Am 3. September 2018 werden die Landesmedieanstalten auf der Internationalen
Bunkermentalität beim Digitalradio |
Der niedersächsische Landesrechnungshof in Hildesheim hatte im Auftrag der NDR-Staatsvertragsländer (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern) die Entwicklung und die Chancen des digitalen Radio analysiert (ANMERKUNG UNTEN) In dem am 24. April 2018 * veröffentlichten Teilbericht wird eine Beendigung des Projektes gefordert, sollten nicht zügig Fristen zur Abschaltung von UKW festgelegt werden. Die Kritik der Rechnungsprüfer am digitalen Radio war vernichtend: "Die Entwicklung und Verbreitung (...) wird seit mehr als 20 Jahren mit hohen Beiträgen aus dem Rundfunkbeitrag gefördert, ohne dass sich das digitale Radio bislang am Markt nachhaltig etablieren konnte."
Geprüft wurde, wieviel Geld im Norden in das digitale Radio investiert wurde und wie die Akzeptanz für DAB+ in den vier Bundesländern aussieht. Genaue Angaben finden sich dazu im Bericht allerdings nicht, der Rechnungshof stellt aber fest, dass das 1997 gestartete digitale DAB-Radio technisch wie wirtschaftlich erfolglos gewesen sei. ** Daher habe man 2011 mit DAB+ einen verbesserten zweiten Anlauf unternommen. Der Rechnungshof kritisiert, dass immer noch keine bundesweit einheiltiche Regelung über eine verbindliche Einfühung von DAB+ erreicht wurden. Nur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern gebe es ein Datum für die UKW-Abschaltung. Auch auf europäischer Ebene sei eine gemeinsame Strategie für das digitale Radio "derzeit nicht erkennbar" moniert der Rechnungshof. Zwar habe man in Deutschland den Absatz der DAB+Geräte "erheblich" steigern können, aber immer noch würden drei Viertel der Bevölkerung UKW nutzen. "Es bleibt festzuhalten, dass es in einem Zeitraum von 20 Jahren bisher nicht gelungen ist, bei den Nutzern eine nennenswerte Ausstattung mit DAB- oder DAB+ Empfangsgeräten zu erreichen." In Zukunft würden für das Simulcasting, also die gleichzeitige Verbreitung der Programme über UKW und DAB+ "weiterhin (...) hohe Kosten" anfallen. Deshalb sollten sich die Beteiligten: "entweder auf klare und krisensichere Rahmenbedingungen sowie überschaubare Fristen zum Ersatz von UKW durch DAB+ verständigen oder die Förderung der Verbreitung von DAB+ möglichst umgehend beenden."
Bunkermentalität der Betroffenen
Deutliche Worte aus Hildesheim an Politik und Rundfunkbetreiber. Erstaunlich ist, dass der Bericht zu keiner öffentlichen Debatte geführt hat. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich nur die Landesrechnungshöfe des NDR-Staatsvertrages mit dem digitalen Radio auseinandergesetzt haben. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Rechnungshofes am 21. Juni, man habe dort keine Prüfung des DAB+-Engagements des Südwestrundfunks (SWR) vorgenommen: "Eine solche Prüfung ist aktuell auch nicht geplant." Auch in Niedersachsen relativierte man auf Nachfrage: "In welcher Höhe Mittel in die Entwicklung und Verbreitung von DAB+ investiert wurden, ist im Rahmen der Prüfung nur bezogen auf den NDR vorgenommen worden". Das ist allerdings insofern Augenwischerei, da alle im Jahrsbericht aufgeführten Daten sich auf die DAB-Entwicklung im gesamte Bundesgebiet beziehen.
Herunterspielen scheint die Strategie aller Betroffener zu sein, etwa bei der für die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) derzeit zuständigen Bremischen Landesmedieanstalt (BREMA). Deren Direktorin, Cornelia Holsten, ließ am 26. Juni mitteilen: "Die Direktorenkonferenz sehe keinen dringenden Handlungsbedarf in der Angelegenheit, da sie derzeit kein Thema der Gemeinschaft aller Medienanstalten ist." Beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) geht man sogar auf Konfrontationskurs zum Rechnungshof: "Die ARD und der NDR haben (...) eine andere Einschätzung zu der Bedeutung und dem Fortgang des digitalterrestrischen Verbreitungsweges DAB+". Der NDR verfolge seine "hybride Strategie" , mit der Nutzung von DAB+ und Internet, heißt es am 29. Juni in einer Antwort der Pressestelle. Der Landesrechnungshof habe in seinem Bericht den gesamten Zeitraum der DAB-Historie betrachtet. ARD und NDR seien aber "der Auffassung, dass es sich bei DAB+ um eine eigenständige Technologie handelt und somit als Betrachtungszeitraum erst der Betrieb nach dem Start von DAB+ im Jahre 2010/11 angesehen werden kann".
