Donnerstag, 28. November 2013

Rechter Populismus in Europa auf dem Vomarsch?


9. November 2013: Der Ratspräsident der Europäischen Union, Herman van Rompuy warnt vor zunehmendem Rechtspopulismus in Europa: "Die Vorurteile gegen andere EU-Bürger nehmen in besorgniserregender Weise zu."

11. November 2013: Die beiden Chefs der rechtspopulistischen Parteien Frankreichs und der Niederlande - Marine Le Pen (Front National) und Geert Wilders (Partei für die Freiheit)- streben ein Bündnis für die Europawahlen an. Originalton Wilders: "Es ist ein historischer Tag, weil heute die Befreiung beginnt. Die Befreiung von der Elite aus Europa."




Die Rechte in Europa rüstet sich für die anstehenden Europawahlen am 25. Mai 2014. Mit populistischen Parolen gegen EU-Bürokraten und den vermeintlichen Vormarsch des Islams wollen sie Wählerstimmen gewinnen. Damit könnten sie diesmal in vielen EU-Ländern Erfolg haben. Das Spektrum reicht von der neonazistischen Chrysi Avgi in Griechenland über die rechtsradikale Jobbik-Partei in Ungarn bis zur 'weichgespülten' Front National in Frankreich, der niederländischen Partij voor de Vrijheid bis zur nationalliberalen Alternative für Deutschland (AFD)


Rechte- und nationalistische Parolen sind aber kein nur von Neonazis gepflegtes Phänomen. Sie haben sich 'Modernisiert' und sind in der "Mitte der Gesellschaft" breit gemacht. Dies zeigte eine Veranstaltung im Stuttgarter Theaterhaus am 26. Oktober 2013: "Rechtsrum?! Wie begegnet Europa antidemokratischen Tendenzen?" Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen diskutierten Kenner der Szene aus Griechenland, Österreich, Ungarn, den Niederlanden sowie der Bundesrepublik

Rechter Populismus - ein Reflex auf die Arroganz der Eliten?



Was bedeutet "Populismus" heute? Dr. Erica Meijers, Chefredakteurin der Zeitschrift "De Helling" der niederländischen Grünen (Groen Links) meinte, die Rechte in den Niederlanden versuche mit Parolen wie: 'Schutz des Christlichen Kulturraums gegen den Vormarsch des Islams in Europa'  Einfluss zu gewinnen. Sie gäben vor 'im Namen des einfachen Volkes' zu sprechen und formulierten eine 'wachsende Kluft zwischen politischen Eliten und dem einfachen Volk'. Stellvertretende für diese Position sei etwa in Frankreich Marine Le Pen mit ihrem Front National, der sich vordergründig von antisemitischen Parolen verabschiedet habe. In Geert Wilders mit seiner Niederländischen Freiheitspartei präsentiere sich eine vermeintlich moderne Partei, die angeblich für Minderheiten (Schwule) und Frauenrechte eintrete. Diese sieht sie vom 'Vormarsch des Islams in Europa' bedroht. Sie propagierten einen nationalen Individualismus und stünden äußerlich damit im Widerspruch zu klassischen Rechten und deren Ideal eines rassischen Kollektivs. Populisten wie Wilders würden mit ihrer Kritik an den politischen Eliten in den Regierungen, Parlamenten und der EU-Maschinerie einer bisher schweigenden Gruppe der Bevölkerung eine Stimme gebe, die sich benachteiligt fühlte. Deshalb müsse man sich darauf einstellen, noch längere Zeit in Europa mit diesen Populisten konfrontiert zu werden.


Ähnlich argumentierte der in Wien lebende Journalist Robert Misik. Durch die vermeintliche 'Professionalisierung' der Politik, würden sich Politiker und Programme immer ähnlicher. Gleichzeitig habe die Wirtschaftskrise zu massivem Verdruss gegen die herrschende Politik in Europa geführt, der weit über das rechte Wählerpotential hinaus reiche. Auch große Teile der bürgerlichen Mitte sähen sich von einer EU als unkontrollierbarem Monstrum bedroht. Sie teilten die Kritik, dass dort eine politische Klasse auf Kosten der einfachen Leute entscheide. Paradox sei, dass diese Einstellung den Vormarsch der Populisten fördert und gleichzeitig die schrumpfenden etablierten Parteien zu großen Koalitionen zwinge. Damit stabilisiere der Aufstieg rechter Populisten letztlich das von ihnen kritisierte Machtkartell der Eliten. 


Dr. Britta Schellenberg von der Universität München wies darauf hin, dass Rechtspopulisten und Rechtsextreme die selben Feindbildern benutzten: 'Volksfremde Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa, korrupte Politiker und herrschende Medien'. Die Vision der klassischen Rechtsradikalen orientiere sich am Polizeistaat. Der Staat habe zu lange diese bedrohliche Entwicklungen bagatellisiert. Dies zeigten die Enthüllungen im Zusammenhang mit der NSU-Terrorgruppe. Gleichzeitig sei die Zahl "regionaler Angstzonen" in Deutschland gewachsen. Dort übten Rechtsradikale faktisch eine Hegemonie aus. Noch gebe es keine Wahlerfolge rechter Populisten, wie es in anderen Staaten der EU der Fall sei. Aber Sozialdarwinismus würde mittlerweile auch bei Wählern etablierter Parteien auf Zustimmung stoßen.

