waren 2017 fast 90% aller Einwohner über 14 Jahre Online, täglich sind es über 50 Millionen (70%). Etwa 45 Millionen - zwei Drittel der Bevölkerung über 14 Jahre - hören - zumindest selten - Audioangebote im Internet. Ein Wachstum von 11% innerhalb eines Jahres - davon kann DAB nur träumen. Etwa ein Drittel nutzt live Online Radio, ein weiteres Drittel hörte Musikangebote von Streaming-Diensten. Vor allem bei den 14-29-Jährigen liegen Streamingdienste wie Spotify oder Soundcloud in der Beliebtheit mit über 64% deutlich vor Live-Radio (37% Mehrfachnennungen möglich).
"Eine wichtige Schlüsselfunktion nimmt in der digitalen Audiowelt die Musiknutzung ein" konstatieren die Media Perspektiven. Der mobile Empfang wird von den Mobilfunkfirmen durch verbesserte Empfangsqualität (höhere Bitrate) beworben. Allerdings kostet das extra, dazu braucht man ein Premium-Abonnement - wozu bisher nur eine Minderheit der Nutzer bereit ist. Bei der Telekom versucht man Abonnements damit zu verkaufen, indem die Nutzung von Streamingdiensten nicht auf das gebuchte Datenvolumen angerechnet wird. Die Autoren der Media Perspektiven warnen: "Für den klassischen Hörfunk (...) könnten sich die jetzt schon starken Musik-Streamingdienste (...) zu einer nicht zu unterschätzenden Konkurrenz entwickeln." Also muss man mitmachen, um nicht ins HIntertreffen zu geraten und die Nutzer auf allen Verbreitungswegen erreichen - und das ist eben nicht DAB+ sondern der Mobil- und Internetempfang.
* https://medienfresser.blogspot.de/2014/03/kef-macht-druck-beim-dab-digitalradio.html
** https://kef-online.de/fileadmin/KEF/Dateien/Berichte/21._Bericht.pdf
*** Media Perspektiven 9/2017 Seite 463 ff.
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