Rundfunk ist Sache der Bundesländer, koordiniert wird die Medienpolitk der Länder traditionsgemäß in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei. Am 6.Juli antwortete Heike Raab, SPD-Staatsekretärin in Rheinland-Pfalz und Bevollmächtigte des Landes beim Bund/Europa für Medien und Digitales auf Nachfrage. In ihrem dreiseitigen Schreiben geht sie allerdings an keiner Stelle auf die Kritik des Landesrechnungshofes Niedersachsen ein. Für die Staatssekretärin hat sich "die Marktdynamik bei DAB+ sehr positiv entwickelt (...) eine erfreuliche Entwicklung." Damit habe sich "DAB+ in Deutschland als Übertragungsinfrastruktur für Radio etabliert" und befinde sich "weiter auf Erfolgskurs."
Die einzige positive Reaktion auf die Kritik des Rechnungshofes in Hildesheim kam von einem Geschäftsführer **
Keine Sau steht auf DAB+ |
Fazit: Eine überholte Technik, die schon im ersten Anlauf scheiterte und dann wiederbelebt wurde, wird nicht eingestellt, sondern weiterbetrieben. Die Mittel müssen die Haushalte mit ihrer Rundfunkabgabe bereitstellen, Politik, Rundfunkanstalten und die Medienanstalten verschleudern damit deren Geld. Dass dies kein Einzelfall ist, belegt der Flop in den 1990ern mit dem direktempfangbaren Fernsehsatelliten TV SAT - der von den günstigeren ASTRA-Satelliten ins Nirwana geschickt wurde. Auch Projekt wie der "Schnelle Brüter" und der "Kugelhaufenreaktor" der hochsubventionierten Atomindustrie in den 1980er Jahren sind ein weiterer Beleg für den schamlosen Umgang mit öffentlichen Mittteln.
ANMERKUNG
Nach Veröffentlichung des Post erreichte mich folgende Mail des Landesrechungshofes in Niedersachsen:
Bezogen
auf die Textpassage, dass der Niedersächsische Landesrechnungshof „im
Auftrag der NDR-Staatsvertragsländer“ die Entwicklung
und die Chancen des digitalen Radios analysiert habe, möchte ich
allerdings gern noch den Hinweis geben, dass dies nicht korrekt ist.
Der
Niedersächsische Landesrechnungshof ist die unabhängige, externe
Finanzkontrolle des Landes Niedersachsen. Im Rahmen seines
Verfassungsauftrags
ist er nur dem Gesetz unterworfen und handelt insbesondere nicht im
Auftrag der niedersächsischen Landesregierung. Gleiches gilt für die
anderen Rechnungshöfe.
Die
Prüfung der Förderung der Entwicklung und Verbreitung von DAB/DAB+ war
vielmehr Ausfluss einer entsprechenden gemeinsamen Arbeitsplanung
der vier für die Prüfung des NDR zuständigen Landesrechnungshöfe
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen,
also der Rechnungshöfe der NDR-Staatsvertragsländer. Die gemeinsame
Prüfung erfolgte unter Federführung des Niedersächsischen
Landesrechnungshofs.
* Jahresbericht des Niedersächsischen Landesrechnungshofs 2018 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, veröffentlicht am 24. April 2018: Seiten 219 - 224.
**Artikel für die Funkkorrespondenz April 2004
DAB-Studie: Einführung ist gescheitert - 2004
„Es wird eher unwahrscheinlicher, dass um DAB ein
funktionierender Markt entsteht und dass UKW durch DAB abgelöst werden wird“,
zu diesem Ergebnis kommen die Professoren Gerhard Vowe und Andreas Will von der
TU-Ilmenau in einer Studie für die Thüringer Landesmedienanstalt (TLM). Zur
Diskussion der Studie: „Die Prognosen zum Digitalradio auf dem Prüfstand –
Waren die Probleme bei der DAB-Einführung voraussehbar?“ hatte die TLM am 24.
März zu einem Workshop nach Erfurt eingeladen. Die Autoren wiesen darauf hin,
dass in den 90er Jahren alle Prognosen den Markterfolg der DAB-Technik erwartet
hätten. Die Begleitforschung sollte damals vielmehr vor allem helfen, ein Klima
des Aufbruchs für das DAB zu schaffen, meinte Professor Will. Zwar seien dabei
die beauftragten Forschungsinstitute nicht direkt unter Druck gesetzt worden,
um zu positiven Ergebnissen zu kommen, stellen Vowe und Will fest.
Ergebnisoffen hätten die beauftragten Institute aber nicht forschen können,
betonten die Autoren der TLM-Studie.
