Fort Douaumont Januar 1916 - Quelle: Bundesarchiv |
Über die Zahl der Opfer des
Douaumont März 1916 - Quelle: Bundesarchiv |
Die Legende von der "Weihnachtsdenkschrift" Falkenhayns
Erich von Falkenhayn 1861-1922 |
Wichtiger als die Diskussion über die Höhe der Verluste ist immer noch die Frage, welches Ziel die Offensive verfolgte. Sollte die Stadt erobert, ein Durchbruch erzielt werden, um dann wieder in den Bewegungskrieg zu kommen? Oder ging es der Obersten Heeresleitung darum, dass die französische Führung für Verdun ihre Armee opfert, um dann angesichts der Verluste die Entente friedenbereits zu machen? Urheber dieses Streits war Generalstabschef Erich von Falkenhayn, der in seinen 1919 verfassten Memoiren behauptete, er habe Kaiser Wilhelm II. im Dezember 1915 dargelegt, die französische Armee solle vor Verdun verbluten. Seit dem geistert die sogenannte "Weihnachtsdenkschrift" * durch die Geschichtsbücher (siehe Anmerkung). Eine solche habe er damals dem Kaiser übergeben, so die Lesart vieler Historiker. Darin habe gestanden, dass der Plan für die "Operation Gericht" genannte Offensive zum Ziel hatte, die französische Armee vor Verdun verbluten zu lassen - auch ohne eine Eroberung der Stadt: "Das zweifelhafte und über unsere Kraft gehende Mittel des Massendurchbruchs ist dazu nicht nötig" (8) In Frankreich beurteilen Historiker Falkenhayns Absichten anders: "Verdun nehmen, heißt den ganzen rechten Flügel der Franzosen bedrohen (...) und so einen moralischen Erfolg zu erzielen." (9) Deshalb sah man in der Abwehr der Offensive bei Verdun in Frankreich den entscheidenden Sieg über Deutschland: "Welch helles Licht fällt (...) auf den Heldenmut und die Zähigkeit der Verteidiger von Verdun!" liest man im 1958 erschienenen französischen Führer über das Schlachtfeld.
Die von Falkenhayn in seinen Memoiren von 1920 dargelegte Absicht seines Angriffs auf Verdun, löste bei den deutschen Veteranen nach dem Krieg heftige Reaktionen aus. "Die Soldaten hatten gehofft, mit der Einnahme Verduns ihrem Opfer Sinn geben zu können, und mussten dann - in Falkenhayns Memoiren - lesen, dass nur die 'Ausblutung' Frankreichs und nicht die Einahme der Festung Verdun das taktische Ziel gewesen sei". (9a) Falkenhayn war ein militärischer- wie politischer Hasardeur und typisch für die Menschenverachtung der Militärs. So sah er im August 1914 die Möglichkeit des Scheiterns des Schlieffenplans, meinte aber: "Wenn wir auch darüber zugrunde gehen - schön war's doch" (9b) Zugrunde gehen mussten auf den Schlachtfeldern und Schützengräben aber andere...
Die "Weihnachtsdenkschrift" wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei deutschen Historikern als Quelle genutzt. So zitiert etwa German Werth in seiner 1979 veröffentlichten Analyse der Schlacht aus Falkenhayns
Douaumont 1916 - Quelle Bundesarchiv |
Douaumont 1964 |
Im Jahr 2004 übte der Historiker Gerd Krumeich deutliche Kritik: "Der einzige 'Fundort' der Quelle sind Falkenhayns Memoiren, die dieser 1919 (...) veröffentlichte und die vor allem den Zweck hatten, ihn, der für die Operation verantwortlich war, reinzuwaschen." (13) Trotzdem hielt sich weiter der Mythos der von Falkenhayn beabsichtigten "Blutpumpe" Verdun. Dabei hatte bereits 1965 der britische Autor Alistair Horne den deutschen Kronprinzen Wilhelm - formell Kommandeur der 5. Armee - zitiert. Dieser habe gesagt, Ziel des Angriffs sei gewesen: "die Festung Verdun schnell zu Fall zu bringen." (14).
Der Schwindel fliegt auf
Warum geriet der Bericht aus Potsdam in Vergessenheit? Er wurde in der Weimarer Republik nie veröffentlicht, geschweige denn im Dritten Reich. Das preußische Militärarchiv ging bei Kriegsende 1945 in Flammen auf und außerdem interessierte man sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit nicht für die Schlacht bei Verdun.
In seinem neuen Buch entwickelte Jessen folgendes Szenario über Falkenhayns wirkliche Absicht bei Verdun. Dieser habe als gehofft, mit dem Angriff auf Verdun die Entente zu verlustreichen Gegenoffensiven verleiten zu können. Auf sie wollte er mit einer erneuten Attacke reagieren und so den Durchbruch zum Bewegungskrieg erzwingen. Damit habe Falkenhayn gehofft, ein für Deutschland siegreiches Kriegsende zu erreichen. Für Jessen scheiterte Falkenhayn militärisch wie politisch, die Briten eröffneten zwar im Sommer 1916 ihre Offensive an der Somme. Sie führte aber trotz immenser Verluste nicht zum Zusammenbruch der Entente und der Durchbruch bei Verdun war bereits im April gescheitert. Die Kaiserliche Armee hatte vor Verdun und an der Somme Verluste, die nicht mehr ersetzt werden konnten und Deutschland an der Westfront bis zum Sommer 1918 zur Defensive zwangen.
