Die im Verband Privater Rundfunkt und Telekommunikation (VPRT) zusammengeschlossenen kommerziellen Radioveranstalter geben der digitalen Radiotechnik DAB plus auf absehbare Zeit kaum Erfolgschancen. In einem am 30. November 2016 veröffentlichten Positionspapier heißt es deshalb ultimativ: "Eine Abschaltung von UKW steht angesichts der unverändert überragenden Bedeutung dieses Übertragungsweges (...) nicht zur Diskussion." Ein Ausstieg aus der UKW-Verbreitung sei "erst anzudenken, wenn eine nachgewiesene tatsächliche Nutzung - und nicht bloß eine technische Reichweite - eines Digitalstandards von 40 Prozent (...) nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erreicht wird." Erst ab 80 Prozent Digitalnutzung seien dann erst "konkrete Parameter für einen Umstieg (...) denkbar".
Bis 2025 investieren für DAB plus die öffentlich-rechtlichen Sender 600 Millionen Euro. Auf den Münchner Medientagen hatte am 26. Oktober 2016 Karlheinz Hörhammer - Geschäftsführer des Privatsenders Antenne Bayern - eine jährliche Subvention von 25 Millionen Euro für das Digitalengagemnt der Privaten gefordert (Handelsblatt online 26.10.2016) Jetzt fordert der VPRT für die nächsten zehn Jahre "eine vergleichbare Summe" wie die der Öffentlich-Rechtlichen. Zur Begründung heißt es, die Kosten für die gleichzeitige Verbreitung der Privatprogramme über UKW und DAB (simulcast) ließen sich aus dem Werbemarkt nicht finanzieren. Wer aber soll die 500 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren bezahlen? Der VPRT fordert dazu indirekt Mittel aus der Rundfunkabgabe der Öffentlich-Rechtlichen. Daraus erhalten die Medienanstalten einen Anteil, aus dem das DAB Engagement der Privaten bezahlt werden soll. Außerdem wünscht sich der VPRT einen Anteil der Einnahmen, die der Staat aus dem dem Verkauf der Mobilfunkfrequenzen (Digitale Dividende) erzielt hat.
Nachtrag: Ein beliebtes Argument für DAB ist, dass durch die Technik die Zahl verfügbarer Radioprogramme für den Hörer steigt. Aber gibt es dafür eine relevante Nachfrage? Ein Blick in die Radio Media Analyse (MA 2016/II) zeigt, dass ein Durchschnittshörer täglich 1,6 Programme nutzt, innerhalb von zwei Wochen sind es 4 verschiedene Programme. Diese Werte sind damit seit zehn Jahren relativ konstant geblieben. "Wellenreiter", also Menschen die täglich zwischen vielen Sendern hin und her schalten sind weiterhin eher selten", stellen die Autoren fest. Demnach hören über 60% der täglichen Nutzer - ziemlich unabhängig vom Alter - nur ein Programm. Dagegen wechseln nur etwa 12% täglich zwischen den Programmangeboten. (Media Perspektiven 9/2016, S. 464 ff)
DAB plus ein Pyrrhus-Sieg auf Kosten anderer
Im Jahr 279 vor Christus sagte der griechische König Pyrrhus nach einer Schlacht gegen die Römer: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“ Die Förderer des digitalen Radios, allen voran die Medienanstalten, müssen sich darüber keine Gedanken machen. Ihre 'Pyrrhus-Siege' müssen andere bezahlen. Die Medienanstalten üben sich lieber darin, die Situation des digitalen Hörfunks öffentlich schön zu reden. In dem aktuellen Digitalisierungsbericht vom Juni 2016 wird stolz verkündet: Zum dritten Mal sei ein positives Wachstum des Digitalradios gelungen (s. 53). Gleichzeitig muss aber eingeräumt werden: "im Vergleich zum Fernsehen führte die Digitalisierung des Hörfunks bisher ein Schattendasein. Dies scheint sich nunmehr allmälich zu ändern." Zuversicht klingt anders.
Angesichts der Tatsache, dass in bundesdeutschen Haushalten weiterhin mehr als 139 Millionen UKW-Empfänger sehen, besteht beim Digitalradio allerdings Grund zur Bescheidenheit. Immer noch hören fast 65 Millionen der 69 Millionen Einwohner Deutschlands (+14 Jahre) Radio per UKW. DAB nutzen dagegen gerade einmal 9,5 Millionen, Radio per Internet hat mit 23,6 Millionen Hörer DAB mittlerweile deutlich abgehängt.
