Das war schon bemerkenswert, am Sonnabend (11.Juni) spielte in Marseille England gegen die Nationalelf Russlands. Kurz nach Ende des Spiels griffen russische Hools eine englische Tribüne an, prügelten Leute krankenhausreif - und der TV-Zuschauer sah davon nichts! Wer nun dachte, das für die Fernsehübertragung zuständige ZDF habe die Bilder unterschlagen, musste am nächsten Tag feststellen: Der europäische Fußballverband UEFA war für die TV-Zensur zuständig.
Am Sonntag Vormittag berichtete die ARD-Tagesschau von den Vorfällen, dazu gab es ein Standbild, auf dem die Schlägere zwischen Russen und Engländern zu sehen war. Der Tagesschausprecher sagte dazu, die UEFA habe die TV-Bilder über die Vorfälle nicht freigegeben. Am Nachmittag zeigte dann die Tagesschau TV-Bilder des Vorfalls, den ein eigenes Team im Stadion aufgenommen hatte.
Es fragt sich, ob die UEFA mit diesem Vorgehen nicht Vorzensur ausgeübt hat. Die TV-Bilder im Stadion werden von einer Produktionsfirma im Auftrag der UEFA produziert und von den Fernsehsendern übernommen. Sie haben damit also keinen Einfluss darauf, was Live über den Sender geht. Auf Nachfrage teilte am 13. Juni eine ARD-Sprecherin mit, man habe gemeinsam mit dem ZDF bei der UEFA kritisiert, dass die Bilder von den Ausschreitungen nicht zur Verfügung gestellt wurden. Dies bestätigte am selben Tag ein Sprecher des ZDF in Mainz gegenüber dem 'Medienfresser'.
Während die UEFA die Hoheit über die Live-Bilder aus dem Stadion hat, dürfen die Rundfunkanstalten zwar zusätzlich bis zu zehn eigene Kamerateams ins Stadion schicken, dazu müssen sie zuvor bei der UEFA angemeldet werden. Beim Spiel Russland gegen England war eine Kamera der ARD vor Ort. Allerdings dürfen diese Bilder nicht während der Live-Übertragung gezeigt werden, sondern erst nach Spielende, war vom ZDF-Sprecher zu erfahren.
Demnach haben der ARD-Teamchef Jörg Schönenborn und der ZDF-Leiter der Sportredaktion, Dieter Gruschwitz, jetzt bei der UEFA interveniert und Protest eingelegt. Die Rundfunkanstalten fordern, so der ZDF-Sprecher, dass die UEFA alle relevanten und die Öffentlichkeit interessierenden Bilder aus dem Stadion den Sendern anbietet. http://www.tagesschau.de/ausland/hooligans-uefa-beschwerde-101.html
Und was sagt der reuropäische Fußballverband dazu? Auf der Homepage findet sich erst mal nichts, wenn man etwas weiter klickt stößt man auf eine Distanzierung von der Fangewalt - mehr nicht (Stand 14. Juni) http://de.uefa.org/. Auf 'Tagesschau.de' wird die Uefa mit dem Statement zitiert: "Wir wollen nicht, das Szenen von Gewalt im Fensehen zu sehen sind".
Und genau hier liegt der Hund begraben! Einmal abgesehen davon, dass unter dieser Prämisse manche Spiele wohl gar nicht über den Sender gehen dürften. Der UEFA geht es alleine um's Geschäft, man will die Werbekunden und Sponsoren nicht verschrecken - wer will schon im Umfeld von prügelnden Alk-Hools für Sportartikel, Fastfood oder Softdrinks werben? Deshalb zeigen die UEFA-Fernsehbilder ein Potemkinsches TV-Dorf, indem den Zuschauern eine heile Fußballwelt vorgegaukelt wird.
Beim ZDF räumt man ein, dass das Zeigen solcher Prügelexzesse im Fernsehen natürlich eine Gratwanderung sei - schließlich wolle man den Hooligans nicht auch noch eine Plattform zur Selbstdarstellung bieten. Das ist zwar bedenkenswert, die seit Jahren unkritische Verkumpelung zwischen TV-Sendern und Fußballverbänden lässt aber Zweifel aufkommen, ob die Entscheider dieses Argument wirklich umtreibt. Eine TV-Übertragung im bei ARD und ZDF mit mehr als 60% Zuschauermarktanteil lässt die Herzen der Werbevermarkter höher schlagen - aber bitte keine 'Umfeldverschmutzung'.
Der Skandal war lange absehbar, denn die TV-Bilder aus dem Stadion werden von den Veranstaltern produziert. Der Vorfall im Stadion von Marseille zeigt, das es keine freie Berichterstattung mehr gibt. Hätte die ARD nicht ein Team angemeldet, es gäbe keine journalistischen Bilder von den Attacken. Aber so richtig darüber aufzuregen, scheint sich bei uns niemand. Auch bei den für die Regelungen in Rundfunkfragen zuständigen Bundesländern sieht man in der Verhinderungsstrategie der UEFA anscheinend kein Problem. Zwar bestimmt der Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer, das besondere Großereignisse - wie die Fußball-EM - auch im freiempfangbaren Fernsehen gezeigt werden müssen (§4 und §5). Auf Anfrage teilte die Regierungssprecherin Monika Fuhr der Mainzer Staatskanzlei am 15. Juni dazu mit:
„Der
Sachverhalt ist, so wie er sich uns derzeit darstellt, nach etwaigen
vertraglichen Vereinbarungen mit der ARD / ZDF zu beurteilen. Durch das
Verhalten der
UEFA werden die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages nicht berührt. Fragen über den Inhalt etwaiger vertraglicher Vereinbarungen mit der UEFA könnten nur von der ARD / ZDF beantwortet werden“.
Beim Spiel Deutschland gegen Polen am 16. Juni könnte der nächste Eklat drohen - die Hools beider Länder haben sich zum gemeinsamen Prügeln bereits verabredet. Abwarten, ob sie das auch im Stadion schaffen. Wir Europäer schaffen es selbst, Angst und Schrecken vor und im Stadion zu verbreiten. Dazu war am 14.6. beim ZDF zu erfahren, dass der Sender bei dem Spiel mit zehn eigenen TV-Teams im Stadion sein wird - wie bei Spielen der Deutschen Mannschaft üblich. Die Kameras sind 'live-fähig, das heißt, die Bilder können von der ZDF-Bildregie umgehend in die laufende Übertragung eingespeist werden. Bezüglich des Protestes von ARD und ZDF bei der UEFA hieß es in Mainz nur, man befände sich im intensiven Gespräch mit dem Fußballverband.
Auf Anfrage erklärte am 14. Juni in Berlin Ella Wassink für den Deutschen Journalistenverband (DJV):
"Die
eingeschränkte Bildauswahl der UEFA ist nicht nachvollziehbar. Der DJV
hält es für wünschenswert, wenn die UEFA anerkennt, dass die Auswahl von
Fotos und Bewegtbildern nach journalistischen Kriterien in den
Redaktionen erfolgt und nicht nach PR-Regeln von Seiten der UEFA. Eine
Einschränkung der Bildauswahl sollte es daher nicht geben. Die
journalistischen Profis können selbst einschätzen, welche Bilder sie
ihrer Zielgruppe zumuten wollen und welche nicht.
Da
die Sender selbst Kameras in die Stadien stellen und vor Ort aus den
EM-Städten berichten können, kann man nicht von einem Verstoß gegen die
Pressefreiheit sprechen. Es ist aber eine Einschränkung und Bevormundung
der PR-Verantwortlichen der UEFA, die aus journalistischer Sicht nicht
nachvollziehbar ist."
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