Mittwoch, 7. Oktober 2015

Flüchtlinge 2015: Paranoia* in Deutschland - Realität in Griechenland


Tagtäglich wird die Stimmung in Deutschland beim Thema Flüchtlinge hysterischer. Das Hausblatt des deutschen Stammtischs: BILD, schürt Ängste mit Horrormeldungen von bis zu 7,4 Millionen Flüchtlingen. Die CSU begeht faktisch Verfassungsbruch durch die Forderung nach einer Obergrenze für Asylbwereber. Grundgesetzt und UNO-Flüchtlingskonvention - egal. Und die SPD jammert, bei einer Million Flüchtlingen komme Deutschland an seine Belastungsgrenzen.

Die Realtität: Derzeit befinden sich in Deutschland rund 577 000 Flüchtlinge (Tagesschau 7. Oktober 2015). Bei etwa 80 Millionen  Bundesbürgern sind das 0,7% der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn die Panikzahlen der BILD Realität würden, stiege der Flüchtlingsanteil auf 9% an. Zum Vergleich: Im Libanon machen die Kriegsflüchtlinge mittlerweile 25% der Gesamtbevölkerung aus.

Chios - eine Insel versucht zu helfen


Von der Küstenwache gerettet
2015 kamen fast jeden Tag zwischen 150 und 200 Flüchtlinge auf die griechische Insel Chios in der Nordost-Ägäis. Sie liegt nur etwa 8 Kilometer von der türkischen Küste bei Cesme entfernt. Auf der fünftgrößten Insel Griechenlands leben rund 50 000 Einwohner. Alleine im laufenden Jahr kamen hier rund 30 000 Flüchtlinge an. Ein Großteil ist zwar jetzt auf dem Festland und dem Weg nach Nordeuropa, aber auch im September 2015 lebten noch viele im zentralen Flüchtlingscamp außerhalb und dem Stadtpark der Inselhauptstadt. Sie wohnen in Camping-Zelten - Ende September hat die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR winterfeste Zelte aufgestellt. Man rechnet auf Chios damit, dass auch in der Schlechtwetterperiode zwischen Oktober und April der Flüchtlingsstrom kaum zurückgehen wird.
Stadtpark von Chios


In Deutschland und den meisten EU-Staaten in Mitteleuropa hat man dieser Entwicklung lange einfach nur zugeschaut. Das EU-Dublin-Abkommen 'schützte' uns ja vor den Flüchtlingsmassen. Jeder Asylbewerber muss ja in dem Staat Schutzt beantragen, in dem er erstmals die EU betreten hat. Damit waren wir fein raus. Jeder der es wissen wollte wusste aber schon lange, dass das nicht gutgehen kann. Griechenland und Italien waren damit überfordert und haben einfach die Grenzen nach Norden geöffnet. Anstatt aber bei uns Vorkehrungen zu treffen, beweist Deutschland als angeblicher 'Organsiations-Weltmeister' seine Unfähigkeit oder den Unwillen, Vorbereitungen zu treffen. Aber über die angeblich 'faulen Griechen' lästern - dazu reicht´s hier immer noch....

Bizarre Widersprüche


Hotel-Pool mit Blick auf die Türkische Küste
Während auch Chios die Touristen in schönen Hotelanlagen mit Pool den Blick auf das  türkischen Festland bei Cesme genießen, ist das Meer für Flüchtlinge lebensbedrohlich. Deshalb patroullieren Boote der griechischen Küstenwache und der Marine vor der Insel und bringen tagtäglich Menschen in den Hafen von Chios-Stadt. Bei meinem Besuch im Mai und September war die Situation an der Hafenpromenade ziemlich bizarr. Während am Fähranleger Flüchtlinge auf das Schiff
Rechts die Kreuzfahrer - Links die Flüchtlinge
nach Piräus oder Kavalla warteten, flanierten an ihnen Touristen vorbei, deren Kreuzfahrtschiff im Hafen lag.

