Vollmundig kündigen die Landesmedienanstalten (DLM) in ihrem aktuellen Jahrbuch an: "dem digitalen Hörfunk nach Jahren des Schattendaseins endlich auf die Beine zu helfen". (s.17) Fragt sich nur, ob man damit nicht einem Leichnahm das Laufen beibringen will. Am 17.April 2016 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Artikel des SPD-Medienpolitikers Marc Jan Eumann und des Chefs der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien (LfM), Jürgen Brautmeier. Sie warnten davor, den DAB+ Radiostandard auf Biegen und Brechen einzuführen: "Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg ist, was die Bürger wollen - und nicht was die Techniker oder die Politik wollen". Für sie ist der Bedarf "gegenwartig völlig unklar." Sie warnen davor, UKW per Dekret durch DAB+ zu ersetzen, das lasse sich nicht verordnen. Eumann und Brautmeier halten es für einen "Irrweg", dafür weitere Mittel aus der Rundfunkabgabe der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten oder gar Steuermittel auszugeben. Seit 2011 seien so rund 100 Millionen Euro in DAB+ investiert worden und für 2017-2020 sind weitere 90 Millionen Euro eingeplant. Die für die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen Sender zuständige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) habe ausgerechnet, dass DAB+ Gesamtkosten von 585 Millionen Euro verursachen werde, um bis 2025 das Ende der UKW-Verbreitung durchsetzten zu können. Für Eumann und Brautmeier ist die Alternative klar: "DAB+ ist zwar digital, aber das Internet kann viel mehr."
DAB+ ein Flop wie einst der TV-Sat?
Wer erinnert sich noch an den Flop mit dem TV-Sat ? Zwischen 1987 und 1989 wurden zwei Satelliten der damaligen Bundespost per Ariane-Rakete in eine Umlaufbahn geschossen. Über sie sollten jeweils vier TV-Programme und ein digitales Radiopaket (DSR) ausgestrahlt werden. Satellit Nummer Eins ging, kaum im All, wegen technischer Probleme gar nicht erst auf Sendung und gondelt als Satellitenschrott umher. Nummer Zwei war ebenso ein Flop, wie auch der Nachfolger Kopernikus scheiterte mit seinen drei Satelliten. Sie alle wurden vom kostengünstigeren ASTRA Satellitensystem, das deutlich mehr Programme transportieren konnte, vom Markt verdrängt.
Jetzt wird beim Digitalradio DAB+ deutlich, dass ein ähnliches Desaster droht. Woher nehmen dann die Medienanstalten die Zuversicht, dass DAB+ doch noch eine Erfolgsgeschichte wird? Bereits im März 2005 hatte eine Studie im Auftrag der Thüringer Landesmedieanstalt (TLM) gewarnt: „Es wird eher unwahrscheinlicher, dass um DAB ein funktionierender Markt entsteht und dass UKW durch DAB abgelöst werden wird.“ Daran hat der 2011 erfolgte Wechsel von DAB zum technischen Standard DAB+ nichts geändert. Zwar besitzen bundesdeutsche Haushalte mittlerweile 6,4 Millionen DAB+ Empfänger, aber 144 Millionen UKW-Radiogeräte. Von den mehr als 70 Millionen Einwohnern über 14 Jahre, empfangen rund 93% ihre Radioprogramme über die analoge UKW-Technik. (s. 47) Der Zuwachs an DAB+ Empfängern beruht vor allem auf digitalen Autoradios (2 Mio). "Autohersteller entwickeln derzeit neue Kommunikationseinheiten, die sich mit dem Smartphone verbinden lassen", sagt das Jahrbuch (S. 137). Dabei sollen unterschiedliche Verbreitungswege im Multimedia-Center des Autos integriert werden, seien es Internet, Mobilfunk, DAB+ oder UKW.
Die Medienanstalten müssen feststellen: "Den Durchbruch hat das Digitalradio aber noch nicht geschafft" (s.126). Trotzdem gibt man sich weiterhin zuversichtlich: "Die Digitalisierung des Hörfunks ist (...) 2015 deutlich vorangeschritten." (s. 46) Das liegt allerdings weniger an DAB+, sondern am Radioempfang per Internet. So loben die Medienanstalten die 2015 gestartete Internet-Plattform www.radioplayer.de. Über das Portal kann man den Livestream von rund 600 Radioprogrammen empfangen, aber auch DAB+ ,,gewinne zunehmend an Akzeptanz". Dann muß weniger vollmundig eingeräumt werden: "Diese Erfolge können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gattung auf dem Weg zur vollständigen Digitalisierung noch zahlreiche Hürden zu überwinden hat." (s. 46)
Hatten die Medienanstalten in ihrem letzten Digitalisierungsbericht (2015) einen "Bedeutungsrückgang" des UKW-Empfangs vermeldet, heißt es jetzt nur noch, das analoge Radio sei "noch lange Zeit unverzichtbar" (s. 48). Nur über UKW könnten auch künftig große Hörerzahlen erreicht und damit die nötigen Werbeeinnahmen der erwirtschaftet werden.
DAB+ der 'Schnelle Brüter' des Radios?
