Dienstag, 12. April 2022

Meine deutsch-französische Familie Teil VI

 

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

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Revolution - Republik - Krise

 
Der Krieg war vorbei, aber überall in Deutschland bekam man jetzt die Folgen zu spüren. Die Blockade der Entente blieb auch nach Kriegsende im Jahr 1919 bestehen. Das Bürgertum war in den Kriegsjahren verarmt, die verkauften Kriegsanleihen konnte der Staat nicht zurückzahlen. Beides führte zu einer massien Staatsverschuldung und Inflation. In Gronau kam die Wirtschaft nur langsam wieder in Schwung, es wurden für die Niederlande vermehrt Garne produziert und daher arbeiteten viele Gronauer im Nachbarland. Positiver Nebeneffekt, man wurde in Gulden bezahlt und konnte in den Niederlanden damit einkaufen.
 
Bereits im letzten Kriegsjahr hatten an der Grenze Schmuggel und Schwarzhandel geboomt. Auch gutbürgerliche Kreise beteiligten sich, um an begehrte Ware zu kommen. So kleidete sich auch Frieda Ressing an einem Morgen sorgfältig an, mit langem schwarzem Mantel und großem

Hut. Sie nahm den fünfjährigen Heinz an der Hand und machte sich auf den Weg zur nahegelegenen Grenze. In Enschede kaufte sie Kaffee und versteckte ihn unter ihrem Hut. Als sie auf dem Rückweg an der Glaner Brücke vom deutschen Zöllner angehalten wurde, fragte er: "Haben Sie etwas anzumelden?" Frieda nahm allen Mut zusammen: "Nein" - da fragte der kleine Heinz laut: "Aber Mama, warum
trägst Du unter dem Hut die Kaffeetüte?" Frieda erstarrte wie Lots Weib, wurde kalkweiss und stotterte, glücklicherweise hatte der Zöllner seinen sozialen Tag, er lächelte und ließ die Dame aus gutem Hause samt Sprössling passieren. Das war der erste und letzte Versuch der hochmoralischen Frau, etwas über die Grenze zu schmuggeln. Vor allem Kaffee war eine begehrte Ware, manche fuhren regelmäßig mit dem Fahrrad über die Grenze und füllten in Enschede Kaffebohnen in ihre Reifen. Dann kehrten sie mit knirschenden Rädern zurück - und verkauften ihn - brühfertig gemahlen.
 

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