Samstag, 27. Juli 2019

"They shall not grow old" Bewegende Dokumentation über den Ersten Weltkrieg


Mitte Juli 2019 kam ein besonderer Dokumentarfilm in deutsche Kinos: "They shall not grow old". (trailer link unten) Der neuseeländische Regisseur Peter Jackson (Herr der Ringe) hat darin Dokumentarfilme aus dem ersten Weltkrieg bearbeiten und kolorieren lassen und mit Interviews britscher Veteranen vertont. Aufsehen erregte die Qualität der nachbearbeiteten Filme aus den Beständen des Imperial War Museums in London. Mittels aufwändiger Technik ist es Jackson gelungen, dass die Filmausschnitt wirken, als wären sie aktuell. Fachleute für Lippenlesen sprachen die Stimmen der Soldaten in den Filmszenen nach.

Das eigentlich faszinierende an dem Film, das dem Geschehen die Nähe verleiht, sind für mich nicht so sehr die restaurierten Bilder. Jackson nutzte alte Tonaufnahmen mit britischen Veteranen aus dem Archiv des Kriegsmuseums in London. Sie geben dem Film das authentische und die emotionale Tiefe. Wahrscheinlich stammen die Interviews aus den 1960er Jahren, damals produzierte die BBC eine 26 Folgen umfassende Dokumentarserie: "The great war" Die 1964 ausgestrahlte Serie, die auch im deutschen Fernsehen lief - kann heute noch auf youtube abgerufen werden (link unten) - hier sieht man Interviews mit britischen Kriegsteilnehmern über die ersten Kriegsmonate. Letztlich dürfte die Serie Jackson ästhetisch wie dramaturgisch inspiriert haben. 

Inhaltlich schildert er die erste Begeisterung der britischen Freiwilligen, junge Männer von 16-19  Jahren, die im August 1914 die Rekrutierungsbüros der Army überrannten. Bis 1916 gab es keine Wehrpflicht in Großbritannien. Die Interviews mit den Veteranen spiegeln auch die Abenteuerlust der jungen Männer wider. Zuvor hatte die britische Berufsarmee nur Erfahrungen in Kolonialkriegen (Burenkrieg) gegen unterlegene Gegner gesammelt. Die Zerstörungskraft moderner Maschinengewehre und der Artillerie wurde bei allen Kriegsparteien sträflich unterschätzt - was zu den brutalen Verlusten in den ersten drei Kriegsmonate auf allen Seiten führte - demgegenüber waren die Opferzahlen in den späteren Materialschlachten zwar hoch, aber auf den Zeitraum bezogen geringer.   

Jacksons Film beschäftigt sich nicht mit dem zu Kriegsbeginn auf das Festland verschiffte britischen Expeditionskorps (BEF), das Mitte August 1914 an die Front in Belgien kam. Das BEF umfasste 5 Divisionen mit Berufssoldaten (4 Infanterie, 1 Kavallerie). In den blutigen Schlachten von Mons in Belgien und Le Cateau in Nordfrankreich, wurde die Truppe im August 1914 dezimiert. https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/08/le-cateau-1914-der-krieg-kommt-zu.html Danach beteiligte sie sich am Vorstoß zur Kanalküste, um einen deutschen Umgehungsversuch abzuwehren. Ende 1914 war die BEF ausgebrannt, man konnte die Front nur durch die schnelle Herbeiführung indischer Truppen halten. Auf der anderen Seite standen dagegen mangelhaft ausgebildete und ausgerüstete deutsche Reservedivisionen, die bei den Angriffen in Flandern - Langemarck-Mythos - von den gut ausgebildeten BEF-Soldaten zusammengeschossen wurden. Über diese Vorgeschichte berichtet Jacksons Film nicht - was seinen Wert nicht mindert.