Keinen Zweifel haben die Medienanstalten an der Zukunft des Online-Radios: "Das Internet hat sich nach UKW zum wichtigsten Verbreitungsweg für Radioanbieter entwickelt." (s. 135) Eine Aufstellung zeigt, UKW steht mit fast 93% (Mehrfachnennung möglich) unangefochten an der Spitze der Empfangswege für Radioprogramme. Aber danach folgt bereits das Internet mit knapp 30% Zuspruch, während DAB+ mit 10 Millionen Hörer an letzter Stelle liegt - hinter dem Empfang per Kabel und Satellit. (s. 47) Aber Vorsicht, das Internet verschafft den Radiosendern gefahrliche Konkurrenten, Musik-Download-Plattformen, wie Spotify oder Amazon und Apple.
Alle Akteure im Radiobusiness sind beim Online-Radio - Mobil oder Festnetz - vor allem an den anfallenden Informationen über die Hörer interessiert. Die liefert der Nutzer beim Abruf eines Online-Programms, was dann zu individuellen Spots und Bannerwerbung führt. Diese Technik, 'targeting' genannt, wird etwa beim Onlinesurfen, oder Abruf von Videos angewandt. Gerade hat man nach einer Flugreise auf einem Reiseportal gesucht, da taucht auf der nächsten Homepage eine Bannerwerbung mit dem Reiseziel auf. Die Werber wollen ziegenau ihre Spots platzieren und das kann man im Internet hervorragend. Gefahren etnstehen da für konventionell verbreitete Medien - wie das UKW-Radio. Für die Medienanstalten ist deshalb klar, Radiosender: "müssen (...) auch im Internet präsent sein und (...) zusätzliche Angebote bereitstellen". (s.125)
Während das DAB+ Netz fast flächendeckend ausgebaut ist, gibt es beim Mobilfunk technische Probleme. Der Empfang größerer Datenpakete - etwa beim Streaming - ist außerhalb von Ballungsgebieten nur unzureichend. DIe Mobilfunkunternehmen haben ihre Netze vor allem in Großstädten für das Internet ausgebaut. Hinzu kommt, dass die Kapazitäten des Mobilfunks für ein Massenmedium kaum geeignet sind. So warnt ein Techniker einer ARD-Anstalt: "Wenn gleichzeitig viele Nutzer mobil online surfen, werden die Server und das Netz überlastet und können sogar zusammenbrechen". Diese begrenzten Kapazitäten "sind der Flaschenhals für Online-Radio als Massenmedium" unterstützt diese Warnung ein Mitarbeiter eines großen Privatradio-Veranstalters.
Ein weiteres Problem ist die begrenzten Datenmenge vieler Mobilfunk-Flatrates. Ein durchschnittliches Radioprogramm verbraucht in einer Stunde etwa 60 Megabit. Die meisten Mobilfunknutzer haben eine Flatrate von 1 - 4 Gigabit. Das heißt, nach 17 bis 68 Stunden mobilem Online-Radio ist die monatliche Flatrate ausgeschöpft.
Die Ergebnisse der Radio-Media-Analyse zeigt, jeder Hörer widmet sich täglich 234 Minuten seinen Radioprogrammen (Verweildauer) Damit würde aber eine Mobilfunk-Flatrate schon nach 17 Tagen - alleine durch die Radionutzung - verbraucht. Eine kostengünstigere Möglichkeit wäre ein Online-Zugang über einen W-Lan-Hotspot. Aber Deutschland ist mit 940 000 Hotspots ein Entwicklungsland - in Frankreich gibt es 13 Millionen. Vor allem haben auch Hotspots Kapazitätsgrenzen, die bei Überlastung zu technischen Abstürzen wie beim Mobilfunk führen können.
Stehen nur technische Probleme dem Erfolg des digitalen Radios im Weg? Im Jahr 2015 sank die Radionutzung außer- Haus und im Auto. "Beide Trends zeigen, dass das Medium als Tagesbegleiter für unterwegs nicht mehr so stark gefragt ist. Das könnte auch mit dem Boom der Smartphones zu tun haben." (s. 146) Fakt ist, dass 62% aller Einwohner bei uns ein Smartphone besitzen und Vier Fünftel damit außerhalb der Wohnung im Internet surfen. Aber nur 2% hören mit ihrem Smartphone täglich Radio. Und nach Ansicht der Medienanstalten ist hier für die Zukunft: "kein spürbarer Aufwärtstrend erkennbar."
Insgesamt ist der Kritik der FAZ-Autoren nur zuzustimmen. Die Radiohörer haben an den digitalen Verbreitungstechniken wenig Interesse. Die mit DAB+ versprochene Vielfalt der Programme lässt sie kalt. Der Durchschnittshörer wählt sowieso nur zwischen wenigen Programmen aus. Angesichts des auch künftig geringen Interesses an DAB+ dürfte es auf absehbare Zeit über ein Nischendasein nicht hinauskommen. Dafür wurden bisher 100 Millionen Euro aus Rundfunkgebühren der Bürger verpulvert. Insgesamt sollen bis 2025 über 585 Millionen Euro für DAB+ ausgegeben werden.
siehe auch:
http://medienfresser.blogspot.de/2016/03/digitalradio-muder-applaus.html
http://medienfresser.blogspot.de/2015/11/dab-wachst-sich-tot.html
http://medienfresser.blogspot.de/2014/03/kef-macht-druck-beim-dab-digitalradio.html
http://medienfresser.blogspot.de/2013/09/digitalradio-dab-weitere-subventionen.html
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