Der Aufstieg der Rechten beginnt nicht erst mit der Krise



Falsch liegen diejenigen, die die Ursache des Aufstiegs der Rechten in Europa alleine der Wirtschaftskrise seit 2008 zuweisen. Darin waren sich für Griechenland Dr. Vassiliki Georgiadou, Professorin für Politik an der Universität Athen und ihr Kollege Athanasios Marvakis von der Universität Thessaloniki einig. Ein historischer Rückblick zeige, dass Griechenland eine junge Demokratie sei, denn erst nach dem Sturz der Obristen-Diktatur im Jahr 1974 habe sie gesiegt. Danach sei es zu einer permanenten Polarisierung zwischen Konservativen und Linken gekommen, so Frau Georgiadou. Bereits in den 1990er Jahren wuchs in der griechischen Gesellschaft Entsolidarisierung und Perspektivlosigkeit. Erst in diesem Umfeld konnte eine Partei wie Chrysi Avgi (CA) mit Aggressivität gegen Migranten und Anti-Parlamentarismus punkten. Professor Marvakis betonte, bereits seit über zehn Jahre lang seien Migranten in Griechenland von Alltags-Brutalität betroffen. Ihnen seien Rechte verwehrt worden und die griechische Gesellschaft habe sie ausgegrenzt. Jetzt bekämen auch arme Griechen dies zu spüren. Insgesamt komme deshalb der Erfolg der CA aus der Mitte der Gesellschaft. Die etablierten Parteien würden ein instrumentelles Verhältnis zum Rechtsradikalismus pflegen, auch seien rechte Thesen zu finden. So sei der Chef der Chrysi Avgi früher Vorsitzender einer Jugendorganisation der Partei gewesen sei, die kurz nach dem Ende der Obristen vom Ex-General Papadopoulos gegründet wurde. Ein Sprecher der konservativen Nea Demokratia habe früher ebenfalls dieser Partei angehört und sei später zur rechten LAOS Partei gewechselt. 

In Ungarn ist der rechte Nationalismus bereits an der Macht. Dies machten die Beiträge des Schriftstellers György Dalos und von Jenö Kaltenbach, Professor der Universität Szeged sowie Mitglied der ungarischen Grünen im Budapester Stadtrat deutlich. Zentrale Ursache dieses Nationalismus sei die in der Bevölkerung vorherrschende Sicht, Ungarn nur als Opfer der Geschichte zu sehen. Für Dalos herrscht hier seit Mitte der 1990er Jahre eine politische Haßkultur, die mittlerweile zu einem "kalten Bürgerkrieg" eskaliert sei. Die von der Fidesz-Partei gestellte Regierung unter Viktor Orbàn habe das Ziel, jegliche Opposition im Land zu eliminieren. Wieso haben Orban und die Neonazis der Jobbik-Partei so viel Zusrpuch im Land? „Die Ungarn wollen der Wahrheit über ihre Geschichte nicht ins Gesicht sehen“, meint Kaltenbach. Man sehe sich als Teil der westeuropäischen Demokratien, in Wirklichkeit würden aber die Wertvorstellungen der Ungarn eher zu den autoritär-orthodoxen Ländern Osteuropas passen. Trotzdem will Dalos zumindest die Hoffnung nicht aufgeben: „Der Mensch macht an einem Tag eine Dummheit – am nächsten das Richtige und Wichtige.“ 

Ähnliche Erfolgsrezepte rechter Populisten in Europa


Trotz unterschiedlicher Situationen in den Ländern Europas zeigen sich ähnliche 'Erfolgsrezepte' rechter Populisten. Sie machen sich berechtigte Kritik an der EU-Politik samt Bürokratie zu Nutze. Gleichzeitig haben viele Menschen die Hoffnung auf eine Besserung ihrer persönlichen Situation aufgegeben. Die Stärke rechter Populisten sei nicht ihre Genialität, sondern die Ideenlosigkeit der Linken - konstatierte Robert Misik.

Darüber gab es leider keine Debatte auf der Veranstaltung. Die Anpassung vieler Linker an den bürgerlichen Mainstream ist ja in vielen Ländern Europas Realität. Die Entwicklung der Grünen bei uns ist dafür ein treffendes Beispiel. Aber diese Diskussion wurde nicht geführt und so endete die Veranstaltung etwas ratlos. Warum hatte man keine Vertreter von Basisinitiativen eingeladen? Demokratische Gegenwehr entsteht schließlich nur vor Ort. Kaum diskutiert wurde, was man dagegen tun will, dass nationalistische und rassistische Parolen zunehmend auch aus den Reihen etablierter Politik kommen. Nationale Phrasen und Pathos tauchen wieder im Sprachschatz bürgerlicher Politiker auch bei uns auf. So verkündete Volker Kauder im November 2011 auf einem Bundesparteitag der CDU anlässlich einer Debatte um die Euro-Krise stolz: „Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen.“ 


Jawoll! – den Tonfall kennen wir - „Und es mag am deutschen Wesen Einmal noch die Welt genesen“* propagierte Kaiser Wilhelm II. 1907 - der Erste Weltkrieg war die Folge... 

Winston Churchill bemerkte einst hellsichtig: Man hat die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu Füßen.“





* Aus dem Gedicht von Emanuel Geibel (1815-1884): „Deutschlands Beruf“ von 1861.

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