Erstaunlicherweise konstatieren die Medienanstalten bei DAB aber einen positiven Trend. Beleg: Die Zahl der DAB-Empfänger in den 39,4 Millionen bundesdeutschen Haushalten wuchs demnach innerhalb eines Jahres um 30% auf 8,24 Millionen Geräte. Allerdings fand der Löwenanteil mit +1,17 Millionen bei Automobilen statt - mittlerweile drei Millionen Fahrzeuge haben ein DAB-Autoradio. Dagegen stieg die Zahl der DAB-Geräte in Haushalten mit +680 000 (+15%) deutlich langsamer - auf 5,2 Millionen DAB-Radioempfänger.
Internet-Radio hängt DAB ab
Zwischen 2015 und 2016 nahm der Anteil der Online-Radiogeräte in bundesdeutschen Haushalten samt Fahrzeugen um gut ein Drittel zu. Von 4,6 Millionen Empfängern stehen über 4 Millionen in Haushalten, nur eine halbe Million WLAN-Radios finden sich bisher in Fahrzeugen. Laut Medienanstalten hören "zumindest gelegentlich" 9,5 Millionen Einwohner DAB-Programme, während Internetradio über 23,6 Millionen erreicht. "Dabei erweist sich das Smartphone als immer bedeutsamer für das Radiohören" (S. 57). Zwei Seiten später wird eingeräumt: "Durch die Vielfältigkeit, mit der Radiohören über das Internet möglich ist, ist das Internet für die Radioindustrie derzeit die wichtigste Verbreitungsart nach UKW." (S.59)
Die Online Musikstreamings und Plattformen bedrohen vor allem kommerzielle Radiosender, sie sind auf große Hörerzahlen angewiesen, um ihre Werbezeiten verkaufen zu können. Sie setzen selber auf das Internet, während die weitere Zersplitterung des Radiomarktes durch zusätzliche DAB-Programme wenig zukunftsträchtig erscheint. Vielleicht erklärt dies, warum der VPRT in seinem Positionspapier für einen Umstieg von UKW auf DAB 80% tatsächliche Nutzung des DAB fordert. Das klingt nach 'Sanktnimmerleinstag' - wahrscheinlich spielen die Privaten auf Zeit. Sollen DAB doch Gebühren- und Steuerzahler finanzieren, beim VPRT setzt man vielleicht längst auf ein langsames Sterben des DAB.
Nachtrag: In den USA besitzt mittlerweile ein Fünftel aller Hörer kein Radiogerät mehr. Sie benutzen für das Radio das Internet. (Medienkorrespondenz, 14. Oktober 2016). Ein Blick in die ARD/ZDF-Onlinestudie 2016 dürfte den DAB-Radiomachern Kopfschmerzen bereiten, denn Smartphones sind die digitalen Allroundgeräte. Das Telefonieren steht hier bei Jüngeren (14-29) erst an vierter Stelle, auf dem zweiten Platz rangiert das Hören von Musik, gefolgt vom Internetsurfen. Unangefochtener Spitzenreiter der Smartphonenutzung ist das Verschicken von Nachrichten. (Media-Perspektiven, Heft 9/16, S. 425ff)
Radioprogramme werden von 14% der Surfer wöchentlich Online gehört (+3 Punkte). Dabei stieg der Anteil bei Jüngeren (14-29) um 5 Punkte auf 17 Prozent stärker (S. 431). Insgesamt hat die Radionutzung über das Internet deutlicher zugenommen, als Musikstreaming-Dienste. Aber Vorsicht: Die Jüngeren (14-29) klicken sich pro Woche mit 33% in einen Musikstream, während die Nutzung eines Radio-Livestream bei ihnen nur die Hälfte ausmacht (17%).
Erstmals hat die Online-Studie auch die Nutzung von Musik per Youtube oder Musikerkennungsdienste (Shazam) gemessen. "Mit 26 Prozent mindestens wöchentlicher Nutzung wird (...) ein Wert ermittelt, der die Nutzung von Live Radio im Internet und musik Streamingdienste erheblich übersteigt." Bei Jüngeren erreicht das Hören von Musik per Youtube zwei Drittel dieser Onliner. (Dabei muss berücksichtigt werden, dass per Youtube vorwiegend Musik Videos verbreitet werden).
https://medienfresser.blogspot.de/2016/09/ard-thementag-digitalradio-pr.html
https://medienfresser.blogspot.de/2016/07/digitalradio-wird-dab-vom-internet.html
Dass der Handel eine halbe Million WLAN-Radios für Fahrzeuge an den Mann/die Frau gebracht hat, finde ich sensationell. Wahre Top-Verkäufer am Werk, nachdem der Markt für Kühlschränke bei den Inuit gesättigt war.
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