Man merkt es "They shall not grow old" an, dass Peter Jackson ein versierter Spielfilm-Regisseur ist (Herr der Ringe). Sein Dokumentarfilm startet mit schwarz-weiß Aufnahmen im kleinen Bildformat, erst später öffnet sich das Bild auf die volle Größe und wird farbig. Zu Beginn hört man aus dem Off eine gepfiffene Melodie. Erst beim Abspann - daher lohnt es sich den Film bis zum letzten Meter zu sehen - wird daraus der gesungene Text des britischen Soldatenliedes "Mademoiselles of Armentieres". (link unten) Die Dramaturgie des Films läuft auf einen großen Angriff hin und endet mit dem Waffenstillstand
Deutsches Bajonett 1. Weltkrieg
am 11. November 1918. Im Film bekommen die kolorierten Aufnahmen von Gefallenen und Verwundeten eine brutale Wirklichkeit gegenüber den alten schwarz-weiß Aufnahmen, man erkennt Blut, Dreck und Leichenteile - aber auch gefangene Deutsche, die sich von den Briten nur durch die Uniformen unterscheiden. Ein interessanter Aspekt ist die Aussage, es habe während des Krieges deutliche Abneigungen zwischen deutschen Soldaten aus Württemberg oder Bayern gegenüber denen aus Preußen gegeben. So hätten deutsche Soldaten aus dem Südwesten ihre englischen Gegner im Schützengraben vor der Ablösung durch preußische Regimenter gewarnt. 

Deutsches Kamerateam

Bekanntlich gibt es kaum dokumentarische Filmaufnahmen von Kampfhandlungen, das ließen die sperrigen Kameras nicht zu. Die Kampfszenen in Wochenschaufilmen dieser Zeit wurden nachgestellt - das weiß auch Jackson. Daher nutzt er hier Bilder, die Kriegszeichner vom Nahkampf angefertigt haben - propagandistisch voll heroischer Posen. Tief beeindruckende sind aber die Tonaufnahmen der Veteranen. Bei der Schilderung, wie er einen schwer verletzten Kameraden erschießen musste, um ihn von seinem Leid zu erlösen, beginnt der Veteran hörbar zu weinen. Die Erinnerungen lassen die Betroffenen nicht los und ihre Dämonen verfolgen sie ein Leben lang. 

Jacksons Film dürfte auf einer großen Leinwand sicherlich beeindruckend sein, aber die DVD-Version hat Vorteile. Einerseits ist eine britische Untertitelung abrufbar, was das Verständnis des Gesprochenen erleichtert. Dazu kommt das Interview mit dem Regisseur nach der Uraufführung im Londoner Kinosaal, indem er von den Arbeiten am Film und seiner Motivation erzählt. Die BBC hat den 95minütigen Film 2018 ausgestrahlt - in Kinos lief eine 3-D-Version. In Deutschland ist der Film nur wenige Tage im Juli 2019 gelaufen - ob er in das deutsche Fernsehen kommt, ist fraglich - wäre aber wünschenswert. Auf jeden Fall ist "They shall not grow old" ein fesselnder und berührender Dokumentarfilm, der auch zeigt, weshalb der 1. Weltkrieg in Großbritannien bis heute stärker im Gedächtnis ist als der 2. Weltkrieg.Zwischen 1914-1918 starben mehr Soldaten des britischen Empires als zwischen 1939-1945.


Filmtrailer Trailer auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=YPlXlshA0Zc
Song "Mademoiselles of Armentieres: 
https://www.youtube.com/watch?v=z9mCN9eeYXM
BBC Serie "the great war" 1964:  Youtube eingeben: The great war


Buchtipps: 
Frederic Manning: 1930 in England "Her privates We", Deutsch 1966 "Soldat Nr 19022" Wunderlich-Verlag
Ben Macintyre: "Ein Dorf in der Picardie" 
Timothy Findley "Der Krieg und die Kröte" Fischer Taschenbuch 1980
Pat Barker: "Niemandsland", Hanser Verlag 1997
Sebastian Faulks: "Gesang vom großen Feuer" Schöffling Verlag 1997
Joseph Boyden: "Der lange Weg" Knaus 2005
Ronald Skirth: "Soldat wider Willen" Rowohlt 
 

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