Falkenhayn stürzt - Hindenburg und Ludendorff triumphieren
Falkenhayn war seit 1913 preußischer Kriegsminsiter und wurde am 14. September 1914 Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) des Reiches. Im November 1914 war sein Versuch gescheitert, in Richtung Kanalküste die Engländer und Franzosen umgehen zu können. Durch den "Wettlauf zum Meer" erhoffte er doch noch den Krieg im Westen seigreich zu beenden. Dafür hatte er rücksichtlos, schlecht ausgebildete und mangelhaft ausgerüstete Reservedivisionen eingesetzt - unerhörte Verlusten bei Ypern und Langemarck waren die Folge. (17) Am 18. November 1914 sagte Falkenhayn zu Reichskanzler Bethman-Hollweg, er sehe keine Möglichkeit mehr, einen Siegfrieden im Westen erreichen zu können. (18) Schon zu dieser Zeit waren die 'Sieger' von Tannenberg im Osten, Paul von Hindenburg
Hindenburg (Mitte) Ludendorff (links davon) Quelle: Bundesarchiv |
Falkenhayns Offensive bei Verdun musste bereits im April 1916 als gescheitert betrachtet werden - Regierung und Volk gegenüber verschwieg man den Misserfolg aber. Der Chef der Heeresleitung hatte ein gefährliches Spiel betrieben, trat er doch für die Ausweitung des U-Bootkrieges gegen Großbritannien in Kombination mit dem Angriff auf Verdun ein. Einer Kriegserklärung der USA hoffte er durch einen Erfolg der "Operation Gericht" und dem daraus resultierenden Siegfrieden vermeiden zu können. (20) Falkenhayn unterlag der typischen Selbstüberschätzung kaiserlicher Militärs, so hielt er das republikanische Frankreich bereits vor Kriegsausbruch "für eine zweitklassige Macht, nicht für militärisch ebenbürtig", schreibt Paul Jankowski (21). Diese Fehleinschätzung demokratischer System sollten die deutschen Militärs im Zweiten Weltkrieg wiederholen. Nach Falkenhayns Sturz im August 1916 erklärten Ludendorff und Hindenburg am 1.Februar 1917 den uneingeschränkten U-Bootkrieg - ohne Vorwarnung wurden jetzt alle Schiffe in den Sperrzonen um Großbritannien angegriffen. Die Kriegserklärung der USA am 6 April 1917 war die logische Folge. (22)
Warum kämpften die Soldaten?
1964 Douaumont Gräber französischer Soldaten |
Warum aber ertrugen die Soldaten bei Verdun dieses elende Leben in Schützengräben voller Schlamm, Exkremente und herumliegender Leichenteile? Es waren weniger die moralischen Appelle, nationale Gefühle oder soldatische Tugenden. Es kam vor allem auf die soziale Gruppe an - die Kameraden - denen man sich verpflichtet fühlte. Mit seiner Analyse liegt Jankowski auf einer ähnlichen Linie wie Sönke Neitzel und Harald Welzer. Sie versuchten in ihrem Buch: "Soldaten" zu ergründen, wie sich während des Zweiten Weltkrieges Soldaten verhielten und warum sie sich an Massakern beteiligten. Auch hier spielte die 'Kameradschaft' und die in der sozialen Gruppe üblichen Verhaltensweisen eine wichtige Rolle.
Bleibt abzuwarten, wie das Gedenken an die Schlacht im Februar 2016 - einhundert Jahre
Der Helm meines Großvaters Clotaire Aubry |
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Nachtrag
Am 9. Februar 2016 zeigte der deutsch-französische Kulturkanal ARTE eine 90-minütige Dokumentation über die Schlacht von Verdun. Diese französische Produktion von 2014 wurde vom Historiker Paul Jankowski als Berater begleitet, erfährt man auf der ARTE-Homepage des Films (siehe Anmerkung 3). Insgesamt eine aufwändige und interessante Dokumentation, allerdings mit einigen fatalen Schwächen:
Einmal abgesehen davon, dass der gesamte Film mit einer fürchterlich heroischen 'Musiktapete' unterlegt war, wurden einige Verdun-Mythen weitergepflegt. So werden Kaiser Wilhelm II und sein Sohn, Kronprinz Wilhelm, zu zentralen Personen der Ereignisse bei Verdun. In Wirklichkeit waren beide - auch aufgrund ihrer nur mangelhaften militärischen Kompetenz - nur Nebenfiguren. Entscheidend für die Schlacht war Erich von Falkenhayn als Chef des Oberkommandos. Dies zeigt die Studie der Schlacht von Olaf Jessen (Anmerkung 2). Falkenhayn erscheint im Film erstmals per Fotografie nach einer Stunde. Seine zentrale Rolle bei der militärischen und politischen Planung wird im gesamten Film sträflich vernachlässigt.