So mancher Inselbewohner reagiert auf die ankommenden Flüchtlinge irritiert: "Die haben alle Smartphones, woher haben die dafür das Geld?" Die Erklärung ist einfach, wer es auf bis nach Chios schafft, der hat mehrere Tausend Dollar/Euro für einen Fluchthelfer bezahlen können. Die Insel erreichen derzeit vor allem Syrer, die der Mittelschicht angehören. Sie haben für die Flucht vor Krieg und Verfolgung alles zu Geld gemacht, was sie hatten. Manch Wohlhabender kann es sich sogar leisten, in einem Hotel der Insel zu wohnen. Die meisten brauchen aber jeden Cent, um das Weiterkommen nach Nordeuropa bezahlen zu können.

"Die Armen aus Syrien oder Afghanistan stecken in der Türkei fest. Dort werden sie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und haben keine Chance, die Überfahrt zu bezahlen," erfuhr ich auf Chios von einer Türkin, die dort mit einem Griechen verheiratet ist. Es gibt aber auch Ablehnung: "Die bringen Drogen mit, die können einem nicht ins Gesicht schauen", meinte ein durchaus weitgereister und kultuvierter Freund zu uns. Dabei werden seit Jahren Drogen aus der Türkei über Chios in Richtung Nordeuropa geschmuggelt - und so mancher Grieche verdient gut daran. Trotz Kritik und Vorurteilen leisten aber viele Inselbewohner Hilfe und auch die Inselverwaltung tut, was sie kann. Privat werden Kleidung und Spielzeug für die vielen Flüchtlignskinder gesammelt. In einem überdachten Durchgang, der zum Rathaus gehört, dürfen Neuankömmlinge erst einmal kampieren.

Notdürftiger Schutz vor dem kalten Wind
In einem Bericht der ARD sieht man, wie ein alter Grieche wortlos einer Familie eine Tüte mit Essen gibt. Er will keinen Dank - winkt nur ab. Später erzählt uns ein Freund: "Den Mann kenne ich, der hat selber nichts und ist arm. Trotzdem bringt er immer wieder Essen zu den Flüchtlingen, wenn er ein paar Euro übrig hat."

Viele Bewohner der Orte an der Ostküste von Chios sind mit ihren Nerven am Ende, aber trotzdem ist die Lage nicht aggressiv. Woran liegt das? Ein befreundeter Ladenbesitzer klärte uns auf: "Weißt Du, meine Großeltern kamen 1923 vom Festland, das heute die Türkei ist. Sie lebten in der Gegend der Hafenstadt Smyrna, die heute Izmir heißt. Nach dem der Krieg zwischen Griechen und Türken 1919-1923 verloren gegangen war, mussten tausende Griechen das Festland verlassen. Sie kamen mit nichts, als dem was sie tragen konnten, auf Chios an. Davon lebt zwar heute kaum noch jemand, aber die Erinnerung haben sie an ihre Kinder und Enkel weitergegeben. Das ist der Grund, warum hier viele Inselbwohner den Flüchtlingen helfen."

Zurück in Deutschland - Feiern bis zum Umfallen...


Am 3. Oktober kamen wir wieder zurück nach Stuttgart - Tag der Deutschen Einheit. In Stuttgart zogen die Massen auf das Volksfest am Wasen. Für uns ein Kulturschock: In der S-Bahn haufenweise junge Leute in bayerischer Tracht - im tiefsten Schwaben! Vorher wurde kräftig getrunken - auf dem Was´n ist´s halt teuer. Am Bahnhof Bad Cannstatt angekommen, von wo es auf das Festgelände geht, drangvolle Enge auf dem Bahnsteig. Neben mir kniet ein Mädel im Dirndl und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Wenige Meter später hat man eine Auffahrt zum Pissoir umgewidmet - es stinkt bestialisch.

Schön wieder im geordneten Deutschland zu sein, da wird auf Kommando gesoffen und das natürlich in 'Uniform'...


*Duden: Paranoia durch gesteigertes Misstrauen gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung mit Wahnvorstellungen




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