In Erfurt berichtete Daniel Hürst vom Prognos-Institut, die
erste Fassung des Forschungsbericht, den er 1997 für die Bayerische
Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Bayerische Medientechnik (BMT)
angefertigt hatte, sei den Auftraggebern „zu pessimistisch“ gewesen. Deshalb
seien „redaktionelle Glättungen“ vorgenommen und „diplomatische Formulierungen“
gewählt worden, erläuterte Hürst. Ähnlichen Erfahrungen machte Professor Tibor
Kliment von der Fachhochschule Bielefeld. Er war 1999 beim Emnid-Institut für
die DAB-Prognose für NRW verantwortlich, die vom WDR, Radio NRW, der
Landesanstalt für Rundfunk (LfR) und der Telekom in Auftrag gegeben worden war.
Auch bei Emnid sei der Abschlussbericht „Satz für Satz“ bearbeitet worden, sagte
Kliment und kritisierte: „Es gibt in dieser Begleitforschung niemanden, der
einen übergeordneten Standpunkt einnehmen konnte“. Kliment wünschte sich die
Unterstützung neutraler Einrichtungen wie etwa Universitäten bei solchen
Forschungsprojekten.
Das Desaster der DAB-Technik in Deutschland – es gibt gerade
einmal 50.000 DAB-Empfänger in den Haushalten – liegt nach Ansicht der
TLM-Studie in der völlig falschen Beurteilung des Marktchancen des digitalen
Radios. Die Forscher seien bei ihren Projekten von der falschen Vorstellung
ausgegangen, dass sich immer die fortgeschrittenste Technik durchsetze,
resümierten Will und Vowe in Erfurt. Alle Studien seien deshalb davon
ausgegangen, dass sich die Politik für DAB entschieden habe und deshalb eine
ergebnisoffene Forschung nicht gewünscht gewesen sei, sagte dazu Professor
Wolfgang Seufert von der Universität Jena.
Ende mit Schrecken – oder Neustart unter anderem Namen?
Angesichts dieser ernüchternden Ergebnisse konstatierte
Thomas Hirschle, Präsident der Landesanstalt für Kommunikation (LfK) in
Baden-Württemberg: „Ich habe hier das Gefühl, auf der Beerdigung von DAB zu
sein.“ Der LfK-Chef und DAB-Beauftragter der Direktorenkonferenz der
Landesmedienanstalten (DLM) hält aber nach wie vor DAB für die beste Digitaltechnik
im Hörfunk. Er kritisierte vielmehr mangelnde Chancengleichheit zwischen
analogem und digitalem Radio als eine Ursache für den Mißerfolg: „Die alte
UKW-Technik wurde jahrelang subventioniert, während DAB die vollen Kosten
erwirtschaften soll.“ Hirschle plädierte deshalb für einen erneuten Versuch für
DAB mit „fresh-man und fresh-money“ und vor allem einem neuen Namen. Auch
Professor Kliment geht davon aus, dass die Marke DAB mittlerweile kaputt
geredet worden sei. Der TLM-Direktor Victor Henle zog aus der Diskussion in
Erfurt vielmehr den Schluss, dass weder Markt noch Politik das digitale Radio
durchsetzen könnten. Dagegen könne nur ein gemeinsame Handeln aller Beteiligten
zum Erfolg führen. Sollte auch diese Anstrengung scheitern, müsse man eben
eingestehen, dass DAB gescheitert sei, folgerte Henle.
Für Hans-Jürgen Kratz, Chef des Privatsenders Antenne
Thüringen ist dagegen der Zug für die DAB-Technik längst abgefahren – nicht
aber für digitales Radio an sich. Der im VPRT für den Fachbereich Hörfunk
zuständigen Privatradio-Manager wies darauf hin, der VPRT habe bereits 1996 die
DAB-Plattform verlassen und deshalb sei für ihn die TLM-Studie auch „keine
Erleuchtung“. Er sei es vielmehr Leid beim DAB darüber zu diskutieren, „was man
seit 10 Jahren bereits kennt“. Auch das im vergangenen Jahr in Mainz auf
Einladung des Vorsitzenden der Medienkommission der Länder und
rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) stattgefundene
DAB-Treffen war für Kratz eine Enttäuschung. „Es wurde alles auf den Tisch
gelegt, aber es ist nichts passier,“ konstatierte der Chef von Antenne
Thüringen. Er sieht keine Chancen für DAB, da die Interessen der Beteiligten zu
unterschiedlich seien, denn: „es gibt kein gemeinsames Geschäftsmodell.“
Angesichts dieser schlechten Aussichten für DAB bemühte sich TLM-Chef Henle
darum, einem möglichen Ende des DAB in Deutschland noch etwas Positives
abzugewinnen. Er wies darauf hin, Deutschland müsse ohne DAB nicht in
technologischen Rückstand geraten.
*** Leider hat der Gesprächspartner die Zitate trotz Nachfrage nicht autorisiert - deshalb muss er hier anonym bleiben.
https://medienfresser.blogspot.com/2018/05/digitalradio-dab-mit-ruckenwind-in-den.html