Donnerstag, 19. März 2015

Griechenland: Aufklärung statt 'Stinkefinger'-Demagogie



Allüberall in deutschen Medien und an den Stamtischen debattiert man darüber, ob der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis den ‚Effenberg’ gemacht hat, oder nicht. Das durchschaubare Manöver dient vor allem dazu, von Ursachen und Hintergründen der Krise in Griechenland und in Europa abzulenken. Wer es dagegen versucht, mit Argumenten und Analysen aufzuklären, hat es schwer – erst recht, wenn er Grieche ist.

Professor Dr. Athanasios Marvakis
Diesen Versuch unternahm Athanasios Marvakis, Psychologieprofessor an der Universität Thessaloniki am 12. März in Ludwigsburg. Marvakis ist einer vielen Grecco-Schwaben, aus einer Griechischen Familie stammend aber im Schwäbischen aufgewachsen, promovierte er in Tübingen. In Thessaloniki engagiert er sich, neben seiner Lehrtätigkeit, in der Flüchtlingsarbeit.

Für Marvakis ist der Wahlsieg von Syriza bei den Parlamentswahlen nicht nur für Griechenland sondern für ganz Europa wichtig. Erstmals setze eine Regierung dem realpolitischen Dogma: ‚Es gibt keine Alternative’ etwas entgegent. „Durch den Sieg von Syriza kommen die politischen Probleme Europas endlich auf den Tisch“, hofft der Proffessor. Der von Oben erklärte  Klassenkampf zeige sich mittlerweile übergreifend in aller Brutalität und voller Zynismus. In Griechenland  könne das Signal geben: "Es gibt eine Alternative zur neoliberalen Politik in Europa"

Marvakis warnte vor den begrenzten Möglichkeiten der neuen Regierung: „Es ist mehr als naiv zu glauben, dass der Kampf um ein anderes Europa in Griechenland und von dieser Regierung ausgefochten werden kann.“  Bestenfalls eröffne der Sieg von Syriza die Chance für einen politische Debatte mit dem Ziel, die Öffentliche Meinung in Europa für eine neue Form sozialdemokratischer Politik zu gewinnen. Revolutionären Hoffnungen und Barrikadenromantik erteilt er eine Absage. Die Griechen seien stockkonservatv und das Wahlprogramm von Syriza sei auf minimale Ziele ausgerichtet: "Aber das wäre schon viel!"


Thessaloniki - Promenade
Der Professor kennt seine Landsleute. Die Hafenstadt Thessaloniki, nach Athen größte Stadt Griechenlands, ist das Industriezentrum. Die Einwohner gelten als sehr Konservativ, trotzdem wählte man hier 2012 mit Yannis Boutaris einen progressiven Bürgermeister. Er war so erfolgreich, dass er im letzten Jahr mit großer Mehrheit wiedergewählt wurde. 

Marvakis kritisiert auch den bei seinen Landsleuten weit verbreiteten Nationalismus. Dieser Chauvinismus im Alltag erkläre, warum seine Landsleute die eigene wirtschaftliche Talfahrt nie im Zusammenhang mit der Entwicklung der letzten Jahre auf dem Balkan gesehen hätten: „Da läuft diese Krise seit 20 Jahren, nur die Griechen haben sich kaum dafür interessiert.“ Voll Selbstüberheblichkeit seien viele der Ansicht gewesen: ‚Wir sind doch nicht mit den faulen Bulgaren, Mazedoniern oder Albanern vergleichbar!’


 

Syriza-Büro: Insel Chios (2)
Er warnt vor der Annahme, nach den Wahlen sei die griechische Bevölkerung nach Links gerutscht. „Die Griechen sind ihn ihrer Mehrheit weiterhin sehr konservativ und rückwärtsgewandt.“ Der Wahlsieg von Syriza erkläre sich vor allem daraus, dass die Altparteien PASOK (Sozialisten) und Nea Demokratia (Konservative) ihre Wählerschaft verprellt hätten. Insgesamt sei die Bindung der Griechen an Parteien deutlich gesunken. „Die Wähler haben Syriza jetzt einen Blankoscheck ausgestellt mit dem Auftrag: ‚macht etwas anderes!’ Viele Wähler hätten bei Syriza ihr Kreuz aus „Notwehr“ gemacht und nicht aus Überzeugung. 

Positiv sei, dass sich aktuell die Stimmungslage in Griechenland geändert habe. Die Zeit der totalen Niedergeschlagenheit sei vorbei, das Interesse an Politik und politischen Informationen sei deutlich gewachsen. „Die Leute haben das Gefühl: Es ist eine andere Politik möglich.“ Derzeit stünden etwa 80% der Wähler hinter der Regierung, egal aus welchem politischen Lager. 

Die Reaktionen aus dem Ausland über das Wahlergebnis Erbittere viele Griechen, werde als versuchte Kolonialisierung empfunden. Dies könnte aufgrund des latenten Nationalismus – den es auch innerhalb der Linken gebe – noch ein Problem werden. Es sei ein Glücksfall gewesen, dass die Mehrheit Links gewählt habe. Es besteht für Marvakis die Gefahr, dass sie sich bei einem Misserfolg von Syriza hin zur Nazi-Partei Chryssi Avghi (Neue Morgenröte) wenden könnte. Sie sei immerhin drittstärkste Fraktion im Parlament - obwohl ihre Führung im Gefängnis sitzen würde. Die CA propagiere puren Rassismus: Seid Stolz darauf, wie wir in den letzten 20 Jahren mit den Immigranten umgegangen sind! Deshalb warnt Marvakis: „Die Nazis ernten dass, was andere jahrelang gesät haben.“ Rassistische und chauvinistische Töne hatten schon frühere Regierungen in Athen benutzt, wenn es darum ging, von eigenen Fehlern abzulenken.

Der Universitätsprofessor aus Thessaloniki beobachtet die Regierungskoalition zwischen Syriza und der rechtspopulistischen Partei ANEL (Unabhängige Griechen) mit Unbehagen. Man müsse genau auf eine Zunahme rechter Tendenzen in der Bevölkerung achten und dies sei die Aufgabe der griechischen Linken. Das in der deutschen Öffentlichkeit die rassistischen Ausfälle von ANEL-Politikern kritisch registriert würden, kommentierte Marvakis sarkastisch. Viele ANEL-Leute, wie der Vorsitzende und jetzige Verteidigungsminister, Pannos Kammenos, kämen schließlich aus der Nea Demokratia. Zu Zeiten der ND-Regierung von Antonis Samaras habe es aus ihren Reihen immer wieder üble Polemiken gegeben: „Die deutsche Schwesterpartei CDU hat nie dagegen protestiert!“  

Realpolitisch kann Marvakis den Deal zwischen der Führung von Syriza und ANEL nachvollziehen. Dieser Schritt habe es ermöglicht, bereits am Tag nach der Wahl eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Damit habe man die Politiker in Europa überrascht, diese hätten langwierigen Koalitionsverhandlungen und eine damit nicht handlungsunfähige Regierung erwartet. 

Worauf setzt Marvakis seine Hoffnungen für Griechenland und Europa? „Alles muss und wird politisch in Bewegung kommen. Bewegt sich aber in Europa nichts, bewegt sich auch in Griechenland nichts.“ und "Wenn die deutsche Tageszeitung ‚Die Welt’ schreibt: ‚Die Troika ist eine Katastrophe für Europa’ dann freue ich mich!“  


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