Dann noch pathetische Metaphern vom Kampf 'Mann gegen Mann'. Gerade die Materialschlacht bei Verdun war typisch für den Ersten-Weltkrieg im Westen. Nach Ende der Grenzschlachten 1914 und dem folgenden Stellungskrieg, trafen dort feindliche Soldaten nur relativ selten direkt aufeinander. Der größte Teil der Getöteten und Verwundeten fiel dem Feuer der Artillerie zum Opfer.
Ein unverzeilicher Fehler der Macher und der ARTE-Redaktion ist in Minute 48. zu hören. Da heißt es zur Antikriegs-Kundgebung vom 1.Mai 1916 in Berlin: "Der Abgeordnete der Kommunistischen Partei, Karl Liebknecht, hält eine Ansprache an das Volk" Klarstellung: Die KPD wurde am 30. Dezember 1918 gegründet - also fast zwei Monate nach Kriegsende! Liebknecht gehörte zur Spartakus-Gruppe um Rosa Luxemburg und anderen SPD-Dissidenten. Sie hatten kurz nach Kriegsbeginn die 'Gruppe Internationale' gebildet aus der später der Spartakusbund entstand. https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_Deutschlands#1914.E2.80.931918.2F1919:_Entstehung_der_KPD
Man fragt sich manchmal schon, was so in TV-Reaktionen für Leute sitzen - Gnade der späten Geburt, Dummheit oder zu faul zum Googlen ?
Gefunden Januar 2019: Auf Youtube gibt es eine bemerkenswerte Sammlungen von TV-Interviews mit deutschen Teilnehmern der Schlacht, die German Werth für den WDR 1984 aufgenommen hat:
https://www.youtube.com/watch?v=oVW0v2uuuP8&t=129s
* Zur sogenannten "Weihnachtsdenkschrift" schreibt Jessen: "Das Wort 'Weihnachtsdenkschrift' stammt nicht von Falkenhayn; die Forschungsanstalt hat es 1936 erfunden". Eine schriftliche Darlegung seiner Pläne habe Falkenhayn dem Kaiser nicht vorgelegt, sondern nur mündlich vorgetragen. "Falkenhayns Memoiren und die Wortschöpfung der Forschungsanstalt, ebenso griffig wie abwegig, haben Generationen von Historikern auf falsche Fährten gelockt." Jessen kommt nach seinem Quellenstudium zu einem eindeutigen Befund: "Eine Weihnachtsdenkschrift hat es niemals gegeben." (Anmerkung 2, S. 386-388)
(1) Roger Chickering, "Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg" Beck-Verlag 2002, Seite 85
(2) Olaf Jessen: "Verdun 1916 - Urschlacht des Jahrhunderts", Beck Verlag 2014, S.12
(3) Paul Jankowski: "Verdun - Die Jahrhundertschlacht" - (Titel der französischen Originalausgabe: "Verdun, 21 février 1916" - erschienen 2013), S.Fischer Verlag, 2015, S. 12 und 29
(4) "Verdun - Ilustrierter Führer durch die Schlachtfelder" Edition Frémont, 1958, S. 4
(5) German Werth: "Verdun - Die Schlacht und der Mythos", Lübbe Verlag 1979, S. 387
(6) David Stevenson, "Der Erste Weltkrieg", Artemis und Winkler Verlag, 2006, S. 200
(7) Roger Chickering, siehe Anmerkung 0, Seite 86
(8) Angebliches Memorandum, zitiert in: "Der Weltkrieg 1914-1918 in Wort und Bild", Heyne Verlag 1969 Band II, Seite 8ff
(9), siehe Anmerkung 3, S. 22
(9a) Jean-Jacques Becker und Gerd Krumeich: "Der grosse Krieg", Klartext-Verlag, 2000, S. 227
(9b) Jessen, a.a.O. S. 24
(10.) siehe Anmerkung 4, S. 40
(11) German Werth, "Das Tagebuch Europas - 1916 - Schalchtfeld Verdun", Brandenburgisches Verlagshaus 1994, S. 58/59
(12) ebenda S. 59
(13) "Schlachten der Weltgeschichte", Hrsg, Stig Förster und andere, dtv-Verlag, 2004, S.298
(14) Hew Strachan, "Der Erste Weltkrieg, 2003 C.Bertelsmann, S. 230
(15) Jessen, a.a. O S. 14ff
(16) ebenda, S. 356 ff
(17) Becker-Krumeich, a.a. O. S. 216
(18) a.a. O. S. 219
(19) Gordon A Craig, Deutsche Geschichte 1866-1945, Beck Verlag 1999, S. 374
(20) Chickering, a.a. O. S. 83
(21) Jankowski a.a. O. S. 53
(22) Roger Chickering, a.a.O, Seite 83
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